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Nummer 2 / Mai 2006



Fußball WM: Probelauf für den Sicherheitsstaat

Die Welt zu Gast beim Freund und Helfer

Brigitte Renkl

Die anstehende Fußballweltmeisterschaft ist zum willkommenen Anlass geworden, nahezu alle Träume der "Recht-und-Ordnung-Fraktion" zum Abbau demokratischer Rechte durchzusetzen, die bisher an den demokratischen Vorgaben des Grundgesetzes noch gescheitert sind.

Der ehemalige Bundesgrenzschutz (BGS), jetzt Bundespolizei genannt, soll mit einer Stärke von 40 000 Mann präsent sein, mit genereller Urlaubssperre für die Dauer der Fußball WM versteht sich. Wie jetzt zu erfahren ist, sollen die Vorbereitungen schon seit einigen Jahren laufen. Was wurde da von der demokratischen Öffentlichkeit verpasst, denn Tatsache ist, dass uns die Neuorganisierung und Umbenennung von Sicherheitsmann Schily erst Mitte 2005 beschert wurde. Noch eine Zahl müsste unsere Aufmerksamkeit wecken: 20 000 Sicherheitsleute sollen in "Kooperation" mit der Polizei eingesetzt werden.

Privatisierung des Gewaltmonopols
Die sog. "Schwarzen Sheriffs" sollen eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen, so z.B. beim Datenschutz, bei der Überprüfung von "gefährlichen" Besuchern der WM aus den über 3 Millionen Ticket-Besitzern. Möglich wurde eine solche Massenrasterung durch die "personalisierten" Tickets, die per Funkchip Auskunft über die Identität des Trägers geben. Nebeneffekt ist zudem, dass diese Tickets das Verfolgen und Erstellen von Bewegungsprofilen möglich machen und bei der Bestellung über Internet mehr als nur der Name der Großmutter abgefragt wird. "Würde die Polizei eine solche Massenrasterung alleine durchführen, wäre sie schlicht rechtswidrig", so ein Berliner Bürgerrechtler. (nach Jungle World Nr. 8, 22.2.2006) Neben der Umgehung von Datenschutzvorschriften bringt die Partnerschaft zwischen der Polizei und Security-Firmen noch andere Vorteile. Das Spektakel wird in umzäunten Gebieten stattfinden, in denen private Sicherheitsdienste das Sagen haben. Die Tore werden sich nur für erwartete und identifizierte Gäste öffnen. Gemeint sind nicht nur Fußballstadien, sondern auch Plätze in Großstädten, an denen auf Großbildleinwand die Spiele übertragen werden. Private Sicherheitsdienste legen ihre eigenen Regeln fest und können mit noch restriktiveren Mitteln gegen unliebsame Besucher vorgehen, von der Polizei unterstützt, von den Gerichten nicht kontrollierbar.
Es bleibt also nicht beim Vertreiben von Bettlern aus den Innenstädten, eine Maßnahme die Hamburgs Händler inzwischen besonders lautstark fordern. Der Ausbau der Überwachungsmaßnahmen und Kontrollen wird besonders gegen ungeliebte Gruppen, wie Obdachlose, Punks, Migranten und Homosexuelle zum Einsatz kommen und mit "Einlasskontrollen" werden noch größere Bereiche der Innenstädte für Menschen mit der 'falschen' Haar- oder Hautfarbe zur verbotenen Zone.

Überwachen - Bespitzeln - Aussondern
Der Verfassungsschutz will im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft bei 240 000 bis 350 000 Beteiligten eine so genannte Zuverlässigkeitsprüfung vornehmen. So soll verhindert werden, dass Unbefugte als Medienvertreter oder Würstchenverkäufer akkreditiert in die Stadien gelangen. Ziel seien nur gewaltbereite Terroristen. In Baden-Württemberg würden 4300 Personen zur potenziellen Tätergruppe zählen. (Sindelfinger Zeitung 15.03.06)
Um während und im Vorfeld der WM tausende von zusätzlichen "Tätern" in den bayerischen Gefängnissen internieren zu können, haben die bayerischen Knäste in Nürnberg und München mit der Verlegung von Gefangenen und dem Ausbau der Gebäude begonnen. Offensichtlich haben Stoiber&Co vor, die WM für eine Art Ausnahmezustand zu nutzen, und massiv gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. Dazu sollen spezielle Schnellgerichte gebildet werden, die über Nacht Menschen internieren lassen, in Schnellverfahren aburteilen oder Ausländer sofort ausweisen können. Justizministerin Zypries (SPD) hat sich sofort Stoibers Anliegen angenommen und lässt die Länder anweisen, genügend Personal, Richter und Staatsanwälte bereit zu stellen, gegebenenfalls einige Tausend mehr an den Austragungsorten der WM zu konzentrieren. Im Geplänkel zwischen Frau Zypries und FDP-Vertretern, die von den Schnellverfahren nichts hielten, wurde ausgesprochen, was längst kein Geheimnis mehr ist: Schnellgerichte gehören zur täglichen Praxis.

