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Nummer 1 / Januar 2000


Entschädigung für Zwangsarbeit:

Schuld ohne Sühne?

von Alfred Hausser

Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal hatte die Zwangsarbeit noch als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" gebranntmarkt. Doch Anfang 1953, als Herrmann-Josef Abs in Adenauers Auftrag an der Spitze der deutschen Verhandlungsdelegation nach London reiste, hatte sich der Wind längst gedreht. Es herrschte Kalter Krieg und vom Kriegsverbrechertribunal verurteilte Männer wie Abs von der Deutschen Bank leisteten nun der Adenauerregierung gute Dienste.

Das Zustandekommen des Londoner Schuldenabkommens vom 4.2.1953, in dem die Entschädigung von Zwangsarbeitern auf die Zeit nach dem Abschluß eines Friedensvertrages verschoben wurde, ist hauptsächlich Abs' Verdienst. Der entsprechende Artikel 5 Absatz 2 des Londoner Schuldenabkommens lautet: "Eine Prüfung der aus dem zweiten Weltkrieg herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren Gebiet von Deutschland besetzt war und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich und im Auftrag des Reichs handelnde Stellen oder Personen ... wird bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt."
33 Jahre später: Das Europaparlament nimmt sich der Entschädigungsfrage an. Am 16.1.1986 verabschiedet es eine Entschließung, in der festgstellt wird, daß die Sklavenarbeiter einen moralischen und materiellen Anspruch auf Entschädigung haben. Unternehmer wurden aufgefordert, diesen Anspruch zu erfüllen. Solche Entschließungen blieben jedoch bei der geltenden Rechtsinterpretation und dem bekannten Einfluß des Europäischen Parlamentes auf der Sympolebene. Denn die Unternehmer dachten überhaupt nicht daran, ihren Sklavenarbeitern den einbehaltenen Lohn zurückzuzahlen.

Entschädigung im 2+4-Vertrag festgeschrieben
Erst mit dem Abschluß des sogenannten 2 + 4-Vertrages, der als Friedensvertrag interpretiert werden mußte, änderte sich die Sachlage. Denn nun konnte sich sich die Bundesregierung nicht mehr ernsthaft auf das Londoner Schuldenabkommen berufen, zumal die Entschädigung im 2+4-Vertrag eine beachtliche Rolle spielte. Die Bundesregierung vereinbarte mit den Länder GUS und mit Polen die Zahlung einer einmaligen Summe von 1,5 Miliarden Mark, von denen fünfhundert Millionen an Polen, eine Milliarde in die GUS flossen, um den Opfer des Naziterrors Hilfeleistungen zukommen zu lassen. In diesen Ländern wurden entsprechende Stiftungen eingerichtet, die die Gelder verteilten. Dabei hatte die Bundesregierung darauf beharrt, daß es sich bei Zwangsarbeit nicht um ein NS-typisches Unrecht, das Anrecht auf Entschädigung nach sich ziehe, handele. Damit sollte vermieden werden, daß weitere Forderungen von Zwangsarbeitern aus anderen Ländern folgen.
1998 vereinbaren SPD und die Grünen im Koalitionsvertrag, nunmehr die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter zu regeln. Ein Regierungsbeauftragter wurde bestellt und Bundeskanzler Schröder machte unmissverständlich deutlich, daß es bei den Entschädigungsverhandlungen in erster Linie um den Schutz und die Interessen der deutschen Wirtschaft geht.

2,5 Milliarden als "Leistungsgrenze"
Hintergrund sind von Anwälten in den USA eingereichte Klagen gegen deutsche Firmen, die sich während des 2. Weltkrieges an Millionen von Zwangsarbeitern bereichert haben. Die Bundesregierung schlug die Bildung eines Entschädigungsfonds vor, in den Unternehmen und Bund einzahlen. Aus diesem Topf sollen dann Zahlungen an Zwangsarbeiter geleistet werden. Mit den Fondszahlungen sind dann sämtliche Ansprüche von Zwangsarbeitern abgegolten. Das versteht die Bundesregierung unter "Rechtssicherheit". Zum neuen Beauftragten der Bundesregierung wurde der Wirtschaftsliberale und Ex-Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff ernannt. Bei ihm dürfen sich die Konzerninteressen in guten Händen fühlen. Seit Monaten wird nun abwechselnd in den USA und in Bonn verhandelt. Acht Milliarden bietet die deutsche Seite als allerletztes Angebot. Dies sei die absolute Grenze der Leistungsfähigung und -bereitschaft der deutschen Wirtschaft. Eine Aufstockung werde es auf keinen Fall geben. Von diesen acht Milliarden sollen die Konzerne 5 Milliarden Mark bezahlen. Doch tatsächlich sind es nur 2,5 Milliarden. Denn die Firmen können Entschädigungsleistungen als Betriebsausgaben steuermindernd geltend machen.

