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Nummer 3 / Juli 2005



EU-Verfassung und Bundestagswahl:

Die Zeit der Sonnenkönige läuft ab

von Elke Günther

"Die Zeit der Sonnenkönige ist offenbar vorbei" kommentierte Fernseh-Moderator Ulrich Wickert das Ergebnis des Referendums in Frankreich. In der Tat: Dem "L'etat c´est moi" der EU-Strategen hat die französische Bevölkerung einen kräftigen Dämpfer verpasst.

Als die Niederländer kurz danach auf das französische NON ein kräftiges NEE setzten, reagierten Regierungsvertreter und EU-Politiker je nach Temperament mit hilflosen Beschwichtigungsfloskeln und Publikumsbeschimpfungen. Kommissionspräsident Barroso machte "ein Bündnis von Ängsten" aus, das zur Ablehnung der EU-Verfassung geführt habe. Der Vorsitzende des Auswärtigen Aussschusses des EU-Parlaments Elmar Brok konstatierte ein "Versagen der politischen Klasse", weil es den EU-Befürwortern nicht gelungen sei, die Masse von den Vorteilen des Verfassungsvertrags zu überzeugen. EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) bezeichnete das Ganze als "Unfall", den es jetzt zu "korrigieren" gelte. Für Javier Solana ist eigentlich nichts passiert: "Weder der Text des Verfassungsvertrags noch die Ideen, die er enthält, sind tot". Der außenpolitische Sprecher der britischen Konservativen Liam Fox kann hier mehr Sachkenntnis einbringen: "Ich praktiziere zwar nicht mehr als Arzt, aber ich erkenne eine Leiche, wenn ich sie sehe" erklärte nach der Entscheidung von Premierminister Blair, die Volksabstimmung über die EU-Verfassung auszusetzen.

Ein linkes Nein
Die Auswertung der Nein-Stimmen in Frankreich machte deutlich: Es war ein linkes Nein und kein rechts dominiertes, wie Verfassungsbefürworter im Vorfeld der Abstimmung zu suggerieren versuchten, als sie behaupteten, wer die Verfassung ablehne, stimme für Le Pen. Die Front National liegt nach aktuellen Umfragen derzeit bei knapp 9 Prozent. Der Abstand zwischen dem NON und dem QUI beträgt aber zwischen 10 und 11 Prozent. Demnach hätte das NON auch dann gesiegt, wenn die Le Pen-Anhänger zu Hause geblieben wären. Die Menschen in Frankreich und den Niederlanden haben die EU-Verfassung abgelehnt, weil sie ein soziales und kein neoliberales, ausschließlich an Kapitalinteressen orientiertes Europa wollen. Dies bestätigen auch sämtliche Umfragen in Frankreich.
Das Scheitern des imperialen Projekts EU-Verfassung eröffnet die Chance für eine andere Politik. Eine Chance, mit Verfallsdatum, die rasch ergriffen werden muß. Denn die EU-Strategen arbeiten fieberhaft daran, die Umsetzung der mit der Verfassung verbundenen Großmachtziele unter allen Umständen zu ermöglichen. Der vormals linke Sozialdemokrat Jo Leinen will die Franzosen solange zur Urne schicken bis sie brechen. In dieselbe Richtung denkt auch der luxemburgische EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker, wenn er erklärt, daß sich "die Länder, die Nein gesagt haben, erneut mit der Abstimmungsfrage auseinandersetzen müssen. Das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) des Bertelsmann-Instituts - dort läßt auch der derzeitige Kanzler denken - überlegt das nächste den Franzosen auferlegte EU-Verfassungsreferendum mit einem infamen Junktim zu verbinden. "Ein zweites Referendum könnte mit der Frage nach der Zukunft der französischen EU-Mitgliedschaft verbunden werden".

Ein anderes Europa ist möglich
Die linken GegnerInnen der EU-Verfassung müssen jetzt zusammen finden und europaweit tragfähige Kampagnen entwickeln, die die Eckpunkte Neoliberalismus, Militarisierung und die nahezu vollständige Machtlosigkeit des Europäischen Parlaments thematisieren. Gerade in der Bundesrepublik ist hier noch viel zu tun. Protestaktionen gegen die EU-Verfassung sind hierzulande viel zu unkoordiniert durchgeführt worden. Trotz partiell guter Ansätze und großem individuellen Engagement ist das Thema nicht öffentlichkeitswirksam geworden. In den Medien kamen kritische Stimmen so gut wie nicht vor. Die EU-Verfassung ist von Bundestagsabgeordneten abgenickt worden, die das 482-Seiten-Machwerk noch nicht einmal ansatzweise durchdrungen haben.

Bundestagswahl als Chance
Die selbe Ablehnung der neoliberalen und marktradikalen Politik, die Franzosen und Niederländer zu einem klaren Nein zur EU-Verfassung veranlasst hat, spiegelt sich, wenn auch weniger klar und bewusst in den Landtagswahlergebnissen der letzten Monate in Deutschland wieder. Hier wurde nicht die EU-Verfassung abgelehnt, sondern ihre rot-grüne Umsetzungsvariante. Statt aber insgesamt das Projekt der Agenda 2010 zurückzuweisen, läuft es bisher in der Bundesrepublik nur darauf hinaus, das Personal auszuwechseln. Eine CDU geführte Regierung, die mit dem selben Programm der sozialen Grausamkeiten zur Wahl antreten wird, an dem die rot-grüne gerade gescheitert ist, könnte zu recht auf einen entsprechenden Wählerauftrag verweisen.
Gerade deshalb ist es so wichtig und notwendig, dass sich im kommenden Bundestagswahlkampf sowohl eine Wahlalternative als auch eine außerparlamentarische Bewegung entwickelt, die eine klare Alternative zum Neoliberalen Projekt verkörpert.
Der bevorstehende vorgezogene Bundestagswahlkampf kann und sollte genutzt werden, um die Zumutungen dieses EU-Verfassungsentwurfs einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen und die Zumuter und Profiteure beim Namen zu nennen. Die Militariserung der EU und der Bundesrepublik muß gestoppt werden. Die Bolkesteinrichtlinie, gegen die auch mit Unterstützung des DGB in Brüssel machtvoll demonstriert wurde, darf nicht umgesetzt werden. Ein friedliches, soziales und demokratisches Europa ist möglich. Die Chancen dafür sind mit dem Scheitern der Referenden in Frankreich und den Niederlanden gestiegen. Sie sollten genutzt werden!

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