Bundeswehr im Innern
Auch von ihrem Traum, die Bundeswehr im Innern gegen die Zivilbevölkerung einsetzen zu können, sind Stoiber und Schäuble noch nicht abgerückt. Nur soll jetzt wegen der kurzen Zeit bis zur WM nicht mehr das Grundgesetz geändert, sondern schlicht gebrochen werden. Eine pragmatische Lösung ohne Grundgesetzänderung sei nötig, so Stoiber am Aschermittwoch. (Spiegel 1.03.06)
Während die Öffentlichkeit Mitte Februar noch glauben sollte, es würde über den Bundeswehreinsatz noch hart gerungen, lagen die Einsatzpläne für über 2000 Soldaten aus Spezialeinheiten der Bundeswehr schon seit Anfang Januar unterschrieben beim Kriegsministerium. Geplant sind unter anderem: Der Einsatz von ABC-Spezialkräften an allen Spielorten zum Schutz vor Attacken mit atomaren, biologischen oder chemischen Kampfstoffen, die Errichtung eines notfallchirurgischen Zentrums am Spielort Kaiserslautern, die Bereitstellung eines mobilen Kontrollturms auf dem Flughafen Stuttgart und der Einsatz von CH-53-Hubschraubern für den Transport von Verletzten. Außerdem will die Bundeswehr in 40 Gebäuden Unterkünfte für mehr als 5.900 Einsatzkräfte zur Verfügung stellen und bis zu 150.000 Mahlzeiten für Polizisten bereitstellen.
Hinzu kommt die Überwachung des Luftraums durch fliegende Awacs-Radarstationen der Nato, deren Einsatz Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) laut Süddeutscher Zeitung bereits mit der Nato abgesprochen hat.

Neues Grundgesetz?
Das Papier des Verteidigungsministeriums, so die Süddeutsche Zeitung vom 13.03. 2006, vertrete den Standpunkt, der geplante Einsatz verstoße nicht gegen das Grundgesetz, da es sich um "technische Amtshilfe" handle. Die Vorgehensweise von Schäuble und Jung erinnert an die Art und Weise, wie in den 90er Jahren Auslandseinsätze der Bundeswehr, die damals ebenfalls als grundgesetzwidrig galten, gegen öffentlichen Widerstand durchgesetzt wurden. Auch hier ging es Anfangs nur um "technische" oder "humanitäre Hilfe" z.B. in Somalia. 1994 interpretierte dann das Bundesverfassungsgericht die Bestimmungen des Grundgesetzes völlig neu, und im Sommer 1995 gab der Bundestag erstmals grünes Licht für einen Kriegseinsatz: Die Teilnahme deutscher Kampfflugzeuge am Krieg gegen Jugoslawien.
Angesichts wachsender Arbeitslosigkeit und sozialer Spannungen geht es Schäuble darum, einen Präzedenzfall zu schaffen. Der Einsatz von Soldaten auf heimischen Straßen - seit den bitteren und blutigen Erfahrungen des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und der Nazi-Diktatur ein Tabu - soll wieder zur Normalität werden.
Den Kriegsfall spielte der bayrische Innenminister Günther Beckstein (CSU) schon durch. Bis jetzt konnte sich bei seinem Vorschlag, die Bundeswehr solle die Grenze zwischen Tschechien und Deutschland sichern, während die Kräfte der Bundespolizei im Innern agieren, noch nicht durchsetzen.

Rassistisches Feindbild
Bei der Rechtfertigung des Militäreinsatzes der Bundeswehr für die WM werden unter dem Stichwort "Muslime" gleich mehrere Keulen ausgepackt: 11. September und London 2005 bedeuten, der Muslim ist ein Terrorist. Deshalb stehen Moscheen und muslimische Kulturzentren im Land unter besonderer Bewachung. Dass es sich hier um eine Glaubensrichtung handelt, ist völlig irrelevant. Für den deutschen Kleinbürger soll am Ende nur stehen bleiben: Muslime, Araber, Dunkelhäutige, Schwarzhaarige und Bärtige kommen aus der gleichen Suppe, sie stellen eine Gefahr dar, weil sie uns an den Kragen wollen, sie sind Islamisten und damit in der Wolle gefärbte Terroristen. Innenpolitisch fügt sich das ganze perfekt in die ständig zunehmende rassistische Hetze gegen Menschen muslimischen Glaubens, die an erster Stelle für den Streit um den unsäglichen Einbürgerungsfragebogen herhalten müssen.

Der Big Brother Award 2005
in der Kategorie "Verbraucherschutz" geht an FIFA Fußball-Weltmeisterschaft
Organisationskomitee Deutschland im DFB,
vertreten durch F. Beckenbauer
für die inquisitorischen Fragebögen zur Bestellung von WM-Tickets, für die geplante Weitergabe der Adressen an die FIFA und deren Sponsoren und für die Nutzung von RFID - Schnüffelchips in den WM-Eintrittskarten und damit den Versuch, eine Kontroll- und Überwachungstechnik salonfähig zu machen zum Nutzen des WM-Sponsors und RFID - Herstellers Philips.

