VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.11.2005
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Oktober 2005



Nach der Bundestagswahl:

Ein klarer Wählerauftrag

von Dieter Lachenmayer

Verworrene Verhältnisse", macht die Stuttgarter Zeitung aus .Von der "schwersten politischen Krise seit 1949" spricht Hans Olaf Henkel und fordert die Abschaffung des Verhältniswahlrechtes. Das größt mögliche Chaos habe das Wahlergebnis angerichtet, schallte es an den Tagen nach der Wahl ganz allgemein aus dem Blätterwald. Es fehle an einem klaren Wählerauftrag.

Das alles ist nicht wahr. Das Wahlergebnis und der damit verbunde Wählerauftrag sind klar wie Kloßbrühe.

1. Die Agenda 2010 wurde abgewählt
Die Politik der Agenda 2010 wurde eindeutig abgelehnt. Hartz IV und Sozialabbau, Demokratieabbau, Aufrüstung und Militäreinsätze, die Umwandlung der EU in ein neoliberales Abzockerparadies, all dies möchte der Wähler nicht. Deshalb wurde die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder abgewählt, die SPD mit dem Verlust von 4,2 % Stimmen etwas stärker und die Grünen mit 0,5 % etwas weniger stark abgestraft.

2. Schwarz-gelb auch!
Eine Politik der die Agenda 2010 nicht ausreicht, die zusätzlich noch die Privatisierung der Sozialkassen und Kopfpauschalen einführen will, die Mehrwertsteuer erhöhen und das Land ansonsten zum Steuerparadies für Reiche umgestalten will; eine Politik die Kriegsabenteuer an der Seite der USA auf den Erdölfeldern sucht und mit rassistischen Ressentiments zum EU-Beitritt der Türkei hantiert wollen die Wählerinnen und Wähler erst recht nicht.
Sie wollen auch nicht, dass ihnen das alles im Wahlkampf verschwiegen wird und inhaltliche Aussagen durch neu gestylte Frisuren ersetzt werden. Sie wollen auch keine Kanzlerin, die ihr Leben lang niemals für eine Überzeugung, sondern immer nur für ihre eigene Karriere eingestanden ist.


Wahl zum Bundestag



Partei 2005 2002
CDU/CSU 35,2 38,5
SPD 34,2 38,5
FDP 9,8 7,4
Grüne 8,1 8,6
Linke 8,7 4,0
NPD 1,6 0,4
REP 0,6 0,6




Deshalb wurde die Union und ihre Kandidatin Merkel mit dem Verlust von 3,3 % der früheren Stimmen abgestraft.
Trotz der Gewinne der FDP haben Option und Programm von Schwarz-Gelb 0,9% der Stimmen verloren.

3. Der Wählerauftrag heißt: andere Politik
Wirklich Stimmen gewonnen, nämlich 4,7 % hat nur die Partei, die nun wirklich eine etwas andere Politik in ihr Wahlprogramm geschrieben hat: Schluß mit Hartz IV, eine gerechte Beteiligung der Reichen an den Kosten der vielen sozialen Aufgaben, Rückzug der Bundeswehr von den Auslandseinsätzen das waren die Kernaussagen der Linkspartei.
Klarer kann ein Wählerauftrag nun kaum noch ausfallen. Die Wählerinnen und Wähler haben nicht über das Gesicht eines Kanzlers entschieden, sondern über den Inhalt der Politik, die sie von ihm oder ihr erwarten.

Das Wahlergebnis macht Mut
Trotz aller Anstrengungen der Unternehmerverbände und ihrer Initiative "Neue soziale Marktwirtschaft", die Unsummen für die Werbung für ihre neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft und den Regierungswechsel ausgegeben hat, und trotz des Trommelfeuers fast aller Publikumsmedien für den Wechsel zu Schwarz-Gelb ist es nicht gelungen, eine genügende Zahl von Wählerinnen und Wählern davon zu überzeugen, gegen ihre eigenen Interessen abzustimmen.
Insofern macht dieses Wahlergebnis Mut. Es beweist, dass all die vielen Aktionen und Initiativen gegen Sozialabbau, für soziale Gerechtigkeit und Kriegsbeteiligung, all die vielen Flugblätter, Veranstaltungen und Infostände mit denen die außerparlamentarisch sozialen Bewegungen über alternativen zur herrschenden Politik aufgeklärt und informiert haben nicht umsonst waren.
Dieser klare Wählerauftrag hat nur einen Fehler: er wird von denen, die sich nun um Regierungsbildung und Koalitionen streiten, ignoriert. Was nun immer beim Gerangel um Ampel und Schwampel, Jamaika und Job sharing im Kanzleramt herauskommen wird, - es wird wohl auf eine große Koalition hinauslaufen - auch in den nächsten vier Jahren wird es eine Regierung der sozialen Kälte, des Demokratieabbaus und der militärischen Aufrüstung geben. Es bleibt also alles beim alten.

