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Nummer 2 / Mai 2005



Deutsch-französisches Gedenkstättenseminar:

Erinnerung im Vergleich

von Reinhard Hildebrandt

Die Zusammenarbeit der Gedenkstätten in Baden-Württemberg und Frankreich macht Fortschritte. Das zeigte sich auf dem Gedenkstättenseminar, das vom 4. - 7. Februar 2005 in Bad Urach stattfand. In Frankreich geht der Trend zu großen zentralen Gedenkstätten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. In Südwestdeutschland überwiegen kleinere Erinnerungsorte. In Referaten wurden mehrere neue oder veränderte Gedenkstätten vorgestellt. Einige seien kurz skizziert.

Oradour
Die Ruinen des Dorfes Oradoursur-Glane sind die Überbleibsel der faschistischen Verbrechen vom 10. Juni 1944, als eine Einheit der SS-Division "Das Reich" in der kleinen Gemeinde der Haute-Vienne, ungefähr 20 km westlich von Limoges 642 Männer, Frauen und Kinder massakrierte - erschossen oder bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Ruinen wurden schon zu Beginn der Nachkriegszeit zum historischen Bauwerk erklärt und werden jährlich von mehr als 300 000 Menschen besichtigt. Es stellte sich die Frage, ob die Ruinen allein, auch ohne die Zeitzeugen, in der Zukunft eine Botschaft des Gedenkens und des Friedens vermitteln können. Die Antwort ist ein neues Informationszentrum "Centre de la Mémoire d'Oradour", das am 12. Mai 1999 eröffnet wurde. Eine Ausstellung über 20 Jahre Zeitgeschichte 1933/1953, von der Ausbreitung des Faschismus in Europa bis zum Prozess in Bordeaux, erlaubt es, die historischen Fakten und die Beispielhaftigkeit Oradours besser zu verstehen. Dokumentationsarchive, Zeugenberichte, Diavorträge und Filme erklären die Ereignisse. Der Zugang zu den Ruinen des Märtyrerdorfes ist nur über das neue Erinnerungszentrum möglich.

Gurs
Gurs am Rande der Pyrenäen war das erste und eines der großen Internierungslager in Frankreich. Dorthin wurden im Oktober 1940 über 6000 Juden aus Baden und der Pfalz deportiert. Weniger bekannt ist, dass das Lager Gurs im April 1939 als Sammellager für republikanische Kämpfer aus dem spanischen Bürgerkrieg errichtet wurde, die ersten Gefangenen waren die spanischen Flüchtlinge nach dem Sieg Francos, unter ihnen viele Freiwillige der Internationalen Brigaden. Im Mai 1940 wurden 10 000 deutsche und österreichische Staatsbürger - meist Frauen, darunter viele Jüdinnen - in Gurs interniert, außerdem die Führer der französischen kommunistischen Partei, später viele Antifaschisten, sogenannte "feindliche Ausländer". Claude Laharie, Autor des Buches "Le Camp de Gurs", stellte die aktuellen Pläne für das ehemalige Lagergelände vor. Ein Museum soll die Geschichte des Lagers Gurs von 1939 bis 1945 darstellen, wobei auch die Zusammenarbeit des Vichy-Regimes mit der Nazi-Barbarei thematisiert wird.

Rivesaltes
Denis Peschanski, Autor des Buches "La France des camps, 1938-1946" stellte das neue Gedenkstättenprojekt 2007/2008 für das Internierungslager Rivesaltes bei Perpignan vor. Wie Gurs war das Lager Rivesaltes zuerst für die spanischen Bürgerkriegsflüchtlinge bestimmt. Später kamen jüdische Häftlinge, die dann über das Durchgangslager Drancy bei Paris zur Ermordung ins KZ Auschwitz deportiert wurden. Geplant ist auf dem 42 ha großen Gelände von Rivesaltes, viele Baracken stehen noch heute, eine zentrale Gedenkstätte für alle Internierungslager in Frankreich, von denen es über 200 gab.

