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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2006



Antifaschismus unerwünscht:

Ball paradox oder aus der Welt des Rechts

Elke Günter

Am 23. August dringen mit einem Durchsuchungsbefehl des Amtsgerichts Waiblingen ausgestattete Polizeibeamte in die Privatwohnung und die Geschäftsräume des Inhabers des "Nix gut" - Versandgeschäfts Jürgen K. in Leutenbach (bei Winnenden) ein und stellen "T-Shirts, Aufnäher, Schlüsselanhänger oder andere Gegenstände mit Hakenkreuzsymbolen oder anderen Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen, Anschriften von Abnehmern derartiger Gegenstände, Rechnungsunterlagen, Kataloge, sonstige Unterlagen und Gegenstände, die Hinweise auf Tat oder Tatbeteiligte geben können, sowie Daten, die auf elektromagnetische, elektrische oder sonstige Weise gespeichert oder archiviert sind, nebst allen für die Auswertung notwendigen Gerätschaften" (O-Ton Durchsuchungsbeschluß) sicher.

Wer jetzt denkt, na prima, da hat die Staatsgewalt ja mal ein richtiges Nazinest ausgehoben, denkt falsch. Die konfiszierten Hakenkreuze sind nämlich allesamt sauber und deutlich durchgestrichen. Es handelt sich also nicht um Hakenkreuze sondern um Anti-Hakenkreuze. Das weiß auch das zuständige Amtsgericht. So lautet der Durchsuchungsbeschluß: "Zwar weist die genannte Internet-Adresse überwiegend linksgerichtete Inhalte auf. Daraus kann geschlossen werden, dass die Verwendung und Verbreitung des Hakenkreuzes nicht im Sinne nationalsozialistischen Gedankenguts erfolgt, sondern gerade in der gegenteiligen Absicht. Dies ergibt sich auch aus den Texten, die den geschilderten Symbolen teilweise beigefügt sind, wie z.B. "Stop Nazi", "Gegen Nazis" oder "Nazi Punks Fuck Off!".


§ 86a Strafgesetzbuch

Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) verwendet oder
2. Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.
(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.
(3) § 86 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.

§ 86 Abs 3 u. 4:
(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.
(4) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.


V-Leute im Landgericht?
Das Landgericht Stuttgart hat am 4. November 2005 die Beschwerde von Jürgen K., dem Geschäftsführer des versands gegen den Durchsuchungsbeschluß als unbegründet verworfen. Die Begründung für die angeblich unbegründete Beschwerde geht so: "Der Schutzzweck des §86 a Strafgesetzbuch ist zunächst die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Die Vorschrift dient aber auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei inländischen und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik vermieden werde, in ihr gebe es eine rechtsstaatwidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet sei, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden. Eine bekenntnishafte Verwendung oder eine konkrete Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates setzt die Strafbarkeit nicht voraus…".
In Paragraf 86 a geht es um das Verbot der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und nicht etwa verfassungsfeindlicher Organisationen, wie es in der Urteilsbegründung des Landgericht Stuttgart durchgängig falsch heißt. Der ominöse, sich jeder klaren Definition entziehende Begriff "verfassungsfeindlich" ist eine Erfindung des sich in verschleiernder Absicht "Verfassungsschutz" nennenden Inlandsgeheimdienstes.

Kronzeugen aus Japan…
Doch Szenen und Ortswechsel -
1. Mai in Tübingen:
Der Student Patrick H. demonstriert wie 1500 andere TübingerInnen gegen einen "Maisingen" genannten Aufzug einer rechten Burschenschaft. Plötzlich sieht er sich von 10 Polizisten umringt, die Taschen und Rücksäcke der umstehenden Demonstranten kontrollieren. Angeblich sollen aus seiner Richtung Knallkörper geflogen sein. Explosive Gegenstände finden sich zwar nicht, doch am Rucksack des 21-jährigen Studenten der Politikwissenschaft Patrik H. machen die Beamten einen den höchst verdächtigen Fund, der alsbald den Staatsanwalt auf den Plan ruft: Ein etwa Zweieurostückgroßes durchgestrichenes Hakenkreuz. Gegen den Studenten, der mit dem Hakenkreuz-Stopp-Button an seinem Rucksack deutlich sichtbar gegen wiederauflebenden Rassismus, Neofaschismus und Antisemitismus protestieren wollte, wird ein Strafverfahren wegen Verwendens Verfassungswidriger Symbole nach Paragraf 86a eingeleitet. Patrick H. wird zu einer Geldstrafe verurteilt, die er an die KZ-Gedenkstätte Buchenwald zahlen soll.
Der zuständige Oberstaatsanwalt findet eine den Bedürfnissen des Exportweltmeisters Deutschland entsprechende Verbotsbegründung: "Stellen Sie sich vor, ein japanischer Tourist sieht in Tübingen diesen Anstecker und erzählt zu Hause, dass in Deutschland das Hakenkreuz noch immer verwendet wird."

