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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 4 / Dezember 2006



Die zentralen Herausforderungen für den Antifaschismus:

Globalisierung, Neoliberalismus und Rechtsextremismus

Prof. Dr. Christoph Butterwegge

Auf der Landeskonferenz der VVN - Bund der Antifaschisten am 20./21. Mai hielt Prof. Dr. Christoph Butterwege von der Universität Köln das Gastreferat. Wir dokumentieren Auszüge aus einem Text von ihm, der dem frei gehaltenen Referat als Grundlage diente. Vollständig unter: www.vvn-bda-bawue.de.

Antifaschist(inn)en haben heute eine doppelte Aufgabe, die manchmal einem Spagat gleicht: Sie müssen sowohl die Erinnerung an die (deutsche) NS-Vergangenheit wach halten und dafür sorgen, dass die Verbrechen des Faschismus und der Widerstand dagegen nicht in Vergessenheit geraten, als auch bemüht sein, in die Zukunft zu blicken und zu analysieren, welche Rahmenbedingungen künftig im Kampf gegen Rechtsextremismus und Neofaschismus von Bedeutung sind. Ein hierfür entscheidendes Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft, das die Gegenwart wesentlich bestimmt, ist die Globalisierung samt ihren Konsequenzen für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.
"Globalisierung" avanciert immer mehr zu einer Schlüsselkategorie bzw. zu einer Kernideologie unserer Zeit. Obwohl oder richtiger: gerade weil dieser Terminus vage und vieldeutig ist, liefert er Politik und Publizistik, aber auch den Wissenschaften ein interdisziplinäres Paradigma, das die epochale Wende nach Ende der Systemauseinandersetzung zwischen Plan- und Marktwirtschaft bzw. (Staats-)Sozialismus und Kapitalismus widerspiegelt. Selbst wenn die Globalisierung einen medial erzeugten und massenhaft reproduzierten Mythos darstellt, wie Kai Hafez mit Blick auf die neuen Medien mutmaßt, erlangt sie schon dadurch gesellschaftliche Wirkungsmächtigkeit, dass subjektive Überzeugungen, die Millionen Menschen überall auf der Welt teilen, einen objektiven Machtfaktor bilden (Thomas-Theorem).
Versteht man unter Globalisierung einen Prozess, der nationalstaatliche Grenzen überschreitet und der Tendenz nach überwindet, zur Ausweitung wie zur Intensivierung wissenschaftlich-technischer, ökonomischer, politischer, sozialer bzw. kultureller Beziehungen zwischen den Kontinenten führt und zum Schluss den ganzen Erdball umspannt, bleibt auch der moderne Rechtsextremismus davon nicht unberührt, sondern wird auf drei Ebenen erfasst:
1. Aufgrund der Globalisierung verändern sich die gesellschaftlichen Rahmen-, Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen des Rechtsextremismus. Durch die ökonomische Globalisierung und die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen gewinnen rechtsextreme Organisationen bzw. Parteien viele neue Anhänger, Mitglieder und Wähler, verbessern sich aber auch ihre politischen Handlungsmöglichkeiten.
2. Der organisierte Rechtsextremismus "globalisiert" sich, indem er transnationale Netzwerke schafft und die Barrieren der Kooperation mit ausländischen Gesinnungsgenossen niederreißt.
3. "Globalisierung" wird selbst zum Gegenstand der rechtsextremen Agitation und Propaganda, was sich einerseits in Kampfparolen des traditionellen Rechtsextremismus gegen die Willkür des globalisierten Kapitals und für "deutsche Arbeit" niederschlägt, andererseits Markt, Leistung und Konkurrenz für Neurechte zur politisch-ideologischen Trennlinie macht, an der sich Freund und Feind scheiden.
Rechtsextremismus ist - wie alle politischen Phänomene - von den jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht abzulösen, sondern nur im Kontext der aktuellen Weltmarktdynamik zu verstehen. Um die richtigen, Erfolg versprechenden Strategien gegen den Rechtsextremismus entwickeln zu können, braucht man deshalb Kenntnisse seiner Rolle im bzw. für den gegenwärtigen Kapitalismus. In letzter Zeit werden die Zusammenhänge zwischen der Globalisierung, neoliberaler Ideologie und rechtsextremer Mobilisierung in der Fachdiskussion häufiger thematisiert, nachdem sie im Rahmen wissenschaftlicher Analysen zum organisierten Rechtsextremismus lange höchstens eine Nebenrolle gespielt hatten. Während uns die organisatorische Ebene hier weniger interessiert, obwohl dort momentan für den Rechtsextremismus gleichfalls wichtige Veränderungen stattfinden, stehen die inhaltliche und die Wirkungsebene im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen, weil sie das Fundament einer Ursachenanalyse bilden.

