VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 13.07.2010
antifNACHRICHTEN Titelseite
Nummer 1 / Januar 2010



Bundeswehr im Klassenzimmer:

Der Bock als Gärtner

Dieter Lachenmayer

Da ist er nun wieder. Der unselige "Wehrkundeerlass" aus den 70 er Jahren, der damals Schüler-, Studenten- und Friedensbewegung schon heftig beschäftigt hat. Am 4. Dezember letzten Jahres haben Kultusminister Rau und der Befehlshaber des Wehrbereichkommandos IV eine sogenannte Kooperationsvereinbarung unterzeichnet.

Abgekupfert haben beide den Text von einer nahezu gleichlautenden Vereinbarung die seit letztem Jahr bereits in Nordrhein-Westfalen und dem Saarland existiert. In weiteren Bundesländern, so hört man, sind ähnliche Vereinbarungen in Vorbereitung. Es ist also davon auszugehen, dass es sich nicht um eine Initiative des baden-württembergischen Kultusministers handelt, sondern um eine bundesweite politische Aktivität zur schulischen Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr.
Zweck der Übung: Angesichts der wachsenden Ablehnung der Bundeswehreinsätze sollen die Jugendoffiziere der Bundeswehr bei der nachwachsenden Generation Kriegsbereitschaft wecken und in den Klassenzimmern die Notwendigkeit einer militärisch orientierten Außenpolitik vortragen. Ihren Schwerpunkt legen die Vereinbarungen nicht nur auf die Gestaltung des Unterrichts durch Jugendoffiziere, sondern besonders auf ihre "Einbindung in die Aus- und Fortbildung von … Lehrkräften."
Um die Durchsetzung der Vereinbarungen abzusichern, werden regelmäßige Gespräche der Jugendoffiziere mit den Regierungspräsidien angeordnet und ein jährlicher Bericht an das Schulministerium eingefordert.
Neu und skandalös sind insbesondere die inhaltlichen Vorgaben für dieses "Bildungsangebot". Es geht nicht mehr darum, Interesse für den Verteidigunsauftrag der Bundeswehr zu wecken und Werbung für Wehrpflicht und Weiterverpflichtung zu treiben. Das wäre schlimm genug, wird aber in den Vereinbarungen ausdrücklich ausgeschlossen.
Nein, die Bundeswehr wird beauftragt, das zu tun, was sie nach dem Grundgesetz nun gar nicht darf: Politik zu machen und zu vermitteln. "In einer durch wachsende internationale Verflechtungen gekennzeichneten Welt bedarf es in zunehmendem Maße einer Auseinandersetzung mit Fragen internationaler Politik, auch der Sicherheitspolitik", lautet die Begründung für die Vereinbarung. Dies wäre eigentlich die klassische Aufgabe des Politik- und Sozialkundeunterrichtes. Aber statt diese Fächer durch mehr Lehrer und Unterrichtsstunden aufzuwerten, machen die Schulminister wieder mal das Militär - diesmal zur politischen - "Schule der Nation".
Die Bundeswehr wird zuständig für "die zur Friedensicherung möglichen und/oder notwenigen Instrumente der Politik. Dabei werden Informationen zur globalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen zu nationalen Interessen einzubeziehen sein."
Im Grundgesetz ist die Bundeswehr ausdrücklich ausschließlich für die Landesverteidigung zuständig und das nur nach den Maßgaben des Parlaments. An den Schulen gilt sie nun plötzlich als Kompetenzzentrum für globale "Konfliktverhütung, nationale Interessen und Friedenspolitik."
Und so sieht dann auch die Praxis aus. So lädt die Dienststelle "Jugendoffizier" in Stuttgart Lehrkräfte zu attraktiven einwöchigen Seminaren nach Wien mit Besuch bei den Vereinten Nationen und der OSZE oder nach Brüssel zu EU-Kommission und Europarat ein. Auch Paris darf nicht fehlen, wo die Champs Elysees und ausgerechnet die Unesco in den Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr eingemeindet werden.
Ähnlich attraktiv sind die Angebote, die die Jugendoffiziere für SchülerInnen bereit halten. Aus Eutin wird z.B. berichtet, dass 14-jährigen der Schießsimulator vorgeführt und als "besser als jede Playstation" angepriesen wurde. In der Oberstufe spielt die Bundeswehr gerne ihr Simulations Brettspiel Pol&IS, bei dem die Schülerinnen in die Rolle von Regierungschefs, Ministern und UN Generalsekretären schlüpfen und die Probleme der Welt zu lösen haben. Dass sie dazu über jede Menge militärischer Kapazitäten verfügen, versteht sich von selbst. Die Botschaft dieser Angebote ist immer dieselbe: Ohne Rüstung, Militärinterventionen und Krieg ist Politik gar nicht denkbar.
Vielerorts hat sich Widerstand gegen diese Militarisierung von Schule und Gesellschaft entwickelt. Friedensorganisationen, die VVN-BdA und die GEW protestierten bereits bei Minister Rau. In Freiburg fand im Januar eine von SchülerInnen organisierte Demonstration "Bundeswehr raus aus den Klassenzimmern" statt. Auch beim Ostermarsch spielte das Thema eine wichtige Rolle. Dort machten 1500 OstermarschiererInnen unmittelbar vor dem Stuttgarter Kultusministerium deutlich: Die Bundeswehr hat an den Schulen genauso wenig verloren wie in Afghanistan. Raus aus den Klassenzimmern!


