VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.11.2005
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2005



Zum 130. Geburtstag von Thomas Mann:

Thomas Mann - Interview mit einem Antifaschisten

von Friedrichs Pospiech

Kurzes fiktives Gespräch mit Thomas Mann, dem deutschen kritisch-realistischen bürgerlichen Schriftsteller und Träger des Literaturnobelpreises 1929, in seinem 50. Todesjahr und anläßlich seines 130. Geburtstags am 6. Juni 2005, zusammengestellt von Friedrich Pospiech. Thomas Manns politisches Weltbild wurde geformt durch die Erfahrungen und Erkenntnisse dieses aus Deutschland 1933 emigrierten Zeitzeugen vor allem der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere der Nazidiktatur und der beiden Weltkriege. Seine politischen Überzeugungen werden von den bei uns Herrschenden und ihren Medien, weil nicht passend, weitgehend übergangen, unterschlagen oder verzerrt, wie zum Beispiel in dem hochgelobten Film über "Die Manns". Umso wichtiger, wenigstens Teile dieses Weltbildes zu vermitteln.

FP: 60. Jahrestag des Kriegsendes in Europa und der Befreiung vom Faschismus. Sie, Herr Mann, hatten damals sieben Jahrzehnte Lebenserfahrung hinter sich. Zwei Jahre zuvor hielten sie in der Kongress-Bibliothek in Washington jene in die Geschichte eingegangene Rede, die als Aufsatz den Titel "Schicksal und Aufgabe" trägt. Wie sahen Sie die Zukunft angesichts des Widerstands vieler Menschen gegen die Nazibarbarei?
Th. Mann: "Ehre den Völkern Europas! ... Sie verdienen, daß man sie ihr Haus reinigen läßt von den Mächten, die sie verraten und ins Elend geführt haben; verdienen, daß die Befreier als Befreier kommen und nicht, um sie unter die Mächte der alten, abgelebten und verachteten Ordnung zu beugen."
FP: Auch das deutsche Volk?
Th. Mann: "Nicht Deutschland oder das deutsche Volk sollen vernichtet oder sterilisiert werden. Was zerstört werden muß, ist die unglückliche Machtkombination, das weltbedrohende Bündnis von Junkertum, Generalität und Schwerindustrie. Man soll das deutsche Volk nicht etwa daran hindern, sondern ihm behilflich sein, die Herrschaft dieser Schicht ein für allemal zu brechen, die längst überfällige Agrarreform durchzuführen, kurz, die echte, aufrichtige und reinigende Revolution ins Werk zu setzen, die allein Deutschland, in den Augen der Welt, der Geschichte und in den eigenen Augen rehabilitieren und ihm den Weg in die Zukunft öffnen kann, in die neue Welt der Einheit und Zusammenarbeit, der zu dienen der deutsche Geist durch seine höhere Tradition durchaus vorbereitet ist."
FP: Die Rolle des westlichen Auslands an Machtentfaltung und Krieg des Naziregimes wird bei der offiziellen "Bewältigung" der Vergangenheit ebenso weitestgehend ausgeklammert wie die große Schuld des deutschen Großkapitals.
Th. Mann: "Der Faschismus, von dem der Nationalsozialismus eine eigentümliche Abwandlung ist, ist keine deutsche Spezialität, sondern eine Zeitkrankheit, die überall zu Hause und von der kein Land frei ist. Und nie hätten die Gewalt und Schwindelregierungen in Italien und Deutschland sich auch nur vier Wochen halten können, wenn nicht eine schmähliche Sympathie ihnen von überall her aus den wirtschaftlich herrschenden und darum die Regierungen bestimmenden Schichten der demokratischen Länder entgegengekommen wären.
FP: An wen vor allem denken Sie da, wer fühlte sich angezogen?
