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Nummer 4 / Dezember 2007



Neue Stolpersteine in Stuttgart:

Die Stuttgarter Widerstandskämpfer sind unvergessen

Reinhard Hildebrand

Am 21. November 2004 fand zu Ehren der Stuttgarter Widerstandkämpfer im Theaterhaus eine große Gedenkfeier der VVN-BdA statt: "Je dunkler die Nacht, desto heller die Sterne". Jürgen Stamm gedachte dabei in seiner Rede der Widerstandsgruppen Schlotterbeck und Hummler-Wagner. 1979 gab die VVN-BdA eine Dokumentation über die Stuttgarter Kämpfer gegen das Naziregime heraus: "Vor 35 Jahren: Vollstreckt. Niemals vergessen!" Jetzt wurden Ende September im Stuttgarter Westen Stolpersteine für Anton Hummler und Max Wagner verlegt.

Unser Kamerad Heinz Hummler sagte in seiner Rede anlässlich der Stolpersteinverlegungen in der Bebelstr. 43/1 und 29/2: "Ich freue mich, dass fast auf den Tag genau, 63 Jahre nachdem mein Vater und sein Freund und Genosse Max Wagner am 25. September 1944 hingerichtet wurden, heute durch einen Gedenkstein das an ihnen begangene Verbrechen der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht wird. … Eine willfährige Justiz ließ meinen Vater, wie viele seiner Leidensgenossen, ermorden. Allein im Zuchthaus Brandenburg-Görden, in dem er durch das Fallbeil starb, wurden vom 1. August 1940 bis 20. April 1945 1722 Menschen aus politischen Gründen hingerichtet. Im Dezember 1944 bekam meine Mutter folgendes Schreiben: "Das Urteil des Volksgerichtshofes vom 4. August 1944 gegen Ihren Ehemann Anton Hummler ist am 25. September 1944 vollstreckt worden. Die Veröffentlichung einer Todesanzeige ist nicht zulässig." Es macht mich betroffen, dass es des privaten Engagements bedarf, die Erinnerung an die vielen Opfer des größten Verbrechens der deutschen Geschichte wieder wachzurufen. … Das Nazi-Regime in Deutschland war nicht irgendeine totalitäre Macht. Ein Krieg mit 55 Millionen Toten, 6 Millionen aus rassischen Gründen Vergasten und Hunderttausenden wegen ihrer Gesinnung in KZs und von der Justiz Ermordeten sind mit nichts anderem gleichzusetzen. … "
Der Historiker Wolfgang Kress würdigte die beiden Widerstandskämpfer mit einer ausführlichen Ansprache, der Text wurde in der Stadtteilzeitung "'s West-Blättle" veröffentlicht: Anton Hummler wurde 1908 in St. Gallen in der Schweiz geboren. Er war das älteste von 10 Kindern.. Nach der Schule arbeitete er als Landarbeiter, bis er 1927 als Maschinenarbeiter zu Bosch nach Stuttgart kam. In der Weltwirtschaftskrise zeitweise arbeitslos fand er schließlich bei Bosch wieder eine feste Anstellung und konnte sich zum Maschineneinsteller qualifizieren. Zusammen mit seiner Frau Frieda hatte der liebevolle Familienvater einen Sohn und zwei Töchter. 1929 war Anton Hummler dem Thälmann nahen Arbeitersportverein "Rote Sportler" beigetreten und entwickelte sich zum überzeugten Antifaschisten. 1930 schloss er sich dem "Kampfbund gegen den Faschismus" sowie der KPD an. Der von der Großindustrie unterstützte Hitler, so war ihm nach dem Lesen von "Mein Kampf" klar geworden, bedeutete Krieg. Max Wagner wurde 1899 als Sohn eines Schlossers in Oberesslingen geboren. Nach der Schule lernte er Steindrucker. Im Juli 1917 wurde er eingezogen und kam im Frühjahr 1918 an die Westfront. Sechs Wochen lag er wegen einer Verletzung im Lazarett, kehrte danach an die Front zurück und geriet im August 1918 in englische Gefangenschaft. Erst im Oktober 1919 kam er frei und arbeitete wieder als Steindrucker bzw. Hilfsarbeiter, von 1936 bis 1939 war er Ankerwickler bei Bosch. Wegen einer Erkrankung zu 70 % erwerbsunfähig geschrieben, versuchte er, seine kleine Rente mit Heimarbeit aufzubessern. Er war verheiratet und hatte aus erster Ehe zwei Kinder.
