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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2003



NPD-Verbotsprozeß und Geheimdienste:

Verfassungsschutz als Schutzpatron der NPD

von Ulla Jelpke

Der bisherige Verlauf des NPD-Verbotsprozesses hat deutlich gemacht: Weder Bundesinnenminister Schily noch die Innenminister der Länder können die schlichte Frage: Wo hört die neofaschistische NPD auf, wo beginnt der Verfassungsschutz? beantworten. Sie wollen das auch gar nicht, denn dann würde viel zu viel Schmutz auffliegen.

Ihr Argument, V-Leute in der NPD seien "Fleisch vom Fleisch" dieser Nazi-Partei, ist sicher zutreffend. Aber die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern stecken ganz offensichtlich schon viele Jahre, ja Jahrzehnte selbst bis über alle Ohren tief im braunen Sumpf, spitzeln, provozieren, beteiligen sich an Straftaten, decken ihre Spitzel vor Strafverfolgung etc.. Nach Presseberichten wird erwartet, dass das Bundesverfassungsgericht in ein paar Wochen verkünden wird, wie mit der V-Leute-Problematik verfahren werden soll und wann die nächsten Verhandlungstermine sind. Es gibt Hoffnungen, dass das Verfahren dann im nächsten Jahr abgeschlossen werden kann.

Die NPD gehört verboten!
Ich habe immer vertreten: Diese Partei gehört verboten. Sie ist - auch ohne Spitzel und Geheimdienstmaterialien - eine aggressive, gewalttätige, antisemitische, fremdenfeindliche, verfassungsfeindliche Partei. Ich bin gegen alle Forderungen - ob von Konservativen, aus der FDP oder selbst von Linken -, aus dem NPD-Verbotsverfahren auszusteigen. Dass neofaschistische Parteien in diesem Land Anspruch auf Wahlkampfkostenerstattung haben, ihre braune Propaganda auch in Rundfunk und Fernsehen verbreiten können, legale Logistik für ihre Gewalttaten und Hetze nutzen können, muss endlich aufhören.
Aber selbst wenn die NPD verboten werden sollte: Die Wirkung eines solchen Verbots auf die braune Szene in diesem Land wird leider nur gering sein. Zumal die Innenmister die neofaschistischen Einflusszonen rund um die NPD, die "Kameradschaften", Skinheads und die Nazi-Musikszene, weitgehend schonen und gewähren lassen.
Dabei ist der bisherige Verlauf dieses Verfahrens und die Fülle von Vorwürfen gegen die Arbeit der Verfassungschutzbehörden eigentlich Grund genug, um zusätzlich zu dem Verbotsverfahren gegen die NPD, endlich auch Maßnahmen gegen die VS-Behörden und ihr Spitzelunwesen zu ergreifen. Das braune Spitzelnetz hat keinen Anspruch auf Schutz. Es muss restlos aufgedeckt und dann abgeschaltet werden.

Spitzelgesetze abschaffen!
"Zur Erfüllung seiner Aufgaben nach diesem Gesetz darf das Landesamt für Verfassungsschutz auch nachrichtendienstliche Mittel anwenden. ... Nachrichtendienstliche Mittel sind Maßnahmen zur Tarnung, der Einsatz geheimer Mitarbeiter und andere Maßnahmen, die verbergen sollen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz Informationen erhebt." So Artikel 6 des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes. In allen Ländergesetzen über die Kompetenzen und Aufgaben der Landesämter für Verfassungsschutz finden sich ähnliche Festlegungen. Das gilt auch für das Bundesamt für Verfassungsschutz.
V-Leute dürfen keine Straftaten begehen, "Sie sind allerdings, um nicht aufzufallen, nicht selten gezwungen, bei Straftaten, die von den Organisationen oder deren Mitgliedern begangen werden, nicht zu widersprechen." So steht es in der gemeinsamen Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag an das Bundesverfassungsgericht vom 8. Februar 2002. Straftatbestände, wie die Fortführung einer verfassungswidrig erklärten Partei, Verstoß gegen das Vereinigungsverbot, Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Verwendung von Kennzeichen solcher Organisationen, landesverräterische und geheimdienstliche Agententätigkeit, Mitarbeit in einer Terroristischen Vereinigung und Urkundenfälschung, Unterstützung bzw. Mitgliedschaft in einem verbotenen Verein, sind jedoch erlaubt.
Schon allein deshalb ist es kein Wunder, dass sich Mitglieder der NPD und andere Neonazis reihenweise bereit fanden und auch sicher in Zukunft bereit finden werden, für die Landesämter für Verfassungsschutz oder das Bundesamt Spitzeldienste zu leisten. Auf diese Weise verschaffen sie sich nicht nur für viele ihrer Straftaten sozusagen "von Amts wegen" Straffreiheit, sondern auch interessanten Einblicke in die Arbeit der Dienste - und Geld für sich und ihre Partei.

