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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Mai 2007



Gesichter des modernen Antisemitismus:

Vom Antijudaismus zum Antizionismus

Janka Kluge

Bei Meinungsumfragen kommen Wissenschaftler immer wieder zu dem Ergebnis, dass ungefähr 15% der Bevölkerung offen oder latent antisemitisch sind. Wenn ein politisches Ereignis - sei es im Zusammenhang mit Israel, oder mit prominenten Juden in Deutschland wie beispielsweise Michael Friedmann - in der Öffentlichkeit besonders Beachtung findet steigt dieser Anteil sogar auf über 20%.
Dieser offene und latente Antisemitismus zeigt sich nicht nur bei Umfragen. Einige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen wie aktuell das Thema ist.
Immer wieder werden bei Fußballspielen gegnerische Mannschaften antisemitisch beschimpft. Beim Auswärtsspiel von Cottbus in Dresden diffamierten Fans den Sportverein Dynamo Dresden als "Judenclub". Ähnliches passiert immer wieder wenn die Offenbacher Kickers gegen Eintracht Frankfurt spielen. Die Erfahrungen der Spieler des jüdischen Sportvereins TuS Makkabi zeigen ebenfalls wie sehr der Antisemitismus noch in der Gesellschaft verankert ist. Bei Spielen des Vereins skandieren die gegnerischen Fans regelmäßig antisemitische Parolen. So beim Spiel in Altglienicke II als Fans skandierten: "Vergast die Juden", "Auschwitz ist wieder da" und "Hier regiert die NPD".
In vielen Stadien hat sich das Lied "Wie bauen eine Autobahn, wir bauen eine Autobahn (von beispielsweise) Stuttgart bis nach Auschwitz" .
Es gibt aber auch Beispiele, die nicht aus dem Fußball kommen. In Leipzig verteilten vor einiger Zeit Nazis Flugblätter mit der altbekannten Parole: "Kauft nicht bei Juden"

Antijudaismus
Bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war der Judenhass im religiös motivierten Antijudaismus vorherrschend. In seinen Thesen wurden immer wieder die selben Argumente vorgebracht. Juden hatten Christus umgebracht und deswegen bestraft Gott das jüdische Volk. Sie seien zu Unstetigkeit verdammt und müssten heimatlos über die Welt ziehen. Seitdem, so diese Behauptungen würden die Juden versuchen die Christen zu vernichten oder ihnen zumindest zu schaden. Der Vorwurf der Brunnenvergiftung war solch ein Argument. Die Menschen konnten sich damals nicht erklären wie Seuchen wie die Pest in Europa wüten konnte. Zu den Argumenten des religiösen Antijudaismus gehört auch der immer wieder auftauchende Vorwurf Juden würden kleine christliche Kinder töten um sie dann zu opfern. Erst mit der Aufklärung und dem wachsenden Wissen breiter Bevölkerungsteile konnte dieser religiöse Antisemitismus in die Schranken gewiesen werden.
Der Zeitpunkt als der Begriff des Antisemitismus erstmals in der Öffentlichkeit auftauchte lässt sich genau benennen. 1879 tauchte er im Umfeld des deutschen Journalisten Wilhelm Marx auf. Er stand für den Versuch sich von dem davor vorhanden religiösen Antijudaismus abzuheben und eine neue wissenschaftliche Argumentation einzuführen. Vorausgegangen waren breite Diskussionen über die Nation und über Rassen. Werner Bergmann schreibt dazu in seiner "Geschichte des Antisemitismus":
"Dieser Neologismus bringt den im frühen 19. Jahrhundert einsetzenden Wandel in der Wahrnehmung von Juden auf den Begriff, die nun nicht mehr primär über ihre Religion definiert wurden, sondern als Volk, Nation oder Rasse, die vielen in den entstehenden Nationalstaaten als Bedrohung der nationalen Einheit erschien."1) Viele Juden allerdings waren überzeugte Antizionisten, weil sie ihre Zukunft in einem assimilierten Zusammenleben mit anderen z.B. in Deutschland sahen, und nicht in der Gründung eines eigenen jüdischen Staates.

