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Nummer 4 / Oktober 2000



Das Gesetz zur Entschädigung der Zwangsarbeiter ist unter Dach:

Bekenntnis zum Unrecht - Mangel an Geld

von Alfred Hausser

Am 12. August 2000 ist das lange und hart umkämpfte Gesetz zur Errichtung einer Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" in Kraft getreten. 10 Milliarden DM sollten je zur Hälfte vom Bund und der Wirtschaft in die Stiftung eingebracht werden.

Die Nutznießer der Zwangsarbeit zögerten sehr und verlangten Rechtssicherheit. Damit war die Forderung nach Einstellung der gegen deutsche Unternehmen in den USA eingereichten Klagen auf Entschädigung gemeint. Dieses Hindernis wurde durch ein deutsch-amerikanisches Regierungsabkommen beseitigt.

Trotzdem werden die Zahlungen an den Stiftungsfond weiter boykottiert, so daß von dieser Seite immer noch 1,8 Milliarden DM fehlen.

Noch vor der parlamentarischen Beratung des Gesetzes hatte der Innenausschuß die Vertreter der Opferverbände am 7. Juni zu einer Anhörung eingeladen, an der auch die "Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime" teilnahm. Wir haben dabei zahlreiche Änderungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgetragen. Unser Vorschlag war, dem Gesetz eine Präambel voranzustellen - ähnlich wie beim Bundesentschädigungsgesetz 1956 -, um den politisch-historischen Zusammenhang und die Verantwortlichkeit für die Geschichte auch in diesem Gesetz zum Ausdruck zu bringen. Der Innenausschuß hat diesen Vorschlag, allerdings in geänderter Fassung, übernommen. Dem neuen Gesetzentwurf wurde der folgende Text vorangestellt:

"In Anerkennung, daß der nationalsozialistische Staat Sklaven- und Zwangsarbeitern durch Deportation, Inhaftierung, Ausbeutung bis hin zur Vernichtung durch Arbeit und durch eine Vielzahl weiterer Menschenrechtsverletzungen schweres Unrecht zugefügt hat, deutsche Unternehmen, die an dem nationalsozialistischen Unrecht beteiligt waren, historische Verantwortung tragen und ihr gerecht werden müssen, die in der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zusammengeschlossenen Unternehmen sich zu dieser Verantwortung bekannt haben, das begangene Unrecht und das damit zugefügte menschliche Leid auch durch finanzielle Leistungen nicht wiedergutgemacht werden können, das Gesetz für diejenigen, die als Opfer des nationalsozialistischen Regimes ihr Leben verloren haben oder inzwischen verstorben sind, zu spät kommt, bekennt sich der Deutsche Bundestag zur politischen und moralischen Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus. Er will die Erinnerung an das ihnen zugefügte Unrecht auch für kommende Generationen wach halten. Der deutsche Bundestag geht davon aus, daß durch dieses Gesetz, das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen sowie die Begleiterklärungen der US-Regierung und die gemeinsame Erklärung aller an den Verhandlungen beteiligten Parteien ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit deutscher Unternehmen und der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika bewirkt wird. Er hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:....".

Eine Seltenheit in der Geschichte des Bundestages: Das Gesetz wurde von allen Parteien eingebracht und mit wenig Enthaltungen und Gegenstimmen verabschiedet. Auch der Bundesrat hat danach zugestimmt.

Das Gesetz wird überwiegend in den osteuropäischen Partnerorganisationen umgesetzt, die ihren Sitz in Minsk, Moskau, Kiew, Prag und Warschau haben. Sie sind Anmeldestellen und auch für die Auszahlung der Entschädigung zuständig. Die Stiftung wird von einem Kuratorium geleitet, das seinen Sitz in Berlin hat und überwiegend aus deutschen Regierungsvertretern sowie Vertretern der osteuropäischen Staaten, der USA und Israel besteht. Von Seiten der Opferverbände sind im Kuratorium die Claims-Conference, der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und der Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte vertreten.


Erklärung der VVN-BdA:
"Zahlungsunwillige an den Pranger!"

Als Skandal bezeichnet Werner Pfennig, Bundessprecher der VVN-BdA die Ankündigung der Unternehmerverbände, die zugesagten 5 Milliarden DM für die Zwangsarbeiterentschädigung nicht aufbringen zu können.

Nun komme es darauf an, den Druck auf die zahlungsunwilligen Unternehmen zu verstärken. Die VVN-BdA ruft dazu auf, vor Ort diese Firmen zu benennen und in geeigneten Aktionen öffentlich zu machen. Als Beispiele nannte Werner Pfennig Mahnwachen vor diesen Betrieben, Zeitungsanzeigen oder auch Kontaktaufnahme mit in- und ausländischen Geschäftspartnern dieser Betriebe. "Diejenigen, die mehr als 50 Jahre vom Leid der Zwangsarbeiter profitiert haben, dürfen keine Ruhe mehr bekommen. Sie verdienen, für ihr schändliches Verhalten öffentlich an den Pranger gestellt zu werden." Offensichtlich - so Pfennig - wollten sich die Nutznießer des Verbrechens der Zwangsarbeit erneut ihrer Veranwortung entziehen. Derartige Reaktionen zeigten, "daß Moral für die Masse der deutschen Unternehmen ein Fremdwort bleibt". Diese Geschichts-und Veranwortungslosigkeit beweise, daß trotz vollmundiger Erklärungen, in den Unternehmensspitzen nach wie vor der Gewinn alles und der Mensch nichts zähle. Als aktiver Gewerkschafter habe er angesichts dieses Verhaltens schlimme Befürchtungen für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland.


