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Nummer 4 / April 2000

Die Skandale der Republik

Kapital und Korruption

von Reinhard Hildebrandt

Seit Monaten haben die ständig neuen Enthüllungen des aktuellen Korruptionsskandals das Vertrauen der Menschen in die demokratischen und rechtsstaatlichen Strukturen der Bundesrepublik nachhaltig erschüttert. Die CDU versinkt im Sumpf der Schwarzgeld-Affären.

"Hör mir auf, von Werten zu reden!", ist die Antwort der jungen Menschen auf den staatsbürgerlichen Unterricht in den Schulen, wenn ihnen die Verfassungsgrundsätze vermittelt werden, z.B. Artikel 20 des Grundgesetzes: "Die BRD ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat". Die VVN-BdA hat sich auf Landes- und Bundesebene mehrfach gegen die jahrelangen kriminellen Machenschaften von Regierungs- und Wirtschaftsmacht erklärt und aufgerufen, die Demokratie zu schützen und auszubauen.

Mißbrauch der Macht
Wer die Vergangenheit nicht kennt, die Gegenwart nicht analysiert, kann die Zukunft nicht gestalten. An diese einfache Wahrheit müssen wir in unserer geschichtslosen Zeit erinnern.
In der Berichterstattung der Medien stehen seit dem Jahreswechsel 1999/ 2000 fast ausschließlich die von den Spendenaffären betroffenen Parteien im Zentrum der Kritik. Die Zuwender - Industrie und Banken - werden aus dem Blickfeld gerückt. Dabei gehören zur Korruption immer zwei Seiten. Hinter den Schwarzgeldskandalen steht vor allem die Tatsache, dass Kapital politische Macht kaufen will. Solche Praktiken haben in Deutschland schon einmal zum Untergang einer Demokratie beigetragen. Aus dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht wurden nach 1945 in Verfassungsentwürfen, Partei- und Gewerkschaftsprogrammen und in politischen Erklärungen Konsequenzen gezogen, die einen erneuten Missbrauch verhindern sollten. Sie wurden jedoch nicht angewandt und im Zuge der Restaurierung alter Machtverhältnisse zurückgedrängt und schließlich sogar als "verfassungswidrig" bezeichnet. Hinweise der VVN-BdA auf Zusammenhänge von Kapital und Politik auch bei der Errichtung des Faschismus wurden uns als Anwendung eines "kommunistischen Dogmas" vorgehalten.

Wie aus dem Lehrbuch
Angesichts des CDU-Finanzskandals fragte selbst die FAZ "Ist der Marxismus/Leninismus 1989 eigentlich wirklich widerlegt worden?". Sie hatte das DDR-Lehrbuch "Politische Ökonomie" (des Kapitalismus und Sozialismus) hervorgekramt und kam zu der "erstaunlichen Entdeckung", dass darin "nicht alles falsch" war: etwa "Merksätze wie die von der globalen Kapitalkonzentration und Monopolbildung bei gleichzeitiger Zunahme der Arbeitslosigkeit. Zwangsläufig, so steht es in den Büchern, laufe der Kapitalismus darauf hinaus. Ebenso zwangsläufug nehme in seinem letzten, faulen und parasitären Stadium die Korruption ,einen bedeutenden Umfang an'." Erstaunt zitiert die FAZ Erkenntnisse über "so genannte Lobbyisten", deren Aufgabe es sei "Staatsbeamte und Parlamentarier durch Bestechung und andere Methoden .... zu beeinflussen. Die Konzerne träfen ,Absprachen mit der Regierung, mit Abgeordneten sowie mit den Spitzengremien der von ihnen wesentlich finanzierten Parteien' '" - nicht auszudenken, wenn diese simplen Wahrheiten Bestandteil des Massenbewusstseins werden !

Legende um "jüdische Vermächtnisse"
Empörend beim Spendenskandal finden wir die Legende des früheren hessischen CDU-Schatzmeisters Casimir Prinz zu Sayn-Wittgenstein um angebliche jüdische Vermächtnisse für die CDU. Sie fördert antisemitische Vorurteile. Dabei war der politische Ziehvater von Helmut Kohl der "Arisierungskönig" Konsul Dr. Fritz Ries, in der BRD Eigentümer der Pegulan-Werke. Der Sklaventreiber von einst war 1934 Gesellschafter der Flügel & Polter KG, Leipzig und hatte durch zahlreiche "Arisierungen" und "Übernahmen" diesen 120-Mann-Betrieb zu einem Konzern mit über 10 000 Beschäftigten erweitert. Judenverfolgung und Massenmord brachten einigen skrupellosen Geschäftemachern Millionenprofite. Die Spur von Auschwitz führte über Rheinland-Pfalz direkt in die Machtzentralen der Bundesrepublik.

