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Nummer 2 / Mai 2006



Bundeswehr im Inneren

Frontalattacke

Jürgen Rose

Zeitgemäß: Verteidigungsminister Jung will die Verfassung ändern, um Verteidigungsfall und Notstand schneller ausrufen zu können

Böse Zungen behaupten, der Winzersohn Franz Josef Jung habe im väterlichen Weinkeller zu tief ins Fass geschaut, bevor er kraft seines Amtes als Verteidigungsminister dieser Republik einschneidende Änderungen an eben jener Verfassung forderte, die er mit der Bundeswehr eigentlich beschützen soll. Doch solcherart Nachrede entbehrt schon deshalb jeder Grundlage, weil er sich mit seinem Verlangen in exakt jenen Bahnen bewegt, die Präsidium und Vorstand der CDU längst vorgezeichnet haben. Die angloamerikanische Aggression am Golf war noch in vollem Gange, da stand in dem am 28. April 2003 präsentierten Außenpolitischen Papier zu lesen: "Die Beschränkung der Staaten, nur zum Zweck der Selbstverteidigung und der Nothilfe zu den Waffen greifen zu dürfen, ist aufzuheben. Das Verbot der Intervention, also der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, ist nicht mehr zeitgemäß. Das Völkerrecht muss in diesen Punkten ›weiterentwickelt‹ werden."
Es entspricht der Logik solcher Forderungen, in denen sich die Verluderung des Rechtsbewusstseins von Teilen der politischen Klasse dieses Landes manifestiert, nunmehr das Grundgesetz entsprechend revidieren zu wollen. Von daher sollte laut Minister Jung der Verteidigungsfall neu definiert werden, um Auslandseinsätze der Bundeswehr zu legitimieren. Schon Vorgänger Struck hätte klargestellt, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt werde. Der Bundestag könne aber den Verteidigungsfall nur ausrufen, würde das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, heißt es.
Was da ins Gespräch gebracht wird, birgt eine ungeheure Sprengkraft. Denn zugleich mit der im Abschnitt Xa des Grundgesetzes geregelten Ausrufung des Verteidigungsfalls tritt nämlich die so genannte "Notstandsverfassung" in Kraft. Die war 1968 nach inner- und außerparlamentarisch lange und erbittert geführtem Kampf ins Grundgesetz eingefügt worden. Demnach werden im Verteidigungsfall die in Friedenszeiten geltenden Rechtsnormen außer Kraft gesetzt - ab dann gilt "Kriegsrecht". Deshalb benötigt eine solche Entscheidung auch eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat oder - im absoluten Notfall - auch des so genannten "Gemeinsamen Ausschusses", einer Art Rumpfparlament. Mit den "Notstandsbestimmungen" geht unter anderem die Befehlsgewalt über die Bundeswehr auf den Bundeskanzler über, es tritt eine zivile Dienstleistungspflicht für alle Staatsbürger in Kraft, die Grund- und Bürgerrechte werden eingeschränkt. Darüber hinaus verlängern sich automatisch Legislaturperioden und Amtszeiten, und zwar über das Ende des Verteidigungsfalls hinaus um sechs Monate. Schließlich kann die Bundesregierung die Bundespolizei, soweit es die Verhältnisse erfordern, nach eigener Maßgabe bundesweit einsetzen, während für die Streitkräfte eine gesonderte Wehrstrafgerichtsbarkeit gilt. Was Minister Jung mit seiner Verfassungsrevision verlangt, ist nichts Geringeres als ein Frontalangriff auf das demokratische Fundament des Staates.
Den Hintergrund des ministeriellen Vorstoßes bilden die Verpflichtungen, die Deutschland innerhalb der Interventionsverbände von NATO und EU übernommen hat. Deren Einsatz soll gegebenenfalls in nur fünf Tagen möglich sein. Für langwierige parlamentarische Debatten bleibt da angeblich keine Zeit. Nach Jungs Meinung "muss das dann relativ fix gehen - auch mit einem Bundestagsmandat". Das bedeutet, es sind jene völker- und verfassungsrechtlichen Hürden abzuräumen, die einst aus gutem Grund gegen vorschnelle Bundeswehreinsätze errichtet wurden. Bei der Entscheidung über Krieg und Frieden wäre das Parlament quasi entmachtet - die Schlüsselfrage lautet, ob sich die SPD zum energischen Widerstand dagegen aufraffen will. Nüchtern betrachtet besteht für die beabsichtigte Verfassungsinventur kein Anlass. Nach den einschlägigen höchstrichterlichen Urteilen sind die völker- und verfassungsrechtlichen Bedingungen für Bundeswehreinsätze im internationalen Rahmen völlig unstrittig. Danach darf die Bundesregierung deutsche Streitkräfte mit konstitutiver Zustimmung des Parlaments im Rahmen und nach den Regeln eines Systems kollektiver Sicherheit - also der Vereinten Nationen - einsetzen. Darüber hinaus erlaubt der Verteidigungsbegriff des Grundgesetzes der Bundeswehr alle Aktionen, die nach dem geltenden Völkerrecht unter das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta fallen. Mit diesen Regelungen sind die sicherheitspolitischen Interessen des Landes umfassend abgedeckt. Wer meint, daran etwas ändern zu müssen, hat letztlich nichts anderes vor, als bisher gültiges Verfassungs- und Völkerrecht außer Kraft zu setzen. Gleiches gilt für Absichten des Verteidigungsministers, ein neues Luft- und Seesicherheitsgesetz zu verabschieden, das den Aktionsradius der Bundeswehr im Inland erweitert. Auch hier besteht faktisch kein Handlungsbedarf, da im Falle eines bewaffneten Angriffs - auch von Terroristen! - ohnehin das Militär zuständig ist. Aber nachdem Karlsruhe soeben das Luftsicherheitsgesetz gekippt hat, reagieren manche Politiker nach der beliebten Maxime: Dann stricken wir eben das Grundgesetz so um, dass wir doch dürfen, was es uns eigentlich verboten ist. Sollten die Vorstellungen des Verteidigungsministers zu einer Grundgesetzrevision beschriebenen Ausmaßes führen, hätte sich für die Bundeswehr ihre bisherige Geschäftsgrundlage dramatisch verändert - und zwar so essentiell, dass im Grunde eine Neuvereidigung der Soldaten unumgänglich wäre. Schon einmal wurde in der deutschen Geschichte eine Wehr neu vereidigt - im Jahr 1934 nämlich.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen. (aus FREITAG 15/05)

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