Faktoren zur Erklärung des zeitgenössischen Rechtsextremismus:
Konkurrenz im Wirtschaftsleben und politische (Un-)Kultur

Falsch wäre es, Rechtsextremismus als Desintegrationsphänomen oder Jugendproblem zu begreifen. Sein organisierter Kern ist auch keine Protestbewegung, die sich für sozial benachteiligte Deutsche einsetzt. Vielmehr grenzt er die Menschen mit Behinderungen, Obdachlose, Homosexuelle und Asylbewerber/innen gleichermaßen aus, will ihnen staatliche Leistungen vorenthalten und/oder sie durch Zwangsmaßnahmen disziplinieren. Es geht also nicht um eine Negation, sondern gerade um die - bis zur letzten Konsequenz getriebene - Realisation herrschender Normen (Beurteilung einer Person nach der ökonomischen Verwertbarkeit, Leistungsfähigkeit bzw. Systemangepasstheit) und gesellschaftlicher Funktionsmechanismen wie der Konkurrenz.
Hier wird ein Erklärungsmodell präferiert, das die Konkurrenz als Triebkraft des kapitalistischen Wirtschaftssystems, Erblasten der politischen Kultur in Deutschland und aktuell die Globalisierung bzw. neoliberale Modernisierung nicht nur des Wohlfahrtsstaates, sondern fast aller Bereiche der Gesellschaft für (Standort-) Nationalismus, Rassismus und rechte Gewalt verantwortlich macht. Der modernisierte Rechtsextremismus verklammert Nationalismus und Wirtschaftsliberalismus in einer Weise miteinander, die populistische Anrufungen ermöglicht bzw. erleichtert: "Konstruktionen des Nationalen werden (…) als ideologisches Bindemittel genutzt, um soziale Frustration in autoritäre, obrigkeitsstaatliche Orientierungen zu überführen."
Neben den ökonomischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen, die im Zuge der Globalisierung eine neue Gestalt annehmen, prägt die politische Kultur eines jeden Landes seine extreme Rechte, deren Ideologie, Organisationsstrukturen und Führerpersönlichkeiten, aber auch die Art und Weise, wie ihnen demokratische Kräfte begegnen. Erblasten der politischen Kultur in Deutschland waren und sind zum Teil noch immer: ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken, die Fixierung auf Staat (Etatismus) und Obrigkeit (Untertanenmentalität), politischer Konformismus und übertriebene Harmoniesucht, Autoritarismus und Antipluralismus, Antiintellektualismus und Irrationalismus, ein Hang zum (rechtlichen) Formalismus, die preußische Ordnungsliebe sowie eine Schwäche vieler Männer für militärische Disziplin. Sie gipfelten in einem aggressiv-militanten Nationalismus, weil Deutschland als "verspätete Nation" (Helmuth Plessner), von der Ungleichzeitigkeit zwischen Industrialisierung und Demokratisierung geprägt, wenn nötig auch mit Waffengewalt einen "Platz an der Sonne" - das meinte: Weltmachtstatus - zu erlangen suchte.
Trotz verheerender Niederlagen in zwei Weltkriegen wurzelt der Glaube, dass "wir Deutsche" ein besonders fleißiges, tüchtiges und begnadetes Volk seien, noch immer tief im Massenbewusstsein.

Deutschnationalismus, Kulturrassismus und Wohlstandschauvinismus nach der Wiedervereinigung
Die deutsche Vereinigung hat den Nationalismus wieder zu einer relevanten Größe gemacht. Nun bekamen Kräfte spürbar Auftrieb, denen "das Nationale" immer schon mehr als "das Soziale" am Herzen gelegen hatte. Zwar konnten REPublikaner, DVU und NPD von dem "Jahrhundertereignis" nicht profitieren, sondern eher die Unionsparteien, als eigentliche Sieger fühlten sich aber jene, die nach "Mitteldeutschland" nun auch die ehemaligen Ostgebiete des sog. Dritten bzw. Großdeutschen Reiches "heimholen" wollten.
