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Nummer 1 / Januar 2000


Krieg um Öl

Tschetschenien und das Völkerrecht

von Dieter Lachenmayer

Seit Wochen herrscht Krieg in Tschetschenien. Schon nach acht Wochen forderte dieser Krieg nach Aussage von Menschenrechtsorganisationen 4000 Menschenleben. 200.000 tschetschenische Flüchtlinge campieren bei winterlichen Temperaturen in Inguschetien. In der Nacht zum 26. November 1999 schlugen 100 russische Raketen in Grosny ein und töteten mehr als 500 Menschen. Dorf um Dorf, Stadt um Stadt wird beim Vorrücken der russischen Panzer zerstört.

Schon vor Beginn des Krieges war die Lage in Tschetschenien von Gewalt und Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet. Zwar gehört das Land offiziell zur russischen Föderation, in der Realität liegt die Macht hauptsächlich bei islamischen Fundamentalisten, die eine "islamische Republik" errichten wollen. Diese haben Rußland mehrmals mit Terror gedroht. Überdies gibt es eine deutliche Tendenz Tschetscheniens sich von Rußland abzuspalten. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Nach dem ersten Tschetschenienkrieg (1994 - 1996) blieb die von Moskau versprochene Wirtschaftshilfe aus, die Arbeitslosigkeit liegt bei 70-80 Prozent. Auf diesem Hintergrund bildete sich ein kriminelles Bandenwesen aus. Neben Waffen- und Drogenhandel blüht die Entführung von Menschen. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung sei Kidnapping "ein Geschäft in Grosny wie der Handel mit gebrauchten Autos oder Baumaschinen."

Kampf um die Ölregion
Es geht aber nicht allein um die inneren Probleme Tschtscheniens. Die Gegend um das Kaspische Meer gilt als das Erdöl- und Erdgasgebiet der Zukunft. Durch Tschetschenien führt der kürzeste Weg zwischen der wichtigen Ölstadt Baku in Aserbaidschan und dem Ölhafen Noworossisk am Schwarzen Meer und von dort zu den westlichen Ölmärkten. Über diese Nordroute wurde das Kaspi-Öl bisher geleitet. Die Sezessionsbestrebungen in der Kaukasusregion gründen sich nicht allein auf nationalistische oder religiös-fundamentalistische Irrationalismen, sondern auf das rationale Bestreben, den Ölreichtum oder was von ihm abfällt nicht teilen zu müssen.
Das Öl ruft nicht nur Russland auf den Plan, sondern alle:
Die traditionellen arabischen Ölstaaten, die nicht aus religiöser Solidarität Geld und Waffen schicken, sondern weil sie im Interesse ihres bisherigen Monopols von einer möglichst langwährenden Destabilisierung der Region profitieren. Die westlichen kapitalistischen Länder, allen voran die USA, weil sie den Einfluß der Großmacht Russland zurückdrängen wollen, um ihren eigenen Einfluß in dieser Region geltend zu machen. Schließlich läßt sich mit einer Handvoll instabiler Kleinstaaten leichter umgehen als mit der Atommacht Russland.
Die Regionalmacht Türkei bietet sich dem Westen als Stabilitätsfaktor an und verspricht sich von dieser Rolle zurecht politische wie wirtschaftliche Vorteile. Das ist der Hintergrund vor dem Russland derzeit seine territoriale Integrität, wie sein Interesse am kaspischen Öl mit Bomben und Panzern und ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt verteidigt.

Von der NATO gelernt
Dabei hat der Krieg Russlands in Tschetschenien viel mit dem Krieg der Nato in Jugoslawien zu tun.
Das russische Militär hat die besondere Brutalität der Methode "Krieg auf Distanz" vom NATO-Krieg gegen Jugoslawien gelernt. Aus der Ferne wird nicht gegnerisches Militär bekämpft, sondern die gesamte Infrastruktur des Landes zerstört. Sogenannte "Kollateralschäden" werden dabei nicht etwa nur in Kauf genommen, die Erzeugung möglichst großer Zerstörung ist Methode des Krieges. So radikal wie die NATO im Kosovo vorging, so radikal handelt das russische Militär nun in Tschetschenien. Der kleine Unterschied ist für das Völkerrecht nicht unerheblich, für die Opfer aber kein Trost. Während die NATO gründlich mit der Jugoslawischen Souveränität im Kosovo aufräumte, versucht Russland seine Souveränität in Tschetschenien zu wahren. Der Tschetschenische Separatismus soll ein für alle Mal als Faktor ständiger Destabilisierung ausgeschaltet werden.