Veränderte Bedingungen
Nicht ganz. Im künftigen Bundestag wird eine starke Fraktion der Linkspartei vertreten sein. Damit haben zum ersten mal seit Jahren Alternativen zur Politik der Parlamentsmehrheit wieder eine wahrnehmbare Stimme.* Und - wenn die Linkspartei hält, was sie verspricht - dann haben auch die wichtigsten außerparlamentarischen Bewegungen wieder eine Vertretung im Bundestag. Nicht nur dort: Auch die Medien können die politischen Positionen einer starken Bundestagsfraktion nicht verschweigen. Fernsehdiskussionen, bei denen alle Diskutanten der gleichen neoliberalen Meinung sind, werden uns vorerst weitgehend erspart bleiben. 54 Abgeordnete und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die alle hauptamtlich linke Politik betreiben können, sind eine wesentliche Verstärkung auch für die außerparlamentarischen Kräfte.

… aber keine anderen Verhältnisse
Das gilt aber nur, solange von außerparlamentarischen Kräften die Rede sein kann. Keine Bundestagsfraktion kann die außerparlamentarische Arbeit ersetzen. Ohne breite Aktionen und Aktivitäten auf der Strasse, in den Betrieben, Unis, Schulen und anderswo wird es auch mit der schönsten Bundestagsfraktion nicht gelingen, die sozialen und demokratischen rechte zu verteidigen, geschweige denn Fortschritte durchzusetzen.
Die Geschichte nicht nur in der Bundesrepublik beweist, dass Abgeordnete, Fraktionen und Parteien, dazu neigen sich zu verselbstständigen und sich von ihren ursprünglichen Zielen und ihrer Basis zu lösen. Dazu hätte es nicht des letzten Beispiels, der Grünen bedurft, die schon nach wenigen Jahren vergessen hatten, dass sie einst aus der Friedens- und Anti-Akw-Bewegung heraus gegründet und ins Parlament gewählt wurden. Wenn "die Linke" das Sprachrrohr der außerparlamentarischen Bewegungen im Parlament werden und bleiben soll, dann muss sie von starken Bewegungen bekleidet, gefordert und befördert werden.
Dazu kommt, dass "die Linke" als neues politisches Projekt noch keine stabile politische Formation geworden ist. Der Zeitdruck unter dem die jetztige gemeinsame Kandidatur vereinbart werden musste war eher hilfreich als hinderlich. Die Schwierigkeiten, Differenzen und Probleme der neuen Zusammenarbeit werden jetzt erst ausgetragen. Die bevorstehende Landtagswahl im März in Baden-Württemberg wird eine Probe darauf sein, ob dies konstruktiv und produktiv erfolgen kann.
Die Voraussetzungen auch für unsere antifaschistische Arbeit mit diesem Wahlergebnis besser geworden - aber deswegen darf diese Arbeit nicht weniger werden.


NPD und Reps: Neonazi-Hochburgen

Ihre höchsten Landesresultate erreichte die NPD erwartungsgemäß in den Neuen Ländern.
Sachsen: 4,9 % (Erstimmen 5,1 %)
Thüringen: 3,7 % (3,3%).
Mecklenb-Vorpom.: 3,5 % (3,3%).
Sachsen-Anhalt: 2,5% (2,8%).
Das beste Ergebnis in den westlichen Bundesländern erzielte sie im Saarland: 1,8% (Erstimmen 1,7%)

In knapp der Hälfte der Wahlkreise in Sachsen kam die NPD deutlich über die 5-Prozent-Hürde: Sächsische Schweiz 7,1%, Kamenz-Hoyerswerde 6,5 %, Bautzen-Weißwasser 6,3 %, Annaberg-Aue-Schwarzenberg 6,3 %, Freiberg Mittlerer Erzgebirgskreis 6,1 % und Löbau-Zittau 6 %.
Auch in den Thüringer Wahlkreisen schnitt die NPD weit überdurchschnittlich ab: Sonneberg-Saalfeld-Rudolfstadt 4,6 %, Greiz-Altenburger Land 4,3 %, Kyffhäuser Kreis 4,1%.
In Mecklenburg-Vorpommern gab es die höchsten Stimmergebnisse für die NPD in Neubrandenburg-Mecklenburg-Strelitz, wo sie 4,6 % erzielte. In Greifswald-Demmin-Ostvorpommern erreichte sie 4,5 %.
Im Bundesland Brandenburg erzielte die NPD im Oberspreewald-Lausitz II mit 5,0 Prozent ihr bestes Ergebnis. Auch in fünf Berliner Wahlbezirken fiel das NPD-Ergebnis höher als im Bundesdurchschnitt aus: Marzahn-Hellersdorf 3,2 %, Lichtenberg 2,7 %, Treptow-Köpenick 2,4 %, Pankow 1,9 % sowie Neu-Kölln 1,7%.

Baden-Württemberg:
NPD 1,1%; Reps 1,1%
Überdurchschnittlich schnitt die NPD in drei Wahlkreisen in Baden-Württemberg ab:
In Schwarzwald-Baar erreichte sie 1,7% (2,9% Erststimmen),
Heilbronn 1,7% (2,9% Erststimmen),
Schwäbisch-Hall-Hohenlohe 1,6% (2,2% Erststimmen).
Die REP, die von 1992 bis 2001 im Landesparlament vertreten waren, kamen im Landesdurchschnitt auf 1,1 %. Ihren höchsten Stimmenanteil holten sie im Wahlkreis Nürtingen mit 2,0 %.


