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Nummer 1 / Januar 2003



Zwei Seiten einer Medaille:

Klinik schließt aus Geldnot - Nato-Eingreiftruppe beschlossen

von Anne Rieger

Zwei Meldungen der gleichen Tagesschau-Ausgabe. Ein Schelm, wer an Zusammenhänge dabei denkt. Und doch - trotzt Haushaltsdefizit und Sparpaket - beim Kriegsgerät wird nicht gespart.

Dem Rüstungsetat 2003 stehen wie geplant 24,4 Mrd. Euro zur Verfügung. Stolz verkündet die Bundesregierung: "Damit stehen dem Einzelplan gegenüber der bisherigen Finanzplanung 767 Mio. Euro zusätzlich zur Verfügung. Darüber hinaus können für Investitionen in die Modernisierung der Bundeswehr Mehreinnahmen bis zu einer Höhe von 614 Mio. Euro jährlich aus der Veräußerung überschüssigen Materials sowie aus Grundstücksverkäufen, Vermietung und Verpachtung eingesetzt werden." Doch diese 25 Mrd. Euro sind ihr nicht genug: "Mit diesen Mitteln sowie Ausgabeersparnissen aus der Umstrukturierung und Effizienzsteigerung, die in voller Höhe dem Verteidigungshaushalt verbleiben, können die notwendigen Reformen, insbesondere die Stärkung der Strukturinvestitionen ... bewältigt werden", teilt sie am 20.11.2002 der Presse mit. "Für Operationen zur Terrorbekämpfung sowie für sonstige Auslandseinsätze sind in den Jahren 2003 bis 2006 jeweils insgesamt 1.153 Mio. Euro veranschlagt, die bei Bedarf über Haushaltsvermerke verstärkt werden können. Damit ist in genügender Weise Vorsorge für internationale Einsätze der Bundeswehr getroffen".

Kürzungen bei den Arbeitslosen - aber 410 neue Schützenpanzer müssen sein
Für Mordwerkzeuge ist der Bundesregierung kein Euro zuviel. Bei Arbeitslosen kürzt sie Cent für Cent, obwohl sie davon ausgeht, dass "die Zahl der Arbeitslosen im kommenden Jahr jahresdurchschnittlich noch ansteigen" wird.1 Ohne schamrot zu werden, plant sie Streichungen von 2,49 Mrd. Euro bei der Bundesanstalt für Arbeit.2 Das ist in etwa der Betrag, den der Haushaltsauschuss des Bundestages zwei Wochen vor der Wahl - für 410 Schützenpanzer "Igel" kaltlächelnd zur Verfügung gestellt hat, "im Rahmen der aufgaben- und fähigkeitsorientierten Neuausrichtung der Bundeswehr"3. Er werde den "neuen Anforderungen im Rahmen der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung gerecht. ... Für den Einsatz im gesamten Aufgabenspektrum des Heeres muss ein Schützenpanzer über" eine "strategische Verlegefähigkeit im Luft- und Seetransport" verfügen, "um durchsetzungsfähige Kräfte schnell zu projizieren". Dass in Zukunft aber bei den Arbeitslosenhilfeempfängern und ihren Partnern gemeinsam 26.000 Euro, bei einem alleinstehenden Arbeitslosen 13.000 Euro "Vermögen" als Höchstgrenze für Unterstützungsleistungen beschlossen wurde, scheint die gut verdienenden Ministerinnen und Ministern keineswegs zu stören. 1,31 Mrd. Euro sollen damit "eingespart" werden, etwa soviel wie die Auslandseinsätze der 9000 Soldaten jährlich kosten (siehe oben).
Aber nicht nur bei den Arbeitslosen, bei den Ärmsten der Armen, die nirgends eine Lobby haben wird geschnitten, gekürzt und gestrichen. Wir alle werden zur Kasse gebeten. Die Lebensmittelpreise werden steigen durch die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes bei landwirtschaftlichen Vorprodukten (Getreide und lebenden Tieren) und der Tieraufzucht. Der heute schon unerschwingliche Zahnersatz wird durch die höhere Besteuerung von Leistungen von Zahntechnikern ebenso steigen, wie die Preise für die Blumen, mit denen wir anderen Menschen eine kleine Freude bereiten wollen. Die Bundesregierung mutet uns Verbrauchern 1,7 Mrd. Euro von den am 20.11. beschlossenen Steuererhöhungen von 3,6 Mrd. Euro zu. Damit zahlen wir in einem Jahr etwa soviel wie zwei Fregatten des Typs F 124 (Sachsen-Klasse) kosten, von denen die erste Ende Oktober der Marine übergeben wurde. Der Preis von 700 Mio Euro pro Kriegsschiff ist nur mit dem Preis von luxuriösen Kreuzfahrtschiffen vergleichbar.
Wenn wir uns nicht wehren, werden weitere Mehrwertsteuererhöhungen folgen. Denn der Vorstandschef des Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, hat bereits nach höherer Mehrwertsteuer gerufen.4 Wer glaubt, seine höheren Steuern seien eventuell für die Flutopfer verwendet worden, der irrt. Die 7,1 Mrd. Euro für den Fond Aufbauhilfe "werden im wesentlichen durch Verschiebung der zweiten Stufe der Steuerreform um ein Jahr" gewonnen, schreibt die Bundesregierung5. Damit finanziert ein verheirateter Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern mit 316 Euro im kommenden Jahr 6,9 Mrd. Euro Flutopferhilfe6. Vernünftigerweise hätte die Bundesregierung auf den Militärtransporter A 400M verzichtet. Mit den dort verschwendeten 7,2 Mrd. Euro wäre den Flutopfern geholfen, und Durchschnittsverdiener hätten nicht auf bereits versprochene Steuererleichterungen verzichten müssen.

