VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 03.09.2007
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 2 / August 2007



Die VVN im Visier des Rechts-Staates:

Der Kampf um Grundrechte und Demokratie

LV

Das Eintreten der neugegründeten VVN für eine konsequente Friedenspolitik, für die Entfernung aller belasteten Nazis aus Staat, Gesellschaft und Wirtschaft, für die Einheit Deutschlands stand zwar im Einklang mit dem Potsdamer Abkommen. Dennoch geriet sie gerade dadurch mit der offiziellen Politik in Konflikt.

Die VVN passte schon sehr früh nicht mehr in die politische Landschaft, die sich Zug um Zug von Potsdam entfernte. Statt auf eine demokratische, antifaschistische Entwicklung in einem entmilitarisierten und entnazifizierten neutralen Gesamtdeutschland setzten Westmächte und Bundesregierung auf die Entstehung eines westdeutschen Frontstaates gegen die Sowjetunion. Restauration, Remilitarisierung und auch Renazifizierung waren zwangsläufige Bestandteile dieser Strategie des Kalten Krieges.
Die Antifaschisten, dem Schwur von Buchenwald "nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg" verpflichtet, standen diesem Kurs im Wege.

Belastungsprobe Unvereinbarkeit
Ein erster Schlag traf die neugegründete gemeinsame Organisation der Naziopfer unterschiedlicher Weltanschauungen und politischen Überzeugungen, als der SPD-Vorstand 1948 einen Unvereinbarkeitsbeschluß gegen die VVN faßte, weil die VVN "durch ihre politische Stellungnahme zu vielen Fragen die kommunistische Politik eindeutig unterstützt". Trotz heftiger innerparteilicher Auseinandersetzungen wurde dieser Beschluß im September vom SPD-Parteitag in Düsseldorf bestätigt. Die Sozialdemokratischen Kameradinnen und Kameraden standen vor einem schweren Gewissenskonflikt.
In Württemberg-Baden berief die VVN im Dezember eine außerordentliche Landeskonferenz ein. Die Landes-SPD hatte Bedingungen signalisiert, unter denen sie bereit sei von der Durchführung des Düsseldorfer Beschlusses Abstand zu nehmen: Keine weitere Beteiligung am interzonalen Rat der VVN, Beschränkung der Aufgaben auf die Interessensvertretung bei der Wiedergutmachung und Streichung des Satzungszieles "Beseitigung des Nationalsozialismus in allen seinen Erscheinungformen" sowie die Fixierung eines festen Auflösetermines in der Satzung.
Das Votum der Delegierten war eindeutig. Keines dieser Ansinnen wurde akzeptiert. Stattdessen verabschiedeten sie eine Entschließung in der es heißt: "Die außerordentliche Landeskonferenz der VVN erneuert das den toten Widerstandskämpfern in den Kerkern und KZs gegebene Gelöbnis, über alle parteipolitischen, rassischen, religiösen und weltanschaulichen Gegensätze hinweg die Einheit der Kämpfer für Menschlichkeit, Frieden und Gerechtigkeit aufrecht zu erhalten."
Trotz dieser einmütigen Bekundung sahen sich nun die sozialdemokratischen Mitglieder der VVN vor die Wahl gestellt, entweder die VVN oder die SPD zu verlassen. Der VVN Landesvorstand berichtet im Mai 49 "daß die weitaus überwiegende Zahl unserer SPD-Kameraden bei der Entscheidung 'SPD oder VVN' der VVN den Vorzug gibt." Manche dieser sozialdemokratischen Antifaschisten wurden wie z.B. in Mannheim tatsächlich aus der SPD ausgeschlossen. Andere entschieden sich in diesem Konflikt für ihre Partei, um dennoch auch weiterhin vertrauensvoll mit der VNN zusammenzuarbeiten. Dennoch hatte der Grundgedanke der VVN als solidarischer Zusammenschluss aller Verfolgten Schaden genommen. Die Zukunft sollte zeigen, daß es Regierung und andere politische Gegner nun leichter hatten bei ihren Versuchen, die VVN ins politische Abseits zu drängen.

