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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2002



V-Leute und Naziterror

NPD-Verbotsverfahren – nur „Pannen„ oder Sabotage ?

von Reinhard Hildebrandt

Platzt der NPD-Verbotsprozess?
Immer neue Agenten des Verfassungsschutzes bei der NPD werden enttarnt, erst einer, dann zwei, dann drei, vier, fünf. Inzwischen sind vier weitere V-Leute in den NPD-Verbotsanträgen aufgetaucht. – zusätzlich zu den bisher bekannten fünf. Experten schätzen, dass bis zu 100 V-Männer in der NPD sind, davon zählten 30 zu den 200 Spitzenfunktionären. Die Bundesregierung schützt die NPD-V-Leute.Bei der Diskussion über diese Skandale gerät der alltägliche Neofaschismus und Terror von rechts aus dem Blickfeld.

Handeln die V-Leute im gesetzlichen Auftrag?
Für die Bundesregierung ist alles in Ordnung: „V-Leute dürfen Ziele und Aktivitäten einer extremistischen Organisation nicht entscheidend bestimmen„. Dies „wird durch entsprechende Dienstvorschriften abgesichert„ (nachzulesen in der Stellungnahme des Bundesinnenministeriums vom 26.2.2002, Bundestagsdrucksache 14/8153). Diese Mär ist durch die Wirklichkeit längst widerlegt. „Statt die Rechtsextremisten zu bekämpfen, haben die Verfassungsschützer sie manchmal sogar erst angestiftet„ schreibt die Jüdische Allgemeine Wochenzeitung am 14.2. „V-Leute verfassten NPD-Reden„ teilte Dieter Berberich, Landesvorsitzender der baden-württembergischen Deutschen Polizeigewerkschaft mit. „Die meisten NPD-Funktionäre wären dazu gar nicht in der Lage gewesen. Sie sind zu ungebildet, können oft nicht einmal einen geraden Satz formulieren.„ Und weiter: „Es gab NPD-Kundgebungen, da soll die Hälfte der Teilnehmer aus V-Leuten bestanden haben.„ (Interview in der „Heilbronner Stimme„ 15.2.) Ein Skandal ist der Werdegang des V-Mannes Wolfgang Frenz. Er wurde bereits 1959, Jahre, bevor die NPD gegründet wurde, als V-Mann des Verfassungsschutzes angeworben. 1964 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der NPD. Seine antisemitische Gesinnung hat er wohl nicht erst seit seinem 1998 erschienenen Machwerk „Verlust der Väterlichkeit oder Das Jahrhundert der Juden„, in dem er den Holocaust als Legende darstellt. Nach einem Bericht in der Südwestrundfunk-Sendung „Report Mainz„ vom 23. Januar 2002 soll Frenz 36 Jahre lang für den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen gearbeitet und dafür monatlich 600 bis 800 DM Honorar erhalten haben, die er angeblich der Partei spendete. Rechnet man das auf die etwa 100 V-Leute hoch, dann hätte der Staat über die Jahre hinweg mit Millionenbeträgen den Parteiaufbau der NPD finanziert!
In der Presse werden die weiteren V-Leute genannt: Der zweite NPD-Spitzenfunktionär Udo Holtmann war 24 Jahre lang V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz, in dieser Zeit stieg er in den Bundesvorstand der NPD auf, wurde Chefredakteur und presserechtlich Verantwortlicher des NPD-Zentralorgans „Deutsche Stimme„, zeichnete für zahllose Hetzartikel verantwortlich, meldete Demonstrationen an und leitete und organisierte eine Vielzahl anderer Aktionen der Neonazis. Als aktiver V-Mann war er presserechtlich verantwortlich für das verbotene NPD-Wahlplakat „Den Holocaust hat es nie gegeben„. Auch der NPD-Bundesschatzmeister Erwin Kemna sowie die beiden als „Nachwuchsfunktionäre„ eingestuften NPD-Funktionäre Thorsten Crämer und Nico Wedding aus NRW werden als V-Leute genannt. Die beiden letzteren wurden Anfang letzten Jahres vom Landgericht Wuppertal verurteilt, weil sie am 9. Juli 2000 bewaffnet mit Schlagstöcken, Messern, Steinen und CS-Gas Teilnehmer einer antifaschistischen Gedenkveranstaltung am ehemaligen KZ Kemna in Wuppertal überfallen und zum Teil erheblich verletzt hatten. Crämer wurde als „Rädelsführer„ zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Der frühere baden-württembergische Landesvorsitzende der NPD-Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten Mike Layer wurde vom Stuttgarter Landesamt für Verfassungsschutz als V-Mann „Fritz„ geführt.
Die bisher bekannt gewordenen Fälle sind nur die Spitze eines Eisberges. Sie zeigen, wie hoffnungslos unfähig und unnütz deutsche Geheimdienste sind, wenn es um die Bekämpfung des Neofaschismus geht. Anstatt die Neonazis mit Konsequenz und Entschlossenheit zu bekämpfen, wurden sie ideologisch munitioniert und sogar finanziell alimentiert. Es wurden Gewalt- und Straftaten begangen, anstatt sie zu verhindern. Es gibt viele Hinweise, anzunehmen, dass die VS-Ämter das NPD-Verbotsverfahren sabotieren. Sie täuschten das Bundesverfassungsgericht über ihr eigenes Netzwerk von V-Leuten und verheimlichen noch immer das wahre Ausmaß. VS und NPD – eine Symbiose?
Auch die Bundesregierung will jede weitere Aufklärung des V-Leute-Skandals im NPD-Verbotsverfahren verhindern. Auf eine parlamentarische Anfrage der PDS nach V-Leuten in der NPD, ihrer Bezahlung und Führung durch die VS-Ämter, nach Straftaten und anderen Aktivitäten verweigert sie jede Antwort. Faktisch läuft die Aussageverweigerung der Regierung auf einen behördlich organisierten Schutz dieser Neonazis und ihrer möglicherweise auch kriminellen Aktivitäten vor allen Nachfragen hinaus.
Bereits am 23. Januar veröffentlichte die „Süddeutsche Zeitung„ diesen hier als Faksimile wiedergegebenen Kommentar ihres Ressortleiters Innenpolitik Heribert Prantl.
Was folgt aus den kritischen Wertungen des promovierten Juristen Prantl über die Rolle des Staates im Umgang mit Neofaschisten? Geheimdienste sind kein Schutz der Demokratie. Sie gehören aufgelöst.