Von der NATO getrieben
Auch der Grund für diese vermeintlich gründliche "Lösung" kann leicht im NATO-Krieg gegen Jugoslawien vermutet werden: Dort war der lange geschürte albanische Separatismus nicht nur ein den Gesamtstaat Jugoslawien ständig bedrohender Unruheherd, sondern auch Anlaß für die NATO-Staaten, allen voran die Bundesrepublik, sich in die Angelegenheiten dieses Staates ständig weiter einzumischen und schließlich Vorwand für den Krieg und die anschließende militärische Präsenz.
Auch ein ständiger Unruheherd Tschetschenien muß in Russland die Angst auslösen, damit der NATO einen ständig latenten Grund für Einmischung bis hin zur militärischen Intervention in Tschetschenien zu liefern. So folgt der Krieg in Tschetschenien der Logik der neuen NATO-Strategie: Wo diese für sich in Anspruch nimmt, die Probleme der Welt mit unerbetenen militärischen Interventionen zu lösen, müssen sich die anderen beeilen, dieser "Lösung" durch die selbe Methode zuvorzukommen: Krieg.

Grundsätze des Völkerrechts
Die Chancen, diesen Teufelskreis zu brechen, sind gering.
Sie wären gegeben, besänne man sich in Russland - aber nicht nur dort - endlich auf zivile und friedliche Methoden zur Konfliktlösung.
Das existierende Völkerrecht bietet dazu hilfreiche Grundsätze:

  • Menschenrechte!
    An erster Stelle der Katalog der Menschenrechte, deren erstes das Recht auf Leben ist. Wo die Menschenrechte garantiert sind, wo soziale Gerechtigkeit und Demokratie herrscht, ist auch die Neigung zu Fundamentalismus und Separatismus gering. Wo die Rechte der Menschen geachtet werden, gibt es friedliche Möglichkeiten Konflikte zu bearbeiten und zu lösen.

  • Nichteinmischungsgebot!
    Ebensowichtig zur Verhinderung von Krieg ist das Nichteinmischungsgebot, das es Staaten untersagt, sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Eine strikte allseitige Beachtung dieses Gebotes und internationale Kooperation zu seiner Durchsetzung würde z.B. im Falle Tschetschenien (wie im Kosovo) verhindern, daß separatistische und gewaltsam agierende Organisationen Waffen, Geld und Söldnernachschub aus dem interessierten Ausland erhielten. Es würde auch verhindern, daß solche Organisationen auf das militärische Eingreifen dritter spekulieren und so eine ungute Perspektive selbst für terroristisches Vorgehen erhalten. Es würde auch verhindern, daß zivile Lösungsstrategien unter den Zeitdruck der Angst vor militärischen Lösungen Dritter gerieten.

  • Unantastbarkeit der Grenzen!
    Zum Grundsatz der Nichteinmischung gehört auch das strikte Verdikt gegen gewaltsam herbeigeführte Grenzveränderungen. Wer in einer Welt wie dieser, mit dem Gedanken an Grenzveränderungen spielt, spielt mit dem Feuer. Das gilt nicht nur für Staaten, sondern für alle Bewegungen, die glauben, Demokratie und Gerechtigkeit wären eine Frage von Grenzen statt eine Frage von sozialen Verhältnissen, demokratischen Rechten und Solidarität der Menschen.

  • Gewaltverzicht!
    Das geltende aber seit der neuen Weltordnung nicht mehr beachtete Völkerrecht enthält die Verpflichtung aller seiner Subjekte, ihre Konflikte friedlich zu lösen. Hielten sich wenigstens die führenden Staaten der UNO, auch bei ihrem Konflikt um das Erdöl am Kaspischen Meer daran, den Menschen in Tschetschenien wäre sehr geholfen.

    Dieter Lachenmayer ist Geschäftsführer der VVN-Baden-Württemberg und Mitglied im Arbeitsausschuß des Friedensnetzes. Bei der Erstellung des Textes wurden einige Passagen aus einem Flugblatt der Stuttgarter Friedensinitiative übernommen.

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