Sparen - endlich auch bei der Aufrüstung?
Halt! Ruft der aufmerksame Leser der Tagespresse. Verkündete doch am 2. Dezember die Financial Times Deutschland: "Struck kürzt Rüstungskäufe um 6 Mrd. Euro" und die Stuttgarter Zeitung legte nach: "Truppe bestellt weniger Militärtransporter"7. Richtig - wohl steht der Beschluss, statt 73 "nur" noch 60 Militärtransporter Airbus zu kaufen um deutsche Truppen weltweit aufmarschieren zu lassen. Das führt zu 1,5 Mrd. Euro Minderbelastungen8. Doch erst das Studium der Kommentare bringt die versteckte - ganze - Wahrheit an den Tag: "Bis zu sechs Milliarden Euro sollen aus dem ohnehin nicht üppigen Bundeswehretat rausgepresst werden, um Neuanschaffungen zu ermöglichen" (Hervorhebung durch die Autorin), so Matthias Schiermeyer in der Stuttgarter Zeitung, 2.12.02.

Deutschland wird am Hindukusch verteidigt!
Das ist des Pudels Kern: Neuanschaffungen! damit "die Sicherheit der Bundesrepublik ... auch am Hindukusch verteidigt" werden kann, ließ uns der Minister im Aufrüstungsministerium, Peter Struck, wissen9. Kein Euro, den Struck für den Militärtransporter-Auftrag, für die verringerte Anzahl der Mittelstreckenraketen Meteor und der Kurzstreckenraketen Iris T, eventuell einspart, wird gesellschaftlich nützlich ausgegeben. Alles bleibt für andere Waffen und Auslandseinsätze. So wird auch in Zukunft die Anschubfinanzierung von zusätzlichen Ganztagsschulen durch den Bund, nicht durch eingesparte Rüstungsgelder gegenfinanziert. Das zur Verfügung gestellte Geld von vier Mrd. Euro für 5 Jahre war ursprünglich für die Erhöhung des Kindergeldes vorgesehen, von dem heute niemand mehr spricht. Für das erste und zweite Kind sollte laut SPD-Wahlprogramm das Kindergeld von je 154 auf 200 Euro erhöht werden.10
Primäre Zielstellung der Bundeswehr sei nicht mehr die Landesverteidigung sondern der Auslandseinsatz, so Strucks Kommentar11. Hinter dem ganzen medialen Getöse von den Sparplänen im Rüstungsbereich versteckt sich nichts anderes als der Abbau von zivilem Personal, Wehrpflichtigen, altem und zu teurem Material zugunsten von Kriegswaffen und einer professionellen Kriegstruppe, "die weit vor unseren Grenzen", unsere "Verteidigung" übernimmt.12
Weitere Aufrüstungsprojekte in 2003
Am 21. November hat die Nato in Prag mit der Stimme von Gerhard Schröder die "Schnelle Eingreiftruppe" von 21 000 Soldaten beschlossen. Beschlossen wurde für die Nato ebenfalls, ihre "militärischen Fähigkeiten zu verbessern" sowie der Ausbau der "Verteidigungsfähigkeit gegen Angriffe mit Massenvernichtungswaffen und der Lufttransport"13. Das wird nicht ohne weitere Kosten möglich sein. Dafür spricht, das Minister Struck weiterhin an den 180 Eurofightern festhält, und daran festhält, weitere 20 Militärtransporter zu kaufen, für die wir im nächsten Jahr zusätzlich 2,1 Mrd. Euro berappen müssen. Die an diesen Größenordnungen gemessenen lächerlichen 100 bis 360 Mio Eur, die Struck nach neuesten Pressemeldungen einsparen soll, scheinen da Nebelwerfer für die Öffentlichkeit um die tatsächliche Aufrüstung zu verschleiern. Eine Klinik, die aus Geldnot schließen muss, könnte nur die Spitze des Eisberges sein. Dass Tausende von Lehrern an Schulen und 37 000 Dozenten an Hochschulen fehlen, dass bei uns nur 30 % eines Jahrgangs studieren, in Finnland aber 70 %, dass ca. 20 000 Wohnheimplätze für Studenten fehlen, dass städtische