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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2002



Interview:

Ilse Werner, Stuttgart -
Klar die kenn ich, das ist doch ...

von Paul Bauer

  • Die freundliche Kameradin vom Landesbüro, immer bereit einem mit Rat und Tat weiterzuhelfen
  • Die Frau von der LDK, die die Mitgliedsbücher kontrolliert und wehe "die Beitragsmärkle" fehlen
  • Mit der hab ich auch schon öfters telefoniert
  • Die Kameradin, die Neueintritte bearbeitet
  • Die Lebensgefärtin von Alfred Hausser
So oder ähnlich könnten die Antworten ausfallen, wenn man nach Ilse Werner fragt. Kaum einer auf Kreis- Landes- und Bundesebene, der nicht schon einmal mit Ilse zu tun hatte. Doch die wenigsten unserer Mitglieder wissen, daß Ilse über 31 Jahre, also fast ihr gesamtes Arbeitsleben, für die VVN-BdA haupt- und ehrenamtlich tätig war. Grund genug, da mal genauer nachzufragen:

Ilse, wie kommt ein junges Mädchen von 18 Jahren dazu, eine Stelle bei der VVN anzunehmen?
Ich bin 1927 geboren, also in der Zeit des Nationalsozialismus zur Schule gegangen. Nach der Schulzeit und dem Pflichtjahr trat ich eine kaufmännische Lehre bei der Firma AEG an, die bei der Befreiung endete und zugleich meine Entlassung war.Es war reiner Zufall, dass ich bei der ersten Gewerkschaftskundgebung in Stuttgart einen sozialdemokratischen Freund meines Vaters traf, der, nach dem ich ihn von meiner Arbeits-losigkeit informierte, mich mit seiner Empfehlung zum Leiter des damaligen Arbeitsamtes schickte. Dieser lies sich die offenen Stellen bringen, es waren ca. vier Kärtchen und beim durchblättern sagte er dann zu mir "Rückführungsstelle für ehemalige politische Häftlinge, das wäre doch was für Sie!" Ich hatte natürlich keine Ahnung was mich da erwarten würde, und noch viel weniger davon, dass dieser Schritt mein ganzes späteres Leben prägen würde. Durch die Arbeit bei der Rückführungstelle lernte ich viele Kameradinnen und Kameraden aus dem Widerstand gegen das Naziregime kennen. Mein Respekt und die Achtung vor diesen Menschen wurde täglich grösser. In dieser Zeit entstanden Freundschaften die bis heute währen. Damals lernte ich auch meinen späteren Ehemann, Hermann Werner kennen. Hermann Werner war einer der jüngsten Verfolgten in Stuttgart.

Was war dein Aufgabenbereich?
Seitenlange Erlebnissberichte mußten zu Papier gebracht werden. Die Schreibmaschine lief heiss! Alles mußte registriert und geprüft werden, wer nicht bekannt war, mußte Zeugen benennen, um seine Verfolgung durch das Naziregime zu dokumentieren u.s.w.. Nach der Befreiung vom Faschismus, galt es ausserdem den oftmals vor dem Nichts stehenden Verfolgten, in vielen Lebenslagen beizustehen, sei es bei der Beschaffung von Wohnraum, Möbel bis hin zur ärztlichen Betreuung. Über die Süddeutsche Ärzte- und Sanitätshilfe wurden Hilfsgüter aus der Schweiz verteilt, da war einfach alles gefragt, von Butter und Kartoffeln bis zu Töpfen oder ein Köfferle.

Kannst du kurz schildern wie die politischen und sozialen Verhältnisse zu dieser Zeit im " Ländle" waren?
In dieser Zeit, wo es buchstäblich an allem fehlte, entstanden sog. "Arbeitsausschüsse", dort haben sich die Verfolgten engagiert, weil sie das Vertrauen der Bevölkerung besassen. In jener Zeit waren Antifaschisten gefragt und wurden an vielen Orten als Bürgermeister, Landräte und sogar als Minister eingesetzt. Im März 1947 haben dann 68 Vertreter von den Verfolgten, aus allen vier Besatzungszonen, in Frankfurt die VVN als gesamtdeutsche Organisation der Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus gegründet. Am 17.Mai 1947 erfolgte die Gründung der VVN für das ehem. Land Württ.-Baden in Stuttgart. Kurze Zeit später kam es zur Gründung der Landesleitung der VVN, in der franz. Zone und mit Bildung des Landes Baden - Württemberg, entstand 1951 der gemeinsame Landesverband der VVN. In dieser Nachkriegsphase war die politische Tätigkeit unserer Organisation auf die Bestrafung und Entfernung der belasteten Nazis aus den Öffentlichen Ämtern orientiert.

