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antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2010



Für ein Pforzheim ohne Nazimahnwache:

Flagge zeigen gegen rechts

Dieter Lachenmayer

Am 23. Februar 1945 wurde Pforzheim durch einen alliierten Bombenangriff fast völlig zerstört. Wie viele andere deutsche Städte fiel es dem Krieg der Nazis und ihrem Durchhaltewillen "bis alles in Scherben fällt" in den letzten Kriegsmonaten zum Opfer.

Ähnlich wie z. B. in Dresden mißbrauchen seit vielen Jahren Neonazis das Pforzheimer Gedenken an die Opfer. Alljählich seit 1994 ziehen sie als "Freundeskreis ein Herz für Deutschland", unterstützt von den regionalen freien Nazikameradschaften und der NPD auf dem Pforzheimer Wartberg zu einer Fackelmahnwache auf. Pforzheim ist mittlerweile zum größten regelmäßigen Nazitreffen in Baden-Württemberg geworden.

Gemeinsam gehts besser
Alljährlich gab und gibt es auch Initiativen, das Nazigedenken zurückzuweisen und sich dem Naziaufmarsch entgegen zu stellen. Aber, ähnlich wie in Dresden taten sich auch die Pforzheimer schwer damit, sich über die verschiedenen Spektren von Nazigegnern hinweg zu Gegenaktivitäten zusammen zu finden. In diesem Jahr ist dies nun zum ersten Mal gelungen. Die "Initiative gegen rechts" rief dazu auf, Flagge zu zeigen gegen rechts - für ein Pforzheim ohne Nazimahnwache. Der Aufruf zur Demonstration am 20. Februar wurde von der Pforzheimer Antifagruppe alerta, der VVN-BdA, der Linken, dem DGB und vielen anderen ebenso unterstützt wie vom Stadtjugendring, der evangelischen Kirche und den Gemeinderatsparteien SPD und Grünen. Schon im Vorfeld der Demonstration führte diese Gemeinsamkeit zu einer neuen politischen Situation im Pforzheimer Gemeinderat.

Neue Klarheit im Gemeinderat
Dort wurde, wie schon in den Vorjahren eine Resolution zum jährlichen Gedenktag zur Abstimmung gestellt, die sich zwar einerseits gegen den Fackelaufzug der Nazis wandte, dies aber andererseits mit einer Absage an "Rechts- wie Linksextremismus" gleichermaßen verband. Anders als in den Vorjahren führte genau dieser angehängte Passus zur Diskussion. Nicht Linke waren es, die Pforzheim in den Krieg getrieben haben und nicht Linke sind es, die das jährliche Gedenken an die dadurch verursachten Opfer durch einen rechtsradikalen Fackelumzug für faschistische Stimmungsmache missbrauchen. Ein entsprechender Änderungsantrag der Liste "Wir in Pforzheim" erhielt eine knappe Mehrheit. Das Totalitarismusdogma, das in früheren Jahren ein gemeinsames Vorgehen gegen den Naziaufmarsch verhindert hatte (und verhindern hatte sollen) hatte nun auch im Gemeinderat seine Mehrheit verloren.

Demo mit OB
Das wurde dann auch auf der Demonstration am Samstag den 20. Februar deutlich. Ca. 600 Menschen aus Pforzheim und seiner näheren Umgebung fanden sich zusammen, um gegen die Nazis demonstrieren, darunter nicht nur solche, die bereits auch früher an ähnlichen Aktionen teilgenommen hatten. Rüdiger Jungkind, der als Vertreter der VVN-BdA in der Initiative gegen Rechts in deren Namen die Demo eröffnete, konnte unter den TeilnehmerInnen erstmals auch den Oberbürgermeister und andere Honoratioren begrüßen.
Die prägten nun zwar nicht das Bild der bunten Demonstration die dann durch Pforzheim zog, das taten die für eine Stadt wie Pforzheim erstaunlich vielen jungen und älteren TeilnehmerInnen, die mit Fahnen und Transparenten durch die Pforzheimer Innenstadt zogen. Die breite Unterstützung die die Demo gefunden hatte, hatte es aber möglich gemacht, dass nicht, wie leider üblich geworden, ein riesiges Aufgebot von Polizei und Polizeifahrzeugen, den Blick der Passanten auf den Zug behinderte. Ein einziger Polizist in Uniform begleitete abgesehen von seinen verkehrsregelnden KollegInnen die Demonstration, ein Bild das in Baden-Württemberg schon lange nicht mehr zu sehen war, aber Vorbild für künftige Aktionen gegen rechts werden sollte.
Auf drei Zwischenhalten z.T. an historischen Plätzen der Stadtgeschichte fanden kurze Kundgebungen statt. Am Platz der zerstörten jüdischen Synagoge sang Jane Zahn jiddische Lieder, die an die Leiden der Opfer, aber auch an ihre Bereitschaft Widerstand zu leisten erinnerten. Am Leopoldsplatz fand der erste Teil der Kundgebung statt.

