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60 Jahre nach dem Nürnberger Prozess:Zivilklausel oder Militärforschung in Karlsruhe?Dietrich SchulzeVor 60 Jahren endete der letzte der zwölf Nachfolgeprozesse des Nürnberger Tribunals, mit dem die Völker der Welt über das Menschheitsverbrechen des deutschen Faschismus richteten. Prozessgegenstand war auch die verhängnisvolle Mitverantwortung von Personen aus Wissenschaft und Forschung für Holocaust und Vernichtungskrieg. Was hat das mit Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu tun, das derzeit aus der Verschmelzung von Universität und dem Forschungszentrum Karlsruhe (vormals: Kernforschungszentrum) enstehen soll? Eine ganze Menge, nämlich mit dem Ursprung und der Praxis des Militärforschungsverbots am Forschungszentrum, d.h. mit der Satzungsbestimmung "Die Gesellschaft verfolgt nur friedliche Zwecke". Die Übertragung dieser Zivilklausel in das KIT-Gesetz, das als baden-württembergisches Landesgesetz konzipiert wurde, ist von Beginn an strittig. Militärforschungsverbot Die Gründung von Kernforschungszentren, wie dem Vorläufer des Forschungszentrums Karlsruhe, zum Zwecke der friedlichen Nutzung der Kernenergie war nur unter Voraussetzung eines völkerrechtlichen Verzichts auf Kernwaffenforschung und Kernwaffenbesitz möglich. Die Klausel verbietet aus gutem Grund jegliche Militärforschung unter dem Dach der Forschungseinrichtung. Bekannt ist aber auch, dass der Atomwaffenverzicht auf rechtlich schwachen Füßen steht (Vorbehalte in Adenauer-Erklärung 1954, Atomwaffensperrvertrag 1969, 2+4-Vertrag 1990) und führende Politiker wie Strauß eigene Atomwaffen wollten. Vier Gründungstäter Alle vier leitenden Gründerpersonen der "Kernreaktor-, Bau- und Betriebsgesellschaft", dem Vorläufer des (Kern)Forschungszentrums, hatten sich als willfährige Helfer der Nazi-Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie betätigt. Dr. Walther Schnurr (Chemiker bei IG Farben) als Hitlers Sprengstoffexperte, nach 1945 in Argentinien an Atombomben-Entwicklungen beteiligt. Dr. Rudolf Greifeld (Jurist) als Sprecher des Wehrmachtbefehlshabers Frankreich in Paris an der Judenverfolgung beteiligt, was erst 1975 aufgrund eines antisemitischen Vorfalls bekannt wurde und zu seiner Entfernung führte. Dr. Gerhard Ritter (Chemiker bei IG Farben) als Verbindungsoffizier zur Wehrmacht im Büro Carl Krauch, Hauptangeklagter im Nürnberger Prozess. Dr. Josef Brandl (Jurist) als Verwaltungsoffizier in Ostgalizien am Vernichtungsprogramm von 500.000 Juden beteiligt. Erkämpfte Zivilorientierung In fünf Jahrzehnten einer erfolgreichen Praxis mit der Zivilklausel hat sich im Forschungszentrum aufgrund von außenpolitischen Veränderungen und innerdemokratischen Auseinandersetzungen das glatte Gegenteil der Strauß-Visionen durchgesetzt. Die ausschließliche Forschungstätigkeit für friedliche Zwecke, die heute zu zwei Dritteln aus nicht kerntechnischen Themen besteht, ist zum Selbstverständnis der WissenschaftlerInnen, Beschäftigten und des Managements geworden. Dabei haben die in der Willy-Brandt-Ära Anfang der 1970er Jahre eingeführte wissenschaftliche Mitbestimmung, die konsequente Wahrnehmung der betriebsrätlichen Mitbestimmung und die gemeinsame Verteidigung der Klausel gegen mehrfache Aushöhlungsversuche (s. http://hikwww1.fzk.de/br/content/pdf/HGF-Zivil-140602.pdf) eine entscheidende Rolle gespielt. Die Universitäten andererseits werden im Rahmen der Liberalisierung des Bildungssektors aufgrund des GATS-Abkommens seit geraumer Zeit zielstrebig in marktförmige Unternehmen umgewandelt, um exportstarke deutsche Bildungsdienstleister zu schaffen. Die Kommerzialisierung ist mit industriedominierten Steuerungsorganen und einflussloser wissenschaftlicher Mitbestimmung bereits erheblich fortgeschritten. Über Forschungsprogramme und deren Finanzierung entscheidet nicht der gewählte Senat, sondern der Institutschef. Fehlende Grundfinanzierung wird dann eben durch Rüstungsdrittmittel ersetzt. Ein Übriges hat die Abschaffung der Verfassten Studierendenschaft 1973 durch Ministerpräsident Filbinger beigetragen. So hat sich das UniKlima in eine autoritäre Richtung entwickelt. Dabei