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![]() ![]() Neues Versammlungsgesetz in Baden-Württemberg:Obrigkeitsstaat aus Kaisers ZeitenDieter LachenmayerStellungnahme und Überblick zum vorliegenden Re-gierungsentwurf eines Versammlungsgesetzes in Baden-Württemberg Während in Bayern die FDP Korrekturen am grade eben erst von der CSU verabschiedeten Versammlungsgesetz als Bedingung für eine Koalition mit ihr fordert, ist es in Baden Württemberg ausgerechnet der freidemokratische Innenminister Goll, der ein neues Versammlungsgesetz vorlegt, das weitgehend einfach vom bayrischen abgeschrieben wurde und all dessen Verschlechterungen beinhaltet. Nach dem Willen der Landesregierung soll es noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Goll und die Landsregierung geben vor, mit diesem Gesetzentwurf das Versammlungsrecht vor dem "Missbrauch von Extremisten" zu schützen. Angeblich bedeute es eine "erhebliche Erleichterung für die Veranstalter und Behörden". Angesichts dieses Entwurfes, der in Wirklichkeit erhebliche Erschwernisse und Einschränkungen für die Veranstalter von Versammlungen, Demonstrationen und Kundgebungen beinhaltet, muss es den demokratischen Kräften und Organisationen nun in Wirklichkeit darum gehen, das grundgesetzliche Recht auf Versammlungsfreiheit vor dem Missbrauch durch Innenminister und Regierungsmehrheit, Behörden und Polizei zu schützen. Der vorliegende Entwurf atmet den Geist des Obrigkeitsstaates aus Kaisers Zeiten, der Gängelung und Überwachung der BürgerInnen und den Versuch die Versammlungsfreiheit - Grundlage der freien Diskussion und Meinungsbildung in einem demokratischen Staat - zu beschneiden. Wo auch nur zwei zusammenstehen ... I. Ausdehnung des Versammlungsgesetzes auf nicht öffentliche Versammlungen bzw. jede menschliche Begegnung Während das bisherige Gesetz nur öffentliche Versammlungen den gesetzlichen Regelungen unterwirft, definiert das neue Gesetz jede Begegnung von Menschen ("Zusammenkunft von mindestens zwei Personen" § 2,1) die "überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung" gerichtet ist, als Versammlung im Sinne des Gesetzes und unterstellt sie damit der behördlichen, polizeilichen und justitiellen Kontrolle. D.h. jede politische Diskussion, am Stammtisch, im Ehebett, im Büro oder in der Strassenbahn, unterliegt besonderer behördlicher Aufsicht. Zwar beziehen sich die meisten der Bestimmungen des Gesetzes weiterhin nur auf öffentliche Versammlungen, aber mit der ausdrücklichen Einbeziehung von nichtöffentlichen Versammlungen in das sogenannte "Uniformierungs- und Militanzverbot" (§ 7) und das "Störungsverbot" (§ 8) ist ein Anfang behördlichen Einflusses auf alle Zusammenkünfte, weit über die Gebote des Strafgesetzes hinaus und jenseits des Grundgesetzes gemacht. II. Einschneidende Verschärfungen für alle Versammlungen - im Saal oder unter freiem Himmel Immer dabei: Bürokratie und Polizei III. Verschärfungen für Versammlungen im Saal (die laut Grundgesetz keinerlei Einschränkungen unterliegen). Insgesamt erhalten Behörden und Polizei mit diesen neuen Bestimmungen ein breites Instrumentarium, Versammlungen im Saal zu erschweren, zu be- und auch verhindern oder auch nur die Veranstalter zu schikanieren und mit strafbewehrten Vorschriften einzuschüchtern. Insbesondere die Sammlung der persönlichen Daten von Leiter und OrdnerInnen, also aktiven Teilnehmern der Versammlung, bedeutet ein hohes Mass an behördlicher Einschüchterung, die in einer Demokratie nicht geduldet werden kann. Registrieren, Schikanieren, Einschüchtern III. Verschärfungen für Versammlungen unter freiem Himmel All diese Neuerungen erschweren offenkundig alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, also nicht nur, wie gerne vorgeschoben, Aufmärsche von Nazis. Im Gegenteil: Besonders ausgefeilt sind solche Bestimmungen, die gerade Protestaktionen gegen Naziaufmärsche erschweren und unter Strafandrohung stellen. Ein Gesetz gegen Linke, gegen Nazis nur Schminke IV. Neuerungen zur Verhinderung faschistischer Betätigung? Dagegen findet sich in § 17 eine Bestimmung, die sich ausdrücklich gegen faschistische Versammlungen an Gedenkorten "der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft" bzw. an den Gedenktagen 27. Januar und 9. November richten, sofern "zu besorgen ist, dass durch diese Versammlung die Würde der Opfer beeinträchtigt wird." Das sind allerdings Orte und Tage, die bisher zumindest in Baden-Württemberg von Naziveranstaltern nicht wahrgenommen wurden. Gedenktage und -anlässe, an denen in der Vergangenheit tatsächlich Naziaufmärsche stattfanden oder versucht wurden, wie der 30. Januar, der 1. oder der 8. Mai sind im Gesetz nicht aufgeführt und nicht berücksichtigt. Es muss also auch in dieser positiven Bestimmung eine eher kosmetische Absicht vermutet werden. Wäre wirklich eine Beschränkung von Versammlungen beabsichtig, die die Würde der Nazi-Opfer beeinträchtigen, dann wäre ein generelles Verbot von Versammlungen mit rassistischem, diskriminierendem, gewaltverherrlichendem, kriegsbefürwortendem, faschistischem Inhalt angebracht. Demokratie wird erstickt V. Fazit Dieser Entwurf eines Versammlungsgesetzes wird weder dem Anliegen gerecht, faschistische Betätigung zu begrenzen, noch modernisiert, verbessert oder erleichtert er Versammlungen im Sinne des Grundgesetzes. Im Gegenteil: Dieses Versammlungsgesetz schränkt ein ohnehin schon beschränktes Grundrecht weiter ein, belegt Veranstalter mit bürokratischen Schikanen, unterwirft VersammlungsteilnehmerInnen zusätzlicher polizeilicher Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten. Er behindert Protest gegen Naziaufmärsche. Statt demokratische Betätigung, Diskussion und Meinungsbildung zu unterstützen stellt dieses Gesetz jeden Bürger, der bereit ist sich öffentlich an den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu beteiligen, unter den misstrauischen Verdacht, ein Störer der öffentlichen Ordnung zu sein. Mit diesem Gesetz kann Demokratie nicht gelebt werden. Es erstickt sie! | |||
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