Wes Geistes Kind sind die deutschen Geheimdienste?
Im Kalten Krieg in den 50er-Jahren entstanden, haben Verfassungsschutz und V-Leute der Rechten „traditionell„ ein Verhältnis zueinander wie alte Kameraden. Ein beachtlicher Teil des Führungspersonals im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und in den Landesämtern für Verfassungsschutz (LfV) wurde aus dem Personalbestand des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) übernommen, also von der Sicherheitspolizei und dem Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers-SS. (u.a. nach „Stern„ Nr. 8/1959). Diesen Personen wurde teilweise durch jahrelange Amtshilfe Schutz vor Verfolgung und Aburteilung durch die Alliierten geboten („Der Spiegel„ Nr. 30/1963). Von einem langjährigen Mitarbeiter des BfV stammte folgende partielle Enthüllung, nach der „Abwehrleute die eigentliche Arbeit machten. An ihrer Spitze standen sechzehn Männer vom SD und der Gestapo.„ (nach „Capital„ Nr.7/1968) Zu diesen „Fach„nazis in Leitungsfunktionen des BfV zählten beispielsweise
  • Werner Aretz, SS-Hauptsturmführer und Gestapo-Kommissar im RSHA
  • Gustav Barschdorf, SS-Hauptscharführer in einer Gestapo-Außenstelle, 1974 als Kriegsverbrecher in Hamburg verurteilt
  • Kurt Lischka, SS-Obersturmbannführer, in Frankreich wegen Massenmordes an französischen Widerstandskämpfern und der von ihm organisierten Deportation Hunderttausender Juden in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
    Der VS sah in den Rechten schon immer weniger den politischen Gegner als den Partner im Geiste. Warnungen vor „rechten„ Aktivitäten wurden nie ganz ernst genommen, das terroristische Netzwerk der Neofaschisten verharmlost. Der Hauptfeind wurde immer „links„ gesehen. Diese Grundstruktur ist bis heute geblieben.
    Historisch ist es erwiesen, dass es keinesfalls – wie es der Wortlaut andeutet – zu den Aufgaben des Verfassungsschutz-Apparates der BRD gehört, etwa das Grundgesetz zu schützen. Unser Kamerad Emil Carlebach stellte 1974 anlässlich des 25. Jahrestages des Grundgesetzes treffend fest: „So legt Artikel 139 der Verfassung fest, dass die Bestimmungen über die Entnazifizierung weitergelten – aber keine Behörde der Bundesrepublik denkt daran, diesen Verfassungsartikel zu beachten...„ Wie oft wurden die Artikel des Grundgesetzes im Sinne eines Abbaus der demokratischen Rechte geändert – man denke nur an die Einführung der Notstandsparagraphen in das Grundgesetz oder an die Ausweitung der Befugnisse der Geheimdienste in Richtung eines.Überwachungsstaates.
    In der Diskussion über das NPD-Verbot gerät der alltägliche Neofaschismus aus dem Blickfeld. In Mecklenburg-Vorpommern schändeten im Februar die Neonazis den jüdischen Friedhof in Boizenburg, zerstörten die Skulptur der KZ Gedenkstätte Wöbbelin, beschmierten in Raben Steinfeld bei Schwerin das Mahnmal für die Opfer des Todesmarsches der Häftlinge des KZ Sachsenhausen. 10 113 Straf- und Gewalttaten durch Neofaschisten meldet die offizielle Jahresbilanz 2001 der Bundesregierung, davon sind 6823 Propagandadelikte, 579 Gewaltdelikte und 508 Angriffe gegen Personen, 385 Menschen wurden verletzt.
    Nicht aufgeführt sind aber erneut mehrere Todesopfer rechter Gewalt. Im Internet kann man heute über 1300 Hetzseiten aufrufen.