Adenauererlaß: Verfolgung der Verfolgten
Solche Versuche waren schnell zu spüren. Während die ehemaligen Nazis zunehmend rehabilitiert wurden und in ihre alten oder in neue Ämter und Würden zurückkehrten erließ die Bundesregierung bereits 1950 ein Dekret, den sogenannten Adenauererlaß, wonach VVN-Mitglieder nicht im Staatsdienst tätig sein dürfen.
Ein Vertreter der VVN Württemberg-Baden charakterisierte das politische Kalkül der Bundesregierung Anfang der 50er Jahre so: "In den Jahren 1946-1950 stellten die Naziopfer ein wichtiges, von allen Behörden - aber auch von der Militärregierung - geschätztes Element dar, weil sie sich vorbehaltlos in den Dienst der Sache stellten ... Die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, etwa zur KPD war nicht diskriminierend und spielte nur eine untergeordnete Rolle. Ein erster Keil wurde praktisch durch den Bonner Erlaß getrieben, der eine Reihe von Mitgliedern der VVN, aus Furcht ihre Tätigkeit in der Behörde zu verlieren, veranlaßte, der VVN den Rücken zu kehren. Dieser Erlaß war das Signal für ein Kesseltreiben gegen die VVN, das ein Ausscheiden aller nichtkommunistischen Mitglieder zum Ziele und somit durch Isolierung der KP-Mitglieder eine Deklarierung der VVN zur kommunistischen Tarnorganisation zum Zwecke hatte..."
Die "Solidarität" berichtet über das neuerliche Justizunrecht gegen NS-Verfolgte. Redakteur Hans Gasparitsch (unten) bei einer Aktion zum 50. Jahrestag der Befreiung Daß ein solches Konzept in Württemberg-Baden nicht voll zum Zuge kam, verdankt die VVN der Landesregierung unter dem altliberalen Ministerpräsidenten Reinhold Maier. Hier wurde die VVN aus der Liste der Organisationen, "deren Unterstützung mit den Dienstpflichten unvereinbar" war, gestrichen.

Politische Justiz im Kalten Krieg
Das politische Klima der 50er und frühen 60er Jahre war geprägt von hysterischem Antikommunismus. Gegen rund 300 000 RemilitarisierungsgegnerInnen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Auch viele VVN-Mitglieder, Frauen und Männer, die noch vor wenigen Jahren in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern der Nazis gequält worden waren, fanden sich vor den Schranken der Gerichte wieder und nicht wenige wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Den erneut Verurteilten und Eingesperrten WiderstandskämpferInnen wurde gleichzeitig das Recht auf Entschädigung unter Berufung auf §6 Abs. 2 BEG entzogen (angebliche Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung).
Baden-Württembergische VVN-Mitglieder, darunter die Witwe des von den Nazis ermordeten Stuttgarter Arbeitersportlers Göritz, Fridl Reichle, übten Solidarität mit den Verfolgten. Hans Gasparitsch, Häftling in Buchenwald und Dachau, arbeitete als Redakteur in der Zeitung "Solidarität". Das Blatt berichtete über die Lage der inhaftierten Antifaschisten und informierte über NS-Juristen in den Diensten der Bonner Republik.

Freiheit für die VVN
1959 stellte Innenminister Schröder beim Verwaltungsgericht Berlin Antrag auf Feststellung der "Verfassungswidrigkeit" der VVN. In einem vom Präsidium der VVN herausgegebenen Flugblatt heißt es dazu: "Es ist bezeichnend für die Entwicklung in der deutschen Bundesrepublik, daß der Verbotsantrag gerade zu einem Zeitpunkt kommt, in dem das In- und Ausland von dem Ausmaß der nazistischen Unterwanderung des öffentlichen Lebens empört und bestürzt ist, auf die seitens der VVN seit Jahren mit Nachdruck hingewiesen worden ist. Die VVN kommt deshalb zu der Feststellung, daß durch diesen Verbotsantrag der entschiedenste Warner und Mahner gegen die Wiederkehr des Nazismus ausgeschaltet werden soll."
Eine breite Welle der Solidarität, vor allem auch der ausländischen Verfolgten Organisationen, begleitete den Prozeß. Insgesamt 600 000 Unterschriften unter einen Aufruf "Freiheit für die VVN", 50.000 DM Spenden für die Prozeßführung wurden gesammelt.
Der Prozeß endete 1962 mit einer Schlappe für die Bundesregierung. Zum Eklat kam es bereits am ersten und gleichzeitig letzten Prozeßtag im November: Aus dem Zuhörerraum erschallt der Ruf "Herr Präsident, sie sind ein großer Nazi!" Die VVN besaß Dokumente die enthüllten, daß der mit dem Verbotsverfahren betraute Senatspräsident seit 33 SA-Mitglied und seit 37 Mitglied der NSDAP war. Die Anklage und auch die Rechtsanwälte der VVN, die darauf spekulierten einen Freispruch zu erreichen, beantworteten die Frage, ob dieser Vorwurf Gegenstand des Prozesses werden sollte mit Nein. Da ergriff Alfred Hausser als Mitglied der Prozesskommission geistesgegenwärtig die Initiative: Seine Antwort war ein klares "Ja". Der Prozess wurde auf unbestimmte Zeit vertagt und bis zum heutigen Tage nicht wieder aufgenommen.

