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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2005



"Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne":

Friedrich Schlotterbeck

von Elke Günther

Vor 60 Jahren wurden zehn Frauen und Männer der Widerstandsgruppe Schlotterbeck im Konzentrationslager Dachau erschossen. Am 25.9.1944 starben die Stuttgarter Widerstandskämpfer Anton Hummler und Max Wagner unter dem Henkerbeil der faschistischen Mörder im Zuchthaus Brandenburg. Die IG-Metall-Verwaltungsstelle Stuttgart und die VVN-BdA Kreisvereinigung Stuttgart erinnerten am Totensonntag, 21.11. mit einer Gedenkfeier im Theaterhaus an die ermordeten Antifaschisten.

VVN-BdA Landessprecherin Anne Rieger, die engagiert und gekonnt durch die Veranstaltung führte, freute sich mehr als 200 VeranstaltungsteilnehmerInnen begrüßen zu können. In ihrer kurzen Begrüßungsansprache wies sie auf den wenig bekannten Fakt hin, daß in Stuttgart rund 1000 Menschen wegen ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ihr Leben verloren haben. Die gut besuchte Gedenkfeier war zuvor vom Freien Chor Stuttgart mit dem Lied "Am Grunde der Moldau" eröffnet worden. Die Sopranistin Stephanie Haas sang Brecht/Eisler-Lieder: "Ballade von der 'Judenhure' Marie Sanders", "Auf der Fucht", "Hotelzimmer 1942" und "An den kleinen Radioapparat". Am Klavier begleitete sie Roswitha Troitzsch. Eine überaus eindrucksvolle und bewegende Darbietung, die vom begeisterten Publikum mit viel Applaus aufgenommen wurde. Der 1.Bevollmächtigte der IG Metall, Jürgen Stamm, der die Gedenkrede hielt, würdigte die "von uns geehrten Widerstandskämpfer gegen den Faschismus als unentbehrlich, auch wenn das Verbrechen an ihnen 60 Jahre zurück liegt. "Einst war es ein Haus wie andere auch. Aber jetzt sind die Menschen, die darin lebten tot. Mit einem dreijährigen Kind bin ich übrig geblieben. Die anderen, Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Braut und manchen guten Freund hat die Gestapo heimlich und feige ermordet. 'Sippenhaft' nannten sie es" zitierte Jürgen Stamm aus den Aufzeichnungen von Frieder Schlotterbeck, dem einzigen Überlebenden der Familie, der seine Erinnerungen aus den Jahren 1933 bis 1945 später in dem Buch "Je dunkler die Nacht, desto heller leuchten die Stern" zusammengefaßt hat.

Verantwortung aus der Geschichte
Anton Hummler und Max Wagner, die beide im Nationalkomitee freies Deutschland arbeiteten, waren in einem Geheimprozeß wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zum Tod verurteilt worden. Das Urteil wurde, so Jürgen Stamm, "in einer der "Vollzuganstalten" der deutschen Justiz vollzogen, in denen angeblich "Recht" vollzogen wurde. Insgesamt 1722 Menschen waren im Zuchthaus Brandenburg zwischen 1940 und April 1945 von NaziSchergen umgebracht worden. "Warum wurden Richter und Staatsanwälte, die Todesurteile für Antifaschisten wie am Fließband forderten und verhängten, nie für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen?" fragte Jürgen Stamm. "Keiner, der sich dem Geist des Widerstandes, des politisch und moralisch besseren Teils, verpflichtet sieht, möchte die "Gnade der späten Geburt" für sich in Anspruch nehmen. Nein, wir stehen zu unserem Teil der Geschichte, wobei es häufig schwer ist, der daraus resultierenden Verantwortung gerecht zu werden." Heute erinnere vieles an den politischen Entwicklungen an das Ende der Weimarer Repubik. "Damals wie heute wird Sozialabbau als einzig mögliches Heilmittel propagiert. Die Verlierer beider Zeitepochen stehen fest: Arbeitnehmer und kleine Leute." Wer davon heute mit Appellen an neues Nationalgefühl ablenken wolle, gieße Öl ins Feuer, warnte der Gewerkschafter: "Die extreme Rechte nutzt die Gunst der Stunde und erhält Zulauf". Jürgen Stamm betonte: "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Ein Verbrechen gegenüber den Menschen und der Menschlichkeit." .Er forderte dazu auf, "für Gerechtigkeit in unserem Land zu streiten, damit unsere Gesellschaft nicht noch weiter auseinander driftet." In der Berichterstattung der Medien werde "die neoliberale Erziehungsdiktatur" fortgesetzt." Die neoliberale Sucht, der wir zur Zeit in der veröffentlichten Meinung und in der Politik begegnen, alles und jedes den sogenannten freien Kräften des Marktes aus zu setzen, bringt die Grundlagen jeglicher demokratischen Verfassung in Gefahr. ...unter den Bedingungen neoliberaler Strategien und extremer sozialer Polarisierung drohen andauernde Voraussetzungen für faschistische Herrschaftsformen" warnte Jürgen Stamm. Er fordert, den Begriff der Gerechtigkeit wieder in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen und damit ein Gegengewicht zum neoliberalen Ökonomismus zu schaffen. Gerecht sei eine Gesellschaft, in der alle Zugang zu Arbeit und Bildung haben, in der der Mensch das Maß aller Dinge sei. In der Verteidigung der Freiheit und sozialen Gerechtigkeit liege die Aufgabe der Gewerkschaft. "Damit stemmen wir uns mit aller Macht gegen den politökonomischen Zeitgeist."