Kritische Anmerkungen

Wir haben in den vorausgegangenen Diskussionen unsere Vorstellungen eingebracht. Das Ergebnis bleibt insgesamt weit hinter unseren Forderungen zurück. Solange die noch fehlenden 1,8 Milliarden DM der Schuldner nicht in die Stiftung eingebracht sind, bleibt die Höhe der individuellen Entschädigung letztlich offen. Es wird zunächst nur Abschlagszahlungen geben. Die Entschädigung für Zwangsarbeit in der Landwirtschaft wird den Partnerorganisationen überlassen. Vor allem ist die Antragsfrist viel zu kurz. Angehörige von Zwangsarbeitern, die vor dem 15. 2. 99 verstorben sind, erhalten keinen Pfennig. Millionen Hinterbliebene werden enttäuscht.

Die noch lebenden Zwangsarbeiter müssen ihre Berechtigung durch Dokumente nachweisen. Bei der Zusammenkunft des "Runden Tisches Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" am 22. 9. stand die Frage im Mittelpunkt, wie Antragstellern und Organisationen, bei denen die Anträge zu stellen sind bei der Beschaffung von Nachweisen geholfen werden kann. Daß hierfür die Suche in öffentlichen und auch Firmenarchiven hohe Bedeutung hat, zeigen zahlreiche Dokumente wie Meldebücher und Namenslisten, die in den vergangenen Monaten zu Tage gefördert wurden. Diese Suche gilt es jetzt rasch zu intensivieren und die Ergebnisse den Betroffenen sowie ihren Organisationen zugänglich zu machen. Wir müssen dafür Druck machen, daß Betriebe, Kommunen und alle sonstigen Archive, insbesondere der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes in Arolsen, ihre Archive öffnen und zügig die Bestätigungen erteilen.

Von unserem Landesbüro aus erhielten in den letzten Wochen alle Betroffenen im In- und Ausland einen Brief mit einem Merkblatt in der jeweiligen Landessprache, in dem wir mitgeteilt haben, daß die Interessensgemeinschaft nicht berechtigt ist, Anträge entgegenzunehmen, sondern nur die im Merkblatt genannten Partnerorganisationen.

Im Rückblick auf das vorliegende Ergebnis sind wir allen Mitstreitern einen Dank schuldig, so unseren Kreisvereinigungen, die in dieser Sache tätig geworden sind, den Gewerkschaften, vor allem der IG Metall. Dank an alle Kameradinnen und Kameraden, die bei der Beantwortung der Flut von Zuschriften aus dem In- und Ausland tatkräftig geholfen haben.

Achtung

ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit Wohnsitz in Deutschland !

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime können nach dem im August 2000 in Kraft getretenen Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" einen Entschädigungsantrag stellen, wenn sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Dies gilt auch für Betroffene in Deutschland.

  • Deshalb haben in den vergangenen Wochen die Bezieher einer Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) ein Schreiben des Regierungspräsidiums in Darmstadt erhalten, mit dem Sie über ihre Rechte nach diesem Gesetz informiert werden.
  • Aber auch NS-Verfolgte, die keine BEG-Rente beziehen, sondern eine Haftentschädigung erhalten haben, sind antragsberechtigt, sofern sie Zwangsarbeit geleistet haben.
  • Für alle Antragsberechtigten, die nach dem 15. Februar 1999 verstorben sind, können die Erben einen Entschädigungsantrag stellen. Sind die Betroffenen vor dem 16. Februar verstorben, haben die Angehörigen nach dem Gesetz leider keinen Anspruch.
Leistungsberechtigt ist nach dem Gesetz u.a., wer

  1. in einem Konzentrationslager im Sinne von § 42 Abs. 2 BEG oder in einer anderen Haftstätte außerhalb des Gebiets des heutigen Österreich oder einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen inhaftiert war und zur Arbeit gezwungen wurde;
  2. wer aus seinem Heimatstaat in das Gebiet des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 oder in ein besetztes Gebiet deportiert wurde, zu einem Arbeitseinsatz im gewerblichen oder öffentlichen Bereich gezwungen wurde und (unter anderen Bedingungen als in Ziff. 1 genannt) inhaftiert oder haftähnlichen Bedingungen oder vergleichbar schlechten Lebensbedingungen unterworfen war.
Die Frist für Entschädigungsanträge beträgt für Antragsteller mit Wohnsitz in Deutschland 12 Monate und endet am 11. August 2001.


Wir empfehlen allen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die unter den genannten Bedingungen verfolgt waren, ihre Rechte nach dem Gesetz wahrzunehmen und sich an die nachstehend genannten Antragsstellen zu wenden:

Nichtjüdische Antragsberechtigte mit Wohnsitz in Deutschland:

Internationale Organisation für Migration (IOM), Regionalbüro Deutschland
Inselstr. 12, D-10179 Berlin
Tel. 030-278 778-15, Fax: 030-278 778-99
e-mail: berlin@iom.int

Jüdische Antragsberechtigte mit Wohnsitz in Deutschland u. Europa:

Conference on Jewish Material Claims against Germany
Sophienstr. 26, D-60487 Frankfurt/M
Tel. 069-97-07-08-0 Fax: 069-97-07-08-11
e-mail: matschke@claimscon.de

Information für Betroffene in osteuropäischen und anderen Staaten:
Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"
c/o Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen
Mauerstr. 39-40, 10117 Berlin
Tel. 030-22310-0 Fax: 030-22310-260
e-mail: post@barov.bund.de, internet: www.barov.bund.de

Ein Merkblatt der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime - Sprecher:
Alfred Hausser, Böblinger Straße 195, 70199 Stuttgart,
Tel.: 0711-60 32 37, Fax: 60 07 18


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