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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2003



Veranstaltung zum 100. Geburtstag Fritz Bauers:

Einer menschlichen Justiz eine Gasse bahnen

LV

Aus Anlaß des 100. Geburtstags des in Stuttgart geborenen und aufgewachsenen früheren Generalstaatsanwalts und engagierten Antifaschisten Fritz Bauer luden mehrere Organisationen und Gruppen, darunter VVN-BdA, Humanistische Union und Naturfreunde zu einer Veranstaltung "Justiz und Bewältigung von Verbrechen gegen die Menschheit"ins Stuttgarter DGB-Haus ein.

Mit der Veranstaltung sollte an das Lebenswerk des herausragenden Juristen und Aufklärers Fritz Bauer erinnert werden, dessen Rechtsauffassung auch heute noch hochaktuell ist.
Der Sozialdemokrat Fritz Bauer, dessen Namen untrennbar mit dem Jahrhundertverfahren gegen Verantwortliche des Massenmordes in Auschwitz verbunden ist, stammt aus einem jüdischen Elternhaus. Der Vater betrieb gemeinsam mit einem Bruder ein Textilgeschäft in der Seestraße. Fritz Bauer besuchte das Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft und Ökonomie wirkte er 1929 bis 1933 als jüngster Amtsrichter am Stuttgarter Amtsgericht. 1933 wurde der begabte Jurist und leidenschaftliche Demokrat verhaftet und ins KZ Heuberg gesperrt. Nach seiner Haftentlassung konnte Fritz Bauer nach Dänemark und später nach Schweden fliehen, wo er Asyl erhielt.

Gegen den Zeitgeist
Ab 1949 kehrte er in die Bundesrepublik zurück. Als Generalstaatsanwalt in Hessen widmete der Weggefährte von Willi Brandt seine ganze Energie der Aufklärung von NS-Verbrechen. Unerschrocken rücksichtslos gegen den herrschenden Zeitgeist prangerte er die weit verbreitete Schluss-Strich Mentalität in der jungen Bundesrepublik an. Daß Bauer sich damit in einem Land, in dem die alte Nazigarde gerade wieder in die Chefsessel der Ämter zurückzukehrte, nur wenig Freunde machte, liegt auf der Hand. Sein Vorermittlungsverfahren gegen den Staatssekretär im Bundeskanzleramt und früheren Spezialisten für Judenfragen im Nazi-Reichsinnenministerium Dr. Hans Globke löste eine wahre Schmutzlawine gegen Fritz Bauer aus. Eine der wichtigsten Lehren aus dem Untergang der Weimarer Republik war für ihn, daß Demokratie dauerhaft nur gesichert werden kann, wenn die Rechte der Bürger gegenüber der Macht des Staates gestärkt werden. Ihm ging es darum "die autoritären Schlacken vergangener und jüngster Jahrzehnte zu beseitigen, damit aus Demokraten des Wortes Demokraten der Tat werden." Seine öffentlich geäußerte Befürchtung, daß in Deutschland noch immer der Nährboden für neuen Nationalsozialismus bestehe, brachte ihm die heftigste Kritik der hessischen CDU ein, die seine Absetzung als Generalstaatsanwalt forderte.

Stärkung des Widerstandsrechtes
Die Stärkung des Widerstandsrechts war ihm wichtiges Anliegen. Er forderte, jeder in Deutschland müsse lernen, nein zu sagen, wenn Verbrechen befohlen würden. Die Demokratie hinge davon ab, dass falschem Gehorsam und missverstandener Loyalität ein Ende bereit werde. Es gehe darum, dem "menschlichen Faktor eine Gasse (zu) bahnen, denn vom Gesetzesfetischismus führt ein schurgerader Weg zu den KZ Auschwitz und Buchenwald."
Dr. Udo Kauß von der Humanistischen Union unterstrich gerade diese Verteidigung des Widerstandsrechts. Er stellte den Fritz-Bauer-Preis vor, mit dem die Humanistische Union demokratisches Engagement in diesem Sinne würdigt.
Das Hauptreferat zum Thema "Vom Auschwitzprozes zum internationalen Strafgerichtshof" hielt Oliver Tolmein.

Auschwitzprozess
Er setzte sich mit den Besonderheiten des Auschwitzprozesses auseinander. Allein dessen Zustandekommen gegen viele Widerstände, auch der passiven Obstruktion in der ihm unterstehenden Strafverfolgungsbehörden, wertete er als wichtiges Verdienst Fritz Bauers. Obwohl sich die Strategie der Anklage, Auschwitz als ein Gesamtverbrechen zu würdigen, nich durchsetzen ließ, trug der Prozess dazu bei, das Grauen sichtbar zu machen- gegen eine Gesellschaft die auf Verdrängen und Vergessen setzte. Trotzdem oder gerade deswegen blieb der Prozess eine Ausnahmeerscheinung in der juristischen Aufarbeitung der Nazi-verbrechen.
Oliver Tolmein wies auf die Grenzen hin, die jedem Versuch, politische Probleme mit den Mitteln der Strafjustiz bearbeiten zu wollen, gesetzt sind. Vor diesem Hintergrund bewertete er die derzeitige Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes als Fortschritt, der aber eine politische Bearbeitung der Konflikte nicht ersetzen könne.
(Wir werden bei Gelegenheit ausführlicher auf die Ausführungen des referenten zurückkommen).

Verweigerte Ehrung
Fritz Bauer, ein Vorreiter und Vordenker bei der Gestaltung einer demokratischen Justiz, der streitbare Demokrat, der "Nestbeschmutzer", hat nie eine staatliche Ehrung erfahren. Am 30. Juni 1968 ist er in Frankfurt gestorben.
Zu seinem 100. Geburtstag liegt dem Stuttgarter Gemeinderat nun ein Antrag aus den Reihen der Grünen Fraktion vor, einen Weg im Stuttgarter Süden nach Fritz Bauer zu benennen. Die CDU Fraktion hat ihren Widerstand dagegen bereits angekündigt. Es sieht so aus, als müsse sich die Stuttgarter VVN-BdA auch nach dieser Veranstaltung weiter intensiv mit dem ungewöhnlichen Juristen und Demokraten Fritz Bauer befassen.

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