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antifNACHRICHTEN an200101
Nummer 1 / Januar 2001



Mehr als 4000 Menschen gemeinsam gegen rechts:

Winnenden machte Lust auf mehr!

von Elke Günter

Samstagmorgen, 18. November, halb Zehn in Winnenden. Auf dem Bahnhofsvorplatz herrscht geschäftigtes Treiben. Hier werden letzte Vorbereitungen für die bevorstehende Demonstration und Kundgebung gegen den Reps-Bundesparteitag getroffen, den die braunen Biedermänner in der Winnender Stadthalle abhalten wollen. "Miteinander gegen Rechts" ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Organisationen ausländischer Kolleginnen und Kollegen, VVN-Bund der Antifaschisten, SPD, die Grünen, PDS und DKP hat zu der Protestaktion aufgerufen.

Es ist kühl an diesem trüben Novembermorgen. Nervöse Spannung liegt in der Luft. Die ersten Demonstranten stehen fröstelnd beisammen, reden über die massive Polizeikontrollen die sie über sich ergehen lassen mußten. Viele wurde durchsucht, mußten ihre Ausweise zeigen, ihre Namen wurden registriert, Transparentstangen konfisziert. "So stelle ich mir's im Polizeistaat vor", meint einer. In der Tat, die Damen und Herren in grün, haben eine eindrucksvolle Drohkulisse aufgebaut. Allmählich füllt sich der Bahnhofsvorplatz, auf dem die Auftaktkundgebung stattfinden soll. Als die Kundgebung um 10.30 Uhr beginnt, sind es rund viertausend Menschen. Die Gruppe "Chain of Fools" betritt den Bühnenlaster, greift in die Instrumente. Rockmusik schallt über den Platz, vertreibt klamme Müdigkeit.

Geschürte Angst vor einer bunten Demo
Willi Halder, Gemeinderat der alternativen und grünen Liste Winnenden begrüßt die TeilnehmerIinnen im Namen des breiten Bündnisses gegen rechts, das sich anläßlich des Rep-Parteitags gegründet hat. Kurze Grußworte von Raoul Ulbrich vom Ortsjugendausschuß der IGM, der DIDF und einem Vertreter des antifaschistischen Aktionsbündnisses in Baden-Württemberg stimmen zu Beginn darauf ein, worum es heute geht: Um ein gemeinsames Zeichen gegen rechts.

Der Demozug formiert sich, marschiert los. Unübersehbar die vielen roten Fahnen der IG Metall und der IG-Metall Jugend, dazwischen immer wieder die blau-weißen Fahnen der VVN-Bund der Antifaschisten. Auf den zahlreichen Transparenten wird die rassistische Hetzpropaganda der "Nadelstreifennazis" angeprangert. Es ist ein eindrucksvoller bunter Demonstrationszug, der sich immer bestaunt und begafft von Passanten, durch die Straßen der schwäbischen Kleinstadt Winnenden schiebt, die so etwas vermutlich in ihrer Geschichte noch nicht oft erlebt hat. Fast alle Kneipen und Restaurants der "großen Kreisstadt" Winnenden haben geschlossen an diesem Samstag. Dafür brodelt die Gerüchteküche mächtig. Gemeinderäte der "Freien Wähler" und der CDU hatten die Winnender Bürger vor dem Demo gewarnt und sie aufgefordert, eine "Kultur der Zivilcourage" zu pflegen und zu Hause zu bleiben, angesichts der zu erwartenden gewalttätigen Demonstranten aus dem "autonomen und linksextremistischen Lager". Sogar von "1000 gewaltbereiten autonomen Antifas", die Winnenden heimsuchen wollten, wurde phantasiert.

