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Nummer 1 / Januar 2000


Bundesweites Gedenkstättenseminar:

Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Dachau

von Reinhard Hildebrandt

"Didaktische Zugänge zu historischen Orten - Das Beispiel KZ-Gedenkstätte Dachau" war das Thema des bundesweiten Gedenkstättenseminars vom 18.-21. November 1999 in Dachau mit rund 120 TeilnehmerInnnen. Die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Dachau bildete den Schwerpunkt der Tagung.

Die Gedenkstätte als Museum
Dachau war das erste Konzentrationslager, das in Deutschland eingerichtet wurde, und es war die "Schule" all der vergleichbaren Terrorstätten, die die Nationalsozialisten ab 1933 in Deutschland, in Österreich und schließlich in den besetzten Ländern einführen sollten. Das ist ein Wissensbestand, der auch hier zu vermitteln ist, verbunden mit der Perspektive, dass hier die Täter ausgebildet und sich auslebend die Häftlinge zu Opfern machten; dass die Konzentrationslager und schließlich die Vernichtungslager die Steigerung eines Systems des Terrors und der Inhumanität waren, dass dieses System darin gipfelte. Was aber ist davon an dem Ort selbst noch wahrnehmbar? Wir sehen weder die Täter, noch die Opfer. Wir sehen bestenfalls Spuren der Gebäude, ihrer Instrumente, wir sehen eine stark veränderte Umgebung, wir sehen einen bearbeiteten Grund. Was wir aber meinen fordern zu können ist, dass sich vor diesem Ort die Bilder einstellen, die wir in vielen kleinen Schritten uns anzueignen gewöhnt haben. (Angela Genger: Überlegungen zur Gedenkstättenarbeit).

Annäherungen
Mehr als fünfzig Jahre nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft haben die meisten Menschen mehr oder weniger fest umrissene Vorstellungen, wenn von den Konzentrationslagern Dachau, Buchenwald oder Auschwitz die Rede ist. Viele Bilder sind den meisten geläufig, man glaubt oft, das alles längst zur Genüge zu kennen: die Aufnahmen von Baracken, von Häftlingen beim Appell, das Lagertor "Arbeit macht frei" ... Man nickt, man erinnert sich an bereits Gesehenes ... Die bekannten Bilder vermögen kaum uns über den allgemeinen Wiedererkennungseffekt hinaus anzuzusprechen. Gewöhnung schafft Distanz. (Elija Boßler, Fotografin)

Die Umgestaltung der KZ-Gedenkstätte
Jährlich kommen etwa 700 000 Besucher aus der ganzen Welt, die einen wollen sich auf die Ausstellung konzentrieren, die anderen wollen das Gelände entdecken. Das Vorwissen ist höchst unterschiedlich. Die neue Ausstellung wird die Räume und Gebäude einbeziehen, die bisher nicht zugänglich waren, es sind die Teile des KZ-Lagers, die bis 1972 von der US-Army genutzt wurden: das "Jourhaus" mit dem Eingangstor des Lagers, der "Bunker", das ehemalige Lagergefängnis mit seinen 142 Einzelzellen, der Westflügel der Gebäude mit dem ehemaligen Schubraum, kaum ein Besucher kennt diese Räume bisher. Es ist geplant, mit der neuen Ausstellung den "Weg der Häftlinge" zu gehen. So könnte im Schubraum der Eintritt ins Lager, die Verwandlung des Menschen in eine "Nummer", dargestellt werden. In den Werkstätten könnte das Lager als Mikrokosmos gezeigt werden. Der Bunker soll weitgehend in seinem baulichen Zustand belassen werden, wobei in den Zellen einzelne Themen dargestellt werden, z.B. in der Zelle, wo Georg Elser inhaftiert war. Die Überlebenden des Konzentrationslagers und die Stadt Dachau haben ein gemeinsame Ziel: Beide wünschen sich für die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte ein Besucher- und Informationszentrum, das der Gedenkstätte vorgelagert sein sollte: Wegweisungen, Bücherverkauf und moderne Medien, Auskünfte über die Stadt Dachau, eine Cafeteria, ein Raum für vorbereitende Gespräche, ein Treffpunkt für Führungen könnten da an einem zentralen Ort - außerhalb des KZ-Geländes - angeboten werden. Das Gelände, um das es geht - ein Teil des ehemaligen SS-Lagers - gehört heute zum Areal der Bayrischen Bereitschaftspolizei.
Grundstücksabtretungen und Gebäudenutzungen sind noch zu klären, ebenso wie der neue geplante Zugang zur Gedenkstätte durch das Lagertor. In einem ersten Schritt soll die neue Ausstellung, mit der die Besucher der Gedenkstätte den Weg der Häftlinge nachgehen, am 27. Januar 2000 eröffnet werden. Im November war von ihr noch nichts zu sehen, nur die leeren Räume und die Handwerker, die auf der Baustelle arbeiten.