Th. Mann: "Das Phänomen einer ´Revolution´ bot sich dar, die überall in der Welt das Reaktionäre, jenes Comité des Forges (damals stärkster und reaktionärster Unternehmerverband in Frankreich, Spitzenverband der Schwerindustrie, FP), alle Feinde der Freiheit und des sozialen Fortschritts für sich hatte, auch den Adel, das Faubourg (die Vorstadt, FP) St. Germain, die vornehme Gesellschaft, die Prinzen, das hohe Militär und jenem Teil der katholischen Kirche, der im Christentum vor allem Hierarchie, Bescheidung, devote Gebundenheit an das Bestehende erblickt.
FP: Rassismus, Nationalismus, Völkerunterdrückung - Faschismus eine "Revolution"?
Th. Mann: "...ich kann nicht umhin, ihn zugleich als eine politisch-wirtschaftlich-reaktionäre Bewegung zu sehen, eine Gegenrevolution pur sang (ohne Einschränkung, FP), als den Versuch alles Alten, sozial und ökonomisch Rückwärtsgewandten, die Völker und ihre Glücksansprüche niederzuhalten und jeden sozialen Fortschritt zu verhindern, indem man ihm den Schreckensnamen des ´Bolschewismus´ anheftet.
FP: Also gegen die eigenen Völker und zugleich gegen die Sowjetunion gerichtet...
Th. Mann: "Ich wiederhole: in den Augen des konservativen Kapitalismus des Westens war der Faschismus schlechthin das Bollwerk gegen den Bolschewismus und gegen alles, was man darunter verstand."
FP: Und das ist eine Grundlage für verbreitete Kollaboration, für Zusammenarbeit im Kriege...
Th. Mann: "Was es an ´Mitarbeit´ gibt, ist die Mitarbeit der Reichen, der Geschäftemacher überall in den Ländern. Diesen geht es gut dabei, sie verdienen, kaufen auf schwarzen Märkten, schlemmen in Monte Carlo, während die Völker verhungern und das Opfer einer von Deutschland geplanten, auf moralische und psychische Entmannung gerichteten Bevölkerungspolitik sind.
FP: An Nazi-Deutschland haben die Westmächte ja ganze Länder verschenkt...
Th. Mann: "Meine unglücklichsten Jahre waren die, in denen im Namen eines falschen Friedens, des appeasements (des Nachgebens, FP), die Völker an den Faschismus verkauft wurden. Die Opferung des Tschechenvolkes durch die Münchner Konferenz war die schrecklichste und demütigendste politische Erfahrung meines Lebens, und sie war das nicht nur für mich allein, sondern für alle besser empfindenden Menschen auf der Welt.
FP: In Deutschland sind heute, seit der Gründung der BRD, Antikommunismus und Totalitarismus-Theorie Staatsdoktrin. Faschismus und Kommunismus, Nazi-Deutschland und die Sowjetunion, Hitler und Stalin werden immer wieder auf eine Stufe gestellt. Sie müßten gleichermaßen als totalitär-diktatorisch bekämpft werden. Das relativiert, ja verharmlost die Naziverbrechen.
Th. Mann: "...die frechste aller Nazilügen ist die von dem mit Hitler zur Verteidigung seiner heiligsten Güter gegen die Invasion der Fremden zusammenstehenden Europa. Die Fremden, gegen die es die heiligsten Güter zu verteidigen gilt, das sind sie, die Nazis, und sonst niemand."
FP: Wir erleben wie auf der Jagd nach höchsten Profiten eine menschheitsfeindliche neoliberale Dampfwalze oder Riesenwelle, einen Tsunami noch weit übertreffend, die Welt überrollt. Zugleich werden Sozialismus und Kommunismus weiter verteufelt. Wären sie da aber nicht erst recht eine Alternative?
