VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 18.04.2000
antifNACHRICHTEN an200004
Nummer 4 / April 2000

Was tut sich zur Entschädigung der Zwangsarbeit im Lande?

Es ist notwendig, Druck auszuüben!

von Alfred Hausser

Noch ist der beschämende Kuhhandel nicht beendet. Wann werden die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter endlich Geld erhalten?

Noch hat die Wirtschaft ihre 5 Milliarden DM in die Bundesstiftung nicht eingebracht. Erst nach einem Brief der IG-Metall Stuttgart an die Präsidenten der Arbeitgeberverbände Hundt und Stihl haben diese ihren Beitritt zu der Stiftung erklärt und dann auch in Briefen ihre Mitgliedsfirmen zur Beteiligung an der Stiftung aufgefordert. Das Echo ist zurückhaltend. Der Deutsche Städtetag und die Ev. Kirche haben ebenfalls zur Beteiligung an der Stiftung aufgerufen. Auf der internationalen Ebene wird seit Monaten in Berlin und Washington über die Verteilung der Gelder verhandelt, die man zum Teil noch gar nicht besitzt. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Gründung einer Stiftung unter dem vielversprechenden Titel "Erinnerung - Verantwortung - Zukunft" vorbereitet, der die Verteilung der Gelder regeln soll. Ausser den Vertretern der jüdischen Opfer und der Sinti und Roma sind Vertreter der Opferverbände nicht beteiligt. Wieder ein Lehrbeispiel, was man amtlich unter demokratischer Mitwirkung versteht. Es genügt auch nicht, sich wie Bundespräsident Rau "in Demut vor den Opfern" zu verneigen.

Das Beispiel Ulm
Es ist notwendig Druck auf die Betriebe auszuüben. Ein gutes Beispiel dafür, wie Druck erzeugt werden kann, ist der Ulmer Aufruf zur Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, der von VVN-BdA, der Ulmer Volkshochschule, dem Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Haus der Begegnung, Projekt Ost-West-Integration der vh Ulm, der deutsch-polnischen Gesellschaft, der SPD, Bündnis 90 Die Grünen, der DKP, dem DGB, den Naturfreunden, Freidenkern, ÖTV, IGM und IG Metall Ulm unterzeichnet wurde. Die Aufrufer wandten sich mit folgendem Schreiben an Ulmer Betriebe:
"Am 15 Dezember 1999 haben sich die Bundesregierung, die deutsche Wirtschaft und die Anwälte der Opfer auf die Zahlung von 10 Mrd. DM in einen Stiftungsfonds für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter geeinigt. Damit ist allerdings noch immer nicht geklärt, welche Betriebe in welchem Umfang sich an diesem Fonds beteiligen. Die bisher geführte und teilweise nach wie vor anhaltende öffentliche Auseinandersetzung um die finanzielle Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern für das ihnen im nationalsozialistischen Deutschland geschehene Unrecht, ist beschämend für unser Land, seine Institutionen und seine Industrie. Sie demütigt die Opfer ein weiteres Mal und schädigt den Ruf des gegenwärtigen Deutschlands in der Welt. Deshalb wenden wir uns heute mit unserem Appell an Sie, die Firmen und Betriebe der Region, sich an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeiter/innen zu beteiligen. Wir wollen und Sie können auf diese Weise für andere Wirtschaftsregionen ein Beispiel geben.
Zur historischen Erinnerung: Nahezu 10 Millionen Frauen und Männer, darunter ein Großteil Kinder und Jugendliche, wurde aus ihren von der deutschen Wehrmacht besetzten und zerstörten Ländern zwischen 1939 und 1945 nach Deutschland verschleppt, etwa 10 000 auch in die Region Ulm. Insbesondere die aus Polen und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion Verschleppten lebten und arbeiteten hier fast rechtlos unter oft schlimmsten Bedingungen und völlig unterbezahlt." Mit dem Aufruf wurde zugleich eine Liste mit 58 Namen von Firmen bekannt gemacht, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben. Bis zum 25. 1. 2000 haben drei der angeschriebenen Betriebe ihre Zusage gegeben, sich am Stiftungsfond zu beteiligen. Auf die Ankündigung einer Pressekonferenz zum Thema, sind weitere sechs Firmen der Bundesstiftung beigetreten. In der Ulmer Presse wurde das schäbige Verhalten der Betriebe, die sich noch immer nicht am Entschädigungsfonds beteiligen wollen, mit drastischen Worten kommentiert. Einige Kreisvereinigungen der VVN-BdA, wie Göppingen, Stuttgart und Reutlingen haben Briefe an die in ihrem Bereich ansässigen Betriebe geschrieben. Die Ev. Kirche hat sich für die baldige Entschädigung der Zwangsarbeiter ausgesprochen.