Wiewohl es nach der Vereinigung von DDR und Bundesrepublik weder hüben noch drüben einen "Nationalrausch" (Wolfgang Herles) gab, hat eine partielle Renationalisierung der Politik und der politischen Kultur stattgefunden. Die am 20. Juni 1991 getroffene Entscheidung des Parlaments, in das Reichstagsgebäude nach Berlin überzusiedeln, wurde zumindest in Teilen der Öffentlichkeit als Distanzierung von der "Bonner Republik", als definitive Abkehr von der Westorientierung und "Rückbesinnung auf die Nation" interpretiert. Seit nicht mehr zwei Teilstaaten existieren, erscheint Deutschland wieder als politisches Kollektivsubjekt, das "selbstbewusst" handeln soll und seinen Bürger(inne)n mehr Leistungs- bzw. Leidensfähigkeit abverlangen muss. Nach der neoliberalen Standortlogik geführt, ist dieser DeutschlandDiskurs nicht frei von apokalyptischen Untertönen. Genannt seien nur die Bestseller von Meinhard Miegel, Hans-Werner Sinn und Gabor Steingart.
Politisch-kulturelle Traditionen entscheiden mit darüber, auf welche Art eine Wirtschaftskrise oder eine gesellschaftliche Umbruchsituation, etwa DDR-"Wende" und deutsche Wiedervereinigung, kollektiv "verarbeitet" werden. Sofern ausgrenzend-aggressive Momente in der politischen Kultur eines Landes dominieren, werden die gesellschaftlichen Verteilungskämpfe zu Abwehrgefechten der Einheimischen gegen "Fremde" und zu interkulturellen Konflikten hochstilisiert. Die 1991/92 extrem zugespitzte Asyldebatte hat nicht nur dem Grundrecht selbst geschadet, sondern auch die Verfassung und die demokratische Kultur der Bundesrepublik lädiert.
Gudrun Hentges erklärt die Brisanz und Resonanz der im Oktober 2000 entbrannten "Leitkultur"-Diskussion mit dem Zeitpunkt, zu welchem sie geführt wurde: "Ein Jahrzehnt nach der Auflösung des sozialistischen Staatensystems und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten stellt sich die Frage nach der ‚selbstbewußten Nation' neu - nicht nur in der sog. Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sondern auch im Bereich der Ausländer- und Asylpolitik." Gegenwärtig avancieren Themen der Rechten zu Themen der Mitte: Zuwanderung, Nationalbewusstsein und demografischer Wandel sind Beispiele dafür, wie die Ethnisierung und Kulturalisierung sozialer, politischer sowie ökonomischer Prozesse voranschreiten. "Offenbar bedienen alle etablierten Parteien in unterschiedlichem Maße Themen, die ideologische Schnittmengen zwischen sich und rechtsextremen Ideologien erzeugen." Dabei übernimmt der Wohlstandschauvinismus zunehmend jene Rolle, die der Antisemitismus für NS-Agitatoren spielte: "Er steht im Zentrum des öffentlichen rechten Diskurses und stellt die wichtigste Schnittstelle zum Alltagsdenken der Bevölkerung dar." Gleichzeitig hat der Antisemitismus wieder Hochkonjunktur, was nicht zuletzt auf die ökonomische Globalisierung zurückzuführen ist.

Beschleunigung der Rechtsentwicklung im Diskurs über Zuwanderung am "Wirtschaftsstandort"
Von der "Leitkultur"-Diskussion, in die sich auch rechtsextreme Medien einmischten, führte ein gerader Weg zur "Nationalstolz"-Debatte, wie schon von der Asyldiskussion zur Standortdebatte, die Mitte der 1990er-Jahre das Einfallstor für eine neue Spielart des Nationalismus darstellte. War zuerst die Angst geschürt worden, Ausländer nähmen "den Deutschen die Arbeitsplätze" weg, so entstand nunmehr der Eindruck, das deutsche Kapital entschwinde ins Ausland. Massenmedien spielten bei dieser Panikmache eine Schlüsselrolle. Typisch war die Titelzeile "Hochsteuerland Deutschland: Haut Daimler ab in die USA?" auf Seite 1 der Bild-Zeitung am 6. Oktober 1999.
Das verbreitete Bewusstsein, auf den Weltmärkten einer feindlichen Front gegenüber zu stehen und durch "deutschen Erfindungsgeist", größeren Fleiß und mehr Opferbereitschaft die Überlegenheit des "eigenen" Wirtschaftsstandortes unter Beweis stellen zu müssen, kann "Standortnationalismus" genannt werden.