Aus der Ostermarschrede von Hagen Battran, GEW

"Die Bundeswehr hat in der Schule nichts zu suchen!"

1. Die baden-württembergische Vereinbarung ist Ausdruck einer Offensive der Bundeswehr. Der damalige Kultusminister Helmut Rau hat das eingeräumt, als er am 18. Februar dieses Jahres an den Präsidenten des Landtags schrieb: "Die Initiative zum Abschluss einer Kooperationsvereinbarung ... ging vom Bundesminister der Verteidigung aus... Die Bundeswehr hat auf Anfrage mitgeteilt ... (e)s werde mit allen Bundesländern der Abschluss solcher Kooperationsvereinbarungen angestrebt."
2. Auffallend wenig Aufwand wurde betrieben, um das Projekt und die gelungenen Abschlüsse in der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Es vergingen Wochen, bis z.B. die baden-württembergische Variante im Internet zur Verfügung stand, und auf die besorgten Anfragen der GEW Baden-Württemberg und der Friedensorganisationen wurde abwiegelnd geantwortet. Es bleibe alles beim Alten, Lehrkräfte, Schulen und Ministerium seien zu nichts Neuem verpflichtet, und weiterhin bleibe "der Unterricht ... in der Verantwortung des Lehrers ..." (Schreiben vom 18. 02. 10). Manche von uns haben sich einlullen lassen. Das hat die Gegenwehr zumindest der Gewerkschaft verzögert. Aber seit Anfang März stehen dann doch die wichtigen Worte im Beschluss des Hauptvorstandes: "Die GEW wendet sich entschieden gegen den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der Lehreraus- und -fortbildung, wie sie in den Kooperationsabkommen zwischen Kultusministerien und Bundeswehr deutlich werden."
3. Ich kann meinen Kolleg/innen nur dankbar sein, mit welcher Deutlichkeit sie darauf hingewiesen haben, worin die neue alarmierende Qualitätsstufe besteht, auf die das Einwirken der Bundeswehr auf die Schule mit diesen angeblich so harmlosen Vereinbarungen gehoben worden ist. Vielleicht kann eine selbstbewusste Lehrerschaft ja noch achselzuckend das Amtsblatt beiseite legen oder die Onlinemedien des Ministeriums wegklicken, in denen in Zukunft die Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote der Bundeswehr veröffentlicht werden sollen. Aber dass KM und Armee "die Möglichkeit der Einbindung der Jugendoffiziere in die Aus- und Fortbildung von Referendarinnen und Referendaren sowie von Lehrkräften" sozusagen einklagbar "vereinbaren" - das ist erschreckend neu und gefährlich. …
4. "Wir, das Team der Jugendoffiziere Freiburg, haben beide teilgenommen am Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan und können somit aus ‚erster Hand' über friedenssichernde Maßnahmen und Konfliktbewältigung im Ausland berichten." Mit diesem Satz endet das Schreiben der beiden "Referenten für Sicherheitspolitik" an die Geschichts-, Gemeinschaftskunde-, Religions- und Ethiklehrkräfte der Freiburger Gymnasien. Vorher haben die beiden Hauptleute eine "intensive Abiturvorbereitung in Seminarform" angeboten. In dem halb- oder ganztägigen Seminar können nach "einem Grundlagenvortrag zu