Von Flick bis Kohl - Skandal ohne Ende
Der Waffenhändler Karlheinz Schreiber ist eine Schlüsselfigur im Spendenskandal. Die Spenden der Industrie, z. B. vom Thyssen-Konzern, bezeichnete er als "Landschaftspflege". Wobei er mit dem Begriff "Landschaftspflege" den Ausdruck übernahm, den der Milliardär Flick zwei Jahrzehnte früher für die gleiche Praxis geprägt hatte. Der Flick-Skandal war bisher der größte Korruptionsskandal in der Geschichte der BRD, betroffen waren die vier Parteien CDU, CSU, FDP und SPD. Er stand am Anfang der Kanzler-Karriere von Kohl. Flick hatte seinen Weg ins Kanzleramt gefördert, indem er seinen damaligen Rivalen Barzel aus dem Weg kaufte, 1,66 Millionen DM hatte das gekostet. Geplatzt war das mit einem Steuergeschenk von 840 000 000 DM (achthundetvierzig Millionen !) aus der Staatskasse für Flick. Er war der reichste Mann im Staat, er hatte seine Daimler-Benz-Aktien für 1,9 Milliarden DM verkauft; wie jeder andere Geschäftsmann hätte er davon Steuern abführen sollen. "Denkste!" schrieb Emil Carlebach 1985, er bekam die Steuern geschenkt. Mehr als 1400 Verfahren wurden damals eingeleitet. Mehr als 3000 Personen waren darin verwickelt - die Elite "dieses unseres Landes" (Originalton Helmut Kohl). Ergebnis des Flick-Untersuchungsausschusses: Die Politik und Politiker der Republik sind käuflich. So wie sie es vor 1933 waren. "Bereits in der Weimarer Republik haben Großunternehmen erfolgreich rechtsgerichtete Parteien für ihre wirtschaftlichen Interessen in Dienst genommen. Die dabei angewandten Methoden ähneln in verblüffender Weise den Aktivitäten, die mit der Flick- und Parteispendenaffäre aufgedeckt worden sind." schrieb Otto Schily, damals für die GRÜNEN im Flick-Untersuchungsausschuss. "Mittels Spendenvergabe hat sich der Flick-Konzern systematisch Einflussfelder verschafft, dass ungeachtet der Frage, ob in dem einen oder anderen Fall der Straftatbestand der Bestechung oder Bestechlichkeit verwirklicht ist, von politischer Korruption großen Ausmaßes gesprochen werden muss."

Mit Bimbes gegenDemokraten
Rückblickend reibt man sich die Augen. "Es ist schlimmer als in den oft zitierten Bananenrepubliken. Wir hatten 16 Jahre lang eine Bimbes- und Bakschisch- Demokratie" sagte Werner Pfennig auf unserer Landesdelegiertenkonferenz in Mannheim. Kohl und Kanther und andere Personen haben mit illegalen Methoden regiert, haben permanent und absichtlich gegen Gesetze und die Verfassung gehandelt.
16 Jahre lang ist die Friedensbewegung, die Demokratiebewegung, sind die Gewerkschaften unter Zuhilfenahmen von Schwarzgeld, Bestechungsgeld, Waffenschiebergeld bekämpft worden. Millionen aus dem Profit, den die Belegschaften der Konzerne erarbeitet haben. Gesetzes- und Verfassungsbrecher wie Kohl und Kanther haben Antifaschisten, die die Demokratie schützen und verteidigen, diffamierend als "Verfassungsfeinde" hingestellt, mit geheimdienstlichen Mitteln verfolgen und kriminalisieren lassen.

