VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 01.06.2006
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / Mai 2006



Ein guter Tag für Stuttgart

Naziaufmarsch erfolgreich gestoppt

Elke Günther

Unter dem Motto "Keine Demonstrationsverbote - Artikel 130 abschaffen - Meinungsfreiheit erkämpfen!" riefen NPD und Neofaschisten der sogenannten freien Kameradschaften um den Nazikader Christian Worch, am 28. Januar in Dortmund, Lüneburg und zunächst Karlsruhe dann aber kurzfristig stattdessen nach Stuttgart zu Aufmärschen auf.

Von vorneherein war das Ziel der Aufmärsche eine offene Provokation: Ausgerechnet einen Tag nach dem 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, der gerade erst von der UNO zum weltweiten Gedenktag für die Verbrechen des Faschismus erklärt worden war, wollten die Neofaschisten für die Abschaffung des Paragrafen 130 des Strafgesetzbuches demonstrieren. Das ist eben jener Paragraf, der die Leugnung des Holocaust als Volksverhetzung unter Strafe stellt.

Kaum verhüllte Aufforderung zur Lynchjustiz
In ihrem Aufruf drohten sie zudem kaum verhüllt mit "Lynchjustiz" und offener Gewalt. In Anspielung auf zu erwartende Demonstrationsverbote heißt es dort: "Oftmals sind es die Kommunen, welche sich hier als Herren über Recht und Unrecht aufspielen …Es ist eine sehr gefährliche Entwicklung, die hier von einigen Stadträten und Beamten vorangetrieben wird. Wir wollen nicht, dass eines Tages jene Herren, die das zu verantworten haben, durch Lynchjustiz zur Strecke gebracht werden…".
Die Stadt Lüneburg verbot den Aufmarsch. Ebenso die Stadt Karlsruhe. Dort bildete sich auch ein außerordentlich breites Bündnis aus über 74 Organisationen und Persönlickkeiten, einschließlich von elf Bundestags- und Landtagsabgeordneten gebildet. Wohl auch deshalb verzichteten die Nazis auf den Aufmarsch in Karlsruhe und orientierten nach Stuttgart um. Auch die Stadt Stuttgart zog mit einer Verbotsverfügung nach und selbst Dortmund, das Nazis stets zuvorkommend behandelt, raffte sich schließlich zu einem Verbot auf. Allerdings nicht wegen der im Aufruf enthaltenen unmissverständlichen Drohung mit Lynchjustiz, sondern wegen "Gefährdung der öffentlichen Ordnung", wie sie mit der Forderung nach Abschaffung des Volksverhetzung unter Strafe stellenden Artikel 130 StGB gegeben sei.

Für's BVG unbedenklich
Nazichef und Millionär Worch, der auch als "Rechtsgelehrter" der Szene gilt und bereits dem längst verblichenen Führer der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) Michael Kühnen als Stellvertreter und rechte Hand diente, teilte seiner Klientel in einem Rundbrief mit: "…Was die Karlsruher Richter davon halten, wenn andere Gerichte meinen, die Rechtssprechung des Verfassungsgerichts ständig ignorieren zu können, ist wohl allgemein bekannt. Ich gehe also weiterhin davon aus, dass die Demonstrationen stattfinden werden…".
Worch sollte Recht behalten. Das Bundesverfassungsgericht hob sämtliche Verbotsverfügungen auf. Das höchste Gericht wertete das Motto des Aufrufs als "unbedenkliche rechtspolitische Forderung", die ein Verbot nicht rechtfertige. Die Nazis konnten also marschieren.

Für Demokraten eine Provokation
Daß sie dies nicht ungehindert tun konnten, dafür sorgten in allen drei Städten antifaschistische Bündnisse mit Protestaktionen, an denen sich zwischen 1200 bis 2000 Menschen beteiligten. Doch nur in Stuttgart gelang es, die Nazis zu stoppen.
Auch in Karlsruhe fand eine Kundgebung mit 300 Menschen statt, von denen viele im Anschluß nach Stuttgart fuhren.
Dort nahmen rund 2000 Menschen aus Stuttgart und anderen Städten Baden-Württembergs um 12.30 Uhr an der Kundgebung und Demonstration "Weiße Rose gegen braune Gewalt" teil. Zu Beginn rief die Journalistin und Autorin Beate Klarsfeld aus Paris, die in Stuttgart die Ausstellung "11 000 Kinder - mit der Reichsbahn in den Tod" eröffnet hatte, die Menschen in Deutschland zu Zivilcourage gegen die faschistischen Ideologen auf, die heute noch Auschwitz leugnen und den Rassismus der Nazis rechtfertigen. Sie freue sich, dass dank des Engagements vieler AntifaschistInnen nirgendwo in Deutschland Nazis ungehindert und ohne Protest aufmarschieren können.

Weiße Rose gegen braune Gewalt
Werner Pfennig, der Vorsitzende der VVN-Bund der Antifaschisten bezeichnete es als nicht zu überbietenden Skandal, dass ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht, das über die klaren antifaschistischen Bestimmungen des Grundgesetzes zu wachen hätte, den Nazis ihre Aufmärsche und damit die Verbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie erlaubt. Harald Hellstern, der Vorsitzende der katholischen Verbände in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, rief besonders auch Christen und Kirchengemeinden auf, verstärkt über Ideologie und Politik der Neofaschisten aufzuklären. Faschismus widerspreche jeder christlichen Überzeugung. Leni Breymaier, stellvertretende Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg, bekräftigte die Haltung der Gewerkschaften, Faschismus und Neofaschismus entschieden zurückzuweisen. Die Schaffung von sozialer Gerechtigkeit trage entscheidend dazu bei, den Parolen der Nazis den Boden zu entziehen.
Bei der anschließenden Demonstration zum Schlossplatz legten Demonstranten weiße Rosen an der Gedenktafel für den von den Nazis ermordeten ehemaligen württembergischen Staatsminister Eugen Bolz nieder. Am Schlossplatz wurde dann die Kundgebung ordnungsgemäß beendet. Dennoch zogen fast alle Demonstranten weiter, um ihren Protest auch unmittelbar am Kundgebungsort der Neonazis zum Ausdruck zu bringen und sich ihnen in den Weg zu stellen.

Nazis von Antifaschisten eingekesselt
Tatsächlich konnte der Aufmarsch von ca. 200 Neofaschisten schon nach etwa hundert Metern nach Beginn gegen 14.30 Uhr durch eine Blockade gestoppt werden. Die Neonazis saßen stundenlang bei eisiger Kälte zwischen Polizei und Blockierern fest. Angesichts der großen Zahl der Gegendemonstranten verzichtete auch die Stuttgarter Polizei, die zunächst noch begonnen hatte, DemonstrantInnen in der Tübinger Straße einzukesseln, auf eine gewaltsame Räumung des Demowegs der Nazis. Die friedliche und gewaltfreie Blockade der zahlreichen Nazigegner, hat den faschistischen Aufmarsch gestoppt. "Das war ein guter Tag für Stuttgart", kommentierte VVN-BdA Landesgeschäftsführer Dieter Lachenmayer die gelungene Protestaktion.

VVN-Logo www.vvn-bda-bawue.de © 1997 - 2006 www.josef-kaiser.eu