Kampf gegen die Notstandsgesetze
Bereits 30.10.1958 kündigte Bundesinnenminister Dr. Gerhard Schröder in einer Rede vor dem Delegierten-Kongreß der Polizeigewerkschaft in Stuttgart eine Notstandsgesetzgebung an. Bei derselben Gelegenheit bezeichnete er übrigens die VVN als verfassungswidrig. Eine Notstandsgesetzgebung sei erforderlich, weil das Grundgesetz für einen nationalen Notstand militärischer oder auch ziviler Art keine ausreichende Handhabe böte. O-Ton Schröder: "Der Machtkampf unter den Völkern wurde durch die deutsche Kapitulation von 1945 nicht ein für allemal erledigt." Am 13. Januar 1960 legte der Innenminister den ersten Entwurf zu einem Notstandsgesetz vor, der die parlamentarische Demokratie faktisch aushebelte. Mit einfacher Mehrheit sollte im "Ernstfall" - was immer darunter zu verstehen war - das Recht der freien Meinungsäußerung, die Presse- und Versammlungsfreiheit, Freizügigkeit, Briefgeheimnis, Unverletzlichkeit der Wohnung, freie Wahl des Arbeitsplatzes aufgehoben werden. Die Bundesregierung übertrug sich die direkte Verfügungsgewalt über sämtliche Polizeikräfte und die Möglichkeit, Bundeswehreinheiten gegen den "inneren Feind" einzusetzen. Die VVN reagierte rasch mit einem Massenflugblatt: "Jeder ist bedroht!". Darin heißt es: "Laßt nicht noch einmal zu, daß die demokratischen Grundrechte beseitigt werden! Noch ist es an der Zeit, den Notstands- und Notdienstplänen entgegenzutreten, die einer neuen Diktatur Tür und Tor öffnen. Die Gefahr ist riesengroß - jeder einzelne ist bedroht. Wartet nicht wieder, bis es zu spät ist. Schließt Euch zusammen - protestiert, verteidigt Eure Bürgerrechte, rettet die Demokratie!"
Gegen die Notstandsgesetze regte sich breiter und jahrelanger Protest. Zu den Höhepunkten der zahlreichen Aktionen gehören ein Kongreß an der Universität Frankfurt, an dem über 5000 Gewerkschafter, Antifaschisten, demokratische Politiker, Hochschullehrer und Studenten teilnahmen. Mehr als 25.000 Menschen nahmen an der Abschlußkundgebung auf dem Frankfurter Römerberg am 30. Oktober 1966 teil. Rechtswissenschaftler, wie Prof. Dr. Helmut Ridder, Vorsitzender des Kuratoriums "Notstand der Demokratie" warnten, daß die Notstandsregelungen nichts mit Vorsorge bei einem eventuellen Krieg zu tun haben: "Alle Vollmachten die sie der Regierung übertragen... sind auch im Frieden anwendbar... Eine Nebenverfassung der Diktatur wird aufgebaut und nach Belieben kann man dann zwischen ihr und der Normalverfassung hin und her schalten - freiheitliche Demokratie in fetten Jahren und und für bequeme Bürger, Diktatur für Wirtschafts- und x-beliebige Krisen und für unbequeme Bürger....". Rund 100 000 Menschen demonstrierten am 11. Mai 1968 gegen die Notstandsgesetze in Bonn. Am 27.5.1968 stimmte die erforderliche Zweidrittelmehrheit einer gegenüber dem ursprünglichen Entwurf nur leicht abgeschwächten Fassung der Notstandsgesetze zu. 53 Abgeordnete der SPD und alle FDP-Abgeordneten (mit einer Ausnahme) stimmten gegen die Notstandsgesetze.