Gegengewicht zum neoliberalen Ökonomismus
Die Voraussetzungen für Solidarität und Menschlichkeit, müsse aber auch in den eigenen Reihen gelegt werden, betonte Jürgen Stamm. Er schloss seine mit viel Beifall bedachte Rede mit den Worten: "Die Zeit erfordert messerscharfes Denken und entschlossen kühnes Handeln." Und wieder Stephanie Haas und Roswitha Troitzsch mit zwei Liedern von Bert Brecht/Hans Eisler: Über die Dauer des Exils I und II und Jacques Dévil/Kurt Weill "J' attends un navire". Dieses Lied, das in der Übersetzung "Ich warte auf ein Schiff" heißt - damit war die erhoffte bevorstehende Invasion der alliierten Streitkräfte zur Befreiung Frankreichs gemeint- wurde zur Hymne der Resistance. Stephanie Haas gelang es den herausfordernd kämpferischen Optimismus, der in diesem Lied steckt, großartig zu vermitteln. Die Zuhörer bedankten sich mit lang anhaltendem Beifall. Peter Grohmann, Schauspieler, Kabarettist, Anstifter des Stuttgarter Friedenspreises, einer der auf keiner ordentlichen Demo fehlt, las aus dem bereits erwähnten Buch von Frieder Schlotterbeck: "Je dunkler die Nacht". Die gelesenen Auszüge vermittelten etwas von der Kraft, dem oft verzweifelten Mut und der zweifelnden und überzeugten Hoffnung auf die Überwindung des Faschismus und den schließlichen Sieg der Menschlichkeit. Peter Grohmann las u.a. aus dem Kapitel das "Verhör", in dem Frieder Schlotterbeck das brutale Gestapoverhör, die entsetzlichen Schläge, die er ertrug, indem er sich - die ihn anfangs lähmende Angst überwindend - gegen die Schläger zur Wehr setzte. Dann der Triumph, der Folter standgehalten, geschwiegen zu haben. Peter Grohmanns Vortrag riss die Zuhörer mit, machte das Gelesene zum Erlebnis. Selbst das furchtbare Ende, wenn Frieder Schlotterbeck nach der Befreiung in die zerstörte Stadt und das leere Elternhaus zurückkehrt, und die grauenhafte Entdeckung machen muß, dass alle, Mutter, Vater, Schwester, Bruder, Verlobte von den Nazis ermordet wurde, enthält bei aller Verzweiflung und Trauer den entscheidenden Funken Zukunftsoptimismus: "Die Menschen brauchen Brot", läßt Frieder Schlotterbeck am Ende des Buches den Bäcker sagen, "sie brauchen Brot". Die Zuhörer bedankten sich mit heftigem Applaus bei Peter Grohmann. Zum Abschluß der gelungenen Kraft und Optimismus vermittelnden Gedenkfeier wieder der Freie Chor mit dem jiddischen Lied: "Schtil die Nacht ist euch gersternt", "Drei rote Pfiffe" von den Schmetterlingen und - zum mitsingen - das "Solidaritätslied".

Artikel mit Fotos von Gertrud Lutz Hermann, Maria und Gotthilf Schlotterbeck, Emil Gärtner Erich Heinser, Else Himmelheber, Sophie Klenk, Hermann Kramer, Emmy Seitz, Hermann Seitz, Theodor Seitz, Max Wagner, Anton Hummler

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