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Nummer 1 / Januar 2001



Deutsche Kriegsverbrechen in Griechenland:

Versöhnung ohne Wahrheit?

von Reinhard Hildebrandt

Manolis Glezos (78), Held des griechischen Widerstands gegen die faschistische Besatzung Griechenlands während des zweiten Weltkriegs, forderte die Entschädigung griechischer Opfer für die Folgen deutscher Okkupation durch die Bundesrepublik. Auf der Tagung der Ev. Akademie in Bad Boll kamen die Anliegen der Betroffenen zur Sprache.

Es sind die Anliegen der vergessenen Opfer, jener Opfer, die von allen deutschen Nachkriegsregierungen fünfzig Jahre lang täglich und bewusst ins Vergessen gestoßen wurden. Erschütternde Berichte über die Kriegsverbrechen der Wehrmacht wurden bekannt, deutlich wurde, dass die Wehrmacht darin nicht lediglich verstrickt, sondern führend beteiligt war. Kaum zu glauben, dass die bundesdeutsche Justiz keinen einzigen der Täter verurteilt hat !

Umstrittene Teilnahme von H.-J. Vogel
Mehr als zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen für diese Tagung, letztes Jahr wurde sie wegen ungenügender Beteiligung abgesagt, im Oktober 2000 fand sie mit über 70 Teilnehmern aus Griechenland und Deutschland statt. Und begann mit einem Eklat: Argyris N. Sfountouris aus Athen, einer der Initiatoren der Tagung, und vorgesehen für einen Bericht über "Das Massaker von Distomo aus der Sicht eines Überlebenden", hatte seine Teilnahme abgesagt, wegen der Teilnahme des SPD-Führungsmitglieds Dr. H.-J. Vogel. Seine Begründung in einem Offenen Brief an die Tagungsteilnehmer: "Während der Mediendiskussion letzten Frühling, als es um die Gerichtsurteile über Entschädigungen von Opfern deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland ging, haben mich die öffentlichen Stellungnahmen Dr. Vogels zutiefst erschüttert. Er unterstützte uneingeschränkt die seit Jahrzehnten starre opferfeindliche Haltung der Bundesregierung, die das Urteil des von ihr selbst angerufenen höchsten griechischen Gerichts nicht akzeptieren will, ohne dabei auch nur mit einem Wort sein Bedauern über den Ursprung dieser Auseinandersetzung auszudrücken."

Erinnerung an die Vergangenheit
Das Ziel der Tagung war "Versöhnung durch Wahrheit!" zu erreichen, durch Aufklärung über die deutschen Kriegsverbrechen in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs, durch die Würdigung der Gegner und Opfer des Faschismus. Hindernisse einer Erweiterung der deutsch-griechischen Freundschaft sollten aus dem Weg geräumt werden, eines der wichtigsten ist das Ausbleiben einer Entschädigung für Verbrechen, die an Griechenland und seinen Bewohnern während der deutschen Besatzung 1941 bis 1944 begangen wurden.

Verbrechen der Wehrmacht
Die deutschen Kriegsverbrechen auf griechischem Boden und die brutale Härte der deutschen Okkupation, deren Folgen wie die weitgehende Zerstörung von Wirtschaft und Infrastruktur und die sehr hohen Verluste der griechischen Zivilbevölkerung sind in Deutschland weitgehend unbekannt geblieben. Wer weiß schon, dass 91 000 Griechen Opfer von Geiselerschießungen wurden und 30 000 weitere Griechinnen und Griechen ihr Leben durch "Strafaktionen" gegen Dörfer und Kleinstädte verloren. Wer weiß schon, dass nach dem Abzug der deutschen Truppen 1 600 Dörfer und Kleinstädte völlig zerstört waren, ebenso wie die große Mehrheit der Verkehrsbauten wie Bahnhöfe, Hafenanlagen bis hin zum Kanal von Korinth und nur mehr ein Viertel des Eisenbahnnetzes einsatzfähig zurückblieb. Die Plünderung des Landes durch die Besatzungsarmeen führte zur wirtschaftlichen Verelendung der Bevölkerung, führte zu furchtbaren Hungersnöten. So stieg die Zahl der Verhungernden in Athen und Piräus in der Zeit vom November 1941 bis zum März 1942 auf dreihunderttausend. Die Todesrate war zu dieser Zeit siebenmal höher als gewöhnlich.

Bedarf an Information
Welche Touristen besuchen das Denkmal der erschossenenen griechischen Patrioten in Kaissariani, wer besucht die Gedenkstätten der Toten von Kalavrita, Distomo, Klissoura, Kommeno, Lyngiades und Kandamos? Wer gedenkt der ermordeten griechischen Juden aus Thessaloniki, Athen, Rhodos, Joannina und Kastoria? Viel Zeit wurde auf der Tagung deshalb der Darstellung der historischen Ereignisse gewidmet. Prof. Dr. Heinz A. Richter, Uni Mannheim, sprach über Okkupation und Widerstand, Exil und Befreiung. Über den Tatort Distomo berichtete Dieter Begemann. Dr. Susanne-Sophia Spiliotis, FU Berlin referierte über "Die Kriegsverbrecherfrage im Spannungsfeld von Wiedergutmachung und Wirtschaftspolitik" am Beispiel des Kriegsverbrecherprozesses "Fall Merten". Prof. Dr. Basil Mathiopoulos, Athen, erörterte "Die noch offenen Fragen aus der Besatzungszeit Griechenlands 1941-1944". Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, MdB, zeigte politische Perspektiven für das zukünftige Verhältnis Deutschlands zu Griechenland auf.