Konkurrenzfähigkeit wird im Zeichen der Globalisierung zum Dreh- und Angelpunkt individueller Lebensgestaltung und gesellschaftlicher Entwicklung, was nicht ohne Konsequenzen für das soziale Klima bzw. die politische Kultur bleibt: "Die Betonung des ökonomischen Nutzenkalküls sieht nicht nur von schlichten mitmenschlichen Verpflichtungen ab, sie grenzt auch all jene aus, die uns tatsächlich oder vermeintlich nur zur Last fallen." Für die Nichtdeutschen in Deutschland ergaben sich automatisch ungünstigere Aufenthaltsbedingungen: "In einer Situation, in der das ‚ganze Volk' angehalten wird, ‚den Gürtel enger zu schnallen', liegt es auf den Stammtischen, dass ‚Fremde', seien es Arbeitsmigranten, Asylbewerber oder Flüchtlinge, nicht auch noch von den ohnehin knappen Mitteln bedient werden können. ‚Deutsch sein' heißt unter den Bedingungen des modernen Wohlfahrtsstaates, den eigenen Wohlstand zu verteidigen und Ansprüche anderer Gruppen zu delegitimieren und abzuwehren."
Dadurch eröffnen sich dem Rechtsextremismus ideologische Anknüpfungspunkte, die es vorher nicht oder nur begrenzt gab. Je enger die Verteilungsspielräume einer Gesellschaft (gemacht) werden, desto mehr wächst die Versuchung, sog. Randgruppen von bestimmten Ressourcen auszuschließen. Ethnisierung ist ein dafür geeigneter Exklusionsmechanismus, der Minderheiten konstruiert, diese negativ ("Sozialschmarotzer") etikettiert und damit Privilegien zementiert. Vordergründig geht es bei der Ethnisierung um die "kulturelle Identität"; dahinter stecken aber meist handfeste Interessen und Konflikte, knappe bzw. verknappte gesellschaftliche Ressourcen betreffend. Zuerst werden "die Anderen" stigmatisiert und ausgegrenzt; mit der Konstituierung bzw. Konturierung einer nationalen oder einer "Volksgemeinschaft" sind allerdings in der Regel weiter reichende politische und ökonomische Ziele verbunden. Mit der Ethnisierung sozialer Beziehungen korrespondiert eine "Kulturalisierung" der Politik, die nicht mehr - wie früher allgemein üblich - auf materielle Interessen zurückgeführt, sondern auf die Wahrung kollektiver Identitäten reduziert wird.
Globalisierung, als neoliberale Modernisierung ins Werk gesetzt, führt zu diversen Spaltungen: Die soziale Polarisierung innerhalb der wie auch zwischen den einzelnen Gesellschaften (Zentren und Peripherie); Dualisierung transnationaler Wanderungen in Experten- bzw. Elitenmigration einerseits und Elendsmigration andererseits; eine Krise bzw. ein Zerfall der Städte, durch Marginalisierung und sozialräumliche Segregation bedingt, gehören zu den Folgen, auf die Rechtsextremisten eine demagogische, aber keineswegs überzeugende Antwort geben.
Ein "nationaler Wettbewerbsstaat" (Joachim Hirsch), der kein herkömmlicher Wohlfahrtsstaat mit einer umfassenden Verantwortung für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit mehr sein möchte, verschärft durch seine marktradikale Wirtschaftspolitik die soziale Ungleichheit und bereitet damit den Resonanzboden für gesellschaftliche Ausgrenzungs- und Ethnisierungsprozesse. Je mehr die Konkurrenz gegenwärtig in den Mittelpunkt zwischenstaatlicher und -menschlicher Beziehungen rückt, umso leichter lässt sich die ethnische bzw. Kulturdifferenz politisch aufladen. Gegenwärtig greift verstärkt ein Trend zum "hedonistisch-konsumistischen Sozialdarwinismus" um sich: "Nach dem globalen Sieg der Marktwirtschaft hat jenes Prinzip, demzufolge der Stärkere sich durchsetzt und das Schwache auf der Strecke bleibt, noch an Plausibilität gewonnen. Der aktuelle Rechtsextremismus und Rechtspopulismus beruhen auf einer Brutalisierung, Ethnisierung und Ästhetisierung alltäglicher Konkurrenzprinzipien."
