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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 3 / August 2006



Einundsechzig Jahre Selbstgerechtigkeit:

Von der strategischen Demut zur strategischen Unverschämtheit

Georg Fülberth

Zum 51. Jahrestag der Befreiung sprach Prof. Dr. phil. Georg Fülberth vor zahlreichem Publikum im KIK in Offenburg über "die 61 Jahre eines etwas merkwürdigen Antifaschismusbegriffes von offizieller Seite"

"Das deutsche Volk hat begonnen, für die schrecklichen Verbrechen zu sühnen, die unter der Führung von Personen begangen worden sind, denen es auf der Höhe des Erfolgs offen zugestimmt und blind gehorcht hat."
So steht es im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945. Hier urteilen Sieger - Clement Attlee für Großbritannien, Franklin D. Roosevelt für die USA, Josef W. Stalin für die Sowjetunion, später wurde auch noch de Gaulles Frankreich einbezogen - über Besiegte: das "deutsche Volk" und jene "Personen", denen es gefolgt ist.
Allerdings können die Sieger von gestern zu Besiegten von heute werden - und umgekehrt. Betrachten wir nicht nur die Resultate des Zweiten Weltkrieges (1939 - 1945), sondern auch des Kalten Krieges (1947 - 1991), dann ergibt sich folgendes Bild:
Die Sowjetunion hat verloren und existiert nicht mehr. Dagegen ist die Bundesrepublik Deutschland inzwischen zu einer regionalen Großmacht aufgestiegen, gleichauf mit Großbritannien und Frankreich. Die USA haben nicht nur den Zweiten Weltkrieg gewonnen, sondern auch den Kalten Krieg. Zu den Gewinnern gehört ebenfalls Deutschland, und dies relativiert seine Niederlage von 1945. Damals hat das Deutsche Reich zwar militärisch verloren und war moralisch ruiniert. Ökonomisch aber war der Zweite Weltkrieg im Nachhinein eher ein Erfolg. Die Produktionskapazitäten, die zu Rüstungszwecken aufgebaut wurden, sind durch die Bombardements nur geringfügig eingeschränkt worden, sie waren 1945 größer als 1933. Deutsche Industrieunternehmen und Banken haben an der Ausplünderung Europas, an den Arisierungen und am Judenmord verdient. Diese Gewinne blieben auch nach 1945 erhalten. So viel zur Bilanz der kapitalistischen Eliten. Der Historiker Götz Aly hat 2005 behauptet, auch die einfachen nichtjüdischen Deutschen - "das Volk" - seien bei den Arisierungen bei den Raubzügen der Wehrmacht zumindest bis 1941 nicht schlecht gefahren. Da ist viel dran. Allerdings gingen diese Zugewinne in der Währungsreform 1948 verloren. Das Kapital dagegen, das in Produktionsanlagen steckte, war sicherer angelegt. Insofern war die Währungsreform eine Umverteilung zugunsten der kapitalistischen Eliten. Danach begann das sogenannte Wirtschaftswunder, nicht nur in den Westzonen und der 1949 gegründeten Bundesrepublik, sondern auch in anderen europäischen Staaten. Allerdings war der Aufschwung der BRD besonders steil. Der Grund: Die hiesigen Kapitalisten konnten auch ihre Raubgewinne investieren. Das schuf übrigens Arbeitsplätze für die 1948 kalt enteigneten Lohnabhängigen. Die kleinen Vermögen, die sie im Wirtschaftswunder ansammeln konnten, dienen heute zur Rechtfertigung von Hartz IV: Erbinnen und Erben müssen diese Rücklagen erst aufbrauchen, bevor sie Anspruch auf Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II haben.

Strategische Bußfertigkeit
Wiedervereinigung war das zentrale Ziel der BRD-Politik. Die Führung dieses Staates wusste, daß ihr das nur mit Unterstützung der USA gelingen könne. Da, wie Adenauer einmal sagte, "dat Weltjudentum eine jroße Macht" sei und Einfluß in den Vereinigten Staaten habe, empfahl sich nach Gründung der Bundesrepublik gerade im antisemitischen Selbstverständnis zunächst einmal strategische Bußfertigkeit. Axel C. Springer verordnete seinen Redakteuren drei Grundsätze: 1. Eintreten für die Wiedervereinigung, 2. Bündnis mit den USA, 3. Eintreten für Israel und das "jüdische Volk". Auseinandersetzung mit dem Faschismus fand nur insoweit statt, wie sie dem großen nationalen Ziel diente: man brauchte große Teile der alten Eliten für Aufrüstung und Ausstattung des Weststaats. Distanzierung von der NSDAP erfolgte durch Bekenntnis zum 20. Juli, der Widerstand der Arbeiterbewegung wurde weitgehend totgeschwiegen. (Dieses Bild ist durch die Geschichtsschreibung der DDR empfindlich gestört worden. Wir brauchen sie hier nicht zu behandeln. Einflussreiche Geschichte schreiben nur die Sieger.) Als sich ab 1985 ein Schlappmachen des Sozialismus andeutete und damit die Perspektive auf die Wiedervereinigung sichtbar wurde, versuchte Ernst Nolte Auschwitz zu relativieren. Kohl demonstrierte auf dem Friedhof von Bitburg zusammen mit Reagan, daß GIs und Waffen-SS immerhin denselben Gegner gehabt hätten: das Reich des Bösen im Osten. Richard von Weizsäcker fand solches Auftrumpfen verfrüht. In einer Rede am 8. Mai 1985 sagte er, dies sei ein Tag nicht der Niederlage, sondern der Befreiung. Das war nur die halbe Wahrheit. Das deutsche Kapital ist nicht schon 1945 befreit worden, sondern erst im Kalten Krieg.
Mit der Wiedervereinigung 1990 ist die Periode der strategischen Bußfertigkeit beendet und durch die strategische Unverschämtheit abgelöst. Auch dabei leistet die sogenannte "Erinnerungskultur" gute Dienste. Mit der Behauptung, im Kosovo müsse ein zweites Auschwitz verhindert werden, rechtfertigte Joseph Fischer 1999 den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Jugoslawien. Seit 1990 gilt: eine Nation, die so mustergültig ihre Vergangenheit beweint habe, dürfe sich mehr Imperialismus leisten als andere.

Diese Kurzfassung seines Referates hat Georg Fülberth der STATTZEITUNG für Südbaden zur Verfügung gestellt.

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