Mit Berufsverboten gegen Demokraten
Am 28. Januar 1972 faßten die Ministerpräsidenten der Länder unter Leitung von Bundeskanzler Brandt den verhängnisvollen Beschluß über "Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst", der als Radikalenerlaß bekannt wurde. Dieser Beschluß, der die Brandt-Äußerung "mehr Demokratie wagen" ins Gegenteil verkehrte, bedeutete für hunderte Lehramtsanwärter und beamtete LehrerInnen, Postbedienstete und Eisenbahner Berufsverbot und damit Vernichtung ihrer beruflichen Existenz. Innerhalb von 15 Jahren wurden rund 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst politisch überprüft. Unzählige junge VVN-Mitglieder wurden bespitzelt und als VerfassungsfeindIn diffamiert. "Es liegen Erkenntnisse gegen Sie vor. Sie haben teilgenommen an (Aufzählung von Veranstaltungen, Demonstrationen, Treffen mit Freunden) Sie haben kandidiert (z.B. Studentenparlamentswahlen auf der Liste des MSB oder auch SHB). Sie haben folgende Flugblätter verfaßt. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ergeben sich Zweifel daran, daß Sie jederzeit bereits sind, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Sie haben Gelegenheit, die Zweifel an der Anhörung am... auszuräumen." Schreiben dieses Inhalts gingen hunderttausendfach an LehramtsbewerberInnen. Der Radikalenerlaß vergiftete das politische Klima. Die Angst vor drohendem Berufsverbot lähmte und behinderte politisches Engagment. In Baden Württemberg hatte sich der Landesparteitag der SPD bereits 1972 mit einem einstimmigen Beschluss gegen die Berufsverbote in Gegesatz zur Bundespartei gestellt. Auch die damalige Oppositionspartei FDP sprach sich gegen Berufsverbote aus. Unter dem furchtbaren Juristen Filbinger wurde die Berufsverbotepraxis in Baden-Württemberg dennoch besonders rigide durchgesetzt. So hatte der baden-württembergische Innenminister Karl Schieß 1973 die "karteimäßige" Überprüfung sämtlicher Bewerber für den öffentlichen Dienst verfügt - rund 10 000 Überprüfungen pro Jahr.
Die VVN-Bund der Antifaschisten trat entschieden für die Abschaffung des Radikalenerlasses ein. Sie engagierte sich im Koordinierungsausschuß der Bürgerinitiative gegen Berufsverbote in Baden-Württemberg und wurde auch auf Kreisebene aktiv. In einer Erklärung der VVN-Gruppen Konstanz-Singen-Stockach heißt es: "Mit großer Entrüstung haben wir von den Berufsverbotsfällen in Konstanz erfahren. Wir sehen darin einen Angriff auf die Demokratie und ein weiteres Aushöhlen des Grundgesetzes... Mit solchen Methoden hat es schon einmal angefangen. Deshalb protestieren wir auf das schärfste gegen die Berufsverbote und erklären uns mit den Betroffenen solidarisch." Die VVN nutzte ihre guten internationalen Beziehungen zu Organistionen ehemaliger Widerstandskämpfer, um den Protest gegen die Berufsverbote zu verbreitern. In einer gemeinsamen Entschließung an das Europa-Parlament forderten französische, belgische, holländische und luxemburgische Organisationen ehemaliger Widerstandskämpfer und die FIR ein Ende der Berufsverbotepraxis in der Bundesrepublik. Der VVN-BdA Landesverband organisierte auch finanzielle Unterstützung für die vom Berufsverbot Betroffenen. In fast allen Ausgaben der "Nachrichten" der VVN Baden-Württemberg - Bund der Antifaschisten e.V. wurde über Berufsverbotsfälle informiert. "Die Berufsverbote zeigen in besonders krassem Ausmaß, wie zahlreich alte Nazis diese Kampagne noch selbst steuern, nachdem es die SPD war, die diese Entwicklung in Gang gesetzt hat, von der sie jetzt selber überrollt zu werden droht. Angefangen mit Filbinger und Schieß finden wir auch bei den letzten Gerichtsentscheidungen zu den Berufsverboten alte Nazis unter den Richtern, so z.B. de Chapeau Rouge und Weber Lortsch im Bundesverwaltungsgericht und Willi Geiger im Bundesverfassungsgericht." (Ausgabe 29/75) Mit zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen u.a. mehrmals in Stuttgart und in Strasbourg protestierte die VVN-Bund der Antifaschisten gemeinsam anderen Organisationen, Parteien und Gewerkschaften gegen die Berufsverbote. Am 26. 9. 1995, 23 Jahre nach dem verhängnisvollen Ministerpräsidentenerlaß, bestätigte der Europäische Gerichtshof in Strasbourg die Position der VVN-BdA und vieler anderer Demokraten und entschied: "Die Berufsverbote sind verfassungswidrig". Zwar waren seit Jahren keine neuen Berufsverbote mehr verhängt worden, aber Anlaß zur Einstellung der bisherigen Betroffenen oder sie gar zu entschädigen sah die Landesregierung immer noch nicht. Wie wenig sie sich tatsächlich um dieses Urteil scherte, sollte sich 9 Jahre später herausstellen.