Sozialdarwinismus fällt nicht vom Himmel, wurzelt vielmehr in der Erfahrungswelt einer Jugend, die durch das kapitalistische Leistungsprinzip, die Allgegenwart des Marktmechanismus und den Konkurrenzkampf jeder gegen jeden geprägt wird. Rivalität fungiert als Haupttriebkraft einer zerklüfteten, zunehmend in Arm und Reich gespaltenen Gesellschaft. "Die sozialdarwinistische Alltagsphilosophie, die damit einhergeht, erzeugt eine unauffällige, sich von direkter Gewalt fernhaltende und als ‚Sachzwang' der Ökonomie erscheinende Brutalität." Wo die Umverteilung von unten nach oben unter Hinweis auf Globalisierungsprozesse - als zur Sicherung des "eigenen Wirtschaftsstandortes" unbedingt erforderlich - legitimiert wird, entsteht ein gesellschaftliches Klima, das (ethnische) Ab und Ausgrenzungsbemühungen stützt. In einer Zeit verschärfter Konkurrenz eine ideologische Rechtfertigung der Missachtung ethischer Grundwerte und größerer sozialer Ungleichheit (im Sinne von Ungleichwertigkeit) zu offerieren, bildet laut Franz Josef Krafeld einen Hauptgrund für die wachsende Attraktivität der rechtsextremen Orientierungen.
In der "Berliner Republik" weht ein neokonservativer Zeitgeist durch Ministerien, Gerichtssäle und Redaktionsstuben. Da ihm die rot-grüne Bundesregierung wenig entgegenzusetzen hatte, sondern sich am Ende noch stärker als zu Beginn ihrer Amtszeit in "Neoliberalismus light" und einem prinzipienlosen Pragmatismus erging, gewannen christlich-abendländische Werte und Traditionen wieder an Bedeutung. Durch die Bildung der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD erhielten nationale Stimmungen weiteren Auftrieb, wie das Motto "Gemeinsam für Deutschland - mit Mut und Menschlichkeit" des am 18. November 2005 unterzeichneten Koalitionsvertrages zumindest ahnen lässt.

Ausdifferenzierung des Nationalismus und Dualisierung des Rechtsextremismus
Kernideologien, organisatorische Formen, politische Strategien und soziale Wählerpotenziale des Rechtsextremismus differenzieren sich im Rahmen der Globalisierung aus: Neben den völkischen Nationalismus in Bevölkerungsschichten, die Angst vor einem "Turbo-Kapitalismus" (Edward N. Luttwak) haben, tritt ein Standortnationalismus, den in erster Linie solche Schichten unterstützen, die von einer neoliberalen Modernisierung profitieren, den "Umbau" des Wohlfahrtsstaates nach Marktgesetzen forcieren und die soziale Ausgrenzung der weniger Leistungsfähigen intensivieren möchten.
Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt sind keineswegs bloß "hinterwäldlerisch" anmutende Reaktionsweisen direkt betroffener oder benachteiligter Gruppen auf Globalisierungs-, neoliberale Modernisierungs- und soziale Marginalisierungsprozesse. Vielmehr verursachen diese auch in der gesellschaftlichen Mitte bzw. genauer: auf den "höheren Etagen" bedrohliche Erosionstendenzen. "Gefahren der Entwicklung - auch solche der sozialen Desintegration und rechtsextremer Potentiale - gehen nicht von der ‚Masse' der Bevölkerung aus. In der politischen Qualifikation der alten und neuen Eliten liegt das Problem."
Die neoliberale Modernisierung bewirkt auch eine Umstrukturierung, politisch-organisatorische wie geistig-ideologische Ausdifferenzierung und Dualisierung des Rechtsextremismus, der seither in einen traditionalistischen und einen modernistischen Flügel zerfällt. Sozialstrukturell zieht ersterer primär die Globalisierungs- bzw. Modernisierungsverlierer, letzterer besonders die Globalisierungs- bzw. Modernisierungsgewinner in seinen Bann. Über einen längeren Zeitraum hinweg dominieren Mischformen in Gestalt rechtspopulistischer Parteien, die soziale Aufsteiger ebenso anzusprechen suchen wie sozial Benachteiligte.
Wenn die Kritik an einem angeblich überbordenden, die Wirtschaft lähmenden und den "eigenen" Standort gefährdenden Wohlfahrtsstaat im Zentrum der Wahlkampfpropaganda einer Rechtspartei steht, spricht Frank Decker von "ökonomischem Populismus", den er gegenüber einer "politischen" (bzw. "institutionellen") sowie einer "kulturellen" Variante des Phänomens abhebt. Zwischen dem Neoliberalismus und der Neuen Rechten, die sich fast überall extrem marktradikal gebärdete, bevor sie - offenbar aus wahltaktischen Gründen - Konzessionen an breitere Schichten (Arbeitermilieu, sozial Benachteiligte) machte, besteht ein politisch-ideologisches Interdependenzverhältnis. "Selbst dort, wo neue rechtsradikale Parteien ihre wirtschaftsliberale Rhetorik einschränken, bedeuten die Konsequenzen ihres Aufstiegs Wasser auf die Mühlen neoliberaler Sozialstaatskritik." Man kann beim Rechtsextremismus deshalb keinen "Schwenk weg vom Neoliberalismus" diagnostizieren, sondern höchstens ein zeitweiliges Schwanken im Hinblick darauf, wie bestimmte Wählerschichten am besten erreicht werden.