Antisemitismus
Je mehr sich aber der religiöse Antijudaismus auf dem Rückzug befand, umso mehr fand eine neue Form Verbreitung. Antisemiten argumentierten jetzt mehr und mehr mit der vermeintlichen jüdischen Rasse. Diese, so das neue Argument, sei minderwertig und müsse ausgegrenzt werden. Dieser völkische Antisemitismus warf sich jetzt das Mäntelchen der Wissenschaften um. Es entstand eine Vielzahl an Gruppen die diese neuen antisemitischen Thesen unter die Menschen brachten. Hier holte sich Hitler seine Ideen. Viele der frühen Mitglieder und Wähler der NSDAP stammten genau aus diesem Umfeld.
Eines der Ziele der NSDAP war von Anfang an, dass die Juden aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet werden und dann aus Europa vertrieben werden sollen. Schritt für Schritt wurde ihnen das Leben in Deutschland immer unangenehmer gemacht. Die Ermordung der europäischen Juden war zu Beginn der Nazi-Herrschaft nicht ihr erklärtes Ziel. Erst mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen begann sich die Ermordung der osteuropäischen Juden zu entwickeln. Große Teile der Wehrmacht waren so antisemitisch eingestellt, dass es ihnen nichts ausmachte, fast überall wo sie auf jüdische Bevölkerung stieß diese zu erschießen. Der Historiker Jochen Böhler schreibt in seiner Untersuchung "Auftakt zum Vernichtungskrieg": "Parallel zu den Massenexekutionen durch Einsatzgruppen, SS-Einheiten und `Volksdeutschen Selbstschutz` fanden im September 1939 überall im Land Erschießungen durch reguläre Einheiten des deutschen Heeres statt, denen tausender polnischer und jüdischer Zivilisten und Kriegsgefangener zum Opfer fielen." 2) Die Ermordung von 6 Millionen Juden in Auschwitz, Treblinka und anderen Vernichtungslagern stand am Ende dieser Entwicklung.

Antizionismus
Nach der Befreiung vom Faschismus gab es in Deutschland kaum öffentliche antisemitische Äußerungen. Der Schock über die Bilder aus den Vernichtungslagern war zu groß und der Wille das Land wieder aufzubauen zu stark um gegen Juden zu hetzen. Das war allerdings nur eine Rückhaltung und keine generelle Abkehr von antisemitischem Gedankengut. Schändungen jüdischer Friedhöfe in den fünfziger Jahren, u.a. in Stuttgart zeigen deutlich, dass sich der nationalistische und antisemitische Untergrund nun wieder so stark fühlte um wieder Aktionen durchzuführen.
Erst mit dem 6 - Tage Krieg im Juni 1967 änderte sich das vorsichtige Vorgehen der Antisemiten. Mit dem Schlagwort "Antizionismus" der aus der arabischen Welt nach Europa und auch nach Deutschland gekommen war änderte sich die Zurückhaltung vieler Antisemiten. Der Begriff des "Antizionismus" ist seitdem fester Bestandteil vieler Antisemiten. Formal ist "Antizionismus" erstmal eine Gegenposition zu einer hauptsächlich von Theodor Herzl formulierten Theorie, dass Juden ein eigenes Land bräuchten. Im Visier dieser angehenden Staatsgründer war das alte Palästina. Jenes Land, das nach der Bibel Gott den Juden versprochen hat. Die Idee hatte genauso wie die anderer Nationalisten ihre Grundlagen in der Diskussion über Nation und Rasse.
Im Mäntelchen des "Antizionismus" versteckt treiben viele rechtsextreme ihr Unwesen. Für sie ist die Existenz Israels die Grundlage allen Übels im Nahen Osten, wenn nicht gar auf der Welt.
Immer wieder höre ich das Argument, dass es ja überhaupt nicht möglich sei "Israel zu kritisieren". Allein schon diese Formulierung offenbart eine Unsensibilität gegenüber der Lebensrealität in Israel. Es gibt viele sehr unterschiedliche Lebensrealitäten in Israel, wie in jedem anderen Land auch. Das Leben der vielen eingewanderten osteuropäischen Juden hat wenig gemein, mit dem der Israelis, die im Land geboren wurden, oder den arabischen Israelis. Wenn in der Kritik aber alle über einen Kamm geschoren werden geht es nicht mehr um ernste und fundamentierte Kritik an der israelischen Politik, sondern der Staat Israel soll diffamiert werden. In Diskussionen mit Juden in Deutschland komme ich immer wieder darin überein, dass Israel ein Apartheidsland ist. Diese Apartheid nach innen, wie die unerträgliche Behandlung Palästinas und der Palästinenser konnte ich bis jetzt immer und überall kritisieren, ohne dass mir Antisemitismus vorgeworfen wurde.
Als Antifaschisten können und dürfen wir keine Argumente benutzen, die auch von Nazis benutzt werden. So berechtigt wir auch die israelische Politik kritisieren, sollten wir uns davor hüten das Existenzrecht Israels in frage zu stellen.

Bei diesem Text handelt es sich um das leicht überarbeite Einführungsreferat zur Diskussion auf der Landesvorstandssitzung der VVN-BdA BW im Oktober 06

Anmerkungen:
1) Werner Bergmann "Geschichte des Antisemitismus" Beck Verlag, S.6
2) Jochen Böhler "Auftakt zum Vernichtungskrieg" Fischer Verlag, S.11


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