Immer wieder Waffenschieber
Ein gewisser Eberhard von Brauchitsch präsentiert sich heute in TV-Talk-Runden und anderen Medien als Kritiker an der jetzigen Korruptionsaffäre, dabei war er damals Top-Manager von Flick und fungierte als Spendengeldeintreiber in der Wirtschaft. Er wurde in diesem Zusammenhang - ebenso wie Graf Lambsdorff und der frühere Wirtschaftsminister und spätere Dresdner-Bank-Manager Friedrichs - rechtskräftig verurteilt. Auch andere Personen, die in der Flick-Affäre auftauchten, sind heute wieder in Schlüsselpositionen dabei, wie der Steuerberater Horst Weyrauch, damals bereits Kohls Verwalter illegal und der Steuer entzogener CDU-Konten. Handlanger der Rüstungslobby, wie Ludwig-Holger Pfahls ( untergetauchter Ex-Verfassungsschutzpräsident und Ex-Staatssekretär im Verteidigungsministerium) kamen hinzu. Es ist noch aufzuklären, welche Rolle er und Daimler-Benz bei dem Rüstungsprojekt Eurofighter 2000 (vormals Jäger 90 genannt) spielten. Aufzuklären sind die 90 Millionen Schmiergelder des französischen Konzerns Elf Aquitaine an die Bonner Regierung. Das bisher nur teilweise enthüllte Leuna-Geschäft läuft darauf hinaus, dass mit diesem Frankreichs Zustimmung zur "deutschen Einheit" erkauft wurde. Die Unterlagen über den Leuna-Deal und das Einkassieren der Minol-Tankstellenkette, Kohl gab dafür 1,5 Milliarden DM aus Steuermitteln an den Elf-Konzern, wurden im Kanzleramt Kohls vernichtet. Das Panzergeschäft des Thyssen-Konzerns mit Saudi-Arabien bedarf weiterer Aufklärung. Insgesamt bekam Thyssen gut 220 Millionen DM an Schmiergeldern von den Saudis für die Lieferung von Panzern, diese flossen weiter als Schmiergelder für Politiker. Der Waffenhersteller Heckler&Koch (Oberndorf) zahlte 1998 40000 DM an die Landes-CDU. Der Zusammenhang mit der Erlaubnis, Unterlagen und Material zur Herstellung des automatischen Gewehres HK 33 an die Türkei zu liefern wird geprüft. leibt abzuwarten, ob weitere Konzerne oder Banken von dem Korruptions-Skandal betroffen sind.

Gefahr von Rechts
"Der politische Konservatismus in Westeuropa ist auf einen Tiefpunkt der Bedeutungslosigkeit abgesunken" schreibt die Süddeutsche Zeitung am 19. 2. 2000. Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass die Gefahren einer Rechtsentwicklung nicht mehr bestehen. Im Gegenteil. Der CDU-Spendenskandal liefert den braunen Rattenfängern ergiebigen Stoff für ihre Agitation gegen das verkommene "Polit-System", mit dem sie "aufräumen" wollen. "Bestimmen Verbrecher die deutsche Politik?" fragt die National-Zeitung aus dem Hause des DVU - Frey und enthüllt "wie das Volk betrogen wird". Bei den kränkelnden REPs, die verzweifelt einen Weg aus der Krise suchen, gibt es nach Insider-Berichten ein "Handgemenge der Mini-Haiders". Ein Volkstribun mit Charisma, der das zerstrittene "nationale Lager" einigt, ist dort ebenso wenig in Sicht wie bei der NPD, die mit ihrem Anti-CDU-Wahlkampf ("Parteispenden offen legen! Korruption bekämpfen! Volksbetrüger bestrafen!") in Schleswig-Holstein über ein Prozent der Stimmen nicht hinauskam. Auch die Voraussage der "Jungen Freiheit", dass die Deutschen aus Protest gegen die Parteienkrise in Wahlverweigerung flüchten würden , wurde durch die Wahl im Norden widerlegt, die Wahlbeteiligung sank nicht nennenswert und die CDU hat gerade mal zwei Prozentpunkte verloren. Die Mehrheit der Bevölkerung bleibt angesichts der Skandale passiv und lässt die Fernsehereignisse über sich ergehen. Dass die Neofaschisten von der Krise der CDU nicht profitieren konnten, ist nur ein kleiner Trost.

Demokratie schützen!
Der größte Skandal in der Geschichte der Bundesrepublik bietet gute Möglichkeiten, zu erkennen, wer die wirkliche Macht in der BRD direkt und indirekt ausübt. Gesetzeswidrige, kriminelle Vorgänge in der Parteienlandschaft aufzuklären und künftig zu verhindern, Gesetzesbrecher und korrupte Elemente aus den politischen Parteien und Institutionen auszuwechseln, kann nur ein Schritt sein. Ein Personalaustausch ändert nicht die Strukturen, die immer wieder solche Entwicklungen hervorbringen. Unsere Aufgabe als VVN-Bund der Antifaschisten ist es, gemeinsam mit allen demokratischen Kräften unseren gesellschaftlichen Einfluss zu vergrößern, um die Demokratie zu schützen und auszubauen.


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