Ein zynisches Spiel
Werden die 8 Milliarden nicht nicht akzeptiert, dann platzen die Verhandlungen erklärte Lambsdorff. Bisher beteiligen sich ohnehin nur 50 Betriebe am Stiftungsfonds, was das Interesse am Entschädigungsfonds ins rechte Licht setzt. In erster Linie solche, die in die USA exportieren. Die US-Anwälte fordern 15 Milliarden und die US-Regierung wäre mit 10 Milliarden einverstanden. Der Sprecher der Stiftungsinitiative Gibowski warf nun den Anwälten vor, sie wollten die Verhandlungen durch überzogene Forderungen zum Scheitern bringen. Zur Dimension der Entschädigungssumme: Kämen 10 Milliarden zustande, könnten die ehemaligen Zwangsarbeiter ca. DM 10 000,-- erhalten.
DaimlerChysler-Finanzchef Gentz, Verhandlungsführer der Stiftungsinitiative, spricht den Rechtsanwälten kurzerhand die Legitimation ab, bei den seit nunmehr neun Monaten laufenden Verhandlungen überhaupt dabei zu sein. Damit ist die von den Konzernen verfolgte Strategie klar: Die Rechtsanwälten werden zu Südenböcken aufgebaut, auf die man am Ende die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen abwälzen kann. Ein zynisches Spiel auf dem Rücken der wenigen überlebenden Opfer. Denn scheitert die Fondslösung, gehen die Zwangsarbeiter leer aus, die in Betrieben schuften mußten, die heute nicht mehr existieren. Die anderen dürfen auf eine sogenannte individuelle Entschädigungszahlung hoffen. Viele werden das nicht mehr erleben. Die Konzerne sind offenbar noch immer nicht bereit, ihre Schuld anzuerkennen. Dafür spricht auch, daß sich der Bundesverband der Deutschen Industrie bis zum heutigen Tag weder offiziell bei den Opfern entschuldigt hat noch seine Mitglieder aufgefordert hat, sich am Stiftungsfonds zu beteiligen.

Führende Verweigerer:
IG Metall kritisiert Hundt und Stihl

Die beiden bekanntesten Unternehmer in der Region sind ihrer Verantwortung gegenüber den ehemaligen Zwangsarbeitern ihrer Firmen nicht gerecht geworden: Dieter Hundt, der Chef der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) und Hans Peter Stihl, der Chef des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT). Hundt ist geschäftsführender Gesellschafter der Automobilzulieferer Allgaier in Uhingen, Stihl für die gleichnamige Firma in Waiblingen. In beiden Unternehmen mußten während des Krieges Zwangsarbeiter schuften, die dafür bis heute keine Entschädigung erhalten haben.
Nicht einmal der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft", die mit Vertretern der Opfer seit Monaten über eine Entschädigung verhandelt, sind die beiden Unternehmer beigetreten. "Wir halten diese Ignoranz für skandalös", erklärten dazu Dieter Knauß und Jürgen Stamm, die Sprecher der IG Metall in der Region Stuttgart. Unternehmer wie Hundt und Stihl sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Dieter Knauß: "Wir kritisieren aber auch die mindestens 50 übrigen Metall- und Elektrobetriebe in der Region, die während des Krieges Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, ohne je zu entschädigen." Einzige Ausnahme: DaimlerChrysler gehört der Stiftungsinitiative an und seit kurzem auch die Bosch GmbH. Nachtrag: Die Firma Stihl ist inzwischen der Stiftungsinitiative beigetreten.

Zwangsarbeiterprozesse:
Bosch verweigert Vergleich

Am 23.11.99 wurden vor dem Stuttgarter Landgericht die Klagen von zwei dänischen und vier polnischen Zwangsarbeitern auf Entschädigung gegen die Robert-Bosch GmbH verhandelt. Das Gericht bringt im Fall der Dänen einen Vergleich in Vorschlag. Bosch lehnt jedoch ab und verweist darauf, daß die Firma ja dem Entschädigungsfonds beigetreten sei. Allerdings erst kurz davor. Anschließend wurde die Klage von vier polnischen Zwangsarbeitern im Alter zwischen 72 und 80 Jahren gegen Bosch verhandelt. Auch hier lehnt Bosch unter Hinweis auf die Beteiligung am Fond ab. Zur Klärung weiterer Rechtrsfragen einigte man sich auf Ruhen des Verfahrens.
Am 24.11. wird die Klage eines 74-jährigen polnischen Zwangsarbeiters gegen die Sportwagenfirma Porsche verhandelt. Die Richter weisen die Klage ab. Nach der Verhandlung erklärte ein Vertreter von Porsche, die Firma sei jetzt auch dem Fond beigetreten werde aber außerdem freiwillig jedem seiner Zwangsarbeiter ab sofort DM 10.000 als Entschädigung zahlen.
Eine Geste, die Bosch und anderen Schuldnern auch gut anstehen würde.

Nachahmenswert:
Spontane Hilfe

Die Stuttgarter Zeitung berichte am 11.11.99 über einen erfreulichen Akt der Solidarität der Stadt Uhingen/Kreis Göppingen. Dort waren während des 2. Weltkrieges rund 500 Zwangsarbeiter aus der Ukraine, meist im Rüstungsbetrieb Allgaier beschäftigt. Für Rentenzwecke haben šberlebende vor 10 Jahren Kontakt zu Uhingen gesucht. Dabei wurden die ärmlichen Lebensumstände der Opfer bekannt. Jetzt hat sich Bürgermeister Walter entschlossen, aus seinem Verfügungsfond jedem der bekannten Zwangsarbeiter 1000 DM als humanitäre Hilfe zu überlassen. Und weil gute Beispiele oft nachgeahmt werden, hat ein anonymer Spenden noch einen Tausender draufgelegt. Diese Initiative ist zu begrüßen, ersetzt aber nicht die Entschädigung, die Wirtscchaft und Staat den Opfern schulden.

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