Die Rolle der Justiz - ein Skandal
Das Verhalten der Justiz in der Bundesrepublik Deutschland zu den Kriegsverbrechen ist ein Skandal. "Als Ergebnis bleibt, dass zehntausende griechische Zivilisten in hunderten von Ortschaften erschossen, verbrannt, erschlagen oder grausam zu Tode gefoltert wurden. Zur Verantwortung gezogen wurde dafür niemand!" fasste Oberstaatsanwalt Willi Dreßen von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen, Ludwigsburg, seinen Vortrag zur deutschen Strafverfolgung zusammen. Prof. Dr. Joachim Perels, Universität Hannover, nannte in seinem Referat "Justiz und Staatsverbrechen - zur Gerichtspraxis in der BRD" die Gründe dafür. Seine provokante These: Die Bundesrepublik Deutschland war in den 50er und beginnenden 60er Jahren in Teilen kein Rechtsstaat! Denn der Staat hatte seine Funktion, den Schutz des Lebens auch durch nachträgliche Sanktionen und Bestrafungen zu gewährleisten, nicht erfüllt. Das gilt besonders für die Verbrechen der Justiz und die Verbrechen der Wehrmacht.
In den Widerstandsgruppen wie z.B. dem Kreisauer Kreis und im auch im Exil, z.B. der Neumann-Gruppe herrschte in dieser Fragen Eindeutigkeit: Der Nazi-Staat ist ein Verbrecherstaat und betreibt "Rechtsschändung". Diese Position galt auch noch überwiegend für die Rechtssprechung der deutschen Justiz und der Alliierten zwischen 1945 und 1949, die Nazi-Rechtsordnung wurde vollständig entlegitimiert.

"Die BRD war teilweise kein Rechtsstaat"
Aber in der Adenauerzeit wurde das ins Gegenteil gekehrt, wurde das NS-Rechtssystem nicht mehr in Frage gestellt. Wir kennen das vom berüchtigten Wort Filbingers, "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein". Der juristische Schachzug war, dass das Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 22. Dez. 1945 nicht als Norm in die Rechtsordnung der BRD übernommen wurde. Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 war es möglich, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen, es regelte die partielle Aufhebung des Rückwirkungsverbots in dem Sinne, dass das Völkerrecht über dem NS-Recht des Unrechtsstaates steht. Das regelte auch die Europäische Menschenrechtskonvention (vom 4. Nov. 1950) im Artikel 7 Absatz 2: Die Verurteilung oder Bestrafung einer Person darf nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war. Die Bundesregierung hat ausdrücklich festgelegt, dass diese Norm im Bundesgebiet nicht übernommen wird. Die Folgen waren gewaltig, einmal, was den Umgang mit Widerstandskämpfern, zum anderen mit Kriegsverbrechen betrifft. Die Wiedereinsetzung des NS-Rechts als Bezugspunkt für die Verurteilung von Widerstandskämpfern führte praktisch zu einer zweiten Verurteilung der Widerstandskämpfer und zu einem Freispruch für die Täter, siehe z.B. die Entscheidung des Bundesgerichtshofs 1956 zum Verfahren des NS-Standgerichts im April 1945 im KZ Flossenbürg gegen Dietrich Bonhoeffer, Admiral Canaris, Oberst Ludwig Gehre und andere.
Auch für die Strafverfolgung der Kriegsverbrechen in Griechenland wurde nicht die völkerrechtliche Betrachtungsweise zugrunde gelegt, sondern das NS-Recht. Warum ist es in der BRD zu dieser Legitimierung des Unrechtsstaates in erheblichem Maße gekommen? Die Antwort Perels darauf: Die Justiz und die Wehrmacht waren wichtige Institutionen, durch die sich die BRD konstituiert hat in den 50er und 60er Jahren. Es hatte also sozusagen legitimationssichernde Bedeutung, dass die Rolle der Justiz und der Wehrmacht gewissermaßen für grundsätzlich rechtmäßig erklärt wurde. Erst 1997 hob der Deutsche Bundestag in einer Entscheidung alle Unrechtsurteile des Nationalsozialismus auf, zu spät, aber immerhin.

Politische Perspektiven
An erster Stelle steht die klar ausgesprochene Anerkennung der historischen Verantwortung für die auf griechischem Boden begangenen Kriegsverbrechen. Für die Entschädigung griechischer Opfer faschistischer Besatzung wird ein juristischer und ein politischer Weg gesucht. Weitere Maßnahmen sind politisch denkbar, wie Skarpelis-Sperk, MdB ausführte, z.B. ein Beitrag zum Aufbau der zerstörten bzw. unterbrochenen Transitwege durch den Balkan (Jugoslawien), dies würde Griechenland nützen. Für die griechischen Teilnehmer waren folgende Forderungen wichtig: Erstens eine Rückzahlung der deutschen Zwangsanleihe von 1941, die damals die völlige Ausplünderung der griechischen Nationalbank bedeutete; zweitens die Wiedergutmachung von Vermögensschäden, die von der Wehrmacht angerichtet wurden, drittens die moralische und materielle Entschädigung für die menschlichen Opfer und viertens die Entschädigung der griechischen Zwangsarbeiter. Die Tagung war ein wichtiger Beitrag für die deutsch-griechische Versöhnungsarbeit.

Die Referate der Tagung werden in einer Broschüre der Ev. Akademie Bad Boll veröffentlicht werden.

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