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Nummer 1 / Januar 2001



Politischer Islamismus:

Rechte Fundamentalisten

von Janka Kluge

In der Auseinandersetzung über Einwanderung in Deutschland schüren immer mehr neofaschistische Gruppierungen und Parteien wie die Reps und die NPD, aber auch fundamentalistische und christliche Kreise, die Angst in der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch islamische ZuwanderInnen.

Seit den siebziger Jahren hat sich bei allen großen Religionen, im Islam wie im Christentum, eine verstärkte Fundamentalisierung von unten entwickelt.
Gerade eimal 10% der in Deutschland lebenden Bevölkerung sind Ausländer; unter ihnen machen Türken mit etwas über 2 Millionen Menschen, den größten Anteil aus. Zum größten Teil bekennen sie sich zum Islam. Die Gesamtzahl der Muslime in Deutschland liegt bei 3,4% der Bevölkerung. 1) Nicht einmal 30 000 Muslime in Deutschland sind in fundamentalistischen Gruppen organisiert. Bei der Argumentation der fundamentalistischen Christen, sowie der rechten Parteien und Organisationen, wird allerdings nicht unterschieden, sondern von der kleinen Minderheit auf die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime geschlossen. Es gibt eine Vielzahl islamischer Vereine, Organiationen, Zeitungen usw., die sich alle mit dem Leben der Muslime in Deutschland beschäftigen. Der Politologe Claus Leggewie beschrieb in einem Essay über den Islam im Westen die Situation so: "Dieses schwer überschaubare Netzwerk fügt sich zu einer regelrechten islamischen Subkultur. Sie hat spirituelle und praktische Schwerpunkte, nationalistische und internationalistische Orientierungen, seperatistische und integrative Strategien, ökumenische und monologische Ansätze, bescheidene und lukrative Projekte, lokale und übergreifende Initiativen."2)
Ein guter Teil dieser Gruppierungen bildet noch einmal ein eigenes Netzwerk, die Vereine des politischen Islam. Die wichtigste und größte Organisation im Spektrum dieses politischen, fundamentalistischen Islam in Deutschland ist die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V."(IGMG). Sie soll laut Verfassungsschutzbericht3) 1998 bundesweit ungefähr 27 000, davon in Baden-Württemberg ca. 2600 Mitglieder gehabt haben. Milli Görüs und die ihr nahestehende Vorfeldorganisation "Europäische Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) sind 1995 aus der "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) hervorgegangen. Politisch stand Milli Görüs der 1998 in der Türkei verbotenenen nationalistischen "Wohlfahrts-Partei" nahe. Als nach dem Militärputsch 1980 in der Türkei alle Parteien verboten wurden, dauerte es einige Jahre bis mit der Gründung einer neuen Partei versucht wurde auf parlamentarischem Weg die Säkularisierung in der Türkei aufzuheben. Die nach dem Verbot gegründete "Tugendpartei", in die viele Abgeordnete der Wohlfahrts-Partei eingetreten sind, vertritt bis heute ähnliche Positionen. In Reden und Schriften führender Mitglieder vertritt die IGMG die Position, daß Islam sowohl "Staat als auch Religion" bedeutet. Die Mitglieder der Vereinigung wollen die Türkei als modernen Staat abschaffen und dafür einen islamischen, in dem die Scharia gilt, einführen. In Deutschland wollen sie zwar nicht die gesamte Gesellschaft islamisieren, sondern eine eigene aufbauen, in der dann bedingt bereits die islamischen Gestze (Scharia) gelten. Laut ihrer Ideologie sind die Gastarbeiter in den letzten Jahrzehnten aus der Türkei nach Deutschland gekommen, damit sie hier den Siegeszug des Islam vorbereiten können. Einer der führenden Theoretiker ist Professor Necemattin Erbakan, der 1973 stellvertretender Ministerpräsident der Türkei war. In einem Interview, das er 1975 einer türkischen Tageszeitung gab, sagte er: "In allen Ländern des Westens herrscht die Religion über die Politik. Selbst in Israel steht die Religion über dem Staat. Das