Gesteuert vom Verfassungsschutz?
Auf der anderen Seite: Bundes- und Ländergesetze verbieten auch allerhand. Zum Beispiel jede Beleidigung, Gewalt gegen Personen und Sachen, Volksverhetzung, antisemitische Hetze, Leugnung des Holocaust, Mitwirkung bei der Verbreitung von CDs, in denen zu Mord und Totschlag an Personen des öffentlichen Lebens und/oder Politikern aufgerufen wird. Und sie verbieten jede steuernde Einflussnahme auf die beobachtete Partei oder Organisation.
All das aber haben V-Leute des Bundesamtes für Verfassungsschutz und verschiedener Landesämter in den vergangenen Jahren immer wieder gemacht. Die Liste der schweren Straftaten, an denen V-Leute des Bundes- und der Länder entgegen allen offiziellen Dienstvorschriften beteiligt waren, ist lang und schmutzig.
Mehr noch: V-Leute wie Wolfgang Frenz oder Udo Holtmann haben die NPD und ihr neonazistisches Umfeld über viele Jahre, ja jahrzehntelang mit aufgebaut und an führender Stelle geleitet. In jeder Übersicht über antisemitische Hetzschriften der NPD und anderer Neonazis in diesem Land würde der jahrzehntelange V-Mann Frenz - unter seinem Namen oder unter einem seiner vielen selbstgewählten Pseudonyme - ganz oben an führender Stelle stehen. Für die ausländerfeindlichen, rassistischen Machwerke der NPD, angefangen vom Zentralorgan Deutsche Stimme bis hin zu zahlreichen Plakaten und Einzelveröffentlichungen zeichnete jahrelang ein anderer V-Mann, Udo Holtmann presserechtlich verantwortlich. Mindestens 30 V-Leute der Länder und des Bundes saßen nach offiziellen Angaben bei der NPD in Landesvorständen oder sogar in deren Bundesvorstand. Mit dem Verbot "steuernder Einflussnahme" ist die Arbeit dieser und anderer V-Leute des Bundes und der Länder auf jeden Fall unvereinbar. Trotzdem haben diese V-Leute ganz offensichtlich jahrelang die antisemitische und ausländerfeindliche Hetze dieser Partei an führender Stelle mit gestaltet, die Demonstrationen und Kundgebungen dieser Partei maßgeblich mit organisiert.