Demokratie und Frieden bleiben Gemeinnützig
So konsequent gerade die Landesregierung in Baden-Württemberg die Berufsverbotepolitik betrieben und die Raketenstationierung im Land unterstützt hatte, so konsequent ging sie auch gegen die VVN - Bund der Antifaschisten vor, die sich in diesen Auseinandersetzungen als wichtige Säule der Demokratie- und Friedensbewegung erwiesen hatte. Am 12. 4. 85 entzog das Finanzamt Stuttgart Körperschaften der VVN - BdA die bisher zuerkannte Anerkennung der Gemeinnützigkeit. Die Begründung ließ keine Zweifel offen, warum: Die VVN-BdA habe durch ihr politisches Engagement gegen Berufsverbote und Raketenstationierung den Boden der Gemeinnützigkeit verlassen. In der kommenden Auseinandersetzung konnte die VVN- BdA nun ihrerseits auf die Solidarität und Unterstützung der Vielen rechnen, mit denen sie in den beiden Bewegungen zusammen gekämpft hatte. Mit Flugblättern Unterschriftensammlungen, einer Zeitungsanzeige und vielen anderen Aktivitäten machte auf diesen neuen Skandal aufmerksam. Auch von den Oppositionsparteien im Landtag der SPD und den Grünen wurde sie massiv unterstützt. Vier Jahre dauerte die öffentlich geführte Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit einer antifaschistischen Organisation. Sie endete mit einem Erfolg: Am 26. 10. wies das Finanzgericht den Bescheid des Finanzamtes als rechtswidrig zurück.

Asylrecht ist Menschenrecht
Die rasch ansteigende Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau, Unsicherheit und Existenzängste nach der sogenannten Wiedervereinigung bildeten den Nährboden für offen zutage tretenden Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Politiker der CDU/ CSU, wie der bayrische Ministerpräsident Stoiber, gossen mit Äußerungen wie die von der "durchrassten Gesellschaft" Öl in das Feuer der braunen Ideologen. Die Neonazi-Parole "Ausländer raus" avancierte in leicht moderatere Formen gekleidet zur Grundaussage der offiziellen Politik. Asylbewerber, ehemalige VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, türkische KollegInnen, Menschen dunkler Hautfarbe wurden zum Opfer rassistisch motivierter Gewalttaten. Auf die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen reagierten Regierungspolitiker mit der Forderung nach Änderung des grundgesetzlich garantierten Asylrechts, um die "Asylantenflut" - so die menschenverachtende Bezeichnung - wirkungsvoll "einzudämmen". Überall in der Bundesrepublik bildeten sich Initiativen für den Erhalt des Asylrechts, gingen BürgerInnen für die Rechte und den Schutz von Menschen anderer Nationalität auf die Straße. Die VVN-Bund der Antifaschisten wies in zahlreichen Veröffentlichungen und Erklärungen auf den antifaschistischen Charakter der Asylrechtsbestimmung hin und machte deutlich, daß 800000 deutsche Verfolgte des Nationalsozialismus, darunter Thomas und Heinrich Mann, Albert Einstein, Bert Brecht, nur überlebt haben, weil ihnen jenseits der deutschen Grenzen Asyl geboten wurde. In einer gemeinsamen Erklärung wandten sich