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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2002



Zum Krieg gegen den Terror und vom Terror des Krieges

Heiße Kriege um Ressourcen –
Ökonomische Kriege um Marktanteile

von Anne Rieger

Die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington werden in der veröffentlichten Meinung immer noch als Ursache aller militärischen, ökonomischen, politischen, antidemokratischen und antisozialen Erscheinungen dargestellt. Von den über 2000 Toten wird nicht mehr allzu oft gesprochen. Aber auch die mindestens 5000 zivilen Opfern des Afghanistan Krieges1 sind dem Großteil der Medien keine Meldung wert.

Mit Begründung auf den Terroranschlags und einen bisher nicht bewiesenen Verursacher Bin Laden wurde eines der ökonomisch ärmsten Länder innerhalb von vier Wochen mit FlächenBombardements platt gemacht. Was ökologisch bis heute noch nicht versifft ist, wird gerade im Moment in die größte Umwelt-Katastrophe des Hindukusch gebombt.

Terror nicht mit Terror beantworten
Die Toten sind der US-Regierung Bush nicht genug. Sie bereitet den Einsatz von Nuklearwaffen vor, um Höhlensysteme zertrümmern zu können2. Neuartige Mini-Atombomben sollen unterirdische Anlagen zerstören. In dem "Nuclear Posture Review" vom 8.1.2002 sind namentlich China und Rußland und fünf nicht Atomwaffen besitzende Staaten als mögliche Ziele genannt: Nordkorea, Irak, Iran, Syrien und Libyen. Die Höhlensysteme Afghanistans werden dann bald von Strahlung verseucht und unbewohnbar sein. Flüchtlingsströme ungeahnten Ausmaßes würden sich in Bewegung setzen — falls sie es noch könnten. Die Dritte Welt würde nicht nur eine soziale Wüste bleiben, sondern sich in eine Nuklearwüste verwandeln. Wir kennen alle die Auswirkungen der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, die Auswirkungen des Unfalls von Tschernobyl, die Auswirkungen der Atomkraftwerke, in deren Nähe schon in Friedenszeiten höhere Leukämieraten nachgewiesen sind.

Terror wird mit Terror beantwortet. "Nichts kann einen terroristischen Akt entschuldigen oder rechtfertigen, ganz gleich, ob er von religiösen Fundamentalisten, von Milizen, von Widerstandsbewegungen begangen wird — oder ob er als Vergeltungskrieg einer anerkannten Regierung daherkommt. Die Bombardierung Afghanistans ist keine Rache für New York und Washington. Sie ist nur ein weiterer terroristischer Akt gegen die Menschen auf der Welt. Jede unschuldige Person, die getötet wird, muss hinzugezählt werden, nicht verrechnet mit der entsetzlichen Zahl der in New York und Washington gestorbenen Zivilisten.„3

Erkaufte Kriegszustimmung
Der Coup gegen Afghanistan konnte nur gelingen, weil die Menschen durch die Anschläge in den USA und durch ihre mediale, hundertfach wiederholte Aufbereitung emotional erschüttert waren und die US-Administration alle potentiell kritischen Regierungen politisch und ökonomisch einband (30 Mrd. Dollar sind für 2003 für die Verbündeten vorgesehen. Der Schlüsselstaat Pakistan erhält 300 statt 1,5 Mio. Euro, Jordanien 540 statt 240 Mio. Euro, Indien 90 statt 8,5 Mio. Euro, Jemen 15 statt 6 Mio. Euro und Oman 24 statt Null Mio. Euro). Der Kriegshaushalt wurde sofort erhöht. Für 2002 wurde er um weitere 48 Mrd. Dollar auf 380 Mrd. Dollar erhöht, fürs Jahr 2007 sind 470 Mrd. Dollar jährlich geplant. Damit betragen die Ausgaben weit über die Hälfte der weltweiten Rüstungsausgaben. Die EU—Regierungen mit der deutschen Regierung an der Spitze gaben der US Administration politische und militärische Rückendeckung durch "uneingeschränkte Solidarität".