    Wenig beachtet wurde bisher, dass das Bundesverfassungsgericht im NPD-Verbotsverfahren den Bock zum Gärtner gemacht hat. Zwei der drei vom Gericht für die Verhandlung bestellten Gutachter gelten als äußerst umstritten, da ihnen selbst ein unkritisches Verhältnis zu rechten Positionen nachgesagt wird: Eckhard Jesse und Uwe Backes. So bagatellisierte Eckard Jesse jüngst unverhohlen rechtsextreme Umtriebe in Deutschland. „Wer die „Existenz ,national befreiter Zonen‘ behauptet„, schreibt Jesse, „wertet die Propaganda des gewaltbereiten Rechtsextremismus auf.„ Jesse wandte sich mit seiner Aussage gegen eine Jury von Sprachwissenschaftlern, die „national befreite Zonen„ zum Unwort des Jahres 2000 erklärt hatten, weil der Begriff auf zynische Weise Gebiete in den östlichen Bundesländern beschreibe, die von Rechtsextremisten terrorisiert werden. Auf dem rechten Auge blind, schwingt Jesse die Keule gegen Antifaschisten. Diese verdienen seiner Auffassung nach „gesellschaftliche Ächtung„.
    Erschienen ist der Jesse-Aufsatz peinlicherweise in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte„ (Nr. 46 vom 9. November 2001), der Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament„, die von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird.
    Uwe Backes ergriff mehrfach Partei für die „Wortführer der Neuen Rechten„. In der gleichen Zeitschrift lamentiert er über eine verbreitete „Hypersensiblität gegenüber allen Anflügen nationalistischen Denkens„, Warnungen vor einem „neuen Nationalismus„ diffamiert er als „vergangenheitsfixiert„. Er ist stellvertretender Direktor am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität in Dresden. Dieses Insitut, schrieb „Der Spiegel„, „steht mancherorts im Verdacht, sich zu einem Think-tank (einer Denkfabrik, Anm. der Red.) neokonservativer Überzeugungstäter zu entwickeln, die das Geschichtsbild des Dritten Reiches revidieren wollen„. Die NPD begrüßte die Nominierung von Backes und Jesse in einem Email-Rundschreiben vom 10.1.2002.
    Eine der wichtigsten Fragen zum NPD-Verbot wurde vor allem immer wieder von der VVN/BdA gestellt: Müsssen neofaschistische Parteien überhaupt verboten werden, oder sind sie nicht vielmehr an sich illegal und daher nur aufzulösen ? Diese Frage bezieht sich auf den Artikel 139 des Grundgesetzes (Fortgelten der Vorschriften über Entnazifizierung). Diese Vorschriften bestimmen unter anderem: „ ...Propaganda oder Agitation, die darauf hinausgeht, ... nationalsozialistischen Geist ... wieder ins Leben zu rufen oder zu fördern ... ist verboten„ (Kontrollratsgesetz Nr. 8). „Die Neubildung von Naziorganisationen ist verboten„. (Kontrollratsgesetz Nr. 2). Daraus folgt, dass alle faschistischen und neofaschistischen Organisationen nach dem Grundgesetz verboten und aufzulösen sind. Warum der Artikel 139 GG trotz der rechtlichen Verbindlichkeit keine praktischen Auswirkungen in der BRD hatte, ist historisch erklärbar. Politisch ist die Anwendung dieses Artikels offenbar unerwünscht, würde man sich damit doch zum explizit antifaschistischen Handlungsauftrag des Grundgesetzes bekennen. Der wird aber von den Verfassungsschutzämtern geleugnet.

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