VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 10.06.2004
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2004



Verbrechen der Wehrmacht - Pfingstaktionen in Mittenwald:

Auf den Spuren der Mörder

von Ernst Antoni

Die Verbrechen der Wehrmacht im Osten sind - nicht zuletzt durch die Ausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung und die Auseinandersetzungen darüber - inzwischen ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Über die Wehrmachtsverbrechen in Griechenland, Italien, Frankreich und anderen süd- und westeuropäischen Ländern ist weniger bekannt. Darüber informierte und diskutierte die VVN-BdA Bayern in einem zweitägigen Seminar im Jugendgästehaus Dachau Anfang März 2004.

Das Seminar fand auch aus aktuellem Anlass statt: Alljährlich zu Pfingsten findet im bayrischen Mittenwald eine "Traditionsfeier" von Gebirgsjäger-Kameradschaften und Bundeswehr statt. Im vergangenen Jahr wurde diese "Traditionspflege" mit einer antifaschistischen Protestkundgebung konfrontiert. Wegen der ungesühnten Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg wurden der Staatsanwaltschaft die Namen von über 100 noch lebenden mutmaßlichen Kriegsverbrechern übergeben. Die Aktivitäten werden dieses Jahr fortgesetzt.
Die Verbrechen der Wehrmacht und ihre historisch-politische Aufarbeitung" - zu diesem Thema referierte der Historiker Prof. Kurt Pätzold, Berlin und würdigte die aufklärerische Funktion beider Ausstellungen über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht. Sein Fazit: Sie haben geholfen, den Tatbestand der Rolle der Wehrmacht klarzustellen. In der Öffentlichkeit wurde eine weite Diskussion bewirkt, die von der Geschichtswissenschaft allein so nicht erreicht werden konnte. Allerdings sei zu befürchten, dass mit der Einlagerung der zweiten Ausstellung im Depot des Deutschen Historischen Museums (die erste Version sollte ursprünglich sogar entsorgt werden, nun ist sie als Dokument im Hamburger Institut aufbewahrt) "Gegenbewegungen" in der öffentlichen Diskussion meinungsführend werden könnten. Als Beispiele nannte der Referent medienwirksame Darstellungen über die "Deutschen als Opfer", so die Bücher und Filme über den Bombenkrieg, über Flucht und Vertreibung, über Stalingrad. Gemeinsam sei all diesen Bestrebungen, die Geschichte umzuschreiben, die Umkehrung der Täter-Opfer-Relationen, ihr Hintergrund, die Entlastung des deutschen Kapitals. Die enge Zusammenarbeit der deutschen Industrie mit dem Faschismus, die Großmachtstrategien des deutschen Kapitals sollen ausgeblendet werden. Gefragt werden müsse aber: "Wenn wir den Zweite Weltkrieg als imperialistischen Krieg sehen, haben wir heute das Zeitalter des Imperialismus verlassen? In welcher Beziehung steht die Gegenwart zur Vergangenheit?"

Italien: Massaker und Deportationen
An die Diskussion schlossen sich Einzelreferate zu Wehrmachtsverbrechen in Süd- und Westeuropa an. Friedbert Mühldorfer, VVN-BdA-Landessprecher in Bayern, befasste sich mit Italien. Bis heute sei über die deutschen Verbrechen einer größeren Öffentlichkeit nur wenig bekannt. Mit Kaltem Krieg und NATO-Partnerschaft ging ein, auch von italienischer Seite oft toleriertes Verschweigen der Massaker und Deportationen einher. Mühldorfer schilderte den Wandel Italiens vom faschistischen Bündnisparter Nazideutschlands zum Land der antifaschistischen Partisanenbewegungen. Nach dem Regierungswechsel von Mussolini zu Badoglio im Juli 1943 errichtete die deutsche Wehrmacht in Italien ein brutales Besatzungsregime, mit Massakern an der Zivilbevölkerung und Judenverfolgungen. Alle italienischen Soldaten, die nicht bereit waren, auf deutscher Seite weiter zu kämpfen - etwa 600 000 Menschen - wurden gefangen genommen und ins Deutsche Reich und die besetzten Gebiete deportiert. Dort mussten sie vor allem für die Rüstungsindustrie arbeiten, als Zwangsarbeiter. Diesen italienischen Militärinternierten wird bis heute die Anerkennung als Zwangsarbeiter und eine Entschädigung verweigert.

