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Nummer 3 / August 2002



Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof Birnau:

Das Recht des Stärkeren darf nicht das eigentliche Grundgesetz sein

von Josef Kaiser

(Friedrichshafen/Birnau) Die von VVN-BdA Ravensburg/Oberschwaben, IG Metall Friedrichshafen und DGB Bodensee durchgeführte Gedenkfeier für die Opfer des Faschismus stand in diesem Jahr unter dem Eindruck von zunehmender Globalisierung, Militarisierung und Krieg. Das Motto lautete: "Die Spirale von Terror und Gewalt muß gestoppt werden". Internationale Gäste wurden bei einem Empfang vom Friedrichshafener Oberbürgermeister Josef Büchelmeier begrüßt. Bei der alljährlichen Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof gedachten etwa 120 Menschen der Opfer des Faschismus. Historiker Oswald Burger berichtete vom Schicksal des Giuseppe Beltrame, der als KZ-Häftling 1945 in Überlingen umkam. Hauptredner Dr. Peter Scherer rief dazu auf aus der Geschichte zu lernen, sich den Problemen der Globalisierung zu stellen und für eine menschenwürdige Zukunft einzustehen. Das Recht des Stärkeren dürfe nicht das eigentliche Grundgesetz sein!

Empfang beim OB
Rund 30 italienische Schüler und Studenten waren mit ihren Lehrer/inne/n und mit offiziellen Vertretern verschiedener italienischer Gemeinden bei Turin nach Friedrichshafen gekommen, um bei der Gedenkfeier in Birnau dabei zu sein. Sie alle trafen sich am Samstag abend im Kongresszentrum Graf-Zeppelin-Haus Friedrichshafen zu einem Empfang bei Oberbürgermeister Josef Büchelmeier. Er begrüßte die Gäste sehr herzlich auf italienisch. Nach dem Austausch von Gastgeschenken und Erfahrungen wurden Pläne für das kommende Jahr besprochen. Büchelmeier kündigte an, daß er am 27. Januar 2003, dem offiziellen Gedenktag in Deutschland für die Opfer des Faschismus, im Graf-Zeppelin-Haus Friedrichshafen eine offizielle Veranstaltung der Stadt Friedrichshafen durchführen will. Alle Beteiligten waren beeindruckt von der Geschichtskompetenz des Oberbürgermeisters und der freundlichen Atmosphäre beim Empfang.

Führung im KZ-Stollen
Am Sonntag morgen führte Oswald Burger, Historiker aus Überlingen, die italienischen Gäste durch den KZ-Stollen in Überlingen und erläuterte die Arbeits- und Lebensbedingungen, unter denen dort im Jahre 1944 Häftlinge aus dem KZ-Dachau in 12-Stunden-Schichten 4 km Stollenanlage aus dem Überlinger Felsen sprengen mußten. In den Stollen sollte die Friedrichshafener Rüstungsindustrie "bomben"sicher untergebracht werden. Die Häftlinge, die diese Qualen und Strapazen nicht überlebt haben, liegen auf dem KZ-Friedhof Birnau.

Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof
An der Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof in Birnau nahmen rund 120 Menschen teil. Josef Kaiser, VVN-BdA Oberschwaben, hatte viele Gäste vorzustellen und zu begrüßen: Ex-Bürgermeister Carlo Mastri und Vize-Bürgermeister Carlo Marroni aus Rivoli, eine Delegation des Bund der Antifaschisten Berlin, Freddy Castillo Gonzales von der Metallgewerkschaft in Santa Clara (Cuba), Bürgermeister Bürk aus Uhldingen, Bürgermeister Höfling aus Stetten, Norbert Zeller MdL SPD, Dr. Uschi Eid MdB GRÜNE - und viele Schüler/innen aus den Piemont-Städten Collegno, Orbassano, Grugliasco, Avigliana und Rivoli.
Oswald Burger berichtete über das persönliche Schicksal von Giuseppe Beltrame, einem italienischen Häftling, der im Überlinger KZ-Stollen umgekommen ist und in Birnau auf dem Friedhof begraben liegt. Mit seinem Bericht gab Burger einem Häftling und seiner Familie auf ergreifende Weise ein Gesicht: Bekannt war bis vor kurzem nur Beltrames Dachauer Häftlingsnummer 113 195, sein Geburtsdatum 23.5.1919 in Piana Grissia und sein Todestag 16.3.1945. Im September 2001 erkundigte sich in Überlingen ein italienisches Ehepaar nach dem Grab dieses Giuseppe Beltrame, dem Vater der Frau namens Pierenna Beltrame. Oswald Burger zeigte beiden den KZ-Stollen und den Friedhof in Birnau. Dabei erfuhr er Details über Beltrame: Seine Eltern hatten eine Landwirtschaft in Ligurien. Sein Vater arbeitete bei der Bahn. Giuseppe besuchte zusammen mit seinem Bruder das Gymnasium, machte 1938 ein Diplom als Sportlehrer. 1941 wurde er Assistent des Bahnhofsvorstehers in Valbormida. Im Frühjahr 1942 zog ihn die italienische Armee ein und er wurde Leutnant der Infanterie. Im April 1943 heiratete er Jolanda Ferro und zog nach Genua. Nach dem Abzug der deutschen Wehrmacht aus Süditalien am 8. September 1943 begann die Entwaffnung der italienischen Armee in Norditalien durch die Wehrmacht. Es gelang ihm unterzutauchen. Im Winter 1943/44 konnte er wegen massiven Fachkräftemangels seine Arbeit bei der Bahn wieder aufnehmen, wurde dann aber am 26. August 1944 verhaftet und der Komplizenschaft mit Partisanen angeklagt. Seine Tochter Pierenna, die jetzt in Überlingen sein Grab besuchte, war zu dieser Zeit gerade 5 Monate alt. Vom Gefängnis in Savona wurde er am 26. September 1944 nach Deutschland deportiert. Die Familie erfuhr erst nach Kriegsende von Heimkehrern, dass er im Konzentrationslager Überlingen umgekommen ist. Oswald Burger berichtete weiter, daß Tochter Pierenna Beltrame, der er letztes Jahr im September den KZ-Friedhof gezeigt hatte, inzwischen selbst verstorben ist. Sie hatte, wie er aus einem Brief erfahren hatte, bereits bei ihrem Besuch in Überlingen gewußt, daß sie nicht mehr lange leben würde.
Viel Zustimmung und Beifall erhielt Hauptredner Dr. Peter Scherer, IG Metall Frankfurt: " ... Europa ist nicht sicher in diesen Tagen. Die Welt ist friedlos und gequält von Kriegen, die willkürlich vom Zaun gebrochen werden, die im Namen der heiligsten Güter geführt werden und doch, wie alle Kriege davor, nur dazu dienen, die Mächtigen noch mächtiger, die Reichen noch reicher, die Armen noch ärmer zu machen. ... Alle reden von Zukunft, von umwälzenden Neuerungen, von allgemeiner Versöhnung, und doch erleben wir nichts anderes als die Rückkehr jener Verhältnisse, unter denen verlacht wurde, wer eine Welt ohne Krieg träumte ... Solange das Recht des Stärkeren das eigentliche Grundgesetz ist, solange können wir nicht sicher sein - so lange ist nichts sicher, was die Arbeiterbewegung in einem fast zwei Jahrhunderte währenden Ringen erkämpft hat. ... Wir verweigern uns der Ideologie einer sogenannten "Globalisierung", die uns eintrichtern will, dass wir unser Heil im Kampf Kontinent gegen Kontinent, Nation gegen Nation, Standort gegen Standort zu suchen hätten. Wir verweigern uns geschichtslosen Zerrbildern von einer Zukunft, in der angeblich nichts mehr von dem Gültigkeit hat, was Generationen vor uns erfahren mussten und mit ihrem Blut bezeugt haben. ... Das sind wir den Toten schuldig, die hier in den Gräbern liegen und keine Ruhe finden können.!"
Danach überbrachten Freddy Castillo Gonzales, Metallgewerkschafter Santa Clara (Cuba), und Signore Antoniello, Assessore aus Collegno, Grüsse der Antifaschist/inn/en aus ihren Ländern. Auch sie lehnten Krieg als Mittel der Politik ab und erklärten, daß sie mit uns zusammen grenzüberschreitend eine "Globalisierung für die Menschen, nicht gegen sie" wollten. Danach wurden feierlich Kränze niedergelegt und der Opfer des Faschismus sowie des Rechtsradikalismus gedacht. Für den kulturellen musikalischen Rahmen sorgte wie jedes Jahr die Gruppe "Trotz alledem" aus Konstanz, u.a. mit den Liedern "Bella Ciao" und "Die Moorsoldaten". Bei dem anschließenden gemeinsamen Mittagessen wurden Gastgeschenke ausgetauscht, Pläne für die nächsten Treffen verabredet und die persönlichen Kontakte vertieft.

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