Von Menschen und Autoreifen
Entschieden hatte sich die rechte Gemeinderatsmehrheit gegen den Vorschlag von SPD und der Alternativen und Grünen Liste gewehrt, einen gemeinsamen Aufruf zur Demo zu erarbeiten. Als Grund nannte CDU-Fraktionschef Fischer die im Bündnis vertretene VVN-BdA, weil die nämlich "ein Verhältnis zur Gewalt" habe, "das zu wünschen übrig läßt". Platz eins auf der Hitliste der Peinlichkeiten gebührt allerdings dem Vizepräsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz Doll für die Äußerung "wenn Rechte Ausländer jagen, ist der Aufschrei groß. Wenn Linke aber z.B. bei Veranstaltungen der Republikaner Autoreifen zerstechen, dann wird das stillschweigend hingenommen".

Zur Abschlußkundgebung begrüßt Gerald Fangmayer, Sozialdemokrat und VVN-BdA-Mitglied im Namen des Bündnisses die Demonstranten. Der Kundgebungsplatz liegt nur wenige Meter von der Stadthalle entfernt, in der die Reps hinter Polizeiabsperrungen, geschützt von mehr als 1000 Polizeibeamten, tagen. Die Gruppe "die Marbacher" eröffnen die Kundgebung mit Liedern aus dem antifaschistischen Widerstand. Rainer Bliesener, DGB-Landesbezirksvorsitzender und erster Kundgebungsredner fordert dazu auf, sich offensiv mit dem Rechtsextemismus auseinanderzusetzen und "nicht kleinkariert die Zusammenarbeit der Demokraten zu zerreden." Wer die Beteiligung von PDS, DKP und VVN als Grund anführe, um sich von den heutigen Aktivitäten zu distanzieren, "der hat aus der Geschichte nichts gelernt und arbeitet den Republikanern in die Hände", kritisierte der Gewerkschafter die Haltung des Winnender Oberbürgermeisters Fritz und der Gemeinderatsmehrheit.

Reps: Teil des braunen Netzwerks
Die Reps bezeichnete Bliesener als Teil eines rechtextremen Netzwerks, die sich einerseits als rechte Biedermänner geben, andererseits jedoch "haufenweise Kontakte zu Neonazis" unterhalten. Es gelte, den Reps die "Maske des Biedermanns herunterzuziehen, damit dahinter ihr eigentliches Gesicht, nämlich das von Wölfen im Schafspelz, sichtbar wird" und dafür zu sorgen, daß sie im nächsten Jahr nicht mehr im Landtag vertreten sind. Politiker müßten wissen, daß wenn "die Melodie des Vorurteils gesungen wird", auch der Boden für die Rechtsextremisten vorbereitet werde. "Wer glaubt, mit den Themen der Rechten Wahlkämpfe führen zu müssen, leitet Wasser auf ihre Mühlen" warnte der DGB-Landesbezirksvorsitzende. Rainer Bliesener ging auch auf die "leidige Diskussion" um die "deutsche Leitkultur" ein. Sie drücke den Anspruch auf die Vormachtstellung aus und sei "Öl ins Feuer" in einer Zeit, in "der Menschen angegriffen werden, weil sie angeblich 'undeutsch' aussehen". Entschieden forderte der Redner ein Verbot der NPD. Es sei unerträglich, wenn diese Partei ihre menschenverachtende Ideologie auch noch mitfinanziert vom Steuerzahler und unter dem Schutz des Parteienprivilegs verkünden darf. Allerdings dürfe ein NPD-Verbot nicht allein stehen, sondern müsse in ein ganzes Maßnahmenbündel eingebunden sein. Seine mit viel Befall bedachte Rede, beendet Rainer Bliesener mit dem eindringlichen Appell an alle gesellschaftlichen Kräfte, politische Unterschiede im Interesse des gemeinsamen Kampfes gegen den Rechtextremismus zurückzustellen.

