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Nummer 1 / Januar 2005



6 Thesen zum Film:

"Der Untergang"

Redaktion

Nicht nur Bücher und Studien entfalten geschichtspolitische Wirksamkeit. Für das Massenbewusstsein über Faschismus, antifaschistischen Widerstand und Krieg sind filmische Verarbeitungen in Form von Dokumentationen oder Spielfilmen von deutlich größerer Wirksamkeit. Dabei wirkt dieses Medium nicht allein über die inhaltlichen Aussagen der Schauspielerinnen und Schauspieler, vielmehr wirkt die Bildersprache, die letztlich zu einer Prägung der Erinnerung führt.

Dabei ist beim vorliegenden Film zu beachten, dass hier bereits die Vorlage von Joachim C. Fest, der bereits in den 80er Jahren mit einer Hitler-Biographie eine auf "den Führer" fixierte Geschichtsperspektive auf den deutschen Faschismus propagiert hatte, die inhaltlichen Setzungen vorgab, die der Film handwerklich überzeugend umsetzt.

1. These:
Der Zeitpunkt des Filmstarts und die mediale Resonanz lassen erkennen, dass dies der Kinobeitrag zum 60.Jahrestag des Kriegsendes bzw. der Befreiung von Faschismus und Krieg ist. Zwar sind noch weitere zeitgeschichtliche Filme in Vorbereitung, jedoch sticht dieser Film bezogen auf das finanzielle Volumen, die mediale Aufmerksamkeit und die Präsenz in der Kinolandschaft deutlich ab.
Das historische Bild, das er von dieser historischen Zäsur im Leben der europäischen Völker (einschließlich des deutschen Volkes) vermittelt, ist jedoch mit den Begriffen "Irrwitz" (die Verantwortlichen waren alle verrückt) und "Ekel" (Massenszenen in den Lazarett-Bereichen - mehrfach Einstellungen mit Amputationen) zu beschreiben.

2. These:
Dieses Bild der letzten Tage des Krieges kennt - mit Ausnahme der Person A.H. - keine Verantwortlichen und keine Vorbereiter dieser Katastrophe.
In dem gesamten Filmplot gibt es keinen Hinweis auf die Rolle von Großindustrie und Banken für die Machtübertragung, keinen Satz bzw. keine Figur, die dieser Gruppe zuzurechnen wäre. Selbst die kriegstreibende Rolle der Reichswehrgeneralität seit der Weimarer Republik wird in dieser Konstellation nicht erkennbar. Die Generäle erscheinen als zögerlich, wenig entscheidungsfähig und ängstlich oder als willfährig, aber nicht als aktiv handelnde Personen. Vergessen wird der Beitrag z.B. von General Keidel zum Überfall auf die Sowjetunion (Kommissarbefehl).

3. These:
Der Film konstruiert einen Widerspruch zwischen Nazi-Clique (im Bunker) und dem deutschen Volk (in den Schützengräben, im Bombenhagel), ohne auch nur ansatzweise darauf einzugehen, wie das Verhältnis tatsächlich war.
In keiner Bemerkung bzw. Sequenz wird für den historisch nicht vorgebildeten Betrachter deutlich, welche Mitverantwortung welche Teile der deutschen Gesellschaft für die faschistische Herrschaft und ihre Verbrechen tragen.
Auf diese Weise unterstützt der Film den Mythos "Deutsche als Opfer".

4. These:
Der Film arbeitet als Spielfilm mit Personifizierungen. Dieser legitime Kunstgriff wird dort fragwürdig, wo historische Persönlichkeiten verzeichnet werden, ihre tatsächliche Rolle in der Geschichte verfälscht wird, z.B. Albert Speer (er geriert zu einem Vertreter der "Zivilmacht" - er tritt als einziger ohne Uniform auf und boykottiert die Befehle Hitlers etc.). Der Zuschauer wird veranlasst bei Magda Goebbels, die ihre Kinder im Bunker umbringt, das "menschliche Leiden" zu sehen, nicht jedoch die persönliche Konsequenz des faschistischen Rassenwahns, den Joseph Goebbels in all den Jahren als Propagandaminister verbreitet hat, der Millionen Menschen zuvor das Leben kostete.
Hier stützt Eichinger historische Legendenbildung.

5. These:
Im Abspann weist der Film auf biographische Momente der in der Handlung sichtbaren Personen nach 1945 hin. Abgesehen von dem problematischen Kunstgriff, dass die Schauspieler als "reale Personen" vorgestellt werden (ohne Vergleich mit Bildern der realen Menschen), wird in den biographischen Details deren tatsächliche gesellschaftliche Rolle, beispielsweise als Parteigänger der Altnazis, beispielsweise beim Aufbau der Bundeswehr o.ä. ausgeblendet. Der Abspann gibt - damit ebenfalls keine Hilfestellung zum Verständnis der Bedeutung des 8.Mai als Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg und die daraus gezogenen bzw. zu ziehenden politischen Konsequenzen.

6. These:
Ein Spielfilm ist kein Dokumentarstreifen. Eichingers Anspruch war jedoch, unterhaltend zu belehren (Nachgeborenen die damalige historische Realität anschaulich nahe zu bringen). Dabei ist jedoch festzuhalten:
Für eine Verstehen der Geschichte von Faschismus und Krieg ist nicht wichtig, was der Film zeigt, sondern wichtiger, was er nicht zeigt.
Und das liegt sowohl an der filmischen Umsetzung, aber sicherlich gleichermaßen an der textlichen Vorlage eines Joachim C. Fest, der schon in seiner umfangreichen Hitlerbiographie die gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgreich ausgeblendet hat.

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