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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Juli 2004



Braune Rattenfänger marschieren am 3. April in Stuttgart:

Soziale Demagogie der Nazis

von Anne Rieger

"Volksgemeinschaft statt BRD-Abzocke" - mit diesem Transparent mischten sich Neonazis des "Freier Widerstand" unter die Demonstranten am 3. April in Stuttgart. Auf ihren Web-Seite brüsten sie sich damit, dass sie am Europäischen Aktionstag der Gewerkschaften und Sozialen Bewegungen "Aufstehn, damit es endlich besser wird" auf der gesamten Demo-Route mitlaufen konnten.

Mit ihrem Losung sei "den Arbeitern gezeigt" worden, "dass es mit einer einfachen Abwahl der gegenwärtigen Regierung nicht getan ist. Grundlegende soziale Veränderungen fürs Volk sind mit Reformen nicht zu verwirklichen - ein radikaler Wandel muss her". Keine Abwahl einer Regierung ist ihr Weg, sondern ein "radikaler Wandel"! Übernahme der Macht also mit Gewalt? Andere im braunen Netzwerk haben sich da eindeutig geäußert, wie das Bundesinnenministerium zu Verfassungswidrigkeit der NPD zusammengetragen hat:
"Mit schonungsloser Offenheit fordert der jetztige JN-Bundesvorsitzende Rossmüller im April 1998 die Mitglieder der Bundesregierung "gehörten an die Wand gestellt - man sollte sie erhängen". Im Juni 1999 bekräftigte er auf einer Demonstration in Nürnberg "dereinst werden andere in Nürnberg hängen"" (Verfassungswidrigkeit der NPD - Begründung des Antrags" http://www.bmi.bund.de/dokumente/Artikel/ix_23468.htm).

Auf einer Linie mit der Unternehmerpartei
Liest man Kommentierung auf der web-Seite des "Freien Widerstands" zu ihrem Mitmarsch in Stuttgart, ist deutlich erkennbar, wen sie als ihre Hauptgegner ansehen: "die korrumpierten Gewerkschaftsfunktionäre". "Es kann nicht hingenommen werden, dass die Gewerkschaftsspitze, die ebenfalls fürstliche Bezüge in Aufsichtsräten abschlabbert, den deutschen Arbeiter für dumm verkauft und weiterhin auf Großdemonstrationen instrumentalisiert". Mit dieser Diffamierung liegen sie auf einer Linie mit Guido Westewelle, dem Vorsitzenden der Unternehmer-Partei FDP. Seiner Meinung nach machen die gewählten Vorstände der Gewerkschaften "keine Politik mehr zu Gunsten von Arbeitssuchenden und Arbeitnehmern, sondern nur noch zugunsten einer Besitzstandswahrung von Funktionären."
Hauptgegner der braunen Rattenfänger sind also nicht Superreiche wie Theo Albrecht, Inhaber von Aldi Nord, mit einem Vermögen von 15 Mrd. Euro. Die Number One in Deutschland besitzt das Doppelte an Vermögen, was in einem Jahr in der Rentenkasse fehlt. Gleichzeitig zahlt er Verkäuferrinnen an zugigen Kassenarbeitsplätzen ca. 1500 Euro für einen Vollzeitjob. Wollen Aldi-Beschäftigte einen Betriebsrat gründen werden sie mit gezielten Drohungen schikaniert, wie einer Filiale in München: "Wenn sie einen Betriebsrat wählen, werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen". Auch Herren wie Schrempp, Chef des Weltkonzerns Daimler Chrysler kommen ungeschoren davon. Um sein Jahres-Einkommen von 10,8 Mio Euro zu erreichen, muss ein Angestellter mit 3000 Euro Monatseinkommen 276 Jahre, 11 Monate und 2 Tage arbeiten. Die Einkommen solcher Manager steigen um so höher, je mehr Arbeitsplätze sie vernichten.

Gewerkschaften als Hauptfeind
Nicht diese Profiteure von Sozial- und Lohnabbau sind im Visier der Faschisten, sondern Gewerkschaftsvorsitzende wie Jürgen Peters oder Frank Bsirske, die eine Vermögenssteuer für Reiche und ein daraus finanziertes Investitionsprogramm von 20 Mrd. Euro fordern um damit in die Infrastruktur und Bildung zu investieren, die sich gegen die permanente Absenkung de Spitzensteuersatzes wenden. Im Visier hat der "Freie Widerstand" nicht Theo Albrecht, sondern die Gewerkschaftssekretärin von Verdi in Bayern, die den Aldi-Beschäftigen zu ihrem gesetzlichen Recht verhilft, einen Betriebsrat wählen zu können.
Gleichzeitig präsentieren die Neofaschisten scheinbare Sündenböcke für den Sozialabbau. Menschen anderer Länder seien Schuld an Massenarbeitslosigkeit, Sozial- und Lohnabbau. Am 1. Mai, dem traditionellen Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung, versuchen die Neonazis die Straße unter dem Motto "Volksgemeinschaft statt Globalisierungswahn" für sich zu gewinnen. Die Reps, ihr Pedant in Nadelstreifen, eröffnen den Wahlkampf in Baden-Württemberg mit der infamen Parole: "Sozialstaat erhalten - Einwanderung stoppen". Damit wird von den tatsächlichen Verursachern des Sozialabbau abgelenkt, den Unternehmern, die mit Arbeitsintensivierung und Arbeitszeitverlängerungen ständig die Zahl der Arbeitslosen erhöhen und sich gleichzeitig schrittweise aus der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherungen hinausstehlen.