Mut gegen rechte Gewalt
Von der Stadthalle aus gut zu sehen, ist ein Transparent, das Schüler des Lessing-Gymnasiums aus dem Fest gehängt haben: "Mut gegen rechte Gewalt". Die Reps wird es geärgert haben. Überhaupt hat die Aktion dazu beigetragen, den Rechten den Wahlkampfauftakt gründlich zu vermiesen: Die örtliche Presse hat umfassend und objektiv über die im Vorfeld der Aktion stattgefundenen Veranstaltungen informiert. Viele Menschen in der Region wurden dadurch nicht nur über die bevorstehende Aktion informiert, sondern wurden auf diese Weise auch mit den Argumenten des Bündnisses auch zum Charakter der Reps konfrontiert. Sie haben - nicht aus einem linken Blättchen - sondern aus "ihrer" Zeitung erfahren, für welche menschenfeindlichen Ziele die Reps stehen.

Winfried Maier-Revoredo, evangelischer Pfarrer aus Winnenden ist der nächste Redner. Glücklich sei er, daß so viele Menschen dem Aufruf zur Demonstration gefolgt sind: "Denn das ist das, was wir brauchen. Daß die Menschen in unserem Lande hervorkommen aus ihrer Ecke und sich zusammenschließen über alle Konfessions-, Partei und Nationalitätengrenzen hinweg aufstehen für eine Gesellschaft der Toleranz, eine Gesellschaft ohne Gewalt, eine Gesellschaft, in der es sich zu leben lohnt und in der niemand um sein Leben fürchten muss." Es sei ein bedrückender Zustand, "wenn nach mehr als einem halben Jahrhundert Menschen wieder Angst um ihr Leben haben müssen in diesem Land, daß der unselige Geist des Nationalsozialismus wieder stark werden will, obwohl wir doch wissen wohin er führt." Schuld dran tragen, so Maier-Revoredo nicht nur die, die anderen Gewalt antun, sondern "auch diejenigen, die durch Wort und Schrift die Bereitschaft zur Gewalt wecken" und dazu gehörten auch diejenigen, die sich jetzt in der Stadthalle versammeln. Der Theologe verwies darauf, daß die evangelische Landeskirche bereits 1989 festgestellt hat, daß die Mitgliedschaft bei den Reps für kirchliche Mitarbeiter nicht vertretbar sei. Winfried Maier-Revoredo rief zur Zivilcourage im Alltag auf, dazu niemals zuzulassen, daß "irgend eine Gruppe, irgend eine Minderheit dämonisiert und zum Sündenbock gestempelt wird".

Zivicourage - ein Leben lang
Als nächste Rednerin geht Gertrud Müller, Ehrenvorsitzende der Lagergemeinschaft Ravensbrück ans Mikrofon. Die 85-jährige Antifaschistin, die erst in Rudersberg im Rems-Murr-Kreis, nicht weit entfernt von Winnenden, dann in Ravensbrück und später in Geislingen als KZ-Häftling Zwangsarbeit leisten musste, erinnert daran, daß die Landtagsfraktion der Reps Betriebsräte und Geschäftsleitungen aufgefordert hatte, keine Zahlungen für ausländische Zwangsarbeiter zu leisten. "Zwischen uns hier und den Reps in der Winnender Stadthalle liegen nicht nur 150 Meter. Dazwischen liegt der Unterschied zwischen Moral und Unmoral, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit, Anstand und Verkommenheit. Es ist der Unterschied zwischen Humanismus und Faschismus!" sagt Gertrud Müller unter dem begeisterten Applaus der KundgebungsteilnehmerInnen. Die Reps, die Stichwortgeber für Haß und Gewalt, für Mord und Totschlag seien, würden heute völlig zurecht darauf verweisen, daß einige ihrer Forderungen bereits verwirklicht sind, stellt die Rednerin fest. "Man kann den Faschisten nicht entgegentreten, indem man ihre Forderungen aufgreift. Faschismus kann nur bekämpft werden, wenn man seine Ideologie, seine Parolen, seine Propaganda täglich zurückweist. Denn Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen! Das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte." Gertrud Müller fordert die Auflösung aller neofaschistischen Parteien und Organisationen entsprechend Artikel 139 Grundgesetz.