Krisen- und Auflösungserscheinungen innerhalb des politischen Systems führen selbst dann, wenn sich - wie in der Bundesrepublik bisher - keine rechtspopulistische Partei fest etablieren oder auf Dauer halten kann, zu tektonischen Verschiebungen zwischen seinem Zentrum und der Peripherie, die sich quasi "nach innen" bewegt, was Ursula Birsl und Peter Lösche mit folgenden Worten kommentieren: "Die äußerste Rechte befindet sich nicht mehr am Rand des politischen Spektrums, sondern in dessen Mitte." Wilhelm Heitmeyer vertritt sogar die weiter gehende These, "daß sich ein autoritärer Kapitalismus herausbildet, der vielfältige Kontrollverluste erzeugt, die auch zu Demokratieentleerungen beitragen, so daß neue autoritäre Versuchungen durch staatliche Kontroll- und Repressionspolitik wie auch rabiater Rechtspopulismus befördert werden."
Noch in anderer Hinsicht bereitet die neoliberale Hegemonie, die außer der "sozialen Symmetrie" auch die Demokratie gefährdet, den Nährboden für Rechtsextremismus und Neofaschismus. Die scheinbare Übermacht der Ökonomie der Politik gegenüber bzw. transnationaler Konzerne dem einzelnen Nationalstaat gegenüber zerstört den Glauben vor allem vieler junger Menschen an die Entwicklungsfähigkeit und Gestaltbarkeit der Gesellschaft, treibt sie früh in die Resignation und verhindert so demokratisches Engagement, das im oft beschworenen "Zeitalter der Globalisierung" nötiger denn je wäre.

Marktradikalismus, Wirtschaftsfundamentalismus und Wettbewerbswahn als Merkmale einer Neuen Rechten
Armin Pfahl-Traughber benutzt den Terminus "Neue Rechte" als Sammelbezeichnung für eine geistig-intellektuelle Strömung des Rechtsextremismus, die in der Tradition der Konservativen Revolution steht. Unter dieser Bezeichnung firmierten verstreute, in sich wenig homogene Diskussionszirkel, Gruppen und Publikationen, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden und spätestens 1933 vom Nationalsozialismus aufgesogen bzw. unterdrückt wurden. Ihre namhaftesten Vertreter waren Ernst Jünger, Edgar Julius Jung, Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Niekisch, Carl Schmitt und Oswald Spengler. Unklar bleibt jedoch, warum gerade jene Ideologievariante des Rechtsextremismus als "neu" klassifiziert werden soll, die Gedanken aus längst vergangener Zeit - der Weimarer Republik - aufgreift und übernimmt, ohne dabei besonders kreativ zu sein und eigene Akzente zu setzen.
Plausibler wäre es, als "Neue Rechte" jene Kräfte zu bezeichnen, die durch Benutzung der sog. Neuen Medien viele Jugendliche erreichen und nach Meinung mancher Beobachter auch eine Gefahr eigener Qualität darstellen. Eine solche Typologisierung bliebe freilich rein formal, denn politisch-ideologisch hätte sich wenig geändert. Da sich innerhalb des Rechtsextremismus wie an seinen Rändern gegenwärtig Differenzierungs-, Umorientierungs- und Neuformierungsprozesse abspielen, aber bisher kein Kriterium existiert, nach dem man zwischen Alter und Neuer Rechter unterscheiden kann, sollte die Stellung einer Partei, Organisation oder Person zur Globalisierung, zur Liberalisierung der Märkte oder zur neoliberalen Standortlogik bzw. -politik einen inhaltlichen Differenzpunkt bilden. Als "neurechts" wären Strömungen im Rechtsextremismus selbst wie auch im politisch-ideologischen Grenzland zwischen diesem und dem Neoliberalismus zu bezeichnen, die Marktradikalismus mit Standortnationalismus kombinieren. Zur "alten Rechten" würden nur Personen, Organisationen und Positionen zählen, die sich auf den völkischen Nationalismus stützen.
