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Nummer 4 / Oktober 2005



Mannheim:

Gedenken an die Lechtleiter-Gruppe

von LV

Zum Entsetzen der etwa 60 MannheimerInnen, die sich am 63. Jahrestag der Hinrichtung der Widerstandsgruppe Lechleiter um das Lechleiterdenkmal versammelt hatten, war das Denkmal mit einem großen Hakenkreuz verschmiert. Eine Strafanzeige wurde erstattet, das Denkmal ist inzwischen wieder gereinigt. Der Vorfall zeigt jedoch drastisch, dass die Nazis keineswegs locker lassen. Die Niederlagen, die sie in den letzten Jahren bei ihren Aufmarschversuchen in Mannheim hinnehmen mussten, versuchen sie nun offensichtlich mit solchen feigen Aktionen zu kontern.
Elke Kammigan-Bentzinger erinnerte für die VVN-BdA Mannheim an die 14 ermordeten Mitglieder der Lechleiter-Gruppe. Wir dokumentieren im folgenden (gekürzt) ihre Rede:
Die Gruppe war die größte Widerstandsgruppe während des Krieges in Süddeutschland. Wie viele ihr wirklich angehört hatten, bekamen die Nazis nicht heraus. Was waren das für Menschen? Es waren Frauen und Männer wie wir: Arbeiter und Angestellte, Schriftsetzer, Schlosser, Fräser, Gärtner, Hausfrauen, Dreher, Rentner, Werkmeister, Zimmerleute, Krankenpfleger, Packer. Sie hatten Familien und Kinder, so u.a. Anton Kurz zwei Söhne von 10 und 12 Jahren, Max Winterhalter zwei 15- und 20-jährige Kinder und Rudolf Maus drei Kinder zwischen zweieinhalb und 16 Jahren, Jacob Faulhaber und Daniel Seizinger hatte je zwei Töchter. Ruth, Tochter von Emma und Jacob Faulhaber verlor bei MWM nach der Ermordung ihres Vaters ihre Lehrstelle. Sie wurde rausgeschmissen. Sie alle waren Menschen mit Träumen und Wünschen. Es waren mutige Menschen mit viel Zivilcourage.
Außer diesen 14 Ermordeten wurden zuvor Hans Heck und Fritz Grund während der Verhöre von der Gestapo erschlagen. Albert Fritz, Ludwig Neischwander, Richard Jatzek, Bruno Rüffer und Henriette Wagner gehörten ebenfalls zur Lechleiter-Gruppe. Sie wurden im Prozess im Oktober 1942 verurteilt Mitangeklagt war auch Willi Probst. Er wurde in der Nacht vor dem Prozess umgebracht. Ihm wurde der Magen eingetreten. Die anderen wurden am 24. Februar 1943 in Stuttgart hingerichtet. Henriette Wagner lebte in der Heinrich-Lanz-Str. und war von einem Nachbarn denunziert worden, der sie zusammen mit Georg Lechleiter auf dem Balkon gesehen hatte. Ihr letzter Wunsch, noch einmal ihren Sohn zu sehen, der im Krieg war, wurde ihr von der Gestapo verweigert. Außer den 19 zum Tode Verurteilten bekamen acht der Angeklagten lange Zuchthausstafen, andere landeten im KZ oder kamen in das berüchtigte Strafbataillon 999.

Was hatten sie getan?
Die meisten arbeiteten in Großbetrieben wie MWM, Bopp und Reuther, Lanz, Kabel und Draht, Brown und Boverie, im Strebel-Werk, bei Neidig und auf der Schiffswerft. Viele kannten sich noch von vor 1933. Sie waren Kommunisten, Sozialdemokraten, Parteilose. Viele hatten schon KZ hinter sich. Trotzdem wehrten sie sich weiter. Mit Beginn des Krieges gegen die UdSSR beschlossen sie die Herausgabe der Zeitung "Der Vorbote". Dies war schon länger vorbereitet worden. Käthe Seitz, Philipp Brunemer, Jacob Faulhaber, Rudolf Langendorf und Georg Lechleiter u.a. trafen sich auf der Neckarwiese in Heidelberg oder bei den Langendorfs im Garen. Andere fungierten als Kuriere, Zeitungsverteiler, hörten Radio Moskau und London.
Diese Informationen wurden über den "Vorboten" unter dem Motto "Hitler hat den Krieg begonnen - Hitlers Sturz wird ihn beenden" verbreitet. Der reale Verlauf des Krieges wurde kommentiert, wie das Kapital am Krieg verdiente, während die Bevölkerung Opfer bringen mußte. Die Tageszeitungen waren gefüllt mit Todesanzeigen von im Krieg Gefallener. In der vierten und letzten Ausgabe des "Vorboten" vor der Verhaftung der Gruppe, im Dezember 1941, hieß es beispielsweise: "Die wahren Herrscher vom Dritten Reich, die Herren von Kohle und Eisen mitsamt ihrem willfährigen Schwarm mittlerer und kleinerer Ausbeuter haben unter der Naziherrschaft geradezu unglaubliche Profite aus den Knochen der Arbeiter herausgeschunden...". Diese Inhalte des "Vorboten", die Verbreitung der Wahrheit, war den Nazis viel zu gefährlich. Sie schlugen zu. Befohlen von höchster Stelle, dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin.

Und die Täter?
Was wurde aus den furchtbaren Richtern, aus den Mördern der SS und der Gestapo? Einige wurden für kurze Zeit interniert und waren dann frei. Kurt Burchardt, Hauptdenunziant, Unterscharführer der Waffen-SS wurde zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, zwei Jahre davon wurden ihm für die Intrnierung angerechnet. Wie lange und ob er in einem Arbeitslager war, ist nicht bekannt. Sondergerichtsvorsitzender und Senatspräsident Hermann Cuhorst, der in Stuttgart in 16 Verhandlungen Todesurteile fällte, wurde wegen fehlender Beweise freigesprochen, die Unterlagen waren verbrannt. Fast alle blieben im Amt, allenfalls mit einer kurzen Unterbrechung. Sie bekamen entweder dicke Pensionen oder fanden Verwendung in der bundesdeutschen Justiz. Und wen wundert es da, dass unsere Justiz fast durchgängig - bis auf wenige Ausnahmen - auf dem rechten Auge blind ist, die jüngeren Beamten beeinflusst durch die Älteren?

Zivilcourage gegen neonazistische Gefahr
Unter furchtbaren Bedingungen haben die ermordeten Antifaschisten und die Überlebenden Zivilcourage und Mut bewiesen. Sie haben sich gegen furchtbare Zustände gewehrt, sind ihrem eigenen Gewissen gefolgt. Auch wenn heute zum Glück ganz andere Verhältnisse herrschen, brauchen wir noch immer Zivilcourage, um uns gegen unsoziale Entwicklungen, gegen Kriegseinsätze, Ausländerhass und Antisemitismus zu wehren.

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