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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / April 2004



Gleichmacherei:

"Die Unterschiede zwischen NS-Terror und DDR-Regime drohen verwischt zu werden"

von Reinhard Hildebrandt

Mit dieser Schlagzeile auf ihrer Titelseite berichtet die "Jüdische Allgemeine Wochenzeitung" vom 29. Januar 2004 über das skandalöse Gedenkstättengesetz in Sachsen. Wegen der in Sachsen praktizierten Gleichsetzung der NS-Verbrechen mit der DDR haben unter heftigen Protesten die Vertreter von Verbänden, die die Interessen der Opfer des NS-Regimes vertreten, die Stiftungsgremien Sächsischer Gedenkstätten verlassen. Der Zentralrat der Juden, die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz, die Vereinigung der Sinti und Roma, der VVN-BdA Landesverband Sachsen, die Dr. Margarete-Blank-Gedenkstätte, die Jüdische Gemeinde Sachsen verlangen prinzipielle Gesetzesänderungen und eine Änderung der bisherigen Gedenkstättenpolitik.

Höchste Wachsamkeit ist geboten, weil die CDU/CSU Bundestagsfraktion das umstrittene Sächsische Gedenkstättengesetz als "Vorbild" nimmt, um die bundesdeutsche Gedenkstättenpolitik zu verändern. Die Gleichsetzung der DDR mit Hitlerdeutschland, der SED mit der NSDAP, solle nach ihrem Willen zu "den konstitutiven Elementen des wiedervereinten Deutschlands" gehören. Im folgenden dokumentieren wir einige Positionen, warum alle Verbände der vom Naziregime Verfolgten die Mitarbeit in den Gremien der Stiftung Sächsische Gedenkstätten aufgekündigt haben.

VVN-BdA Sachsen
Die VVN-BdA Sachsen stellt in ihrer Presseerklärung fest, dass das Stiftungsgesetz zu den Gedenkstätten "eine Beleidigung und Diskriminierung der Opfer des NS-Regimes" sei. "Das Gesetz postuliert einen Vorrang auf das Gedenken an die Opfer des Stalinismus und die Deligitimierung der DDR. Es wird ein Übergewicht für die Aufarbeitung von DDR-Unrecht festgeschrieben. Gedenkstätten, die sich diesem Thema widmeten, werden finanziell und personell bevorzugt. In der offiziellen Erinnerungskultur dominiert die Gleichsetzung von DDR- und NS-Unrecht. NS-Unrecht und dessen Wurzeln drohen im Freistaat in Vergessenheit zu geraten." Unser Kamerad Prof. Dr. Heinz Lauter, der selbst wegen Widerstandes gegen das NS-Regime 10 Jahre im Zuchthaus verbrachte, hatte als Gutachter bei einer Anhörung im sächsischen Landtag vergeblich Kritik an dieser Praxis geübt, seine Argumente wurden mit Arroganz vom Tisch gewischt.

Zentralrat der Juden in Deutschland
Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, stellte fest: Mit dem neuen Gedenkstättengesetz in Sachsen werden fundamentale Unterschiede zwischen den Verbrechend der Nationalsozialisten mit europäischer Dimension und denen des Kommunismus in Ostdeutschland mit nationaler Dimension eingeebnet. Das ist für den Zentralrat nicht hinnehmbar. Der Zentralrat beobachtet seit längerem eine "allmähliche Einebnung der fundamentalen Unterschiede zwischen NS-Völkermord und SED-Diktatur", nicht nur in Sachsen, sondern bundesweit. Der Zentralrat befürchtet, dass die Stiftungsgremien von Vertretern der Opfer von Stalinismus und Stasi dominiert werden.
Michael Wolffsohn schreibt in dem oben erwähnten Leitartikel "Gleichmacherei"der "Jüdischen Allgemeine": "Die jüdischen Opfer hatten nicht einmal die Chance zum Widerstand. Nicht einmal (der Ausdruck sei ausnahmsweise erlaubt) gehängt oder einzeln erschossen wurden die Juden. Im Holocaust wurden sie zunächst massenweise erschossen. Später transportierte man die jüdischen Opfer wie Schlachtvieh, und jeder Jude war als Opfer vorbestimmt. Schlimmer als Schlachtvieh behandelten die tierliebenden NS-Verbrecher die Juden ab 1941/42. Sie wurden durch Gas fabrikmäßig getötet, denn inzwischen waren deutsche Patronen zu wertvoll für Juden. Vor der Verbrennung wurden die jüdischen Opfer ,verarbeitet'. Deshalb ... muss gerade in der Erinnerung zwischen politischen Regimeterror und systematischer Vernichtungsmaschinerie und -fabrikation unterschieden werden." Den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag zur "Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland" (vorläufig zurückgezogen) kommentiert Wolffsohn so: "Vorsicht, Sturmwarnung".