Bibliotheken geschlossen werden, dass Berlin seine Schulen nicht mehr in Schuss halten kann, Gelsenkirchen Spielplätze schließt, Frankfurt das Ballett dicht macht und in Karlsruhe über die Wasserwerk-Brücke keine Autos mehr fahren dürfen, da die Stahlträger stark angerostet sind, dass der Deutsche Städtetag 10 Mrd. Euro für notleidende Kommunen fordert, dass die Investitionen der Kommunen 2002 mehr als 11 Mrd. Euro unter denen von 1992 liegen hat natürlich alles mit der massiven Steuerentlastung der Konzerne zu tun. Aber ein Großteil davon könnte mit den mehr als 25 Mrd. Euro des Rüstungshaushalts - etwa einem Zehntel des Gesamthaushaltes - gelöst werden. Eingerechnet sind hier noch nicht die Ausgaben der Bundeswehr, die in anderen Haushaltsrubriken versteckt sind wie z.B. in Forschung und Entwicklung. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert schon seit Jahren eine Erhöhung der Rüstungsausgaben. Auch dieses Jahr machte er kurz vor der Wahl wieder Druck und fordert "eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um drei Mrd. Euro pro Jahr zur Modernisierung der Bundeswehr"14. Der BDI-Präsident Michael Rogowski mischt sich persönlich ein: "Es muss deutlich mehr investiert werden". Zwei Mrd. Euro sollten durch Umschichtungen im Verteidigungshaushalt des Bundes zusammenkommen. Eine Milliarde Euro müsse "zusätzlich oben drauf gepackt werden", verlangt Rogowski.
Er forderte bei Auftragsvergaben vorrangig deutsche Unternehmen zu berücksichtigen. Die deutsche wehrtechnische Industrie sei "Unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Industrie und Rüstungsbasis." Ohne eine starke Rüstungsindustrie werde es "Deutschland schwer haben, seine Stimme zu erheben", wenn es um internationale Entscheidungen gehe", monierte der BDI-Präsident.

Ehemaligen Manager von Rheinmetall ins Verteidigungsministerium geholt
Die Regierung kuscht. Der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende des Rüstungskonzern Rheinmetall, Werner Engelhardt, wird dienstbeflissen als persönlicher Berater von Struck ins Ministerium geholt. Er soll als Struck "Scharnier"15 zur deutschen Wehrindustrie dienen - der Steuerzahler zahlt gerne! Ministers Struck kündigt fürs Frühjahr neue Verteidigungspolitische Richtlinien an, die den "neuen Entwicklungen der Sicherheitslage und den neuen Herausforderungen an die Bundeswehr angepasst seien" und Bundeskanzler Schröder sichert den USA zu "es sei selbstverständlich, dass die Bewegungsfreiheit und Überflugrechte der Alliierten nicht eingeschränkt werden könnten".16 Widerstand gegen jegliche Aufrüstungspolitik ist angesagt. Sie ist inhuman für die Menschen im Ausland - im Inland kostet sie heute schon unsere Lebensqualität.


Anmerkungen
  1. Entwurf Nachtragshaushalt 2002 und Entwurf Bundeshaushalt 2003 vom Kabinett verabschiedet. BMF, Pressemitteilung 20.11.2002
  2. ebenda
  3. bmvg: Internet 12.9.02
  4. Financial Times Deutschland (ftd), 19.11.2002
  5. Bundesregierung online: Haushaltskonsolidierung trotz geringer Steuereinnahmen, 13.11.2002
  6. Stuttgarter Zeitung (St. Z.), 21.8.2002
  7. St. Z. 5.12.02
  8. ftd 5.12.02
  9. Spiegel online5.12.2002
  10. ftd 20.6.2002
  11. Spiegel online 5.12.2002
  12. ebenda
  13. FAZ Net 21.11.2002
  14. St.Z. 5.9.02
  15. Spiegel online 5.12.02
  16. Spiegel online,21.11.2002

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