Gerede von der Trennung von Staat und Religion ist ein absurdes, leeres Geschwätz. Religion und Staat sind eins und marschieren Hand in Hand. Es ist unmöglich sie zu trennen."4) Als Politiker reist Erbakan auch oft nach Deutschland, um hier bei Veranstaltungen von Milli Görüs Reden zu halten. Einer dieser Veranstaltungen war in Köln der 6. Ordentliche Kongreß der von der damals noch bestehenden "Vereinigung für eine neue Weltsicht in Europa" (AMGT) organisiert worden war. Nach einer stürmischen Begrüßung bediente Erbakan den in islamisch-fundamentalistischen Gruppen weit verbreiteten Antisemitismus. Er sagte, daß in der Türkei bereits darüber diskutiert werde, ob das Land in Zukunft christlich oder jüdisch werde. Außerdem sagte er: "Wir von Milli Görüs haben die Pflicht, uns nach Kräften für die Zerschlagung des Systems der Sklaverei und für eine Ersetzung durch die Ordnung der Gerechtigkeit einsetzen. Wir werden denen, die unsere Nation von 60 Millionen Moslems den 450 Millionen Christen vorwerfen wollen, um sie zu vernichten, das Handwerk legen." 5) In vielen Reden und Artikeln wird dem internationalen Judentum und Israel vorgeworfen, den Islam vernichten zu wollen. Ebenfalls 1990 wurde in Ludwigsburg von der AMGT die "4. Konferenz über Probleme der Moslems in Europa" veranstaltet. Hier führte der Vorsitzende Osman Yumakogullari vor aus ganz Europa angereisten nationalistischen und fundamentalistischen Türken aus: "Als Avrupa Milli Görüs Teskilatlari möchten wir ein weiteres Mal an eine Tatsache erinnern, auf die wir seit Jahren immer wieder hinweisen: Solange die außer Landes gegangenen Moslems keine politische Kraft bilden, werden sie weiterhin zahlreicher sozialer, ökonomischer und juristischer Rechte beraubt sein. Daß das eine Aufgabe von historischer Tragweite ist, ist eine unbestreitbare Tatsache. Es ist daher unumgänglich, daß unsere Brüder sich unverzüglich unter dem Dach einer politischen Organisation sammeln und einen Stamm von Führungskadern bilden, die in der Lage sind, auf die politische Führung in ihren Ländern Einfluß zu nehmen." 6) Die Führung und die Mitglieder von Milli Görüs arbeiten immer wieder mit den "Idealistenvereinen", besser bekannt unter ihrer Selbstbezeichnung "graue Wölfe" zusammen. Beide vertreten die Forderung nach einer "Groß-Türkei". Auch wenn sie sich in einigen Feinheiten unterscheiden, sind sie sich doch in einer weiteren Frage einig. Sie versuchen beide über das politische System, also über Parteienbildung Einfluß zu bekommen. Andere islamisch-fundamentalistische Gruppen lehnen dies strikt ab. Die bekannteste unter ihnen ist die "Kaplan-Gemeinde". Sie vertritt die Position, daß nur durch eine islamische Bewegung Druck auf die Regierung ausgeübt werden kann. Jegliche direkte politische Arbeit ist nach ihrer Ansicht "unislamisch". In die Schlagzeilen geraten ist diese Gruppe, nachdem ihr jetziger Kalif Metin Kaplan vom Landgericht Düsseldorf wegen Aufforderung zum Mord zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.
Obwohl die Anzahl der überzeugten Fundamentalisten nur gering ist, ist es wichtig, waß wir uns mit ihnen beschäftigen. Ihre Vorstellungen von Staat stehen jeder Demokratie diametral entgegen.

Anmerkungen
1) Alle Zahlen sind Angaben des Statistischen Bundesamtes für 1999, zitiert nach Fischer Weltalmanach 2001
2) Claus Leggewie "Alhambra - Der Islam im Westen" S 57 f. Rowohlt 1993
3) Angabe laut einer Broschüre des Verfassungsberichtes Baden-Württemberg vom uli 1999 über "Islamische Extremisten"
4) Zitiert nach Metin Gür "türkisch-islamische Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland" S. 33, Brandes & Apsel Verlag 1993
5) Zitiert nach Metin Gür "Türkisch-islamische Vereinigungen in der Bundesrepublik Deutschland" S. 34
6) Zitiert nach Metin Gür "türkisch-islamische Vereinigungen in der Bundesrepublik S. 35


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