Sinti und Roma in Sachsen
In dem Positionspapier des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma zur Gedenkstättenpolitik in Sachsen stellt Silvio Peritore fest:
"Ein Gedenken an die Opfer des Stalinismus und der DDR kann nur in klarer räumlicher und inhaltlicher Abgrenzung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus erfolgen. ... Vor allem muss das vorrangige Ziel sein, einer Gleichsetzung oder gar Relativierung der NS-Verbrechen mit den Opfern des Stalinismus oder Staatssicherheit der DDR entgegenzuwirken. ... Der Versuch einer ,Bewältigung' der Geschichte der DDR darf keinesfalls dazu führen, dass die nationalsozialistischen Völkermordverbechen in den Hintergrund gedrängt oder das ,Dritte Reich' und die ehemalige DDR auf eine Stufe gestellt werden. ...
Im Stiftungsgesetz selbst wird der Nationalsozialismus mit keinem Wort erwähnt, es wird lediglich nivellierend von der Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft (§ 1) sowie von politischen Gewaltverbrechen von überregionaler Tragweite, besonderer historischen Bedeutung, politischer Verfolgung, Staatsterror und staatlich organisierten Morden (§ 2) . Dies bedeutet eine auch konstitutionell verankerte Gleichsetzung ..."
"Mit großer Besorgnis" wird in dem Positionspapier der Sinti und Roma der Versuch der CDU/CSU gesehen, die bundesdeutsche Gedenkstättenpolitik künftig nach dem "Vorbild" der Stiftung Sächsische Gedenkstätten neu auszurichten. Eine Umsetzung des CDU/CSU-Antrags würde die historischen Fakten verzerren, den NS-Völkermord relativieren und marginalisieren und die Einmaligkeit des NS-Völkermordes an Sinti und Roma sowie an Juden negieren.

CDU-Antrag zur Entsorgung der Geschichte
Eigentlich wollte die Unionsfraktion den Deutschen Bundestag am 30. Januar 2004, also am Jahrestag der "Machtergreifung" durch die Nationalsozialisten, über "Diktaturgeschichte in Deutschland" debattieren lassen, fand es dann jedoch klüger, ihren Antrag "Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte - Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Dikaturen" einstweilen zurückzuziehen. Der Wortlaut des Antrags ist in den "Blättern für deutsche und internationale Politik 3/2004" abgedruckt. Vor allem die Begründung des Antrags verdient Beachtung, treibt er doch die Gleichmacherei zwischen NS-Terror und DDR-Regime auf die Spitze. Bereits die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Überwindung der Folgen der SED Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" hatte in ihrem Schlussbericht festgestellt: "Die Erinnerung an die beiden Diktaturen ... ist der Kern des antitotalitären Konsenses und der demokratischen Erinnerungskultur" Jetzt beklagt die CDU/CSU, dass im Mittelpunkt einer nationalen Erinnerungskultur bisher lediglich die Zeit des Nationalsozialismus stand. Im Jahr 2003 müsse festgestellt werden, dass dem "Gedenken an die Opfer der beiden Diktaturen" ausgesprochen unterschiedlich Rechnung getragen wird. "Trotz des unmittelbaren Zusammenhangs von NS- und kommunistischer Herrschaft als Bestandteile unserer Nationalgeschichte wird an die Zeit der SED-Diktatur nur marginal gedacht. Allein die 1996 in zweiter Auflage erschienene Dokumentation ,Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus' umfasst 1800 Seiten. Vergleichbares existiert bezogen auf die zweite deutsche Diktatur nicht." Das müsse geändert werden, meint die CDU/CSU, neue Gedenkstätten und Projekte zur Erinnerung an die SED-Diktatur seien stärker zu fördern und müssten "in den Fokus nationaler Gedenkkulturen gerückt werden". In den "Kontext der Folgen der Diktaturgeschichte" gehöre auch "das Gedenken an folgende Opfergruppen:
Opfer von Krieg und Vertreibung zivile Opfer der alliierten Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges."
An diese Ereignisse solle "in Form von jeweils zentralen Gedenkstätten von nationaler Bedeutung" erinnert werden. "Hier sollte schnellstens an die Diskussion um ein Zentrum gegen Vertreibungen sowie ein Mahnmal für die Bombenopfer des alliierten Luftkrieges angeführt werden", meint die CDU/CSU.

Die Deutschen als eigentliche Opfer
Ideologische Schützenhilfe für eine Revision des Geschichtsbildes liefert die Bundeszentrale für politische Bildung. Im Jahr 2003 hat sie in ihrer Schriftenreihe (Band 398) einen Sammelband "Diktaturen in Deutschland - Vergleichsaspekte" publiziert. Sein Ergebnis: Die "Nichtvergleichbarkeit" von NS- und SEDDiktatur sei eine polemische Behauptung. Polemik ist laut DUDEN nicht nur ein unsachlicher Angriff, sondern zuerst wissenschaftlicher Meinungsstreit. Der Streit um die Erinnerungskultur darf nicht dazu führen, dass die Opfer des Holocaust, Millionen in Konzentrationslagern Umgekommene, bei Deportationen Verhungerte und Ermordete relativiert werden. Bei den Folgen des verbrecherischen Weltkrieges - rund 50 Millionen Tote, Verletzte, Vertriebene dürfen die Ursachen, die aggressive Expansionspolitik des Faschismus nicht vergessen werden. Die VVN-BdA spricht sich eindeutig gegen unhistorische, den Faschismus verharmlosende Vergleiche aus. In Absprache mit den Verbänden der NS-Opfer fordern wir den Erhalt und die Pflege der Gedenkstätten für die Opfer des NS-Regimes gemäß der Entschließung des Europaparlaments vom 11.2.1993. Diese Entschließung wird durch die Gedenkstättenpolitik in Sachsen in grober Weise missachtet und verletzt. Die VVN-BdA fordert, zusammen mit den Verbänden der NS-Opfer, eine Änderung dieser Praxis. Eine Grundvoraussetzung der Gedenkstättenarbeit muss sein, dass die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus stets in Würde und Respekt und mit der notwendigen Sensibilität gegenüber Überlebenden und deren Angehörigen erfolgt.