Gegen konventionelle Kriege und nukleare Kriegspläne muss es deutsche und internationale offensive politische Friedensinitiativen geben. Der politische und ökonomische Riese Deutschland mit der ihm verbundenen EU hat dazu durchaus entscheidendes Gewicht. Wir müssen raus aus der "uneingeschränkten Solidarität", nicht etwa nun auch noch die Atombomben fürs deutsche Militär.

Weltweite Militarisierung der Politik
Geostrategische und ökonomische Interessen zur Kontrolle und Förderung der Erdölreserven im Kaspischen Meer, dauerhafte militärische Stützpunkte auf dem Gebiet der Ex-UdSSR, im Westen NATO-Stützpunkte, im Südosten militärische Stützpunkte der USA — wer fragt sich da noch, ob es sich beim Afghanistan-Krieg nicht um einen geostrategischer Schlag gegen die Achse Indien – China - Russland handelt.

Der 11. September führt zur weltweiten weitergehenden Militarisierung der Politik. Keine Vertreter verarmter arabischen Massen haben ihn durchgeführt, sondern reaktionäre Eliten. Er ist keineswegs Ausdruck eines antiimperialistischen Kampfes, sowenig wie die Mafia einen solchen führt. Die Armen und abhängig Beschäftigten dieser Welt hatten davon keinen einzigen Vorteil — im Gegenteil, unsere Nachteile sind mit Händen greifbar.

Auch der Krieg Israels und Palästinas hat die Öl- und Wasserfragen als Ursache. Im Krieg gegen Jugoslawien ging es ebenfalls um die Verlegung von Ölpipelines und Korridore, über die Ressourcen reibungslos verlegt werden können. Kaum bekannt ist, das der Krieg im Kongo 1997, um den Rohstoff Coltan (Tantal) geführt wurde, der für Computer und Handys eingesetzt wird. Er kostete zwei Millionen Menschen das Leben. Auch der Konflikt Indien/Pakistan hat geostrategische Gründe. Europa bereitet sich vor, im weltweiten Verteilungskampf militärisch mitzumischen. Die Europäische Eingreiftruppe soll in zehn Jahren voll handlungsfähig sein.

Deutschland mischt mit
Deutschland liegt an fünfter Stelle beim Ölverbrauch, und deswegen ist die Frage, wer die Führungsmilitärmacht in der jeweiligen Öl- oder Pipeline-Region ist, von hoher ökonomischer und damit militärischer Bedeutung für die Konzerne und die Politik. Und so erhielt Bundeskanzler Schröder immer wieder Beifall, als er auf der Unternehmertagung 2001 in Düsseldorf den Einsatz von deutschem Militär im Afghanistankrieg begründete. "Der nord-rheinwestfälische Arbeitgeberpräsident Jochen Kirchhoff begrüßte den Mut der Bundesregierung zum Kampf gegen den Terrorismus"4. Nach dem Vorsitzenden des Nah- und Mittelost-Vereins der deutschen Wirtschaft, Werner Schoeltzke, bietet der Aufbau Afghanistans "der deutschen Wirtschaft viele Möglichkeiten". Sie hofft, "mit Hilfe ihrer guten iranischen Kontakte auch in Afghanistan Fuß fassen zu können".5 So wundert es nicht, dass Deutschland bei weltweiten militärischen AngriffsKriegseinsätzen endgültig wieder dabei ist, auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika, in Somalia, mit ca. 12.000 Soldatinnen und Soldaten außerhalb des Nato-Bündnisgebietes. Daß die Aufgabe dabei weniger die Terrorismusbekämpfung denn den "freie Zugang zu Rohstoffen und Märkten in aller Welt„6 ist, zeigt der Auftrag, den die Deutsche Marine hat:
  • "Kontrolle von Handelsschiffen neutraler Staaten bei begründetem Verdacht auf Unterstützung des Terrorismus durch sogenanntes Boarding (Kontrolle von Ladung/Ladungspapieren)
  • Bei eindeutigen Beweisen für die Unterstützung terroristischer Organisatoren/Aktionen können Zwangsmaßnahmen wie z.B. die Umleitung in Häfen zur weiteren Untersuchung von Schiff und Besatzung ergriffen werden." 7
Welch starke aktive Rolle die deutsche Regierung spielt zeigte sich am 2. Februar in München, als sie dreißig Außen und Kriegsminister, Putin, Rumsfeld, Repräsentanten von Rüstungsfirmen (Krauss Maffei), Kongressabgeordnete der US-Regierung empfing um mit ihnen über zwei Themen konferiert: Internationaler Terrorismus und globale Sicherheit. Gleichzeitig wurden über 800 Gegendemonstranten inhaftiert, erstmals seit 1933 wieder das Gewerkschaftshaus in München von der Polizei umstellt, während dort einen Gegenveranstaltung mit internationaler Referenten stattfand.