Staatliche Protektion
Mich wundert vor diesem Hintergrund nicht, dass der ehemalige Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Werthebach, als Berliner CDU-Innensenator die von seinem früheren V-Mann Holtmann angemeldeten Demonstrationen der NPD in Berlin nicht verbieten und statt dessen eine von Holtmann organisierte Demo der NPD gegen das Holocaust-Mahnmal und durch das Brandenburger Tor in Berlin sogar nutzen wollte, um das Versammlungsrecht bundesweit einzuschränken.
Auf der Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages am 29.8.2002, auf der über den jüngsten V-Leute-Skandal in Berlin und Brandenburg, den Neonazi und V-Mann Toni St. Vertriebschef der Skinhead-Band "Weiße Arische Rebellen", beraten wurde, verbreitete Schily dreist weitere "Erfolgsmeldungen". Die Anfang der 90er Jahre eingerichtete Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtextremistischer /terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte" kurz IGR, habe überaus erfolgreich gearbeitet, behauptete er. So seien der IGR, der Vertreter des Bundesinnenministeriums, des Bundeskriminalamtes, des Generalbundsanwalts und anderer Justizbehörden angehören, seit 1993 zwei sehr erfolgreiche bundesweite Polizeiaktionen gegen den Vertrieb neonazistischer CDs gelungen.
Die Wirklichkeit ist: neonazistische CDs sind in der Szene weiter enorm verbreitet, neofaschistische Skinhead-Konzerte finden weiterhin ungehindert statt. Mehr noch: Der kürzlich in Berlin verhaftete und aufgeflogene V-Mann Toni St. war Vertriebschef einer Band, die öffentlich zur Mord und Totschlag aufruft, unter anderem an dem Brandenburger Generalstaatsanwalt Rautenberg, an Alfred Biolek und Michel Friedmann. Ein anderer V-Mann (dieses Mal des Bundesamtes für Verfassungsschutz), Mirko H., soll laut Spiegel sogar der sächsische Anführer der dortigen "Hammerskins" gewesen sein. Als die Polizei im Sommer 2001 dessen Wohnung im sächsischen Lanburkersdorf durchsuchte, fand sie u.a. 10.000 neonazistische CDs eine halbautomatische Ladepistole, das Imitat eines Maschinengewehrs, mehrere hundert Patronen verschiedenen Kalibers. So viel zu den "Erfolgen" der IGR. "Die Dienste haben offenbar über Jahre hinweg beste Informationen über die gefährlichsten Bands der radikalen Rechten zusammengetragen, ohne sie den Strafverfolgern zu melden", so der Spiegel am 12.8.2002.
Trotzdem will Schily das V-Leute-Unwesen weiter einsetzen. V-Leute abzuschalten hieße, der Verbreitung der scheußlichsten strafbaren CDs freien Lauf zu lassen, erklärte er im Innenausschuss dreist. Als ob Strafverfolgung neuerdings Aufgabe der Geheimdienste ist und nicht der Polizei. Ohne V-Leute kann die Polizei schneller zugreifen, wird sie bei der Verfolgung von Neonazis wenigstens nicht mehr durch Geheimdienste, die ihre V-Leute schützen wollen, behindert und gestört.

Marsch in den Geheimdienststaat
Die Regierungsparteien SPD und Grüne sowie CDU/CSU und FDP wollen irgendwann in nächster Zeit - vermutlich, nachdem die Entscheidung aus Karlsruhe zur V-Leute Problematik im NPD-Verfahren vorliegt - über neue Richtlinien für V-Leute beraten. Insbesondere die Freistellung von V-Leuten von der Strafverfolgung müsse neu geregelt werden, hieß es auf der Sitzung des Innenauschusses von ihren Vertretern. Das wird auf eine Ausweitung der Strafbefreiung von V-Leuten hinauslaufen, fürchte ich. Die VS-Behörden bräuchten klaren Richtlinien von den Politik, hieß es von Schily ebenso wie vom innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Erwin Marschewski. Der Marsch in in den Geheimdienststaat soll nicht gestoppt werden, er soll weiter gehen - geordnet und möglichst ohne neue V-Leute-Skandale.
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie überflüssig, ja schädlich Geheimdienste und Verfassungsschutzämter für die Bekämpfung von Rechtsextremismus in diesem Lande sind - das NPD-Verbotsverfahren hat solche Beweise im Überfluss geliefert. Hieraus müssen auch gesetzliche Konsequenzen gezogen werden. Der Einsatz von V-Leuten muss den Verfassungsschutzbehörden und anderen Geheimdiensten verboten werden. Die zitierten Passagen in den Verfassungsschutzgesetzen von Bund und Ländern müssen gestrichen werden - ersatzlos. Das wäre auch ein wichtiger Schritt hin zur völligen Auflösung dieser Geheimdienste. Dass Geheimdienste unkontrollierbar sind, ein Fremdkörper in jeder Demokratie - das war mir und vielen anderen schon früher klar. Das NPD-Verbotsverfahren hat das erneut und in bislang nicht erlebtem Ausmaß bewiesen.

Diesen Beitrag von Ulla Jelpke haben wir den Marxistischen Blättern 6/02 entnommen. Er wurde von uns gekürzt.

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