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Nummer 2 / Mai 2005



Befreiung vom Faschismus:

Kontinuität, Neubeginn, Restauration?

von Ludwig Elm

Mit der bedingungslosen Kapitulation der Hitlerwehrmacht übernahmen die Hauptmächte der Antihitlerkoalition die Macht in Deutschland. Der Absturz der Menschheit in die Barbarei war abgewendet worden. Das war das moralische Fundament, auf das sich die Erwartungen an einen Neubeginn in Deutschland, aber auch für Gemeinsamkeiten der Völker Europas und der Welt in einer friedlichen und sozial gerechteren Nachkriegsepoche gründeten.

Die Zäsur im Frühsommer 1945 bedeutete nicht nur das Ende einer terroristischen Herrschaftsform und der sie tragenden verbrecherischen Bewegungen und Ideologien. Es war nach 1918/19 und 1930-33 die tiefste Erschütterung der deutschen Bürgerlichen Gesellschaft und der Autorität ihrer Oberschichten und Eliten. Die Kungeleien aller bürgerlichen Parteien, von Politikern und leitenden Beamten, der Wirtschaft und Reichswehr sowie zahlreicher Rechtsintellektueller mit Hitler und seinem Umkreis ab Sommer 1932 führten zur mehrheitlich konservativen Hitlerregierung und zur geschlossenen bürgerlichen Reichstagsmehrheit für das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933. Als der terroristisch-rassistische Flügel der deutschen Rechten in Gestalt der NSDAP und ihrer Gliederungen sich durchgesetzt hatte, fielen rasch und skrupellos vorherige Rücksichten gegenüber Steigbügelhaltern weg. Dies ändert nichts daran, daß der Nazismus nicht allein die Staatsmacht hätte übernehmen, eine menschenfeindliche Diktatur ausbauen sowie mit forcierter Aufrüstung den Eroberungs- und Vernichtungskrieg einschließlich rassistischer Massenmorde hätte vorbereiten und durchführen können. Besonders tief und nachhaltig war der Rückschlag für die seit 1871 im Deutschen Reich vorherrschende konservativnationalistische und antisozialistische Grundströmung. Sie hatte am entschiedensten die Interessen sowie die aggressiven antidemokratischen und unsozialen Bestrebungen von Agrariertum und Großkapital einschließlich ihres bürokratischen, militärischen, juristischen, journalistischen und akademischen Anhangs artikuliert. Ihr entsprangen die ideologischen und programmatischen Quellen des Nazismus. Völkischer Nationalismus, Autoritarismus und Antiliberalismus, Kult des Soldatentum, Weltmachtwahnideen, Antisemitismus, Irrationalismus und militanter Antisozialismus. Die verdiente allgemeine Ächtung des Konservatismus nach 1945 wirkt bis heute nach.
Angesichts der Vorgeschichte und des widerspruchsvollen Verlaufs der Nachkriegsgeschichte kann es kaum überraschen, dass der 8. Mai unterschiedlich bis gegensätzlich wahrgenommen und beurteilt wurde und wird. Springender Punkt ist, ob die Kontinuität über die Brüche jener Zeit hinweg Vorrang besitzt und bejaht wird oder ob der Wille zum Abbruch gegenüber dem Vorangegangenen und zu entschiedenem Neubeginn vorherrscht. Damit ist das jeweilige Faschismusbild berührt, das bei der konservativen Grundströmung bis heute erheblich defizitär ist.