Lohn- und Sozialabbau
Die Kriegseinsätze und die damit verbundene Auf- und Umrüstung der Bundeswehr zur weltweit agierenden Interventionsarmee hat enorme innenpolitische, soziale und bildungstechnische Auswirkungen. Der Rüstungshaushalt wird auf 26 Mrd. Euro gesteigert, eine Größe wie Anfang der neunziger Jahre, als die Bundeswehr Militär — und Zivilpersonal zusammengenommen beinahe die doppelte Mann- und Frauschaftsstärke gegenüber der Zielzahl hatte. Für den Kriegstruppentransporter Airbus werden 9,5 Mrd. Euro locker gemacht, die haushaltstechnisch noch nicht gedeckt sind. Für einen ersten Schritt aus der Bildungsmisere aber 3 Mrd. Euro, die Mc Kinsey-Chef Jürgen Kluge veranschlagt, zur Verfügung zu stellen, sehen Finanzminister Hans Eichel und der hinter ihm stehende Bundeskanzler Schröder keinen Priorität. Der kluge Kluge hatte vorgeschlagen, die Krippenplätze in den nächsten 2 Jahren zu verdreifachen, dann stehe jedem 5. Kind ein Platz zur Verfügung. Ganztagsschulen für jeden 3. Schüler wären für 1,5 —2 Mrd. Euro zu realisieren. Statt für kulturellen und intellektuellen Fortschritt steht aber die Bundesregierung für die Militarisierung der Gesellschaft.

Ökonomischer Krieg um Marktanteile und die Standortdebatte
Parallel zu den heißen Kriegen um Ressourcenzugang werden ökonomische Kriege um die verbleibenden Marktanteile mit Lohn und Sozialabbau der jeweils nationalen abhängig Beschäftigten geführt. In Deutschland heißen dazu die Stichworte: Reallohnverluste seit 10 Jahren, Lohnerhöhung in 2002 maximal 2 %, Kombilohn, Zerschlagung der Sozialversicherungssysteme durch Teilprivatisierung der Renten-, Gesundheits- und Arbeitslosenversicherungen, Wegfall der Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosenhilfebeziehern soll Beschäftigung auch dann zumutbar sein, wenn das Entgelt niedriger ist als die Arbeitslosen-Hilfe.

Um diesen Raubbau an unserer Kaufkraft reibungslos durchziehen zu können, wird versucht, die Gewerkschaften, Betriebsräte und Belegschaften mit der nationalistischen Standortdebatte — heute Bündnis für Arbeit genannt — einzubinden in den weltweiten Konkurrenzkampf um die Erhöhung der Gewinne und die Senkung der Produktionskosten. Damit wird die Arbeitslosigkeit vor den Haustüren anderer Länder ausgekippt. Die verbleibende Massenarbeitslosigkeit von 6 Millionen in Deutschland wird den angeblichen Niedriglohnländern zugewiesen. Gleichzeitig entwickelt sich ein Kampf um die "besten" und billigsten Köpfe. Durch das Zuwanderungsgesetz sollen unerwünschte Immigranten ausgegrenzt, die für die Unternehmer nützlichen Menschen aber angeworben werden. Die Folge ist die Spaltung der europäischen und weltweiten Arbeiterbewegung.

Überproduktionskrise
Die kapitalistische Überproduktionskrise als Verursacherin der ökonomischen und sozialen Probleme wird dabei völlig ausgeblendet. Zur Nebelwand davor wird auch der 11. September benutzt.