BDI-Kernforderungen - Programm der Nazis
Statt seriöser Alternativprogramm, versuchen die Neonazis mit ihrem Schlagwort "Volksgemeinschaft" das Denken zu verbreiten, jedes Volk habe seine wesensmäßigen Eigentümlichkeiten, die es zu verteidigen gelte. Die Nazis haben das rassistisch begründet mit dem Hinweis auf Blutströme. Die Neonazis heute begründen es mit der angeblich unüberwindlichen Fremdheit der Kulturen. Sei diese "Volksgemeinschaft" errichtet, habe jeder "Deutsche" in ihr seinen gesicherten Platz, der eine oben, der andere unten. Damit greifen sie die berechtigte Angst der Menschen vor Krankheit, Alter, Pflegbedürftigkeit und Arbeitslosigkeit in eine kapitalistisch organisierten Gesellschaft auf und versuchen in sozialer Demagogie von den wahren Verursachern dieser inhumanen Gesellschaft abzulenken.
Zur letzten Bundestagswahl stimmte das Wahlprogramm der NPD, mit denen die Kameradschaften gemeinsame Demos organisieren, mit den 10 Kernforderungen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) an eine neue Bundesregierung überein. Heisst es im NPD-Wahlprogramm: "Eine Sozialpolitik nach dem Traumbild des totalen Wohlfahrtsstaates, dessen Belastungen für alle Schaffenden zum Albdruck werden, verfehlt ihre Aufgabe und ist unsozial", sprach der BDI im Zusammenhang mit dem "Wohlfahrtstaat" von den "überbordenden Kosten der Sozialen Sicherung" Fordert der BDI in seinem am 4. Februar 2004 dem Bundeskanzler überreichten Gesamtreformkonzept "Für ein attraktives Deutschland, Freiheit wagen - Fesseln sprengen", "in der Krankenversicherung mehr Eigenverantwortung", liest sich das bei Ursula Winkelsett, Schwester von Schönhuber und stellvert. Vorsitzende der Reps so: "Das Wissen um die Eigenverantwortlichkeit für die persönliche Gesundheit muss gestärkt werden".
Eigenverantwortlichkeit heisst übersetzt: private Versicherung oder private Bezahlung von Krankheitsrisiken, heisst die Arbeitgeber Schritt für Schritt aus der gesetzlichen Verpflichtung zu entlassen, sich an den Beiträgen zur Krankenversicherung zu beteiligen. Ein Gesetz, dessen positive Elemente von der revolutionären Arbeiterbewegung erzwungen wurde, wie bei Bismarck 1884 nachzulesen ist: "Wenn es keine Sozialdemokratie gäbe und wenn nicht eine Menge Leute sich vor ihr fürchteten, würden die mäßigen Fortschritte, die wir überhaupt in der Sozialreform bisher gemacht haben, auch noch nicht existieren." Nun wollen es die braunen Sozialdemagogen schleifen. Auch die berechtigte Sorge vor einem kapitalistisch verfassten Europa wird aufgegriffen. In einer gemeinsamen Presseerklärung der Aktionsbüros Norddeutschland und der NPD heisst es zum 1. Mai: "Im Vordergrund stand der Protest gegen die aktuellen politischen Entwicklungen von EU-Osterweiterung bis Globalisierung. ... Diesen volksfremden Entwicklungen gilt es entgegen zu treten". Das Europawahlkampf-Plakat der NPD ist dermaßen demagogisch, dass die Bremer Staatsanwaltschaft alle NPD-Europawahlplakate im kleinsten Bundesland beschlagnahmen lässt. Auf ihnen wird Ausländern eine "Gute Heimreise" gewünscht wird. Das Plakat der Rechtsextremisten zeigt außer dem Spruch "Gute Heimreise" auch Fotos von einem Minarett und von weggehenden Frauen mit voll beladenen Tüten. Der zuständige Staatsanwalt Uwe Picard sieht in diesem "hämischen" Motiv eine Umschreibung des Spruches "Ausländer raus!", der bereits eindeutig als Volksverhetzung eingestuft worden sei. Das Plakat sei geeignet, das politische Klima zu vergiften.

Braune Rattenfänger raus aus unseren Demos
Die braunen Rattenfänger benutzen mit diesen Demagogien das, was Bundespräsident Rau in seiner letzten großen Rede so charakterisiert hat: "Tatsächlich ist die Verunsicherung so etwas wie ein allgegenwärtiges Gefühl geworden, das unsere gesamte Gesellschaft erfasst. Das ist lebensgefährlich." Und es ist tödlich für die Gewerkschaften und Sozialen Bewegungen, wenn wir in der Hass und Feindschaft säende nationalistische Propaganda der Neonazis nicht ihre spalterischen Absichten und ihr spalterisches Handeln erkennen und organisiert mit Aufklärung reagieren.
Es darf nicht wieder vorkommen, dass braue Rattenfänger mit ihren Parolen, die sich unmittelbar gegen unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen richten, bei uns mitmarschieren können, ohne dass wir, unsere Ordner, unserer Mitglieder, unsere Funktionäre, unsere Bündnispartner, sie freundlich, aber sehr bestimmt, aus unseren Reihen entfernen.

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