Als Steindrucker war Max Wagner Mitglied des gewerkschaftlichen Berufsverbands gewesen. Außerdem war er im Arbeiter-Radfahrverein "Solidarität" und seit 1930 in der KPD.
Anton Hummler und Max Wagner kannten sich wohl schon vor 1933. Ende der 30er Jahre, als Hummler in der Moltkestr. 43/1, der heutigen Bebelstraße, wohnte und Wagner ein paar Häuser entfernt in der Nr. 29/2, dürften sich beide, die den gleichen Weg zur Arbeit hatten, angefreundet haben.
Mit Wagners Rundfunkgerät hörten beide, zusammen mit anderen Genossen ausländische Sender, was nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 verboten war. Offiziell spielten sie Karten, doch tatsächlich diskutierten sie über die Nachrichten aus London und Moskau sowie von anderen Sendern, die im Widerspruch zu denen der gleichgeschalteten deutschen Sendern standen. Man schrieb die Informationen auf und gab sie dem aus rund 30 Personen beste-henden Kreis um Hummler und Wag-ner weiter.
Es wäre zwar nicht fein, wenn heute jemand sagen würde, dass die Bundeskanzlerin krank sei, es im Kopf habe. Doch ein Gericht würde sich damit kaum beschäftigen. Als Wagner dies nach mehreren Bieren im Juli 1941 zu einer Gastwirtin über Hitler sagte, wurde er denunziert und kam "wegen böswilliger, gehässiger hetzerischer und von niederer Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates" fünf Monate in Haft. Die Gruppe um Hummler und Wagner traf sich von jetzt an lieber beim Sonntagsspaziergang: Die Männer gingen voraus und politisierten, wobei Wagner über ausländische Nachrichten berichtete. Die Frauen mit den Kindern hielten derweil Abstand, sodass sie die Gespräche nicht verstanden, aber warnen konnten, wenn jemand von hinten kam.
Im Oktober 1942 wurde Anton Hummler zu den Trillkewerken in Hildesheim, einem Boschbetrieb, versetzt. Auch hier hatte er antifaschistisch gesinnte Kollegen zusammengeführt. Er überzeugte sie, den russischen Zwangsarbeiterinnen im Werk moralische und materielle Hilfe zukommen zu lassen. Verbotenerweise wurden für sie, auch in Stuttgart, Wäsche und Lebensmittel gesammelt.
Bei einem sportlichen Wettkampf in Stuttgart hatte Hummler 1932 den Berliner Heinz Bogdan kennen gelernt. Seit 1937 war der lockere Kontakt fester geworden, Hummler und Bogdan, der Leiter einer Widerstandsgruppe in Berlin war, trafen sich nun regelmäßig und tauschten Informationen aus. 1943 regte Bogdan einen engeren Zusammenschluss der alten Sportsgenossen an, die Zeit dafür sei reif. Im Juni 1943 besuchten Wagner, der ebenfalls zur Gruppe gehörende Emil Erath und Hummler Bogdan in Berlin, der sie bat, den jüdischen Zahnarzt Dr. Walter Glaser in die Schweiz zu schmuggeln. Erath wollte dies wegen entsprechender Kontakte übernehmen. Glaser, der untergetaucht war, um der Deportation zu entkommen, kam im August 1943 mit falschem Pass nach Stuttgart und wohnte bei Max Wagner. Mit Erath fuhr er weiter, wurde aufgegriffen und wieder nach Berlin überstellt, wo er im Oktober 1943 den Freitod wählte. Von Glasers Schicksal wusste niemand in Stuttgart, denn Erath war ein Spitzel der Geheimen Staatspolizei. Der Gestapo war schon seit Herbst 1940 bekannt, "dass verschiedene ehemalige Kommunisten des westlichen Stadtteils … den Besuch eines gleichgesinnten Genossen aus Berlin empfangen haben, … von dem angenommen wurde, dass seine Reise nach Stuttgart dem illegalen Aufbau einer kommunistischen Organisation diene". Hummler und Wagner sowie alle, die Erath getroffen hatte, wurden Ende 1943 in Berlin, Stuttgart und Hildesheim verhaftet. Wenige Tage zuvor hatte Bogdan in Stuttgart über die politische Lage und die Bildung einer kommunistischen Gruppe referiert.