ehemalige Verfolgte und Antifaschisten in Ost- und Westdeutschland an die Öffentlichkeit: "Wir, die wir als rassisch, religiös oder politisch Verfolgte gejagt und gequält wurden, wir als Angehörige der Nachkriegsgeneration, die sich dem antifaschistischen Erbe verpflichtet fühlen, sind in tiefer Sorge über die rassistischen Krawalle und Pogrome in Deutschland. Wir wenden uns gegen jede Verfolgung von Menschen. Wir sind für ein Deutschland, in dem die Menschenwürde aller geachtet wird. Wir solidarisieren uns mit all denen, die sich schützend vor Ausländer stellen und sich dem gefährlich zunehmenden Terror von rechts widersetzen. Dafür tragen alle Verantwortung".
In Baden-Württemberg wirkte die VVN-BdA mitinitiierend bei der Gründung des Bündnisses "Miteinander Leben", in dem unterschiedliche antirassistische Gruppen und Deutscher Gewerkschaftsbund zusammenarbeiteten und Konferenzen, Demonstrationen und Kundgebungen für den Erhalt des Asylrechts organisierten. Am 9. November 1991, dem 53. Jahrestag der Reichspogromnacht demonstrierten in der ganzen Bundesrepublik rund 150 000 Menschen gegen Fremdenhaß und Gewalt. In Stuttgart gingen 20 000 auf die Straße. Ein Jahr später demonstrierten rund 40 000 Menschen auf dem Stuttgarter Schloßplatz unter dem Motto: "Asylrecht ist Menschenrecht - Stoppt die Pogrome, Dem Haß keine Chance". Ein von der VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg herausgegebenes Massenmaterial mit dem Titel "Kein schöner Land... 9 Vorurteile über Fremde" fand zehntausendfache Verbreitung. Tausende Unterschriften wurden unter den Appell an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages: "Asylrecht ist Menschenrecht" gesammelt. Am 30. Januar 1993, dem 60. Jahrestag der Machtübertragung an die Nazis, beteiligten sich in Stuttgart 3000 Menschen an einem Sternmarsch, der unter dem Motto "Zusammenstehen gegen Fremdenhaß, Rassismus, Faschismus, Gewalt und Krieg" stand und zu dem das Bündnis "Miteinander Leben" aufgerufen hatte. An diesem Tag fanden überall in Baden-Württemberg Aktionen statt, so in Mössingen, Albstand, Mannheim, Freiburg, Münsingen, Kornwestheim Wiesloch, Wehr, Winnenden und anderen Städten. Fast eine Million Menschen, vorwiegend SchülerInnen, beteiligten sich am von der Landesregierung proklamierten Aktionstag gegen Ausländerfeindlichkeit. Prominente Persönlichkeiten riefen, unterstützt auch von Großkonzernen wie Daimler-Benz, Rundfunksendern und Tageszeitungen (in deren Redaktionen nicht selten die Stichwortgeber des braunen Mobs sitzen), in Großstädten zu Lichterketten auf. An diesen Aktionen, die Toleranz und menschliches Miteinander symbolisieren sollten, beteiligten sich insgesamt mehr als eine Million Menschen. Mit mehr als 1000 rassistischen Übergriffen jährlich, war die Bundesrepublik ins Kreuzfeuer der internationalen Politik geraten. Befürchtungen, Exportnachteile zu erleiden, waren das ausschlaggebende Motiv für die regierungsamtlichen Appelle zu mehr Toleranz gegenüber "ausländischen Mitbürgern".