Menschenrecht steht vor Profit
"Faschismus beginnt nicht erst, wenn Menschen zu Tode kommen. Es beginnt, wenn das Recht des Stärkeren und des Profits über das Recht aller Menschen auf ein Leben in Würde und sozialer Sicherheit gestellt wird." Die Antifaschistin macht keinen Hehl daraus, daß sie es nicht für normal hält, "daß heute deutsche Soldaten wieder in andere Länder ziehen, um dort angeblich unsere Vorstellung von Menschenrechten oder welche Interessen auch immer, mit Bomben und Raketen durchzusetzen." Begeisterte Zustimmung und Dacapo-Rufe erntete Getrud Müller für ihre Feststellung, daß der zweitoberste Verfassungsschützer des Landes offenbar den Unterschied zwischen Autoreifen und Menschen nicht begreift und zitiert die bereits erwähnte Äußerung des Vizepräsidenten des Landesamtesamtes für Verfassungsschutz Doll. Mit einem leisen Lächeln sagt sie, daß sie selbst ein "Beobachtungsobjekt" des Verfassungschutzes ist. "Meine Organisation die VVN-BdA wird seit Jahren im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Weil, so heißt es dort, sie sich nicht von ihren kommunistischen Mitgliedern distanziere." Begeisterter Beifall brandet auf als Gertrud Müller sagt: "Ich habe das KZ überstanden, ich werde auch die Beobachtung durch den Ver-fassungsschutz überstehen. Ich bereue es nicht, daß ich damals als Mitglied im kommunistischen Jugendverband so gut ich konnte Widerstand gegen den Faschismus geleistet habe. Und Verfassungsschutz hin oder her, ich werde auch weiterhin, solange ich kann, Widerstand gegen die Neofaschisten leisten." Sie beendet ihre immer wieder von Beifall unterbrochene Rede mit der Aufforderung an alle, "denen Menschen wichtiger sind als Autoreifen", zusammenzustehen "gegen Rassismus und Gewalt, gegen Faschismus und Krieg!"

Ein Kreuz und weiße Rosen für die Opfer
Pfarrer Weller, von der Paulinenpflege in Winnenden, einer Einrichtung für Behinderte, erinnert an das Mordprogramm der Nazis, dem 70 000 behinderte Menschen zum Opfer gefallen sind. "So wie heute über Asylbewerber und Ausländer haben damals viele Deutsche über Behinderte gesagt: 'Es ist zu viel, was wir mitschleppen. Einmal muß Schluß sein'. Mit diesem dummen, verantwortungslosen Gerede hat damals alles angefangen." Heute würde wieder Jagd auf Menschen gemacht. "Schon wieder werden Menschen zusammengeschlagen, umgebracht, die eine andere Hautfarbe und anderes Aussehen haben. Es gibt Menschen in unserem Land, die bilden sich etwas darauf ein, 'Ausländerfreie Zonen' hergestellt zu haben. ... Veranwortungsloses Geschwätz, das in Deutschland umgeht. Eine Neubesinnung tut not" sagt Pfarrer Weller und fordert dazu auf, Zivilcourage zu zeigen und nicht zu schweigen, wenn "Schwächere gehänselt werden, unschuldige Menschen verdächtigt, Fremde geschnitten, nicht voll Leistungsfähige an den Rand gedrängt und abgeschoben werden." Am Schluß seines Grußwortes verliest der Pfarrer die Namen von sieben Menschen, die von diesem Kundgebungsplatz von den Nazis abgeholt und in den Tod geschickt wurden.

Am Ende der eindrucksvollen und Mut machenden Aktion errichten die Redner gemeinsam am Kundgebungsplatz ein Kreuz mit der Aufschrift "den Opfern der rechten Gewalt". KundgebungsteilnehmerInnen legen dort mit Manschetten versehene weiße Rosen nieder. Auf den Manschetten sind Namen und Todesdatum von insgesamt 97 Menschen festgehalten. 97 Menschen, die seit 1990 von Nazis ermordet wurden.

Elke Günther

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