Auch außenpolitisch ist die WM verwertbar. Im Rahmen der Kriegsvorbereitungen gegen den Iran fordern Politiker den Ausschluss des Iran von der Fußball-WM oder verlangen zumindest Sonderbehandlungen für iranische Fußballfans. Wie aus dem Gejammer der "Sicherheitsbehörden" zu schließen ist, dürfte sich der Transfer von Personendaten aus dem Iran als äußerst schwierig erweisen, so dass die Einreisekontrollen dem persönlichen Gutdünken der Grenzer überlassen bleibt: Dunkelhaarig - zurückschicken. Zum Wortführer hatte sich schon Mitte Dezember 2005 Daniel Cohn-Bendit gemacht. Der Chef der Grünen-Fraktion im Europaparlament in Straßburg, hatte gefordert, Iran von der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland auszuschließen. (Spiegel 14.12.05) Von der Gewerkschaft der Polizei wird das Spiel USA-Iran als die gefährlichste Konstellation der gesamten WM bezeichnete.

gutes Geschäft
Wie sehr sich die Industrie über die Ausweitung des technischen Überwachungsapparats freuen kann, lässt sich am Top-Sponsor Telekom ersehen, der einen Mehrumsatz von 250 Millionen Euro erwartet. Neben anderen Betätigungsfeldern hatte das WM-Organisationskomitee T-Systems damit beauftragt, das TETRA - Funknetz in allen zwölf Stadien für die FIFA aufzubauen und zu betreiben. Im Gegensatz zum Analogfunk gilt dieser Digitalfunkstandard als abhörsicher. Auch Philips dürfte einiges an Mehrumsatz ins Haus stehen. Angaben dazu wurden noch nicht gemacht, zumal es dieser Firma hauptsächlich darum geht, RFID-Technologie, die in den WM-Tickets enthalten ist, in Deutschland zu etablieren. Die RFID-Lesegeräte in den Stadien werden wohl kaum zum Ende der WM wieder abgebaut. So wird - mit Millionen von Fußballfans als Testobjekten - eine potentielle Überwachungs- und Kontrollstruktur salonfähig gemacht. Auch der Handel nutzt die Gunst der Stunde. Nach Meinung von Hamburgs Wirtschaftssenator Gunnar Uldall bestehe ein dringendes öffentliches Interesse an längeren Öffnungszeiten während der Fußball-Weltmeisterschaft. Bayern hat prompt reagiert. Die Bayerische Staatsregierung entschied schon im Februar, die Ladenschlusszeiten während der Fußball-WM 2006 freizugeben.

Zentralrat Dt. Sinti und Roma:

Schäuble soll gegen rechte Hetze in Fußballstadien vorgehen"

Gegen die rassistischen Sprechchöre gewaltbereiter Personen mit der Parole "Zick Zack Zigeunerpack" in deutschen Stadien der Fußball-, Eishockey- und Handball-Ligen müsse Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble als zuständiger Sicherheits- und Sportminister jetzt entschieden einschreiten. Anlässlich des Tages gegen Rassismus erinnerte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, daran, dass der Minister bis Ende März auf ein am 3. Februar abgesandtes Schreiben trotz Nachfragen des Zentralrats nicht reagiert habe. Die Sinti und Roma befürchten, dass Schäuble, der Mitglied des Organisationskomitees für die Fußball-WM ist, das Problem der rechtsradikalen Hetze in den Stadien vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit nicht thematisieren will.
Der Zentralrat dokumentierte mehrere Vorfälle mit Gewalttätigkeiten und Hetzrufen gegen "Zigeuner". So brüllten bei dem Fußball-Länderspiel gegen die Slowakei im September letzten Jahres deutsche Zuschauer im Stadion die Parole "Zick Zack Zigeunerpack" und randalierten anschließend in Bratislava. Ebenfalls im letzten Jahr im Juli leitete eine sogenannte "Fangruppe" im KSC-Stadion in Karlsruhe mit derselben Parole massive Gewalttätigkeiten mit Verletzten und Schwerverletzten ein. Im Internet gibt es zu dieser Parole inzwischen mehr als 1000 Einträge.
Bundesliga-Fans, die zur Beschimpfung schon das Kürzel "ZZZ" verwenden, rufen unter der Rubrik "Allgemeine Schmähgesänge" zum Gebrauch dieser Parole auf. Solche Hassrufe gibt es auch gegen "Juden". In keinem einzigen der zahlreichen Fälle gingen bisher Sicherheitsbehörden gegen die Täter wegen Volksverhetzung und Beleidigung vor, auch von politischer Seite gab es bisher keine öffentliche Ächtung.


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