Die beiden Hauptflügel des Rechtsextremismus bieten unterschiedliche Interpretationsmuster zum Verständnis der Gesellschaftsentwicklung an, haben gegensätzliche Haltungen zur Globalisierung und werben um ganz andere (Wähler-)Schichten: Während sich die marktradikal-modernistische Richtung an "Globalisierungsgewinner" wendet, denen es zumindest so lange relativ gut geht, wie deutsche (Groß-)Unternehmen hohe Gewinne erzielen, lenkt die traditionell-protektionistische Fraktion des Rechtsextremismus den wachsenden Unmut von der Lage auf dem Arbeitsmarkt oder dem starken Konkurrenzdruck für Handwerker, Einzelhändler/innen und Kleingewerbetreibende frustrierter "Globalisierungsverlierer/innen" auf ihre Mühlen. Rechtspopulistische Parteien suchen manchmal sogar beide Gruppen gleichermaßen in einem politischen Spagat für sich zu gewinnen, was allerdings auch kontraproduktiv sein sowie zu Glaubwürdigkeitsverlusten in der Öffentlichkeit führen kann.
Während die Alte Rechte auf Traditionsbewusstsein, überkommenen Werten und dem Mythos des Reiches basiert, setzt die Neue Rechte eher auf Innovationsbereitschaft, geistige Mobilität und den Mythos des Marktes. Nicht bloß ihre "antiliberale Grundhaltung" à la Carl Schmitt, sondern mehr noch ihre wirtschaftsliberale Grundhaltung à la Adam Smith ist für die Neue Rechte kennzeichnend. Typisch für den besagten Umschwung war ein wirtschafts- und sozialpolitischer Paradigmawechsel, der Protektionismus durch Marktradikalismus bzw. Freihandel, die Zentralisierung der Staatsmacht durch Privatisierung bzw. Entbürokratisierung und die "Volks-" durch die "Standortgemeinschaft" ersetzt. Die Neue Rechte ist heute nicht mehr einer völkischen Blut-und-Boden-Romantik verhaftet, sondern viel stärker markt-, wettbewerbs- und leistungsorientiert. Pointiert formuliert: Statt fremder Länder will sie neue Absatzmärkte erobern.
Mit unterschiedlichen, wenn nicht gegensätzlichen Positionen zu Marktwirtschaft, Privatisierung und Deregulierung hat sich eine neue Scheidelinie zwischen den Fraktionen im ultrarechten Lager herausgebildet. Insofern gibt die Zweiteilung des Nationalismus, seine Ausdifferenzierung in einen völkisch-traditionalistischen und einen modernistischen bzw. Standortnationalismus ein geeignetes Klassifikationsraster zur Unterscheidung zwischen der Alten und der Neuen Rechten ab. Ohne "den nach wie vor zentralen Stellenwert des völkischen Nationalismus für die Neue Rechte" zu leugnen, wie Friedemann Schmidt unterstellt, ist zu berücksichtigen, dass sich die neoliberale Standortlogik damit amalgamiert und heute vor allem bei Wirtschaftseliten auf viel größere Akzeptanz trifft als manche traditionelle Ideologieelemente. Standortnationalismus lädt sich jedoch im wiedervereinten Deutschland mit seiner historischen Belastung durch die NS-Vergangenheit immer noch völkisch auf. Der traditionelle Rechtsextremismus war ein Befürworter der ökonomischen Staatsintervention und sozialer Prozesssteuerung. Paternalismus, Protektionismus und (Sozial-) Patriotismus prägten seine Wirtschafts- bzw. Gesellschaftspolitik. Gefahr droht allerdings weniger von einer Wiederbelebung völkischer Mystik durch Neonazis, die sich auf dem Obersalzberg treffen, zum Kyffhäuser pilgern oder alljährlich ins oberfränkische Wunsiedel wallfahrten, wo der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß begraben liegt, als von einer modernistischen Fraktion, die das Konzept der "Standortsicherung" zuspitzt und dafür die Unterstützung mächtiger Wirtschaftskreise erwartet.

Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und Neue Rechte - eine Gefahr für die Demokratie?