…gegen Diskussionsfreiheit in Deutschland?
Nochmals Szenen- und Ortswechsel:
3. Oktober 2005 Postdam
Irmela Mensah-Schramm ist keine Unbekannte. Seit 20 Jahren entfernt oder übermalt sie Nazischmierereien wo immer sie fündig wird. Bevor der Nazidreck verschwindet, macht Irmela Mensah-Schramm Fotos davon. Über 8000 Fotos hat sie schon gemacht und archiviert. 2000 davon sind in der Ausstellung "Hass-Schmierereien", zu sehen, die schon in mehreren Städten der Bundesrepublik gezeigt wurde. Die 59-jährige Heilpädagogin wurde für ihr Engagement in Dresden sogar mit dem renommierten Erich-Kästner-Preis geehrt. Der Präsident des bayerischen Landtages, Alois Glück, erklärte in seiner Laudatio: "Wir werden Ihnen und diesem Preis nicht gerecht, wenn wir Ihr Tun nicht selbst als Herausforderung begreifen". Solchermaßen ganz offiziell von höherer Stelle belobigt und bestärkt nimmt die Preisträgerin mit einem Umhängeschild auf dem sie die neuesten fotografisch dokumentierten Naziparolen unter der Überschrift: "Wer schweigt stimmt zu" angebracht hat, an der offiziellen Jubelfeier anläßlich des neuen deutschen Nationalfeiertags am 3. Oktober in Potsdam teil und erregt damit auch einige Aufmerksamkeit. Jedoch nicht nur bei den Besuchern der Feier, mit denen sie ins Gespräch kommt, sondern auch bei den Ordnungskräften. Drei Polizeibeamte nehmen das Umhängeschild in Augenschein und befinden: Das Schild zeigt verbotene Symbole. Also ist das öffentliche Mitführen des Schildes - mit oder ohne distanzierende Aufschrift - ebenfalls verboten. Das Schild wird konfisziert, Irmela Mensah-Schramm, vorläufig festgenommen. Einer der Polizeibeamten erklärt ihr: "Das was Sie tun, ist Sachbeschädigung und damit strafbar."

Erich-Kästner-Preis für Sachbeschädigung?
Auf die Erich-Kästner-Preisträgerin, die wegen ihres konsequenten antifaschistischen Engagements schon mehrere Morddrohungen von Nazis bekam, wartet jetzt ein Strafverfahren wegen "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen". Potsdams Polizeichef fand im Gespräch mit dem Magazin "Monitor", das sich dieses und auch der beiden vorgenannten Fälle dankenswerterweise angenommen hat (Sendung vom 24.11.2005) zwar eine Floskel des Bedauerns, aber das Vorgehen der Polizeibeamten ansonsten völlig in Ordnung: "Die Beamten haben so gehandelt, wie es Recht und Gesetz vorschreibt. Frau Mensah-Schramm hat an diesem Tag in der Öffentlichkeit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gezeigt."

Legitimer Protest kann nicht illegal sein
Der Skandal, der diesen drei Fällen zugrunde liegt heißt: Das Bekenntnis zum Antifaschismus wird zum Straftatbestand erklärt. Das Hakenkreuz steht für die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen. Es steht für das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Es ist das Symbol des Unmenschen schlechthin. Das durchgestrichene Hakenkreuz steht für den Protest gegen Neofaschismus und Rassismus in seinen aktuellen Erscheinungsformen, es ist die klare Verneinung all dessen, was Faschismus bedeutet. Eine Justiz, die diesen Unterschied, der größer überhaupt nicht sein kann, nicht erkennen will, deren Denken und Handeln in einem geradezu wahnhaften Formalismus erstarrt scheint, ist selbst eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat.


Zivilcourage??

Ein Student in Tübingen. Er trug als Protest gegen Nazis einen kleinen Aufkleber mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz. Er wurde zu einer Strafe verurteilt.
Sein Vergehen nennt sich: Verwendung verfassungswidriger Symbole.