8. Mai: angefeindet, gefeiert oder ignoriert
In der Bundesrepublik begründete die Restauration die lange vorherrschende sowie teilweise bis heute andauernde Weigerung, den 8. Mai als Befreiungstag anzuerkennen.
Der zehnte Jahrestag im Mai 1955 war für Adenauer kein Anlass für eine Erklärung. In einer Ansprache am 5. Mai 1955 anlässlich der Beendigung des Besatzungsstatus bemerkte er: "Vor zehn Jahren zerbrach Deutschland und hörte auf, ein sich selbst regierender Staat zu sein. Es war die dunkelste Stunde unseres Vaterlandes." Wiederum ein Jahrzehnt danach gab Kanzler Ludwig Erhard über Funk und Fernsehen eine Erklärung "zum 20. Jahrestage des Kriegsendes" ab. Er richtete Angriffe gegen die Sowjetunion und dankte den Verbündeten USA und Großbritannien. Die Rückbesinnung diene "dem Nacherleben der Trauer und des Leids, des Blutopfers von Millionen unschuldiger Menschen". Am Ende jenes unseligen Krieges hätten "neues Unrecht und Gewalt" gestanden: "Ja - wenn mit der Niederwerfung Hitler-Deutschlands Unrecht und Tyrannei aus der Welt getilgt worden wären, dann allerdings hätte die Menschheit Grund genug, den 8. Mai als einen Gedenktag der Befreiung zu feiern." Erhard fand weder ein Wort zu Eroberungspolitik und Massenmorden noch zum antifaschistischen Widerstand. Wirkliches oder vermeintliches Unrecht nach 1945 wurde ausdrücklicher benannt als die vorangegangenen Verbrechen.
Ab Ausgang der Sechzigerjahre kam es zu einer schrittweisen Öffnung gegenüber den Wahrheit des Mai 1945. Bundeskanzler Willy Brandt sprach anläßlich des 25. Jahrtestages auf einer Gedenkstunde des Bundestages, der sein Vorgänger Kurt Georg Kiesinger und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß fernblieben. 1975 hielten Bundespräsident Walter Scheel und Bundeskanzler Helmut Schmidt Ansprachen. Ein Jahrzehnt später schien die berühmt gewordene Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker die Wende zu bringen, in der er den 8. Mai als Tag der Befreiung und auch den kommunistischen Widerstand würdigte. Erneut demonstrierten MdB der CDU/CSU durch Fernbleiben ihre rechtsextremistischen Aversionen gegen solche Aussagen. Inzwischen wurden seit 1990 unter dem Einfluss des konservativen Geschichtsrevisionismus wesentliche Einsichten zur Unvergleichbarkeit des nationalsozialistischen Verbrecherstaates, zu den Dimensionen der Vernichtung und der Opfer sowie zum antifaschistischen Widerstand erneut zunehmend zurückgenommen.

Revision des Geschichtsbildes
Die 248 Mitglieder umfassende konservative Fraktion im deutschen Parlament hat Ende 2003 einen Antrag eingebracht zur "Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland - Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen". Mit ihrem bereits im Mai 2003 eingereichten Antrag "Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg" sind Haupttendenzen der angestrebten weiteren Revision des Geschichtsbildes von NS-Regime, Zweitem Weltkrieg und Nachkriegsgeschichte unübersehbar. Der erreichte Forschungsstand und die internationale Debatte zu diesen Themenkreisen werden weitgehend ignoriert.
Ist es bloßer Zufall, dass ein roter Faden im Hinblick auf die stigmatisierte Linke erkennbar ist: Er führt von Verfolgung, KZ und Strafbataillonen im Dritten Reich zu Repression, Partei, Organisations- und Berufsverboten ab 1950 sowie zur seitherigen unablässigen Diskriminierung als vermeintlich extremistisch, verfassungsfeindlich und totalitär.
Bereits mit Beschluss der Bundesregierung vom 19. September 1950 war neben der KPD u.a. auch die Unterstützung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) für den gesamten öffentlichen Dienst als "schwere Pflichtverletzung" und "mit den Dienstpflichten unvereinbar" erklärt worden. Im Zusammenhang mit dem Verbot der KPD und anderen Organisationen wurden in den folgenden Jahren mehr Ermittlungsverfahren gegen Kommunisten sowie weitere Linke und Adenauer-Gegner - darunter viele NS-Verfolgte - eingeleitet als gegen nazistische Täter. Bezeichnend ist ein Interview, das der Kanzler und CDU-Vorsitzende Adenauer dem Korrespondenten von Aftenposten/Norwegen, Sinding Larsen, im November 1951 gegeben hatte. Der Journalist hatte nach Maßnahmen gegen "alle Bewegungen, die Spuren des Nationalsozialismus an sich tragen", gefragt. Adenauer redete umgehend vom "Wiederaufleben totalitärer Bewegungen" und versicherte, dass die Bundesregierung "ein Wiedererstarken des Radikalismus" verhindern würde. Die Frage, ob die nazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten werden müsste, sei "nur schwer zu trennen, von der von mancher Seite erhobenen Forderung nach einem Verbot der KPD." Der Kanzler lenkte schützend von den Alt- und Neonazis ab und wandte sich vorrangig gegen die Linke. Am Grundverhalten der CDU/CSU hat sich seither nichts geändert.
Ende 2004 richtete die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag eine Große Anfrage an die Bundesregierung betreffend "Finanzielle Förderung linksextremistisch beeinflusster Initiativen durch das ‚Bündnis für Demokratie und Toleranz, gegen Extremismus und Gewalt'". Das im Mai 2000 von der Bundesregierung ins Leben gerufene und von ihr politisch wie finanziell geförderte Bündnis verleiht Preise und Zuschüsse vor allem an Initiativen und Zusammenschlüsse junger Menschen, die sich für Demokratie und Toleranz, somit wesentlich gegen Rassismus, Nazismus und Rechtsterrorismus, engagieren. In 64 Einzelfragen wird versucht, solche meist im linken Spektrum agierenden Vereine, Gruppen und Periodika ins Zwielicht des Extremismusverdachts, der Verfassungsfeindlichkeit und der Gewaltbereitschaft zu setzen. Das geschieht unter dem Beifall jener, die seit Jahren die Umtriebe und terroristischen Exzesse von Nazis und Rassisten mit Indifferenz und Inaktivität passieren lassen. Die Attacke gilt Gruppen, die jahrelang als angefeindet Minderheit Zivilcourage gegen die extreme Recht gezeigt, Informationen über nazistisch-rassistische Gewalttätigkeiten erarbeitet und im politischen Alltag Solidarität mit Opfern und Bedrohten geübt haben. Darunter befindet sich die VVN-BdA. Sie sieht sich bis heute offiziöser Ächtung und Ausgrenzung ausgesetzt.