Verbrechen in Frankreich
Auch in Frankreich gab es außer an den Orten der Konzentrationslager zahlreiche deutsche Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges, wie Reinhard Hildebrandt, Landessprecher der VVN-BdA Baden-Württemberg, in seinem Referat aufzeigte: 75 000 französische Juden wurden deportiert, über eine Million Franzosen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt, 30 000 Menschen als Geiseln ermordet. Die schlimmsten Massaker an der Zivilbevölkerung gab es in den Orten Oradour und Tulle. Diese Kriegsverbrechen, begangen von der SS-Division "Das Reich", trugen paradoxerweise dazu bei, die verbreiteten Legenden von der "sauberen Wehrmacht" im Westen aufrechtzuerhalten, weil ausgeblendet wurde, dass auch bei diesen Verbrechen die Wehrmacht die Feder führte, wie eine Reihe von einschlägigen Erlassen und Befehlen der deutschen Generalität nachweisen. Die neusten Forschungsergebnisse widerlegen den Mythos, die deutsche Wehrmacht habe in Frankreich eine moderate Besatzungspolitik verfolgt. Ein Großteil der Kriegs- und Besatzungsverbrechen geschah unter Verantwortung der Wehrmacht. Auch die Kollaboration zahlreicher Franzosen unter dem Vichy-Regime mit Hitlerdeutschland trage nicht zur Entlastung der deutschen Verbrechen bei. Empörend ist der Umgang mit den Tätern im Nachkriegsdeutschland: Die Mörder von Oradour wurden bis auf einen - den in der DDR verurteilten Heinz Barth - nicht bestraft; der Kommandeur der SS-Division, der General und Ritterkreuzträger Heinz Lammerding konnte als "geachteter" Bauunternehmer in Deutschland seinen Lebensabend verbringen.

Blutspur der Wehrmacht in Griechenland
Über die Wehrmachtsverbrechen in Griechenland berichteten Ulrich Sander, Landessprecher der VV-BdA in Nordrhein-Westfalen und Freunde vom Arbeitskreis "Angreifbare Traditionspflege" aus aktuellem Anlass. Auch in diesem Jahr steht zu Pfingsten in Mittenwald wieder die "Traditionsfeier" von Gebirgsjäger-Kameradschaften und Bundeswehr an. Vor allem in Griechenland, aber auch in einer Reihe weiterer europäischer Länder haben die Gebirgsjäger ihre Blutspur hinterlassen. Während die Staatsanwaltschaft bisher recht zögerlich gegen die über 100 noch lebenden Kriegsverbrecher ermittelt, deren Namen ihr im vergangenen Jahr von VVN-BdA und dem AK "Angreifbare Traditionspflege" übergeben wurden, sieht sich Ulrich Sander als antifaschistischer Journalist politischer Willkür, Verfolgungen von Staatsschutz und Justiz ausgesetzt, (die "antifa" hat in ihrer Ausgabe Feb./März 2004 darüber berichtet).

Pfingsaktion in Mittenwald
Die Teilnehmer nutzten den zweiten Teil des Seminars zu konkreten Überlegungen, wie der "Traditionspflege" in Mittenwald auch diesmal zu Pfingsten öffentlichkeitswirksam begegnet werden kann. Schon jetzt steht fest, dass wieder Zeitzeugen aus von Gebirgsjäger-Massakern betroffenen Ländern nach Mittenwald kommen werden und dass bayern- und bundesweit für eine Demonstration und Kundgebung mobilisiert werden soll. Auch aus Baden-Württemberg wird wie im vergangenen Jahr Unterstützung erwartet.

Ernst Antoni - Geschäftsführer der VVN-BdA Bayern und Redakteur der antifa


Pfingstaktion in Mittenwald
Wir rufen alle AntifaschistInnen und AntimilitaristInnen zur Teilnahme an den geplanten Protestveranstaltungen gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger auf. Zu Pfingsten, am 29. und 30. Mai 04 wollen wir erneut dazu beitragen, dass dieses Soldatentreffen nicht ungestört über die Bühne gehen kann.
Samstag, den 29. Mai 2004
11.00 Demonstration ab Bahnhof durch Mittenwald
15.00 bis 18.00 Uhr Veranstaltung mit Beiträgen zu den NS-Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger in Frankreich, Italien und Griechenland
Sonntag, den 30. Mai 2004
ab 9 Uhr Kundgebung gegen das Pfingsttreffen am Hohen Brendten

Bestrafung der Kriegsverbrecher!
Entschädigung aller NS-Opfer!
Für die Auflösung der Bundeswehr!

Infos unter: www.nadir.org/nadir/kampagnen/mittenwald/
Kontakt: angreifbare.tradition@freenet.de
Spendenkonto: Freie Medien "Traditionspflege" Postbank Essen Kto 470834437, BLZ 36010043


VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 2004 J. Kaiser