Auch Kommunen stehen in der Schuld
Im Wissen, dass viele Kommunen während des Krieges unter Einsatz von Zwangsarbeitern Bombenschäden beheben ließen, oder zur Instandhaltung von Versorgungseinrichtungen eingesetzt haben, hat der Deutsche Städtetag seine Mitglieder aufgefordert, der Bundesstiftung beizutreten. Dieser Weg beinhaltet - bei allem dokumentierten guten Willen - auch Fragwürdiges. Sicher haben die Kommunen durch den Einsatz der Zwangsarbeitern Kosten gespart. Dafür werden aber jetzt die Bürger zur Kassen gebeten. Die Aufforderung des Städtetages muss als eine Anstoß an die Kommunen verstanden werden, ihre Geschichte aufzuarbeiten. In diesem Sinne hat unser Kamerad und DKP-Stadtrat Ulrich Huber eine entsprechende Anfrage in den Gemeinderat Heidenheim eingebracht. Leider blieb er bei der Abstimmung darüber allein auf weiter Flur. In Schwäbisch Hall haben unsere Kameraden ähnliche Anträge an die Stadtverwaltung gerichtet.

Aktivitäten in vielen Kreisen
Die Kreisvereinigung Esslingen hat die 1988 eschienene Dokumentation über Zwangsarbeit "Räder müssen rollen für den Sieg", als Buch neu aufgelegt. (Siehe auch Buchbespechung). Aus dieem Anlaß fand am 28.1. eine sehr gut besuchte Rundfahrt zu den Stätten der Zwangsarbeit statt.
In Pforzheim erinnerten Friedensinitiative und VVN-BdA an die Zerstörung der Stadt Pforzheim durch Bombenangriffe im Feburar 1945, denen zahlreiche Bürger der Stadt, darunter auch viele Zwangsarbeiter, zum Opfer fielen. Bei der Gedenkveranstaltung wurden zwei Filme zum Thema Zwangsarbeit gezeigt, die von Autor Dr. Helmut Bauer präsentiert wurden. "Der Stern und sein Schatten" schildert das Los von Zwangsarbeiterinnen aus Polen und Ungarn, die im Daimler-Benz-Werk Genshagen bei Berlin ausgebeutet wurden und ihre Gesundheit eingebüßt haben. Helmut Bauer hat diese ehemaligen Zwangsarbeiterinnen ausfindig gemacht und läßt sie in dem Film mit ergreifenden Worten berichten (Laufzeit 90 Minuten). Noch ein weiterer Film von Helmut Bauer "Für Lohn und Würde" wurde an diesem Abend gezeigt. Der Film befaßt sich ebenfalls mit dem Thema Zwangsarbeit. (Laufzeit 30 Minuten). Wir empfehlen beide Filme für öffentliche Veranstaltungen. Die Filme können zu günstigen Bedingungen bei Helmut Bauer bzeogen werden. Seine Anschrift: Dr.Helmut Bauer, Wolfshagenerstr. 86, 13187 Berlin. Tel./Fax 030-475 30813.

Presseerklärung: Zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter/innen

Auch wenn die Entschädigungsregelung für Millionen der Opfer viele Jahre zu spät kommt und der Weg der Verhandlungen für die Überlebenden manche neue Demütigung mit sich brachte, ist die Einigung über die Mittelverteilung insoweit zu begrüßen, als damit endlich konkrete Entschädigungszahlungen an die Betroffenen in Aussicht gestellt sind. Jetzt sollte sofort mit den Zahlungen begonnen werden. Keine weitere Verzögerung und Erpressung seitens der Wirtschaft ist hinnehmbar.
Was aus Sicht derjenigen abzulehnen ist, die wie viele der von uns Betreuten selbst Zwangsrbeit leisten mussten, das ist die Verwendung von erheblichen Teilen der Stiftungsmittl für Zwecke, die außerhalb von diesem zur Entschädigung von Zwangsarbeit initiierten Fonds finanziert werden müssten. Selbstverständlich müssen noch nicht entschädigte "Arisierungs"-Maßnahmen der Nazis ausgeglichen werden und natürlich ist die Schaffung eines sogenannten Zukunftsfonds für Forschungsvorhaben und Jugendförderung zu begrüßen. Die Mittel hierfür aber vollständig aus dem Entschädigungsfonds für Sklavenarbeit unter dem Naziregime herauszunehmen, kommt denjenigen entgegen, die den pauschalen Schlusstrich unter die Vergangenheit fordern.
Wir erwarten, daß das nun anstehende Gesetzgebungsverfahren beschleunigt wird. Dabei ist den Opferverbänden Gelegenheit zu geben, ihre Positionen und Forderungen in die Beratungen einzubringen. Schon vorab ist eine zentrale Anmeldestelle zu benennen. Wir fordern ferner die Verringerung der Beweislast sowie die Verlängerung der viel zu kurz bemessenen Antragsfrist von acht Monaten.

Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime, Stuttgart Verband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand und der Verfolgten des Nazi-Regimes - Bund der Antifaschisten (VVDN-BdA), Berlin Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), Hannover

VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 2000 J. Kaiser