"Jourhaus"
Es ist das Torgebäude des Hauptzugangs zum ehemaligen Konzentrationslager in Dachau. Der Turmaufsatz auf dem Dach war einer der sieben Wachtürme der Lagerummauerung. Im Gegensatz zu den anderen Gebäuden kamen Häftlinge damit kaum in Berührung, aber sie hatten es alle bei der ersten Einlieferung durchschritten. Es markierte für die Gefangenen das Tor zur Außenwelt. Viele, die in den SS-Betrieben oder außerhalb arbeiteten, durchschritten es jeden Tag zweimal mit ihrem Arbeitskommando. Häftlinge wurden in die Politische Abteilung im 1. Stock zur Vernehmung geführt, die über Leben und Tod entscheiden konnte. Eine Strafe, die direkt vor dem Jourhaus vollstreckt wurde, war das "Torstehen". Vor allem aber war das Jourhaus die Zentrale der SS an der Grenze des KZ. Es gehörte organisatorisch zum SS-Lager. Dort war die SS-Wache untergebracht und alle wichtigen Abteilung der SS-Lagerführung hatten dort Büros, auch die Politische Abteilung (Gestapo) mit zwei Büros. Für die Häftlinge war das Jourhaus das Herrschaftszentrum der SS.

Schubraum
Dieser Raum besitzt ebenfalls eine hohe Bedeutung für das Schicksal der Häftlinge und zwar weniger aufgrund der Leiden als vielmehr wegen des Vorgangs, der sich hier vollzog. In diesem Raum erfolgte der Übergang vom Bürger mit Namen, Rechten und eigener Kleidung zum rechtlosen, nackten KZ-Gefangenen, der mit einer Nummer bezeichnet wurde. Hier wird zunächst der Verlust erlebt: Kleidung, Papiere, Wertsachen, etc. werden abgegeben - nackt verläßt der "Neuzugang" den Schubraum und geht zum Bad. Alle neu in das KZ Eingewiesenen gingen durch diesen Raum.

Bunkerbereich mit Innenhof
Die Zellenfluchten des Bunkers mit ihren 142 Einzelzellen bedrücken allein durch ihren Anblick. In den Zellen verbüßten Häftlinge mehrwöchige Strafen mit Essensentzug und Dunkelhaft. Häftlinge und andere Gefangene waren vor ihrer Exekution hier untergebracht. Im Bunkerhof wurden zeitweise Strafmaßnahmen wie das Pfahlhängen und die Exekutionen durchgeführt. Aber auch Sonderhäftlinge wie Johannes Neuhäusler, Martin Niemöller und Georg Elser waren hier inhaftiert. Nach dem Krieg wurden hier kurzzeitig die Angeklagten der "Dachauer Kriegsverbrecherprozesse" festgehalten. Bis zur Freigabe der Gebäude und des SS-Geländes durch die US-Grundstücksverwaltung 1972 diente der Bau als Militärgefängnis der US- Streitkräfte.