ist die im Gefolge der 68er-Proteste demokratisierte Hochschule einmal Vorbild und Vorläufer der wissenschaftlichen Mitbestimmung des Forschungszentrums gewesen. Jetzt hat sich das ins genaue Gegenteil verkehrt. Kern- und Waffenforschung unter einem Dach Betreffend Zivilklausel machen nun Bundes- und Landesregierung den durchsichtigen Versuch, Wasser und Feuer zu vereinigen, in dem einerseits für die Großforschung eine Art Zivilklausel und andererseits an der Universität Militärforschung aufrechterhalten bleiben sollen. Das steht im Widerspruch zur Verschmelzung zu einer Rechtsperson und bedeutet den Bruch der Gründungsvereinbarung, die die Zivilorientierung für jegliche Forschung unter dem Dach der Einrichtung vorschreibt. Und das bedeutet angesichts der Fortsetzung des Kernforschungsprogramms (Kernspaltung, Kernfusion), dass Kern- und Waffenforschung unter einem Dach angesiedelt sein würden. Internationaler Appell Dagegen wenden sich jetzt mit einem internationalen Appell, verbunden mit der Forderung nach einer einheitlichen Zivilklausel, mehr als sechzig Persönlichkeiten, darunter Bürgermeister Akiba von Hiroshima (s. nebenstehender Beitrag). Vor dem geschilderten geschichtlichen Hintergrund ist Kern- und Waffenforschung unter einem Dach in der Tat unvorstellbar. Und doch gibt es Politiker, die eigene deutsche Atomwaffen für möglich halten, wie Ex-Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU), geäußert im Januar 2006. Nach Auskunft des Initiators INES ("International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility") wird die Unterschriftensammlung unter den Appell fortgeführt. Krieg ist Frieden Der für die Landesregierung verantwortliche Minister Peter Frankenberg gießt derweil fleißig Öl ins Feuer. Ende Mai erklärte er laut taz im Bundesforschungsausschuss, "dass es die Zivilklausel seinethalben überhaupt nicht mehr geben müsse. Die Beibehaltung für den ehemaligen Forschungszentrumsteil habe er sich vom Bund diktieren lassen. Grundsätzlich sei er aber der Meinung, "in einem demokratischen Rechtsstaat mit einer demokratischen Armee sei eine Zivilklausel nicht notwendig." Die Wissenschaft müsse dafür sorgen, dass die Armee optimal ausgestattet sei, um die Bürger zu schützen." Im Klartext heißt diese Position: Militärisch ist friedlich. Die demokratische Armee verfolgt nur friedliche Zwecke. Sie schützt die Bürger, egal wie und wo. Wenn der demokratische Rechtsstaat Atomwaffen für erforderlich hält, dann haben Forschung und Rüstungsindustrie dafür zu sorgen. Wenn er es für notwendig hält, seine Soldaten fern der Heimat einzusetzen, kann das nur ein Beitrag zum Frieden sein. Krieg ist Frieden. KIT und MIT Schöne neue Welt. Am Ende steht ein zivilmilitärischer Forschungskomplex mit angeschlossenem Bildungsdienstleister. Nicht zufällig nimmt sich der militärisch forschende Uni-Professor das rüstungsfinanzierte Massachusetts Institute of Technologie (MIT) zum Vorbild. Dort gibt es das "Institute for Soldier Nanotechnologies". Dazu gehört die Absicht der Gesetzgebung, demokratische Regelungen zu beseitigen bzw. zu verstümmeln. Damit würden die inneren Voraussetzungen für den Erhalt einer freien Bildungs- und Forschungsstätte nachhaltig beschädigt. Urabstimmung der Studierenden Vielfältiger Protest ist sichtbar geworden, zum Beispiel in einer historisch einmaligen Urabstimmung an der Universität Karlsruhe im Januar. Eine klare Mehrheit votierte für die einheitliche Zivilklausel. Das Studierendenparlament der Uni und die Landes-ASten-Konferenz Baden-Württemberg haben diese zusammen mit anderen Forderungen an den Gesetzgeber gerichtet. Ähnlich die Gewerkschaften, die umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit, zwei interessanten Podiumsdiskussionen und ein wegweisendes Gutachten beigesteuert haben. Mehr in der Dokumentation www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf. Abrüstung und Zivilisierung Frieden wird, wenn Abrüstungsvisionen in konkrete Handlungen umgesetzt werden. Dem Beifall für Präsident Obama muss eine Neuausrichtung der Forschungspolitik folgen: Zivilisierung statt Militarisierung.
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