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Nummer 4 / Oktober 2005



KZ-Opfer Grab auf dem Echterdinger Flughafen:

Schwere Versäumnisse seit 1950

von Dieter Lachenmayer

Auf dem Gelände des militärischen US amerikanischen Teils des Stuttgarter Flughafens wurde bei Bauarbeiten ein Massengrab aus der Zeit von 1945 endeckt. Es handelt sich um die sterblichen Überreste von jüdischen Zwangsarbeitern, die als KZ Häftlinge in Stuttgart seit Ende 1944 gezwungen wurden, Landebahn und Autobahn für Kriegszwecke auszubauen. Dazu das KZ Echterdingen als Aussenlager des KZ Struthof-Natzweiler im Elsass eingerichtet.
Schon bisher war bekannt, dass dort 111 Häftlinge ihr Leben lassen mussten. Im neu entdeckten Grab wurden nun die Skelette von 34 Menschen entdeckt. Eines von ihnen mit gefesselten Händen, drei weitere lebten noch als sie eingegraben wurden.
Nach nunmehr 60 Jahren hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Mordes eingeleitet. Das hätte sie allerdings auch bereits viel früher tun können.

55 Jahre zu spät
Dieses Grab nämlich ist den Behörden bereits seit 1950 bekannt. Bis heute aber wurde nichts unternommen, um den Opfern eine würdige Ruhestätte zu geben - geschweige denn, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.
Nach den bei der VVN-BdA vorhandenen Unterlagen hatte ein Flugzeugschlosser aus Bayern im April 1950 seinem damaligen Landtagsabgeordneten von seinen Beobachtungen berichtet. Er "habe öfters gesehen, wie Tote vor der Halle eingegraben wurden. "Zur Bezeichnung dieser Stelle hatte der Zeuge seinem Brief eine Skizze beigelegt.
Diese Information wurde an die württembergisch-badischen Behörden weitergeleitet. Am 26. 5. 1950 übersandte die "Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung Stuttgart" den Brief des Flugzeugschlossers an die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes". Damals wie heute hatte verfügte die VVN über keinerlei Befugnisse, Nachforschungen oder gar Grabungen - zumal auf dem von der Besatzungsmacht militärisch genutzten Teil des Flughafens - zu veranlassen. Das Schreiben wurde von der VVN lediglich als hilfreiche Information für ihre Arbeit zur Dokumentation von Nazi-Opfern und den von der VVN bundesweit organisierten Such- und Meldedienst verstanden. Die VVN Stuttgart leitete das Schreiben entsprechend an die bundesweite "Forschungsstelle" der VVN in Hamburg weiter.
Heute stellt sich heraus, dass diese Mitteilung an die VVN von den Behörden offensichtlich als abschließende Behandlung des Hinweises auf ein Massengrab von KZ-Opfern betrachtet worden war. Mit einer Information an den kleinen privatrechtlichen Verein VVN entsorgten die Landesbehörden damals ihre Verantwortung für die Opfer.
Eine entsprechende Erfahrung machte offensichtlich auch die Esslinger Historikerin Gudrun Silberzahn-Jandt, die sich nach einem entsprechenden Bericht der Esslinger Zeitung vom 23.9., die sich in den 90er Jahren vergeblich bemüht hatte, die Behörden auf das damals angezeigte Massengrab aufmerksam zu machen.

Lästiges Gedenken
Ein ähnlich oberflächlicher Umgang mit den Opfern des Naziregimes offenbarte sich Ende der 70er Jahre, als 1979 eine Gruppe Jugendlicher aus Leinfelden-Echterdingen in Zusammenarbeit mit der VVN-Bund der Antifaschisten die Errichtung eines Gedenksteines zur Erinnerung an die Opfer des KZs am Flughafen forderte.
Diese Forderung löste ein jahrelanges Gerangel zwischen der landesnahen Flughafenverwaltung und den betroffenen Gemeinden Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt und auch Stuttgart aus. Während sich der Stuttgarter OB Rommel gleichzeitig auch in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen AG für eine Gedenkstätte im Eingangsbereich des Flughafens aussprach, erklärte die Flughafenverwaltung, sie könne keinen historischen Bezug des KZs, das dem Ausbau der (heute vorwiegend zivil genutzten) Landebahn diente, zum zivilen Bereich des Flughafens erkennen. Auch die Gemeinde Leinfelden-Echterdingen fürchtete, in den Augen der Fluggäste als "ehemalige KZ-Gemeinde" abgestempelt zu werden, falls der Gedenkstein im Publikumsbereich des Flughafens errichtet würde. Schließlich wurde zum Ende des unwürdigen Gezerres 1982 ein Gedenkstein im Bereich des "Kriegsehrenfeldes" auf dem Echterdinger Friedhof aufgestellt. Die jüdischen Opfer der rassistischen Massenvernichtung im KZ-System der Nazis wurden zu Kriegsopfern. Der Ort der Gedenkstätte wird der Dimension des Verbrechens des Holocaust und der "Vernichtung durch Arbeit" nicht gerecht.

Zeit für eine würdige Gedenkstätte
Der Gräberfund auf dem Stuttgarter Flughafen ist ein aktueller Anlass, erneut an die uns von der Vergangenheit auferlegte Verantwortung für Gegenwart und Zukunft hinzuweisen: Es wird Zeit, die Versäumnisse der Landesbehörden von damals wieder gut zu machen:
  • Durch eine verstärkte Förderung der Gedenkstättenarbeit zur Aufklärung über den verbrecherischen Charakter des Faschismus im Allgemeinen
  • und der Errichtung einer Gedenk-stätte für die Opfer des Flughafen-KZs an einer der Öffentlichkeit zugänglichen prominenten Stelle im Flughafenbereich im Besonderen.

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