VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.07.2005
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / Juli 2005



Bundestag im Visier des Verfassungsschutzes:

Mehr Toleranz für Nazis?

von Dieter Lachenmaier

Dass der baden-württembergische Verfassungsschutz öffentlich virulent wird, wenn Antifaschisten oder auch Bürgermeister im Lande zu Protesten gegen örtliche Nazi-Aufmärsche aufrufen, ist aus vielen seiner Umtriebe in Presse und Medien bekannt. Nicht umsonst hat Freiburgs OB den Geheimdienstvize Doll als "Verfassungsschutz-Fiffi" zur Ordnung gepfiffen. Leider vergebens: Im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes heben die baden-württembergischen Schlapphüte nun auch das Bein am Deutschen Bundestag: Parlament, Kanzler, ja sogar die Damen und Herren von der konservativ-liberalen Opposition - alles schlicht Verfassungsfeinde.

"Wenn Rechtsextremisten keine Toleranz verdienen, sondern vielmehr bekämpft werden müssen, so spricht daraus der Wille, an die Stelle der Rechtsstaatlichkeit die willkürliche und konsequente Ausschaltung politischer Gegner zu setzen", schreibt der Verfassungsschutz nämlich all jenen ins Stammbuch, die sich für die Bekämpfung von Neofaschismus einsetzen.
Solche und ähnlich tiefsinnige Passagen schreibt der Verfassungschutz im Kapitel über die VVN-Bund der Antifaschisten um damit zu beweisen, dass wir besonders gefährliche Feinde der Verfassung seien. Leider hat er nicht bedacht, dass der Schuss noch ganz andere trifft. So hatte z.B. der Deutsche Bundestag in seinem als "Aufstand der Anständigen" bekannt gewordenen Beschluss sich genau zum selben Ziel bekannt: "Der Deutsche Bundestag wird alles daransetzen, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt wirksam zu bekämpfen." Auch Bundeskanzler Schröder, Angela Merkel, Edmund Stoiber und andere geraten auf diese Weise ins Visier des Verfassungsschutzes. Zum 8. Mai in Berlin hatten sie dazu aufgerufen, den Neonazis "die Entschlossenheit aller demokratischen Kräfte entgegen" zusetzen.
Auch mit dem im Bundestagsbeschluss formulierten Aufruf "die sozialen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt begünstigen zu verändern", kommt dieses Verfassungsorgan bei den baden-württembergischen Verfassungswauwaus ganz schlecht an. Wer gesellschaftliche Bedingungen verändern will, hat hierzulande garantiert einen Stammplatz im Verfassungsschutzbericht unter der Rubrik "Linksextremismus".

Grundgesetz? Was ist das?
Seit vielen Jahren zeichnet sich diese Landesbehörde dadurch aus, dass sie keine Ahnung davon hat, was im Grundgesetz, das sie zu schützen behauptet, eigentlich drin steht. Vom antifaschistischen Auftrag des Grundgesetzes hat man dort offenkundig noch nie etwas gehört.
Da können Thierse, Schröder, und Roth, ja sogar Merkel, Stoiber, Westerwelle und alle, die Rang, Amt und Mandat haben, in ihrem Aufruf zum 8. Mai in Berlin noch so deutlich erklären: "Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben mit dem Artikel 1 eine unmissverständliche Antwort auf die Barbarei der Nazis gegeben." - den Verfassungsschutz lässt dies kalt. Im Gegenteil: nach seiner im VSBericht dokumentierten Meinung ist das besonders Infame an der VVN-Bund der Antifaschisten dass sie fordere, "Organisationen, die die Verharmlosung des Nationalsozialismus auf ihre Fahnen schreiben, entsprechend dem antifaschistischen Auftrag des Grundgesetzes zu verbieten".
Denn anders als die Repräsentanten der Verfassungsorgane weiß es der Geheimdienst besser: Der entsprechende Artikel 139 des Grundgesetzes ist nach seiner 'rechtsverbindlichen Auffassung "längst obsolet geworden".
Vermutlich ist es auf diese etwas eigenwillige Interpretation des Grundgesetzes zurückzuführen, dass es gerade der Verfassungsschutz war, der das von Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat und Landesregierungen beantragte Verbot der NPD systematisch durch die Weigerung, die Rolle seiner V-Leute beleuchten zu lassen, hintertrieben hat.


Kurze Einführung in den "Verfassungsschutz":

"Es gibt wieder eine geheime Staatspolizei"