Deutsche Opfer und die "übrigen"
Die Bundestagsfraktionen der rot-grünen Regierungskoalition brachten im April 2004 den Antrag "Der 60. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 2005" ein. Mit dieser Sprachregelung wird sowohl vor den geschichtsrevisionistischen Bestrebungen als auch vor den dreisten Attacken der Nazis und Rassisten zurückgewichen. Erneut werden Inhalt und Bedeutung jener Ereignisse unzulässig verkürzt und dem Zeitgeist angepasst. Dem entspricht die fragwürdige Formel, neben der Erinnerung an die Opfer des Holocaust stehe "das Gedenken an die Millionen übrigen (! - L.E.) Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg": "Dieses Gedenken darf nicht danach unterschieden werden, welcher Nationalität die Opfer waren und ob sie im Bombenkrieg, im Zuge von Flucht und Vertreibung oder auf andere Weise ihr Leben verloren." Die Aussage rückt deutsche Opfer an die Spitze und konkretisiert nur deren Schicksal: Der Tod von Millionen eigentlicher Opfer des deutschen Faschismus und Militarismus in vielen Ländern wird unter der Floskel "auf andere Weise" abgetan. Der Antrag erwähnt weder die Antihitlerkoalition noch den antifaschistischen Widerstand.. Die deutsche und europäische Nachkriegsgeschichte erscheinen im heute üblichen, klischierten Schwarz-Weiß-Bild.
Im Umfeld des 60. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus erweisen sich viele Erartungen von 1945 als nicht oder unzureichend erfüllt. Wirtschaftliche Krisen bei gleichzeitig zunehmenden Klüften zwischen Arm und Reich und sozialer Deklassierung wachsender Bevölkerungsgruppen; weltweit unzählige Spannungen, Konflikte und Kriegen, denen vorrangig nicht mit Beseitigung der Ursachen, sondern mit Rüstung, Militarisierung und Interventionen begegnet wird. Stagnation oder Niedergang in Bildung und Kultur sowie neue Offensiven und Positionsgewinne nazistischrassistischer und rechtspopulistischer Bewegungen. Den Wahrheiten über Faschismus, Zweiten Weltkrieg und die Befreiung am 8. Mai 1945 sowie über widerspruchsvolle Wege in der Nachkriegsgeschichte kommt gegen andauernde Widerstände und Entstellungen auch künftig eine große und wohl noch zunehmende Bedeutung zu.

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