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Grundgesetz:In der Verfassungswirklichkeit demnächst bedeutungslos?von Eckart Spoo16. November: Sozialdemokraten und Grüne springen jubelnd von den Sitzen: Sie haben die Mehrheit für den Krieg erreicht, ganz allein, ohne auf Stimmen von Christ- und Freidemokraten angewiesen zu sein. Schröders Dressurakt ist gelungen. Die Ermächtigung zum Kriegführen gilt für ein Drittel der Erde und für ein ganzes Jahr - noch bis über die nächste Bundestagswahl hinaus. Sein Trick, die Abstimmung mit der Vertrauensfrage zu verbinden, bewirkt, daß Christ- und Freidemokraten geschlossen gegen den Krieg stimmen, obwohl sie ihn fast alle befürworten; viele Sozialdemokraten und Grüne, die ihn ablehnen, stimmen dafür. Was für ein Vertrauen herrscht da? Wer vertraut wem? Schröder hat jedenfalls wieder bewiesen, daß ihm im Umgang mit der Verfassung alles zuzutrauen ist. Was stört ihn Artikel 26 des Grundgestzes, wonach jede Handlung zur Vorbereitung eines Angriffskrieges verfassungswidrig und zu bestrafen ist? Was stört ihn Art. 38 GG, wonach die Abgeordneten des Bundestags an Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind? Wer je Vertrauen in Schröder gesetzt hatte, konnte spätestens 1993, lange vor seiner Kanzlerschaft, Klarheit über ihn gewinnen, als der damalige niedersächische Ministerpräsident, der sich bis dahin als Verteidiger des Asylrechts aufgespielt hatte, auf dem SPD-Parteitag die entscheidende Rede für die Aushöhlung dieses Grundrechts (Art. 16: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht") hielt, Obwohl Art. 19 bestimmt: "In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden." 22. November: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: Die Bundesregierung durfte 1999 - während des Bombenkriegs gegen Jugoslawien - mit ihren Bündnispartnern die Ausweitung der NATO-Aufgaben auf Militäreinsätze in Drittstaaten vereinbaren, ohne die Zustimmung des Bundestages einzuholen. Die Vereinbarung sei als bloße Fortentwicklung des NATO-Vertrages zu verstehen. Die Handlungsfähigkeit der Regierung würde ungerechtfertigt beschnitten, wenn das Parlament beteiligt werden müßte. Ausführlich befaßt sich das Gericht in seinem Urteil mit den im neuen NATO-Konzept vorgesehenen "Krisenreaktionseinsätzen" und erhebt keinen Einwand dagegen, daß die NATO zu solchen Einsätzen beispielsweise schon dann ausrückt, wenn sich ein Mitglied durch "Unterbrechung der Energieversorgung" bedroht sieht. Öl hat Verfassungsrang So werden imperialistische Öl-Raubzüge zum deutschen Verfassugnsrecht. Laut Grundgesetz hat die Bundeswehr eigentlich einen Verteidigungsauftrag, wie auch die NATO einst als reines Verteidigungsbündnis verstanden werden wollte. Jetzt gilt das Gegenteil - und unsere Höchstrichter nennen es Fortentwicklung. Ja, fort, weit fort von den ursprünglichen Intentionen der Verfassung. 20. und 24. November: Folgsam marschieren die Parteitagsdelegierten der Sozialdemokraten in Nürnberg und der Grünen in Rostock in den imperialistischen Krieg. Über Opfer und Kosten spricht man nicht. Die Regierungsparteien rüsten sich auch für den Krieg nach innen: der Widerstand gegen die "Sicherheitspakete" des Inneministers zerbröckelt. Viele neue Ermächtigungen für Polizei und Geheimdienste werden die Grundrechte weiter demontieren. Nach dem Grundgesetz haben die Parteien eine andere Funktion als die, zu der sie sich jetzt auf den Parteitagen von den Regierenden zurichten lassen. Art. 21: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." Aber nicht erst seit Schröder und Fischer sind sie bestrebt, jede andere Möglichkeit politischer Willensbildung unter ihre Kontrolle zu bringen und auszuschalten. Sie sehen politische Willensbildung des Volkes so, daß sie gemeinsam mit den konzentrierten Medien den Willen des Volkes bilden und den Unwillen eisnchüchtern. "Fortentwicklung" "Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen," heißt es weiter in Artikel 21. Doch an die Stelle demokratischer Grundsätze - also Willensbildung von unten nach oben - ist das Prinzip der "Chefsache" getreten. Auf diesen beiden Parteitagen haben die Regierungsparteien jeden Anspruch auf innerparteiliche Demokratie hinter sich gelassen. Zur weiteren Fortentwicklung der Verfassung liegt jetzt ein Gesetzentwurf der FDP vor. Er lautet schlicht: "Artikel 15 des Grundgestzes wird gestrichen". Ähnlich knapp ist der Vorspruch der Antragsteller gehalten: "A. Problem: Die Durchsetzung wirtschaftspolitischer Vorstellungen durch Sozialisierungen sowie die Vergesellschaftung als Mittel der Wirtschaftspolitik generell haben sich überlebt. Die diesbezügliche Ermächtigungsnorm im Grundgesetz ist obsolet und deshalb aufzuheben. B. Lösung: Aufhebung von Artikel 15 des Grundgestzes. C. Alternativen: Keine, D. Kosten: Keine." Das Wort "obsolet" im Vorspruch erinnert an Art. 139: "Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften wrden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt." Schon vor der Wende nannte der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts und spätere Bundespräsident Roman Herzog diese Verfassungsvorschrift, die das Weiterwirken der von den Alliierten in Potsdam vereinbarten Entnazifizierung sichern sollte, "obsolet". Derselbe nunmehrige Bundespräsident a.D. verkündet am 20. November auf einer halben Anzeigenseite der FAZ in Farbdruck: "So viel Sozialstaat ist unsozial". Diejenigen, die ihm diese Anzeige finanziert haben, lassen ihn fordern, daß Sozialhilfe, Steuern und Abgaben verringert werden müßten. Und lassen ihn verheißen, dann werde "alles beweglicher, kundenfreundlicher und billiger". Vor allem die Arbeitskraft soll immer noch billiger werden. Sozialstaat Ade Daß die Bundesrepublik Deutschland ein sozialer Staat und ein demokratischer Staat sein soll, steht in Art. 20 GG - den man dann am besten ebenfalls streichen würde. Oder etwa so umformulieren könnte: "Die Bundesrepublik Deutschland darf nur so demokratisch und sozial sein, daß sich diejenigen, die in der Lage sind, halbseitige Farbanzeigen in der FAZ sowie (Ex-)Bundespräsidenten und sonstige Politiker zu finanzieren, von diesem Staat keinesfalls behelligt fühlen können." Der von der FDP zur Abschaffung bestimmmte Artikel 15 steht in engem Zusammenhang mit Art. 14, wo es heißt: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll sogleich zum Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig." Art. 15 bestimmt dann: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zweck der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden." Dazu die FDP in der Begründung ihres Gesetzentwurfes: "Allein die Existenz des Artikel 15 GG stellt eine potentielle Bedrohung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland dar." Man sieht sie vor sich, die von der FDP repräsentierten Unternehmen, wie sie angesichts des bisher noch geltenden Grundgesetzes vor Angst schlottern. Weiter in der Begründung: "Alle bedeutenden politischen Kräfte der Bundesrepublik Deutschland sind sich in ihrer Unterstützung der marktwirtschaftlichen Ordnung auf der Grundlage im Privateigentum stehender Wirtschaftsunternehmen einig." Die führende Politiker von Sozialdemokraten und Grünen durften sich von dieser Feststellung geschmeichelt fühlen. Schröder und sein Finanzminister Eichel werden sich dem FDP-Antrag ohnehin nicht entgegentellen wollen, da sie gerade wieder damit beschäftigt sind, nach und nach alle öffentlichen Unternehmen zu verhökern, das ganze Gemeinwesen. Ohne die Privatisierungserlöse könnten sie nach all den Senkungen der Unternehmenssteuern die Haushaltslöcher nicht mehr stopfen. Noch ein Satz aus der FDP-Antragsbegründung: "In der gegenwärtigung Verfassungswirklichkeit ist der Artikel 15 GG daher bedeutungslos geworden." Man könnte es bald von allen auf dem Verfassungspapier garantieren Grundrechten sagen: ... in der gegenwärtigen Verfassungswirklichkeit bedeutungslos geworden. Dieser Beitrag ist unter der Überschrift: "Unser dehnbares, kürzbares Grundgesetz" in der Zweiwochenschrift "Ossietzky" Nr. 24 vom 1.12.2001 erschienen. Zwischentitel von der AN-Redaktion | |||
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