""Verfassungsschutz", das hört sich eigentlich ganz gut an, nach Schutz der Verfassung, womöglich der Demokratie. Doch genau genommen ist es eine recht schönfärberische Bezeichnung für einen veritablen Regierungsgeheimdienst - ein Euphemismus, vergleichbar der Rakete, die den Namen "Peacemaker" trägt, oder dem Atommüll-Lager, das als "Entsorgungspark" firmiert. Tatsächlich könnte man auf die Idee kommen, die Bezeichnung "Verfassungsschutz" sei bewußt als Deckname gewählt worden, um damit den Geheimdienst-Charakter zu verschleiern und die nachrichtendienstlichen Mittel und Methoden, die von Gesetzes wegen gegen "Extremisten" und "Verfassungsfeinde" angewandt werden dürfen: der Einsatz von verdeckten Agenten, geheimen Informanten, Vertrauensleuten (V-Leuten) und agents provocateurs, Abhöraktionen und Observationen. Als Geheimdienst im Kampf gegen den "inneren Feind" hat der VS die Lizenz zur Infiltration, Täuschung, Manipulation, Gesinnungsschnüffelei und Desinformation. Insbesondere diese geheimen Mittel und Methoden machen es schwer, den VS so wirksam zu kontrollieren, wie das in einer Demokratie eigentlich selbstverständlich sein müsste." ( Aus: Rolf Gössner, Geheime Informationen, V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates, München, 2003)
Der sogenannte Verfassungsschutz ist ein Produkt des Kalten Krieges. Er wurde 1950 gegründet. Maßgeblich beeinflußt wurde die Behörde durch seinen langjährigen Präsidenten Hubert Schrübbers (1955 - 1972), der den Nazis als Staatsanwalt gedient hatte und sich mit grausamen Strafanträgen an der NS-Terrorjustiz beteiligt hatte. So also bestens qualifiziert für die Jagd auf politische Gegner - es blieben weitgehend die gleichen wie vor 1945 - fühlten sich solche Altnazis im VS berufen, die neue bundesdeutsche Verfassung zu schützen. 1958 wurde bekannt, daß zu den ständigen Mitarbeitern des VS auch der ehemalige "Führer" der neonazistischen (und 1956 verbotenen) "Sozialistischen Reichs-Partei", Dr. Fritz Dorls gehört hat. Als 1964 die NPD gegründet wurde, war der Verfassungsschutz mit dabei: Mit bewährten Jungnazis, die für den VS als V-Leute wirkten, und es wie Wolfgang Frenz und Udo Holtmann zu Bundesvorstandsmitgliedern in der NPD brachten. Die Geschichte des sogenannten Verfassungsschutzes ist eine Skandalchronik, die von der Bespitzelung von Demokraten, wie den früheren Innenminister Gustav Heinemann, über die Ausspähung von Gewerkschaftern, Sozialdemokraten, Mitgliedern der Grünen, Umweltschützern, Antifaschisten reicht. Der VS lieferte und liefert die Grundlagen für die politische Justiz, die von der extensiven Kommunistenverfolgung in den 50 und 60er Jahren bis zu den die Berufsverboten reicht. Der FDP-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Reinhold Maier stellte bereits am 26.4.1956 vor Pressevertretern fest: "Es gibt wieder eine Geheime Staatspolizei.... Wir haben uns bereits in dem eigenen Netz verstrickt, das mit den unkontrollierbaren Ämtern für Verfassungsschutz geschaffen worden ist."

Die Sache mit der Meinungsfreiheit
Auch die Parole "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" ist verfassungsschutzmäßig als geradezu kriminell zu bewerten. Wer sie wie die VVN-BdA verbreite, dem "gelten Grundrechte wie die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäußerung nur selektiv."
Und genau das, nicht etwa der Rassismus, das Anzetteln des Krieges und die Massenmorde der Faschisten, sind die Verbrechen, denen unsere wackren Verfassungsschützer auf der Spur sind. Für den Inlandgeheimdienst ist Faschismus halt wohl weiterhin eine durchaus respektable Politik, für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit uneingeschränkt zu gelten hat. Nicht aber für die VVN-BdA: Die Meinung von Antifaschisten wird mit Nennung im VS-Bericht nicht unter vielen Jahren bestraft.
Auch Landes- und Bundessprecher Werner Pfennig, hat sich nicht verfassungsschutzkonform verhalten und kriegt deshalb im Bericht eine ganz schlechte Note: Werner Pfennig, so sieht es der Verfassungsschutz, hatte nämlich "den deutschen Behörden willkürliches, gesetzlich nicht gedecktes Handeln" unterstellt, weil er kritisiert hatte, daß trotz eindeutig volksverhetzender Parolen mehrere Nazi-Aufmärsche in Schwäbisch Hall nicht verboten wurden. Eine solche Kritik sei "geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in Parteien, Staatsorgane, Recht und Gesetz zu untergraben", beschwert sich der Verfassungsschutz.
Zwar hat der Verfassungsschutz selber festgestellt, dass der entsprechende Naziaufmarsch "einen entschieden antiamerikanischen Akzent mit antisemitischen Implikationen" aufwies. (Aber dies stand in einem anderen Kapitel des Berichts.) Jedenfalls sollte damit nicht das Vertrauen in Behörden untergraben werden, denen in Sachen Antisemitismus (wegen der oben dargelegten Meinungsfreiheit) halt die Hände gebunden sind.
Die "deutschen Behörden" sind nämlich zarte Pflänzchen und vertragen weder Kritik noch Vertrauensverlust.

Auflösen! Sofort!
Wenn Text und Geist dieses und früherer Verfassungsschutzberichte nicht so traurig, ernst und gefährlich wären, dann wären die V-Leute, die solchen Unfug schreiben, wirklich nur Vitzfiguren. Da die VVN-BdA aber einst auch deshalb gegründet wurde, damit die Zeiten nie wieder kehren, in denen z.B. die Kritik an "Deutschen Behörden" zur Denunziation als "Volks-" oder moderner auch "Verfassungsfeind" führt, bleibt einem beim Staunen über diesen "Verfassungsschutz" das Lachen im Halse stecken.
Diese Behörde verhöhnt nicht nur jeden Gedanken an Demokratie, sondern unterhöhlt die vom Grundgesetz garantierten demokratischen Rechte konsequent und zielgerichtet. Der Verfassungsschutz ist nicht überflüssig, sondern brandgefährlich. Sein jährlicher Bericht beweist nur eines: Er muß ersatzlos aufgelöst werden.

VVN-Logo www.vvn-bda-bawue.de = www.vvn.telebus.de © 1997-2005 J. Kaiser