Ein Auschwitz-Überlebender in München. Er rief anlässlich eines Aufmarsches von Neonazis dazu auf "sich den Totengräbern der Demokratie in den Weg zu stellen".
Er wurde zu einer Strafe verurteilt.
Sein Vergehen nennt sich: Aufruf zu einer Straftat.

Ein Motorradfahrer in Nürnberg. Er rief einer Gruppe von Neonazis, die verkehrswidrig eine NPD-Fahne aus dem Auto hielten das Wort "Nazibagage" zu. Er erhielt einen Strafbefehl.
Sein Vergehen nennt sich: Beleidigung.

Ein Sozialarbeiter in München. Er behinderte den Blick der Passanten auf eine "Mahnwache" von Neofaschisten mit Hilfe einer unbeschrifteten Stoffbahn. Er wurde verurteilt.
Sein Vergehen: Grobe Störung einer Versammlung.

Ein 77-jähriger in Bochum. Er legte ohne Anmeldung zusammen mit 6 anderen am 9. November, dem Tag an dem die Synagogen brannten, einen Kranz an der ehemaligen Synagoge nieder. Er wurde verurteilt.
Sein Vergehen nennt sich: Verstoß gegen das Versammlungsrecht.

Ein Realschullehrer in Heidelberg. Er meldete ordnungsgemäß mehrere Versammlungen gegen Naziaufmärsche an. Er wurde mit Berufsverbot als Lehrer bestraft.
Sein Vergehen nennt sich: Anlass zu Zweifeln an der Verfassungstreue.

Nicht bei uns!



Meinungsfreiheit in Welzheim
Und so schlagen unter Berufung auf diese untergerichtlichen Entscheidungen auch schon die untergeordneten Behörden zu: In Welzheim verbot das Landratsamt einen von einer VVN-BdA Kameradin angemeldeten Infostand gegen zunehmende Naziaktivitäten in dieser Region, weil auf einem Flugblatt zur Ankündigung dieses Infostandes ein Hakenkreuz als Mausefalle abgebildet war.
Eine daraufhin stattdessen angemeldete Kundgebung, die anders als ein Infostand ausdrücklich unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes steht, musste zwar genehmigt werden. Sie konnte aber ebenfalls nicht wie vorgesehen stattfinden, weil das Verteilen der Flugblätter und Broschüren mit der Mausefalle vom Landratsamt (nicht vom Richter!) ausdrücklich untersagt wurde. Das Symbol des Hakenkreuzes als Mausefalle ist übrigens das Logo einer Kampagne "Vorsicht Falle" die die IG Metall seit einigen Jahren zur Auseinandersetzung mit neofaschistischen Parolen und Organisationen führt.

Entscheidung über Demokratie

So schaffen es Behörden und Justiz, die so oft geforderte politisch-inhaltliche Auseinandersetzung mit Faschismus und Neofaschismus behördlich zu zensierten und damit zu verhindern. Diese administrative Verhinderung der öffentlich geführten politischen Diskussion trifft das Wesen der Demokratie. Hat die Entscheidung des Landgericht Stuttgart, das die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses gegen den Nix-Gut-Versand bestätigt hat, Bestand, so würde dies eine neue Qualität der Rechtsentwicklung in diesem Land bedeuten, die in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Jürgen K. vom Nix-Gut-Versand hat angekündigt, er werde sich auf den Marsch durch die Instanzen machen. Zu Recht befürchten er und seine Anwälte, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart wohl ein Grundsatzurteil zu der Thematik erwirken will. Auch Patrick H. will gegen seine Verurteilung Berufung einlegen.
Selbstverständlich wird auch Widerspruch gegen Infostandverbot und Versammlungsbescheid in Welzheim eingelegt.
Es wird in der nächsten Zeit darauf ankommen, Solidarität mit den Betroffenen zu organisieren und - möglichst über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus - öffentlichen Druck zu entfalten. Die Entscheidung darüber, ob Protest und Widerstand gegen Rassismus, Faschismus und Krieg in diesem Lande stattfindet und legal bleibt ist eine Entscheidung über die Demokratie schlechthin. Und diese Entscheidung sollte niemand, das lehrt die Geschichte der Weimarer Republik, und so steht es in Artikel 20 (Widerstandsrecht) des Grundgesetzes, Behörden und Gerichten alleine überlassen!

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