Keine Vorlagen ...
Das gilt besonders im Blick auf die ganz rechten Parteien, die bei fast allen Wahlberichten vergessen wurden. Scheinbar spielten sie bei dieser Bundestagswahl kaum eine Rolle.
Tatsächlich - eine der erfreulichsten Erscheinungen des Wahlkampfes war, das im Unterschied zu früheren Wahlkämpfen die Themen der faschistischen Parteien keine Rolle spielten. Weder die Union noch andere spielten nennenswert auf dem rassistischen Klavier der Themen Einwanderung, Staatsbürgerschaft, EU-Beitritt der Türkei oder mit dem Lieblingsthema aller Rechten - Recht und Ordnung, wie wir dies aus früheren Wahlkämpfen gewohnt sind. Immer waren solche Wahlkampfthemen Wasser auf den Mühlen der neofaschistischen Parteien.
Dazu beigetragen, dass diese Themen nicht ins Spiel kamen, hat sicherlich die durch die Kandidatur der Linkspartei beförderte Zuspitzung auf die sozialen Themen und das Konzept des CDU-Wahlkampfes, alle inhaltlichen Aussagen zu vermeiden.

… trotzdem Gewinne für die Nazis
Trotzdem gehören die neofaschistischen Parteien zu den wenigen Gewinnern dieser Wahl. Das gilt besonders für die NPD. Mit 1,6 % der Stimmen konnte sie ihr letztes Ergebnis vervierfachen. In ihrer Hochburg Sachsen verfehlte sie mit 4,9 % nur ganz knapp die 5 % Marke. Auch in Baden-Württemberg konnte sie zulegen.
Das unterscheidet sie von den Reps, die gleich bleibend einen Stimmenanteil von 0.5 % erhielten.
Gemessen an den Erwartungen und Befürchtungen, die noch vor wenigen Monaten mit der gemeinsamen Kandidatur von NPD und DVU verbunden waren, mag dieses Ergebnis als harmlos erscheinen. Beruhigen kann es aber nicht.
Insgesamt hat sich das faschistische Wahlergebnis mit zusammen 2,1 % nicht nur verbessert sondern auch in Richtung der aggressiveren und offeneren faschistischen Partei NPD verschoben. Wie schnell das politische Klima sich zugunsten faschistischer Chancen verschieben kann, mussten wir in der Vergangenheit allzu oft erleben.
Deshalb gibt es , besonders im Hinblick auf die Landtagswahl im März keine Entwarnung.

Es bleibt viel zu tun
Im Gegenteil: Die Aufmärsche und Aktionen der Nazis haben gerade in Baden-Württemberg in den letzten Monaten dramatisch zugenommen: Schwäbisch-Hall, Heidenheim, Heilbronn, Friedrichshafen, Karlsruhe, Rastatt …
Das darf nicht zur Gewohnheit werden.
Auch nach dieser Wahl, gibt es für Antifaschistinnen und Antifaschisten viel zu tun.


An die Linke.PDS und die Wahlalternative WASG Landesverbände Baden-Württemberg

Liebe Heike, liebe Karin, lieber Uli,
liebe Freundinnen, liebe Freunde,
im Namen der VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg sende ich Euch herzliche Glückwünsche zu Eurem guten Wahlergebnis in Baden-Württemberg - und natürlich auch zu den hervorragenden im Bund.
Gemeinsam - mit vielen HelferInnen - habt ihr das Vierfache des Wahlergebnisses von 2002 erreicht. Ein Erfolg für die fortschrittlichen und antifaschistischen Kräfte. Zum ersten Mal seit Jahren haben in diesem schwarzbraunen Ländle bei einem Wahlkampf die inhumanen Parolen der neofaschistischen Parteien keine Rolle gespielt - weder in der veröffentlichten Meinung, noch in den persönlichen Diskussionen.
Die Polarisierung und Unzufriedenheit mit der herrschenden Politik ging nicht nach rechtsaußen. Das ist Euer Verdienst. Ihr habt mit den Inhalten eures Wahlkampfes eine Alternative in fortschrittlicher Politik in die veröffentlichte Meinung getragen.
Trotzdem können wir nicht die Augen davor verschließen, daß in einer ganzen Reihe von Wahlkreisen in Baden-Württemberg zwischen ein und zwei Prozent der Wähler ihre Stimme der NPD und/oder den Reps gegeben haben.
Viel gemeinsame Aufklärungsarbeit liegt noch vor uns.
Wir wünschen uns, daß wir gemeinsam viele antifaschistische, soziale und Friedensaktionen organisieren und durchführen, um Schritte in eine soziale und humane Politik durchzusetzen.
Ich sende euch herzliche antifaschistische Grüße
Anne Rieger
Landessprecherin der VVN-BdA Baden-Württemberg


VVN-Logo www.vvn-bda-bawue.de = www.vvn.telebus.de © 1997-2005 J. Kaiser