Mémorial de la Shoah in Paris
Das neue Shoah-Museum liegt im Herzen des historischen Marais-Viertels von Paris (17, rue Geoffroyl'Asnier) und wurde am 27. Januar 2005 eröffnet. Beim Eingang in das Gebäude wurde eine Mauer errichtet mit den Namen von 76 000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, die aus Frankreich deportiert wurden. Im Museum findet man auf 5000 m² mehrere Räume mit Ausstellungen, ein Multimedia-Zentrum, ein Archiv, eine 60 000 Bücher umfassende Bibliothek mit Lesesaal und Veranstaltungsräume.

Fraueninternierungslager in Südfrankreich
Das berüchtigte Lager Le Vernet bei Toulouse, in dem unter dem Vichy-Regime viele deutsche Antifaschisten, Schriftsteller, Künstler als "feindliche Ausländer" interniert waren, war ein Lager nur für Männer. Für die Frauen gab es ein entsprechendes Internierungslager, das Camp de Rieucros bei Mende. Mechtild Gilzmer, Autorin des Buches "Fraueninternierungslager in Südfrankreich. Rieucros und Brens 1939-1944" schilderte, wie diese Lager in der französischen Erinnerung weiterleben. Beispielsweise finden Gedenkfeiern statt, bei einem Denkmal, einer Skulptur der Spanienkämpfer, die 1939 von den Internierten angefertigt wurde. Auch in den lokalen Schulen wird dieser Teil der Zeitgeschichte thematisiert.

KZ Natzweiler-Struthof
Die Gedenkstätte wird erweitert und neu gestaltet. Der Name "Europäisches Zentrum für die im System der Konzentrationslager verschleppten Widerstandkämpfer" verweist auf die neue Dimension von Ausstellung und Museum. Die Eröffnung ist für den Herbst 2005 geplant.

Erinnerungsarbeit an der Grenze
Das KZ "Neue Bremm" in Saarbrücken ist im Gesamtzusammenhang der Konzentrationslager zu sehen. Es hatte zwei wesentliche Aspekte. Häftlinge wurden - hauptsächlich aus Frankreich kommend - gesammelt und in große Konzentrationslager verschoben (häufig nach Mauthausen). Gleichzeitig galt die Neue Bremm als Disziplinierungslager für Deutsche, Kriegsgefangene und ausländische Zwangsarbeiter. Elisabeth Thalhofer, Autorin des Buches "Neue Bremm - Terrorstätte der Gestapo", berichtete über die neugestaltete Gedenkstätte, die am 8. Mai 2004 eröffnet wurde.

Weitere Themen
Praktische Beispiele der Bildungsarbeit im Kontext von Gedenk- und Erinnerungsstätten waren ein weiteres Thema der Tagung. Vorgestellt wurden das gemeinsame Spurensucheprojekt zum Schicksal von vier aus Mannheim stammenden "Kindern von Izieu" (über die daraus entstandene deutschfranzösische Ausstellung berichteten wir bereits in den Antifa-Nachrichten), weiter ein Bürger-Projekt: "Gedenkbuch für die ermordeten Juden der Stadt Karlsruhe" und ein Jugendprojekt "Mahnmal zur Erinnerung an die Deportation der badischen Juden nach Gurs". Exkursionen zu aktuellen Gedenkstättenkonzeptionen führten die Seminarteilnehmer zur Gedenkstätte Grafeneck für die Opfer der "Euthanasie", nach Buttenhausen zum jüdischen Museum und zur Matthias-Erzberger-Erinnerungsstätte. Ein geschichtlicher Rundgang durch Buttenhausen führt zu weiteren Orten jüdischer Geschichte. Im Dokumentationszentrum und KZ Gedenkstätte Oberer Kuhberg in Ulm wurde die Neugestaltung von 2001 und das Modellprojekt "Aufbau eines ehrenamtlichen Betreuungs-Netzwerkes" vorgestellt.
Die Fortsetzung des deutsch-französische Gedenkstättenseminars wird in Südfrankreich, in Rivesaltes bei Perpignan stattfinden.

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