Th. Mann: "Gemeinschaft, Kommunität, da haben Sie das Stammwort der Schreckensvokabel "Kommunismus", mit der Hitler seine Eroberungen gemacht hat. Ich habe gar keinen Zweifel, daß Welt und Menschenleben sich nolens volens (wohl oder übel, F.P.) und unaufhaltsam in eine Lebensform hineinbewegen, für die das Epitheton (Beiwort, F.P.) "kommunistisch" noch das zutreffendste ist, das heißt in eine Lebensform der Gemeinsamkeit, der gegenseitigen Abhängigkeit und Verantwortlichkeit, des gemeinsamen Anrechtes auf den Genuß der Güter dieser Erde, einfach infolge des Zusammenwachsens des Erdraums, der technischen Verkleinerung und Intimisierung der Welt, in der alle Heimatrecht haben und deren Verwaltung alle angeht."
FP: Aber Sie sind doch nicht Mitglied oder Anhänger einer Kommunistischen Partei?
Th. Mann: "Verstehen Sie mich recht: Der Kommunismus ist ein scharf umschriebenes, politischökonomisches Programm, gegründet auf der Diktatur einer Klasse, des Proletariats, geboren aus dem historischen Materialismus des neunzehnte Jahrhunderts, und in dieser Form stark zeitgebunden. Er ist aber als Vision zugleich viel älter und enthält auch wieder Elemente, die erst einer Zukunftswelt angehören."
FP: Was verstehen Sie unter "viel älter"?
Th. Mann: "Älter ist er, weil schon die religiösen Volksbewegungen des ausgehenden Mittelalters einen eschatologisch(endschicksalhaft, F.P.)kommunistischen Charakter hatten: schon damals sollten Erde, Wasser, Luft, das Wild, die Fische und Vögel allen gemeinsam gehören, auch die Herren sollten um das tägliche Brot arbeiten, und alle Lasten und Steuern sollten aufgehoben sein. So ist der Kommunismus älter als Marx und das neunzehnte Jahrhundert."
FP: Sie haben die Herrscher in der kapitalistischen Welt nach dem zweiten Weltkrieg beschworen, "wirklich eine neuere, freiere, gerechtere Welt, die soziale Demokratie, zu wollen". Sie warnten, sonst würden sich die Menschen "der Macht des Ostens zuwenden, in deren Sozialismus die Idee bürgerlicher Freiheit keine Stätte mehr" finde. Trotzdem schwärmen Sie vom Sozialismus oder Kommunismus.
Th. Mann: "Sie sehen, daß ich in einem Sozialismus, in dem die Idee der Gleichheit die der Freiheit vollkommen überwiegt, nicht das menschliche Ideal erblicke, und ich bin vor dem Verdacht geschützt, ein Vorkämpfer des Kommunismus zu sein. Trotzdem kann ich nicht umhin, in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Wort Kommunismus, diesem Schrecken, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, etwas Abergläubisches und Kindisches zu sehen, die Grundtorheit unserer Epoche."
FP: Inwiefern, meinen Sie, hat der Kommunismus eine Zukunft?
Th. Mann: "Der Zukunft aber gehört er an insofern, als die Welt, die nach uns kommt, in der unsere Kinder und Enkel leben werden und die langsam ihr Umrisse zu enthüllen beginnt, schwerlich ohne kommunistische Züge vorzustellen ist: das heißt, ohne die Grundidee des gemeinsamen Besitz- und Genußrechtes an den Gütern der Erde, ohne fortschreitende Einebnung der Klassenunterschiede, ohne das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit für alle."
FP: Um dieser Vision näher zu kommen ist noch eine Menge zu tun...

Dieses fiktive Gespräch wurde geführt und zusammengestellt von Friedrich Pospiech am 6. Juni 2005, dem 130.Geburtstag von Thomas Mann. Allen Ausführungen Thomas Manns liegt der Vortrag zu Grunde, den er am 13.Oktober 1943 in der Library of Congress, Washington, unter dem Titel "The War and the Future" (Der Krieg und die Zukunft) gehalten hat. Thomas Manns hier wiedergegebenen Texte sind im Wortlaut nachprüfbar in Thomas Mann, Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Bd. XII, S. 918-939, S. FISCHER VERLAG / SFV

VVN-Logo www.vvn-bda-bawue.de = www.vvn.telebus.de © 1997-2005 J. Kaiser