VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 20.06.2003
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Juli 2003



Bonn war nicht Weimar:

Aber Berlin bleibt Berlin?

von Werner Pfennig

VVN-BdA Bundes- und Landessprecher Werner Pfennig hielt am 1. Mai bei der DGB-Kundgebung der Region Ostwürttemberg in Schwäbisch Gmünd die Hauptrede. Wir dokumentieren daraus die Teile der Rede, die sich mit den unübersehbaren historischen Parallelen zwischen dem Sozialabbau am Ende der Weimarer Republik und heutigen Konzepten beschäftigen.

... 11 Konzerne teilen sich den Weltmarkt für Automobile. Auf 9 Ölkonzerne entfallen 90% , auf drei Reifenkonzerne 80% Marktanteile. Dennoch ist das international agierende Kapital nationales Kapital und Fusionen sind nationale Fusionen. Deshalb geht die Bedeutung des Nationalstaates nicht zurück, wie uns manche Politiker weismachen wollen, um dadurch ihre Tatenlosigkeit zu entschuldigen.
"Kapital", schrieb eine englische Zeitung, vor ca. 150 Jahren, "flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. 10% sicher und man kann es überall anwenden; 20%, es wird lebhaft; 50% positiv - waghalsig; für 100% stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300% und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens."

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Dieser Klassiker kann einem schon wieder einfallen...
Die Rolle von Internationalem Währungsfonds und Weltbank muß neu definiert werden. Wann immer diese Institutionen auf den Plan treten, verordnen sie dieselbe Medizin: Sparmaßnahmen, Lohnabbau, blinde Deregulierung. Sie hilft den Reichen in diesen Ländern, die Leiden der Arbeitnehmer und schwachen Bevölkerungsgruppen werden dagegen nicht gebessert.
Die Weltwirtschaftsordnung besteht derzeit aus einem System von Ausplünderung und Ausbeutung, das es niemals zuvor gegeben hat. Sie ist ein gigantisches Casino. Auf jeden Dollar, der in den Handel fließt, kommen mehr als 100 Dollar, mit denen spekuliert wird. Das Elend der Welt darf man aber nicht den armen Staaten anlasten, denn sie haben weder Eroberungsfeldzüge begonnen, noch den Kolonialismus geschaffen oder den modernen Imperialismus entwickelt. ...

Mit Notverordnungen zur Ermächtigung
Vor 70 Jahren war die Machtübertragung an die NSDAP und am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen. Der ADGB hatte eine Politik der Anpassung betrieben, die aber Hitler nicht vor der Zerschlagung der Gewerkschaften abhielt. Der Generalstreik dagegen blieb aus. Mit ihm hätte Hitler gestoppt werden können. Eine der wenigen Ausnahmen war der Generalstreik von Mössingen. Am 23. März 1933 stimmten 444 Abgeordnete im Deutschen Reichstag für das Ermächtigungsgesetz und damit für die eigene Ausschaltung - mit Ausnahme der anwesenden Sozialdemokraten. Die Kommunisten waren schon vorher verhaftet worden und nicht mehr dabei. Viele Tausende Gewerkschafter, Kommunisten und Sozialdemokraten wurden wegen ihrer politischen Überzeugung verhaftet, gefoltert und ermordet. Auch daran wollen wir heute erinnern. Das hat unsere Ehre gerettet. Aber wir müssen Lehren aus der Vergangenheit ziehen und für die Zukunft arbeiten.
So veranlaßte das Kabinett Franz von Papen am 4. September 1932 den Reichspräsidenten Hindenburg, eine Notverordnung zur "Belebung der Wirtschaft" zu unterzeichnen. Hier nur einige Eckpunkte, um den Vorwurf des Plagiats, d. h. den Diebstahl geistigen Eigentums, durch spätere Politiker konkret begründen zu können.