Ein Grundrecht wird getilgt
Am 26. Mai 1993 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit eine Ergänzung zum Grundgesetz, den Artikel 16 a, der in Wirklichkeit den fortbestehenden Artikel 16,2 "Politisch Verfolgte genießen Asyl" außer Kraft setzte. Weder 120 000 Unterschriften für die unveränderte Beibehaltung des Asylrechtsartikels noch die unzähligen Protestaktionen konnte die Mehrheit der Volksvertreter davon abhalten ein Grundrecht zu tilgen. Zwei Tage später starben fünf Türkinnen bei einem Brandanschlag von Neonazis in Solingen. "Die Änderung des Grundgesetzes war offenbar ein Signal für die Mordbrenner der militanten rechtsextremen Szene, daß Asylbewerber nun Freiwild in unserem Land sind" schätzte die VVN-BdA Baden-Württemberg in den Antifa-Nachrichten (Juli 1993) ein. Auch in den folgenden Jahren gingen die rassistisch motivierten Anschläge weiter.

Verfassungsschutz verhindert NPD-Verbot
Gleichzeitig nahmen die offenen Auftritte und Aufmärsche organisierter Neonazis zu. Besonders die NPD, die jahrelang eher ein unbeachtetes Schattendasein geführt hatte, wuchs durch den Zusammenschluss mit sogenannten "freien Kameradschaften" an und verstärkte ihre Aktivitäten.
Im Rahmen des "Aufstandes der Anständigen" den Bundeskanzler Schröder angesichts offener neofaschistischer Anschläge ausgerufen hatte, gerieten die Verfassungsorgane endlich unter Handlungszwang.
In einem demonstrativen Akt stellten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gemeinsam Antrag zum Verbot der NPD.
Dieser Verbotsantrag geriet zum Flopp: Schnell stellte sich heraus, dass die Führungsgremien der NPD von Verfassungsschutzagenten regelrecht durchsetzt waren. Das Bundesverfassungsgericht stellte das Verbotsverfahren ein, nachdem die Verfassungsschutzbehörden sich geweigert hatten, ihre V-Männer zu benennen oder aus der NPD zurückzuziehen. So wurde nicht nur offensichtlich, dass die staatliche Behörde Verfassungsschutz ganz wesentlich zu Unterhalt und Finanzierung der NPD beiträgt, sie durch die Mitarbeit in ihren Vorständen und Gremien steuert und sie schließlich vor dem längst überfälligen Verbotsverfahren schützt.
Die NPD triumphierte. Nach dieser offenen Blamage nahezu aller Verfassungsorgane durch den Verfassungsschutz nahmen ihre Aktivitäten Mitgliederzahlen und Wahlergebnisse dramatisch zu.
Schlimmer noch: Wo Gemeinden und Bürgermeister mit Verbotsverfügungen versuchen die braunen Aufmärsche in ihren Städten abzuwenden, werden sie von den Gerichten, allen voran dem Bundesverfassungsgericht, das soeben das Verbot der NPD hatte scheitern lassen, gestoppt. Mit martialischem Polizeiaufgebot werden die Aufmärsche der Neonazis vor Protesten geschützt. Statt der Nazis gerieten die zahlreichen antifaschistischen Gegendemonstranten ins Visier der Strafverfolgungsbehörden.
Die Justiz überzog die Gegendemonstranten mit zahllosen Verfahren wegen "Verstoßes gegen das Versammlungsrecht", eben weil sie ihr Versammlungsrecht wahrnahmen und sich Naziaufmärschen entgegenstellten oder auch nur dazu aufriefen.

Wenn die Sicherung knallt beim Staatsanwalt
Zur Verfolgung von Antifaschisten steuerte in den Jahren 2005 und 2006 die baden-württembergische Justiz eine besondere Groteske bei. Das Tragen von eindeutig gegen Nazis gerichteten Aufklebern und Ansteckern, wie durchgestrichene oder zerschlagene Hakenkreuze, oder Hakenkreuze in Abfallkörben etc. sollte nun plötzlich strafbar sein. Angeblich verstosse dieses gegen den Artikel (87 a) des Strafgesetzbuches dessen eigentlicher Zweck es ist, den Neu- und Altnazis die Verwendung der Nazisymole in der Öffentlichkeit zu verbieten. Auch ein durchgestrichenes Hakenkreuz sei eben ein Hakenkreuz erklärte allen voran die Staatsanwaltschaft Stuttgart. Mit Hilfe dieser abenteuerlichen Konstruktion wurden überall im Land vorwiegend junge AntifaschistInnen schikaniert und getriezt. Ihre Aufkleber waren bei Antinazidemos der Polizei willkommerner Anlass für massenhafte Durchsuchungen, Personalfeststellungen und selbst Verhaftungen. Selbst vor Einkesselungen machte die Polizei nicht halt. Hunderte junger Antifaschisten wurden so eingeschüchtert und mit Ermittlungsverfahren überzogen.
Die VVN-Bund der Antifaschisten klagte mehrfach gegen Städte und Gemeinden, die solche Verbote zur Auflage bei Demos und Aktionen gemacht hatten und bekam in allen Fällen recht. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ließ sich von diesen Verwaltungsgerichtsurteilen nicht anfechten und setzte die Verfahren gegen Jugendliche, Jugendhäuser und Jugendverbände fort. Besonders in konzentrierte sie sich auf den Punk-Versand Nix Gut in Winnenden, den sie als "Musterfall" auserkoren hatte. Seine Räume wurden durchsucht und die gesamten Katalogbestände beschlagnahmt. Die VVN-BdA unterstützte eine Solidaritätskampagne in deren Verlauf sich Hunderte, oft prominente Antifaschisten, wie der DGB Landesvorsitzende Rainer Bliesener, selbst anzeigten. Nach fast zwei Jahren fand der Spuk schließlich ein Ende. Unter großer Heiterkeit aller Beteiligten über die "Gehirnakrobatik" der Stuttgarter Justizbehörden hob der Bundesgerichtshof im März 2007 die bisher ergangenen Urteile gegen den Nix gut Versand auf, und erklärte das Tragen antifaschistischer Symbole für rechtens.