Der modernisierte Rechtsextremismus/-populismus hat mit dem "alten" Faschismus zwar viele Grundprinzipien gemein, ist jedoch ohne Bezug auf die Parolen des Neoliberalismus schwerlich vorstellbar. Die rechte Wertetrias, so scheint es, bilden nicht mehr "Führer, Volk und Vaterland", sondern Markt, Leistung und Konkurrenzfähigkeit (des Industriestandortes):
Privatisierung sozialer Risiken, öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungen, Deregulierung des Arbeitsmarktes und Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse bilden jene Zauberformel, mit der man die Zukunft des "Standortes D" sichern will. Das altbacken klingende Wort "Volk" braucht die Neue Rechte gar nicht mehr, um ihre Politik, Programmatik und Praxis zu begründen, zumal es immer schon eine Legitimationsbasis für die Machtansprüche elitärer, sich überlegen dünkender Minderheiten bildete.
Obwohl ihr weiterhin das Image der "Ewiggestrigen" und der "Unbelehrbaren" anhaftet, versucht die Neue Rechte, sich "an die Spitze des Fortschritts" zu setzen, was deshalb möglich erscheint, weil sie im Unterschied zu den etablierten Parteien selbst die verheerendsten "Kollateralschäden" von Marktradikalismus und Wettbewerbswahn nicht scheut, sondern die Devise "Noch mehr Markt, aber weniger Demokratie wagen!" ausgibt.
Zwar verfügt die Neue Rechte nicht über die Staatsmacht, aber sie beeinflusst die politische Kultur der Bundesrepublik, indem sie den öffentlichen Diskurs zu dominieren, Themen zu bestimmen und Begriffe umzudeuten sucht. Wie die "alte" wendet sich die Neue Rechte sozioökonomischen Fragen zu, die im Zeichen der Globalisierung tendenziell an Bedeutung gewinnen. "Wirtschaft und Soziales sind inzwischen das zentrale Politikfeld geworden, auf das sich programmatische Bemühungen und Agitationskampagnen fast der gesamten rechtsextremen Szene konzentrieren." Die Neue Rechte verbindet unter Bezugnahme auf negative Folgewirkungen der Globalisierung die soziale mit der "Ausländerfrage". Dadurch gewinnt sie leichter Anschluss an die neoliberale Sozialstaatskritik und hegemoniale Diskurse, was eine historisch bedeutsame Veränderung im rechten Lager darstellt.
Die politisch-ideologischen Übergänge zwischen Neoliberalismus und Neuer Rechter sind fließend, etwa im Hinblick auf die Wohlfahrtsstaatskritik. Das beweisen Buchautoren wie Roland Baader oder Alfred Zänker, die als Grenzgänger fungieren, zumal ihnen neurechte Publikationsorgane offen stehen. "Neurechte Autoren nehmen das neoliberale Freiheitsverständnis auf, um es in Anlehnung an die neoliberale Kritik am Sozialstaat polarisierend gegen das Gleichheitsprinzip auszuspielen." Gerd Wiegel sieht die Geistesverwandtschaft zwischen der Neuen Rechten sowie den politischen Machthabern und den etablierten Parteien in einer Relativierung bzw. Auflösung des Sozialen. Er weist darauf hin, "dass auch in der Mitte die Antworten auf die soziale Frage nur noch aus Elementen rechter Ideologie bestehen, dass also die Vorstellung der prinzipiellen und anthropologisch begründeten Ungleichheit an die Stelle von Solidarität, Emanzipation und Gleichheit getreten ist."
Die parlamentarische Demokratie ist keineswegs, wie oft behauptet, ein politischer Verwandter der kapitalistischen Marktwirtschaft, vielmehr akut bedroht, wenn sie mächtigen Wirtschaftsinteressen im Wege steht. Neokonservative und Standortnationalisten träumen von einem "schlanken", aber nichtsdestoweniger schlagkräftigen Staat. Während man die Sozialfunktionen des Staates stutzen und Wohlfahrtsleistungen für Bedürftige stornieren will, sollen seine Repressionsapparate (Polizei, Justiz und Geheimdienste) gestärkt werden. Wer die Ökonomie verabsolutiert, negiert im Grunde die Politik und die repräsentative Demokratie, weil sie Mehrheitsentscheidungen zum Fixpunkt gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse macht und nicht das Privateigentum an Produktionsmitteln. Selbst das Grundgesetz der Bundesrepublik ist Neoliberalen ein Dorn im Auge, gilt es doch, sein Sozialstaatsgebot außer Kraft zu setzen und dem Markt nicht nur Vor-, sondern auch Verfassungsrang einzuräumen. Dabei stören demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, die meistens (zu) lange dauern, Prinzipien wie die Gewaltenteilung und föderale Strukturen, weil sie Macht beschränken, sowie der Konsenszwang eines Parteienstaates.

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