den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen sowie Deutschlands Rolle in der internationalen Staatengemeinschaft ... alle weiteren relevanten und auch tagespolitisch aktuellen Themen besprochen und erarbeitet werden." Wer leitet eigentlich dieses Seminar? Wer hat Einfluss auf seine Inhalte? Die Antwort versteht sich von selbst. Aus dem weiteren Themenangebot sei nur weniges zitiert. "Auftrag, Aufgaben und Transformation der Bundeswehr", "Friedenssicherung durch Streitkräfte: Die Bundeswehr im Auslandseinsatz", "Friedenssicherung und Konfliktbewältigung durch Institutionen: Die UNO ... Die NATO auf dem Weg ins 21. Jahrhundert ... Die EU als globaler Akteur in der Sicherheitspolitik", "Globalisierung und ihre Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik" etc., etc. Wie viele der chronisch überlasteten Lehrkräfte dankbar auf dieses Angebot eingehen werden, kann nur vermutet werden. Aber zu befürchten steht, dass die Zahl derer, die sich der notwendig militärlastigen Interpretation der Jugendoffiziere inhaltlich entgegenstellen können, abnimmt, je mehr das TINA-Prinzip (There is no alternative - es gibt keine Alternative) in Medien, Lehrbüchern, Aus- und Fortbildungsveranstaltungen durchgesetzt wird. Diese fatale Entwicklung scheint der Text der Kooperationsvereinbarung schon vorwegzunehmen, wenn dort zu lesen steht: "Jugendoffiziere informieren ... Schülerinnen und Schüler über die zur Friedenssicherung möglichen und/ oder notwendigen Instrumente der Politik. Dabei werden Informationen zur globalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen zu nationalen Interessen einzubeziehen sein." Dass die Jugendoffiziere diese hochkomplexen pädagogischen Aufgaben bewältigen können, ist angesichts ihrer Ausbildung und ihrer Erfahrungen schlicht nicht vorstellbar. Sie werden und sollen wohl auch nur allen die militaristische Brille aufsetzen, damit die neue Militärdoktrin, unsere Freiheit werde am Hindukusch verteidigt, endlich von mehr als 30 % der Bevölkerung gutgeheißen wird.
5. Damit führen Kultusministerium und Bundeswehr einen schweren Schlag gegen das wichtigste Gesetz der modernen Pädagogik, das da lautet: Wer nicht im Abwägen von Alternativen geübt ist, kann nicht kritisch denken. Wer nicht kritisch denken kann, kann nicht zum mündigen Bürger werden. Wer kein mündiger Bürger ist, wird die Demokratie nicht verteidigen, nicht einmal die unvollkommene und geschwächte von heute. Weimar hat gelehrt, was dann in Gesellschaft und Staat passiert, wenn so systematisch die Vernunft zerstört wird.
6. Also: Vernunft muss her statt Militär. Die Bundeswehr hat in der Schule nichts zu suchen, ebenso wenig wie in Afghanistan und anderswo in der Welt. Dafür will ich als Lehrer und Gewerkschafter eintreten und verlasse mich - sicher im Bunde mit euch allen - auf die Wahrheit von Schillers Worten: "Verbunden werden auch die Schwachen mächtig." Ich hätte auch sagen können: Auf, zeigen wir's ihnen!

VVN-Logo www.vvn-bda-bawue.de © 1997 - 2010 www.josef-kaiser.eu