Aber Daten und Fakten beweisen, dass nicht die Terroranschläge für die wirtschaftliche Krise verantwortlich sind. Bereits am 17.8.2001 hatte die taz von 20-25 % Überkapazitäten in der Automobilindustrie berichtet, in Brasilien sogar von 50 %. Bekannt sind seit langem die Überkapazitäten in der Elektronik, Chemie- und Informationstechnologie-Industrie, bei Haushaltsgeräten, dem Kraftwerks- und Schiffbau. Die Überkapazitäten beim Stahl haben nun sogar zu Schutzzöllen in den USA geführt.

Wenige Jahre nach der Aufteilung der Märkte der ehemals sozialistischen Länder traten die Überproduktionskrisen offen zutage: 1994 in Mexico, im Juli 1997 fegte die Krise in Asien die vier kleinen Tiger weg, Japan hat sich nicht mehr erholt. Die Russlandkrise im August ' 98 erschütterte die Wertpapierbörsen der USA derart, dass sie um Hunderte von Prozentpunkten in Stunden heruntergefahren wurden. Im Januar 99 gab es intensivste Bemühungen von G/, IWF und Weltbank um ein Übergreifen der Brasilienkrise auf den gesamten Kontinent zu vermeiden. Den USA hat sie trotzdem einen Schlag versetzt.

Erst unmerklich, dann aber seit Mitte 2000 war eine anhaltende Verminderung des Entwicklungstempos der Industrieproduktion zu erkennen, das waren erste Anzeichen. Aufgeblasene Spekulationsgewinne, die mit der realen Industrieproduktion nur noch in der Tendenz — aber nicht real etwas zu tun hatten — zeigten sich doch als Indikatoren: Im März 2000 begann der Nasdaq zu sinken, der Dax hatte einen Rückgang von 1999 auf 2000. Das Handelsbilanzdefizit der USA stieg von 264,9 Mrd. Dollar in 1999 auf 368, 4 Mrd. Dollar, das Wachstum des Bruttosozialprodukts ging zurück. Anfang 2001 mussten die Wachstumsprognosen von IWF, Weltbank, OECD, EU-Kommission in verschiedenen Regionen nach unten korrigiert werden.

Am 8.9.2001 gab Hitachi Ltd., der größte Hersteller elektronischer Produkte Japans, eine Reduzierung von 14 700 Arbeitsplätzen bekannt. Am 5.9.2001 war in der spanischen Zeitung Cinco Dias zu lesen: "Der deutsche Wirtschaftsminister Müller gab bekannt, dass das BIP-Wachstum des deutschen Riesen dieses Jahr keine 1,5 Prozent erreichen wird." Zu Anfang des Jahres war von 3,2 % gesprochen worden. Wenige Beispiele nur, um zu zeigen, dass die Wirtschaftskrise keine Folge der Angriffe vom 11.9. noch des Krieges gegen Afghanistan ist.

Die Krise ist vielmehr die Folge des Scheiterns der neoliberalen Globalisierung, also des Konkurrenzkampfes um Märkte und Rohstoffe. Nordamerika, Europa und Japan stehen synchron in einem Wirtschaftsabschwung, Argentinien und die Türkei am Rande eines Staatsbankrottes.

Eine andere Welt ist möglich
Die Lösung kann nicht die Aufrüstung der deutschen Armee sein — deutsches militärisches Eingreifen ist nicht der Schlüssel zur Lösung kapitalistischer Krisen. Wir dürfen nicht auf den zur Zeit latent geförderten Anti-Amerikanismus — der auch in der Friedensbewegung zu finden ist — und nicht auf den über die Medien latent geförderten Anti-Israelismus hereinfallen. Die Spirale der Gewalt muss durchbrochen werden. Dazu müssen wir aufstehen und Druck auf die Bundesregierung machen, politische, zivile Friedensinitiativen zu ergreifen — das politische und ökonomische Potential dazu hat die Bundesrepublik. Eine andere Welt ist möglich!

  1. Die Zeit, 14.3.2002
  2. Spiegel online, 9.3.2002
  3. Der Spiegel, 44/2001
  4. Online.wdr.de, 7.11.2001
  5. Financial Times Deutschland, 1.2.2002
  6. Verteidigungspolitische Richtlinien der Bundeswehr, 1992
  7. www.bundeswehr.de/im_einsatz/enduring_freedom/marine_q_a.html

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