Das Hören ausländischer Sender mussten Wagner und Hummler zwar einräumen, sonst gaben sie nur das zu, was die Gestapo ohnehin wusste, vor allem nannten sie keine weiteren Namen. Die Bildung einer kommunistischen Gruppe konnte ihnen deshalb nicht nachgewiesen werden. Der NS-Staat sah sich aber allein schon durch ein Gespräch darüber in Gefahr, weshalb es für Hummler und Wagner keine Rettung gab. Für andere allerdings schon, denn Hummler gelang es in eine Socke seiner nach den Verhören blutverschmierten Kleidung einen Zettel zu schmuggeln: "Erath ist der Verräter." Seine Frau hatte die Kleider im Gefängnis in der Stuttgarter Büchsenstraße abgeholt und fand den Zettel. Die Aktivitäten ihres Mannes waren ihr natürlich nicht fremd, doch wusste sie nicht, wen sie nun warnen sollte. Also schrieb sie einige Zettel mit diesen Worten und warf sie nachts in die Briefkästen von Bekannten. Nach dem Krieg erfuhr sie, dass sie damit andere gerettet hatte.
Am 4. August 1944, wenige Tage nach dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler, fand der nichtöffentliche Prozess vor dem Volksgerichtshof statt. Von einem Verfahren, in dem es u. a. hieß "für derartige Volksschädlinge ist in unserer Volksgemeinschaft kein Platz mehr", hatten Wagner und Hummler kein Recht zu erwarten. Niemand kümmerte sich darum, ob etwa zeitliche Abläufe stimmig waren, denn Jahreszahlen wurden in der Klage mehrfach verwechselt. So erkannte das Gericht schnell "für Recht": "Die Angeklagten Wagner und Hummler haben während des Krieges bis zum Frühjahr 1941 als alte Kommunisten im Rahmen einer Hörgemeinschaft fortgesetzt ausländische Sender abgehört, Wagner hat die Sendungen zum Teil auch verbreitet und das Abhören allein bis zum Herbst 1943 fortgesetzt. Dabei haben beide Angeklagten zugleich in illegaler Beziehung zu Berliner Kommunisten gestanden und die Bildung einer kommunistischen Zelle in Stuttgart erörtert. Sie werden deshalb wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung zum Tode und lebenslangem Ehrverlust verurteilt."
Nach Ablehnung von mehreren Gnadengesuchen der Familien erfuhren Max Wagner und Anton Hummler am 25, September 1944 gegen 11 Uhr im Zuchthaus Brandenburg von ihrer bevorstehenden Hinrichtung, die um 12.48 Uhr bzw. 12.50 Uhr stattfand. Laut Protokoll dauerte sie 7 bzw. 9 Sekunden. Man hatte es eilig, schließlich mussten an diesem Tag .18 Männer hingerichtet werden. Die Kosten des Verfahrens hatten die Angeklagten zu tragen. Bei Max Wagner waren dies 100 Reichsmark, wofür sich die Staatskasse an dem beschlagnahmten Radiogerät schadlos hielt. Anton Hummler und Max Wagner haben Widerstand gegen ein Unrechtsregime geleistet und dafür mit dem Leben bezahlt.
Für die Würdigung der beiden Widerstandskämpfer hatte der Historiker Wolfgang Kress im Bundesarchiv geforscht. Tief betroffen war die Familie Hummler, als er mitteilte, dass er unter den Prozess-Akten auch einen letzten Brief von Anton Hummler gefunden hatte, geschrieben unmittelbar vor seiner Hinrichtung. Ein Brief, welcher seine Ehefrau nie erreicht hatte. Ein zum Tode Verurteilter schrieb seine letzten Zeilen an seine Liebsten. Und diesen wurden sie bis heute nicht zur Kenntnis gebracht. Warum nicht? Dass es die Nazis verhinderten, gehört zu deren Grausamkeit. Aber warum lässt man solch einen Brief über 60 Jahre lang in einem Bundesarchiv ruhen? Die Angehörigen wären doch leicht zu finden gewesen. In Berlin werden Tausende Menschen beschäftigt, um jede Akte der DDR-Staatssicherheit zu durchforsten. Wie aber geht man mit den Akten des faschistischen Volksgerichtshofes, der Hunderttausende Unschuldiger umbringen ließ, um? Der erste Satz aus der Präambel des Wiedergutmachungsgesetzes vom 29. 6. 1956 heißt: "Der aus Überzeu-gung oder um des Glaubens oder Gewissen willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand ist ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes und Staates …", daran erinnerte Heinz Hummler in seiner Ansprache.

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