"Vereinfachen und verbilligen"
Die Regierung wurde damals ermächtigt, die sozialen Einrichtungen "zu vereinfachen und zu verbilligen", in Aufbau und Leistungen der Sozialversicherungen einzugreifen, gleichzeitig aber den Unternehmern einen Steuernachlaß von 22 Mrd. Reichsmark zu gewähren.
Mit der "Verordnung zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit" wurden die Arbeitgeber ermächtigt, bei Neueinstellungen unter Tarif zu zahlen, und staatliche Schlichter wurden angewiesen zur "Erhaltung gefährdeter Betriebe" die gültigen Tarife zu unterschreiten. Schon am 5. Juli 1931 war eine "Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen" unterzeichnet worden mit folgenden Eckpunkten:
"Der Anspruch für Jugendliche auf Arbeitslosenunterstützung wird auf das 21. Lebensjahr heraufgesetzt; Verschlechterungen beim Bezug des Kurzarbeitergeldes werden eingeführt; die Zumutbarkeitsklausel für Arbeitslose wird gestrichen; die Arbeitslosenunterstützung wird generell gekürzt; der Begriff der Arbeitsunwilligkeit zur Begründung der Verlängerung der Sperrfrist wird eingeführt; die Wartezeiten für den Bezug von Arbeitslosenunterstützung werden verlängert; Pflichtarbeit für Jugendliche wird eingeführt; die Zuwanderung in größere Städte wird beschränkt und so weiter, und so weiter.
Das Ergebnis war, die Löhne gingen rapide zurück. Die Arbeitslosigkeit nahm zu. Die politischen Folgen waren verheerend. Wie bekannt kommt uns das vor, Kolleginnen und Kollegen. Man sollte also - und das gilt auch für Politiker - von Zeit zu Zeit ein Geschichtsbuch in die Hand nehmen.

Damals wie heute
Ein beträchtlicher Teil des Unternehmertums bezieht heute Positionen, die nicht sehr weit von denen entfernt sind, die der Reichsverband der Deutschen Industrie und andere Verbände in den letzen Jahren der Weimarer Republik eingenommen haben. Bonn mag nie Weimar gewesen, aber Berlin ist offenbar Berlin geblieben.
Ich zitiere: "Daß wir heute annähernd 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland zählen, ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß unsere Wirtschaft in besonders großem Umfange durch gesetzliche Eingriffe des Staates gefesselt ist und daher nicht die genügende Wendigkeit besitzt, um sich den Schwankungen der Konjunktur mit der erforderlichen Schnelligkeit anzupassen. Als besonders verhängnisvoll hat sich auf dem Gebiete des Tarifvertragsrechtes die Unabdingbarkeit des Tarifvertrages, d.h. der Ausschluß abweichender Vereinbarungen und dessen Festhaltung durch die Gewerkschaften erwiesen."
Zu lesen war das nicht im "Handelsblatt" unserer Tage, sondern in der "Deutsche-Arbeitgeber-Zeitung" vom 22.3.1931. Man ersetze Wendigkeit durch Flexibilität, die Schwankungen der Konjunktur durch die Herausforderungen der Globalisierung und die abweichenden Vereinbarungen durch betriebliche Bündnisse, so hat man nicht etwa eine ähnliche, sondern eine identische Argumentation. Der Unterschied liegt also vor allem in der Sprache, die heute in einer Weise aufgeblasen ist, die erkennen läßt, daß wir der Lösung des Problems keinen Schritt näher gekommen sind, auf dem Gebiet der Propaganda aber große Fortschritte gemacht haben.
Die Arbeitgeberzeitung von 1931 fährt fort: "Die ursprünglich für die Arbeitnehmer als Wohltat gedacht Unabdingbarkeit des Tarifvertrags wird heute zu einer Plage für sie". Über diese Position sind unsere liberalen Spitzenpolitiker schon hinaus. Nicht allein der Flächentarif, auch die Gewerkschaften insgesamt sind für sie längst eine "Plage". So ein Mensch namens Guido Westerwelle. Wie die Hetze gegen Ausländer regelmäßig mit dem Spruch eingeleitet wird: "Ich habe nichts gegen Ausländer..." so beginnt Friedrich Merz seine Angriffe mit dem Satz: "Ich habe nichts gegen Gewerkschaften". Kolleginnen und Kollegen, gegen all diese Tendenzen ist es höchste Zeit aufzustehen, protestiert, demonstriert, innerhalb und ausserhalb der Betriebe, auf den Straßen und Plätzen, es ist hohe Zeit!

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