Europäische Geschichtsfälschung

Die "Europäische Volkspartei" (EVP) hat auf ihrem Jahreskongress am 4./5. Februar 2004 in Brüssel eine Resolution zur "Verurteilung des totalitären Kommunismus" beschlossen. Die EVP, der Zusammenschluß christdemokratischer und anderer reaktionärer Parteien ist mit derzeit 232 Abgeordneten stärkste Fraktion im EU-Parlament.
Als Ausgangspunkt der Resolution wird zunächst die Lüge aufgewärmt, dass "Kommunismus und Nazismus ... zwei in gleicher Weise totalitäre Regime" gewesen seien. Daran knüpft sich die wahrheitswidrige Behauptung, dass die Verbrechen des "Nazismus" nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeklärt und die Schuldigen abgeurteilt worden seien, während es an einer gleichartigen "internationalen Verurteilung" des Kommunismus immer noch fehle. Gefordert wird u.a. die Errichtung eines "europäischen Forschungs- und Dokumentationszentrums" sowie die Einführung eines "europäischen Gedenktages für die Opfer des Kommunismus" und die Errichtung eines Gedenkmuseums. Dieser "Gedenktag" soll einen Gegenpol zum 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag bilden.
Die Internationale Föderation des Widerstandes (FIR) hat gegen die Resolution der "EVP" protestiert. Auszüge aus der Stellungnahme der FIR: "Historisches Gedenken an die Widerstandskämpfer, Patrioten und Deportierten, an alle Opfer der faschistischen Verfolgung, ist eine Aufgabe der Europäischen Union. Das Europa-Parlament hat sich mehrfach zu dieser Verantwortung bekannt, insbesondere in einer Erklärung vom Februar 1993 zur Sicherung der KZ-Gedenkstätten. ..." Der Beschluss der "EVP" wird mit "voller Sorge" gesehen: "In geschichtsrevisionistischer Form wird hier über den Faschismus und die kommunistische Herrschaft als "zwei gleich inhumane totalitäre Regime' gesprochen. In der Beschreibung werden Konzentrationslager und rassistischer Völkermord als Merkmale kommunistischer Herrschaft genannt..." Die FIR kritisiert weiter, dass die finanziellen Mittel für die Sicherung der KZ-Gedenkstätten begrenzt würden, während Einrichtungen für die "Opfer des Kommunismus" mit Mitteln der EU finanziert werden sollen. Das Fazit der FIR: "Solche Versuche der geschichtspolitischen Umgewichtung atmen den Geist des Kalten Krieges und gehören nicht in ein Europa, dessen Wurzeln in dem gemeinsamen Kampf der Völker und Staaten gegen den verbrecherischen deutschen Faschismus zu finden sind."



Kritik aus Frankreich

Der Streit um die Gedenkstättenpolitik in Sachsen und im Bundestag wird in Frankeich wachsam beobachtet. Die Zeitung der französischen Widerstandskämpfer "Le Patriote Résistant" widmet diesen Vorgängen in der Ausgabe vom März 2004 eine ganze Seite mit der dramatischen Überschrift "Sturm in Deutschland". Gewarnt wird, dass der Erinnerungskultur in Deutschland große Gefahr drohe. Der Skandal bestehe darin, dass die Naziverbrechen relativiert und heruntergespielt werden. Die FNDIRP (Féderation Nationale des Déportés et Internés, Résistants et Patriotes) protestiert in einem Brief, der an Bundeskanzler Schröder, den sächsischen Ministerpräsidenten und den deutschen Botschafter in Frankreich gerichtet ist, gegen "die Versuche, Ereignisse miteinander zu vermischen, die, selbst wenn sie sich an den gleich Stätten abgespielt haben, völlig unterschiedlich sind, nämlich das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager und ihre Nutzung nach dem Krieg, zuerst in der Sowjetzone, dann in der DDR." Ebenso unzulässig sei es, die Verbrechen des Nazismus, die eine europäische Dimension haben, so zu behandeln, als ob sie die Angelegenheit nur eines Landes seien. Die FNDIRP fordert Bundeskanzler Schröder auf, "zu intervenieren, damit die historischen Realitäten respektiert werden." Den Abweichungen von der historischen Wahrheit müsse ein Ende gesetzt werden.


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