Neuer Anlauf zum Berufsverbot
Zum nachträglichen schmunzeln eignet sich allerdings überhaupt nicht die zweite massive Repressionsmaßnahme gegen Antifaschisten, die die baden-württembergische Landesregierung im Jahre 2004 wieder aus der Klamottenkiste der traditionellen Demokratieverweigerung gezogen hatte. Gegen den Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkòczy verhängte sie nach langen Jahren der Zurückhaltung erneut ein Berufsverbot. Wiederum waren es sogenannte "Erkenntnisse" des sogenannten Verfassungsschutzes, der die "Zweifel an der Verfassungstreue" des Lehrers auslöste: Anmeldung und Teilnahme an Protestaktionen gegen Naziaufmärsche, Aktionen gegen den Krieg und die Mitgliedschaft in der antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) und natürlich auch in der VVN-BdA. Außer seinem antifaschistischen Engagement, konnte niemand Michael Csaszkòczy irgendeine konkrete Verfehlung nachsagen. Auf Weisung der Landes Kultusministerin Shavan verweigerte das Oberschulamt ihm die Einstellung als Lehrer.
Als Michael daraufhin im benachbarten Hessen eine bereits zugesagt Lehrerstelle antreten wollte, schloß sich auch die hessische Landesregierung der Neuauflage der Berufsverbote an. Die VVN-BdA stellte sich von Anfang an solidarisch hinter ihr Mitglied Michael Csaszkòczy und die Kampagne zur Bekämpfung dieser drohenden neuen Welle von Berufsverboten. Demonstrationen, gemeinsam auch mit der GEW in Heidelberg, Karlsruhe und Mannheim wiesen diesen neuerlichen Angriff auf demokratische Rechte zurück.
Im März 2007 brachte eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim einen ersten Erfolg: Die vorgetragenen Gründe der Landesregierung sind für ein Berufsverbot nicht tauglich entschied das Gericht und wies das Einstellungsverfahren zurück an das zuständige Oberschulamt. Das Urteil bedeutet aber nicht, dass die neuen Berufsverbote nun vom Tisch sind. Ansatt Michael einzustellen hat das Oberschulamt ihn nun tatsächlich zu einer neuen Anhörung vorgeladen. Die Solidarität mit Michael Csaszkòczy muss also weitergehen und vor allem auch der Kampf der Demokraten gegen das undemokratische Berufsverbot.

Verfassungsschutz wirft mit Schmutz
Durch die Geschichte der Bundesrepublik ziehen sich all diese Versuche den Antifaschismus zu delegitimieren und zu kriminalisieren, demokratische Rechte einzuschränken und abzubauen. Und immer wieder spielt der sogenannte Verfassungsschutz dabei eine dauerhaft unrühmliche Rolle. Trotz seines wohl klingenden Namens ist es gerade dieser Inlandsgeheimdienst, der die in der Verfassung verankerten demokratischen Grundrechte nicht nur ignoriert, sondern aktiv außer Kraft setzt. Seit ihrer Gründung wird die VVN und werden andere Antifaschisten von ihm bespitzelt, verdächtigt und verleumdet.
Alle Jahre wieder berichtet diese Behörde haltlosen Unsinn über die VVN-BdA in ihrem jährlichen Verfassungsschutzbericht.
Mal beschwerte er sich über die "kommunistische Beeinflussung" unserer Organisation, die eben auch den opferreichen Widerstand der Kommunistinnen und Kommunisten anerkennt, mal verwechselt er einfach was und erklärt VVN-BdA Mitglieder für "militant und gewaltbereit". Eine Falschmeldung, die zwar nicht wiederholt aber auch nie widerrufen wurde. Besonders verdächtig ist es dem Verfassungsschutz dass die VVN-BdA "deutsche Behörden kritisiert" und überhaupt, so weiß es der Geheimdienst, sei der Artikel 139 des Grundgesetzes, der jede faschistische Betätigung untersagt "längst" obsolet (obwohl er weiterhin Bestandteil des Grundgesetzes ist.
Den Antifaschismus und die VVN-BdA nämlich hält dieser Geheimdienst für "eine Altlast der beiden großen Diktaturbewegungen des 20. Jahrhunderts", die weiter zu beobachten sei" (Die Welt 8.4.97.)
So gehen gerade in Baden-Württemberg die Versuche des Landesamtes für Verfassungsschutz weiter, die VVN - Bund der Antifaschisten in eine verfassungsfeindliche Ecke zu stellen, sie politisch zu isolieren und ihre Mitglieder als "militant und gewaltbereit" zu kriminalisieren. Die VVN wird sich auch in Zukunft dagegen zur Wehr setzen müssen. "Nichts ist schwerer und erfordert mehr Mut, als sich im Widerspruch zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!" schrieb Kurt Tucholsky. Die VVN-Bund der Antifaschisten hat hat in ihrer 60-jährigen Geschichte diesen Mut bewiesen. Sie bleibt deshalb unentbehrlich.

VVN-Logo www.vvn-bda-bawue.de © 1997 - 2007 www.josef-kaiser.eu