"Kräutergarten"
Die Bauten der ehemaligen Gewürzmühle der "Deutschen Versuchs-Anstalt für Ernährung und Verpflegung" waren Bestandteil der "SS-Heilkräuterkulturen" und liegen in unmittelbarer Nachbarschaft des KZ an der Straße "Am Kräutergarten". Die bebauten Fläche der "Plantage", wie der "Kräutergarten Dachau" bei den Häftlingen hieß, wuchs von 7,5 Hektar im Jahre 1938 auf 148 Hektar im Jahre 1942. Auch die Zahl der Gefangenen, die auf der gefürchteten "Plantage" täglich zum Einsatz kamen, stieg rasch. Während dort im Jahre 1938 zunächst zehn Häftlinge arbeiteten, waren es im Jahre 1942 durchschnittlich tausend. Die Wehrmacht bezog ihre gesamten Gewürze während des Krieges aus Dachau.

SS-Schießplatz Hebertshausen
Der Schießplatz Hebertshausen ist ein bedeutsamer historischer Ort, der untrennbar mit den Verbrechen im KZ Dachau verbunden ist. Der systematische Massenmord an über 4000 sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Schießplatz stellt eines der schlimmsten Verbrechen der Naziherrschaft in Bayern dar, über das bisher wenig geforscht und veröffentlicht wurde. Die in Hebertshausen ermordeten sowjetischen Soldaten kamen überwiegend aus Gefangenenlagern auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg in der Rhön, wo neben einem Mannschaftslager auch das einzige Lager für höhere Offiziere eingerichtet war. Von dem Offizierslager (Oflag 62 -XIII D) wurden 1100 Offiziere nach Dachau gebracht, von den Mannschaftslagern in Hammelburg und Nürnberg-Langwasser etwa 2000 Personen. Aus dem Wehrkreis Stuttgart wurden etliche hundert Mann nach Dachau gebracht. Aus dem Wehrkreis München kamen sowjetische Soldaten aus den Lagern in Memmingen und Moosburg. Von den in den Gefangenenlagern "Ausgesonderten" hat keiner überlebt, der nach Dachau gebracht wurde. Ihre Namen durften nach Anweisung durch die SS-Führung im KZ Dachau nicht in die Lagerliste aufgenommen werden, sondern nur die Nummern ihrer Erkennungsmarken notiert werden. Bis heute sind nur die Namen der 267 Soldaten bekannt, die in Moosburg "ausgesondert" wurden. Ihre Namen standen auf einer Liste, die bei den Nürnberger Prozessen vorgelegt wurden. Alle anderen Opfer sind unbekannt. Es ist besonders wichtig, dass wenigstens der Ort des Geschehens nicht auch noch in Vergessenheit gerät. Bisher erinnerte nur ein Denkmal des Künstlers Will Elfes, das 1964 von den deutschen überlebenden Häftlingen des KZ Dachau gestiftet wurde, es steht am Schießbunker mit den Kugelfängen. Ein Arbeitskreis zur Neugestaltung des Schießplatzes Hebertshausen hat sich gebildet. Erst seit Herbst 1999 gibt es in der Nähe des Bunkers eine dreisprachige Hinweistafel mit Informationen in drei Sprachen (deutsch, englisch, russisch). Weitere Pläne zur Neugestaltung des Schießplatzes als Gedenkort liegen vor.
Die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Dachau konnte an dieser Stelle nur skizziert werden. Es fehlt der ausführliche Beitrag zur Geschichte des Konzentrationslagers Dachau wie er anläßlich der Neugestaltung bereits 1995 von Stanislav Z mecnik (Comit‚ International de Dachau, Prag) verfasst wurde. Es fehlt die Geschichte der 93 Außenlager des KZ Dachau (einige davon im neuen Band 15 der Dachauer Hefte), sie sollen in die neue Ausstellung einbezogen werden. Ebenso kann hier nicht über die vielen didaktischen Konzepte berichtet werden. Die Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes (Bundestagsdrucksache 14/1569 vom 27.09.99) und die damit verbundene Auseinandersetzung über die Versuche, Gedenkstätten dem "antitotalitären Konsens" anzupassen, wurden bei diesem bundesweiten Gedenkstättenseminar nicht thematisiert.

Literatur: Räume - Medien - Pädagogik (Kolloquium zur Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Dachau), herausgegeben vom Haus der Bayrischen Geschichte, 1999. Dachauer Zeitgeschichtsführer, von Hans-Günter Richardi, herausgegeben von der Stadt Dachau, Amt für Kultur, Fremdenverkehr und Zeitgeschichte, 1998.

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