Am 1. 10. 1975 wurdest du Mitglied in der VVN-BdA. Was waren deine Beweggründe in die Organisation einzutreten?
Ich hätte es schon 1945 getan, aber das ging ja damals noch nicht, dazu sage ich aber später noch etwas. Mein Ehemann ist im September 1975 verstorben. Als seine Witwe habe ich dann sozusagen, seine Mitgliedschaft sofort übernommen und nicht nur das, nach längerer Arbeitspause, bedingt durch die Pflege meines Mannes, bin ich im Januar 1976 wieder in das Landesbüro der VVN-BdA zurückgekehrt. Der damalige Geschäftsführer Fritz Besnecker und Alfred Hausser haben mich wieder geholt. - Übrigens, die Möbel und die Tapeten waren immer noch die gleichen wie 1950! Doch nun zurück zu deiner Frage, warum ich erst 1975 in die VVN-BdA eingetreten bin. Im Zuge der Studentenbewegung Ende der 60er Jahre änderte sich das politische Klima in der BRD. Junge bzw nicht direkt von der Nazizeit betroffene Menschen interessierten sich zunehmend für die Arbeit der VVN, die bis zu diesem Zeitpunkt eine reine Verfolgtenorganisation war. Auf dem Bundeskongress in Oberhausen im Jahre 1971 öffnete sich die VVN für diesen Interessentenkreis und änderte Satzung und Name in "Vereinigung der Verfolgten des Naziregime - Bund der Antifaschisten", so war es nun auch mir und vielen anderen Menschen möglich, Mitglied in unserer Organisation zu werden.

Mitte der 90er Jahre kam es in Baden-Württemberg zur Gründung von VVN - Jugend- gruppen. Was würdest du einem jungen Menschen antworten wenn er oder sie dich fragen würde: Antifaschismus - Ist das nicht schon längst überholt? Ist das überhaupt noch zeitgemäß?
Aber natürlich! Solange die Nazizeit in unserer Gesellschaft nicht aufgearbeitet ist, kann Antifaschismus gar nicht überholt sein. Im Gegenteil, unsere Organisation ist heute wieder bei den Aufgaben aus der Gründerzeit: NIE WIEDER FASCHISMUS - NIE WIEDER KRIEG! Die Frauen und Männer des Widerstandes, die Opfer des Faschismus hoffen auf die Jugend, damit ihr Vermächtnis nicht in Vergessenheit gerät. Dass nicht einfach ein Schlußstrich unter dieses schreckliche Kapitel unserer jüngeren Geschichte gezogen wird. Das heist im Klartext: Die Jugend ist die Zukunft der VVN-Bund der Antifaschisten. Mein Wunsch ist, daß viele Jugendgruppen zusammenfinden, die antifaschistische Arbeit weiterführen und dabei auch Spaß und Freude haben.

Ilse, du bist zum Jahresende 2001 nach 31-jähriger haupt- und ehrenamtlicher Arbeit aus dem Landesbüro in Stuttgart ausgeschieden. Wie fühlst du dich nun?
Ich betrachte dies mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es ist schön, wenn um 6.30 der Wecker nicht mehr rasselt und man endlich auch mal Zeit für sich selbst hat. Aber es tut auch weh, dass meine Arbeit jetzt weitgehend durch den Computer ersetzt wird, denn der hat kein Herz!

Ilse, ich danke dir für das Gespräch.

Biographische Daten: Ilse Werner
  • Ilse Werner, geb. Steinle, am 7.12.1927 in Stuttgart geboren
  • Besuch der Volksschule von 1934 bis 1942 Pflichtjahr und kaufmännische Lehre bis 1945 bei AEG, Stuttgart
  • Ab 15.7.1945 beschäftigt bei der Rückführungsstelle für ehemalige politische Häftlinge
  • Ab 1948 Sekretärin von Alfred Hausser
  • 1950 - 1956 KPD
  • 1957 - 1967 selbstständige Sachbearbeiterin bei der Hamburg-Mannheimer Versicherung
  • 1968 - 1975 Pflege des schwerst kriegsbesschädigten Ehemannes
  • 1976 - 2001 haupt- und ehrenamtliche Tätigkeit im VVN-BdA Landesbüro, hauptsächlich für Wiedergutmachung, später Mitgliederverwaltung, Beitragseinzug und Entschädigung für Zwangsarbeit.
  • Neben der VVN-BdA ist und war Ilse Werner noch in vielen anderen Organisationen und Vereinen aktiv: bei den Naturfreunden (33 Jahre Leiterin der ersten Stuttgarter Frauengruppe), in der DKP für Orgarbeit, im Waldheim Sillenbuch (Wirtschaftsdienst und 40 Jahre als Revisorin), beim VdK im Stadtteil Schriftführerin, ...

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