Vom Unterschied zwischen Tätern und Opfern
Hier zeigte sich allerdings auch, dass trotz des Abstimmungsergebnisses im Pforzheimer Gemeinderat die unsägliche "Extremismusthese" noch immer durch Köpfe geistert, die es schon aus der eigenen Organisationsgeschichte heraus besser wissen sollten: Die SPD Bundestagsabgeordnete Katha Mast, die sich zuvor engagiert gegen den Pforzheimer Naziaufmarsch geäußert hatte, konnte es nicht lassen, dann doch noch den "Extremismus von rechts und links" zu bemühen. Eine passende Antwort erhielt sie vom Redner der VVN-BdA. Ernst Grube berichtete vor aufmerksamen Zuhörern von seinen Erlebnissen aus der Zeit des Faschismus. Von den Schikanen, Schwierigkeiten und Quälereien unter denen seine Familie als sogenannte "Geltungsjuden" versuchte, dem Abtransport in die Vernichtungslager zu entkommen. Vom Entsetzen, als es dann doch geschah und er im selben Monat, in dem Pforzheim bombardiert wurde als Kind zusammen mit seinen Geschwistern und der Mutter ins Lager Thereseinstadt verschleppt wurde. Ihm, dem zehnjährigen waren die Fliegerangriffe nicht nur Situationen der Gefahr, sondern auch Zeichen der Hoffnung, dass sie den Krieg und die Leiden der Verfolgung beenden könnten. Ernst Grube erinnerte daran, dass der Krieg grade in diesen letzten Tagen eben nicht zu Ende war, dass grade in dieser Zeit die Krematorien der Vernichtungslager weiter rauchten, dass Widerständler wie Dieter Bonhöfer oder Georg Elser ermordet wurden, dass Standgerichte 7000 bis 8000 Todesurteile wegen Kriegsverweigerung vollstreckten und dass hunderttausende von KZ-Häftlingen auf Vernichtungsmärsche getrieben wurden.
Er machte deutlich, dass aus dem Gedenken an die Opfer nur eine Schlussfolgerung zu ziehen ist: Das "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschimus' verlangt Widerstand, Aufklärung und historische Wahrheit".
Eine passende Antwort hatte auch Claus Spohn bereit, der für Die Linke im Pforzheimer Gemeinderat sprach. Er nannte die Namen der Pforzheimer linken Arbeiter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, die ins KZ verschleppt und gefoltert wurden und die der Pforzheimer Nazis, die als SA, Gestapo-Leute oder andere Funktionsträger des Nazisystems die Täter waren. Er nannte die Namen derer, die von den Verbrechen profitiert und derer die ihre Opfer waren. Er fragte nach, wer es denn gewesen sei, der die Pforzheimer Juden deportiert, wer von der Zwangsarbeit profitiert, wer denn den Krieg begonnen hätte und er kannte Antworten, mit Namen und Adressen und nicht selten mit beachtenswerten Nachkriegskarrieren. Nach der Rede von Claus Spohn blieb nichts mehr übrig von der Legende , dass rechts gleich links sei und beide gleichermaßen Menschenrechte und Demokratie bedrohten.

Auch in Pforzheim ist kein Platz für Nazis
Auch der Vertreter von alerta räumte mit nicht nur in Pforzheim gehandelten lokalen Legenden auf: Der Bombenangriff vom Februar 1945 sei nicht aus heiterem Himmel erfolgt und habe nicht eine unschuldige Stadt getroffen, sondern ein Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie mit großer Bedeutung für die Fortsetzung und weitere Verlängerung des Krieges. Seine Schlussfolgerung war dieselbe, wie die der anderen Redner u.a. der Grünen, der Gewerkschaftsjugend und der Linksjugend solid: Gerade am 23. Februar sei für Neonazis kein Platz in Pforzheim, auch nicht an anderen Tage und an anderen Orten. Schließlich stünden sie in der Tradition derjenigen, die für Krieg und Faschismus und damit nicht nur für die über 17 000 Toten des 23. Februar 1945 verantwortlich seien, sondern für den qualvollen Tod von Millionen. Notwendig sei auch weiterhin in Pforzheim: Gemeinsam Flagge zeigen gegen rechts.
Mit dieser erfolgreichen Aktion ist es in Pforzheim nun gelungen einen Anfang zu machen um den Nazis auch in den kommenden Jahren ihre Fackelparade streitig zu machen. Es muß ja nicht - wir gucken nach Dresden - unbedingt am Samstag davor sein.

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