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Nummer 3 / Juli 2001



"Einsatzmöglichkeiten, die man sich nicht hatte vorstellen können."

IBM und der Holocaust

von Janka Kluge

In den letzten Jahren ist verstärkt über die Verstrickung deutscher Firmen mit dem Nationalsozialismus diskutiert worden. Es gibt keinen Industriebereich im 3. Reich, der nicht auf ZwangsarbeiterInnen zurückgegriff. Bisher ist kaum darüber nachgedacht worden, wie die Infrastruktur des Holocaust genau funktioniert hat. Dieses Mangels hat sich der amerikanische Historiker Edwin Black in seinem Buch "IBM und der Holocaust" angenommen.

Im Vorwort beschreibt Black wie er auf das Thema, das ihn die nächsten Jahre vollkommen in Beschlag nehmen sollte, gestoßen ist. "Nun eines Tages, im Jahre 1993 sah ich mich im United States Holocaust Memorial Museum in Washington mit der Realität von IBM's Verstrickung konfrontiert. Dort stand als unübersehbares Ausstellungsstück eine Hollerith-D-11-Kartensortiermaschine von IBM - versehen mit zahlreichen Schaltsystemen, Schlitzen und Drähten." (S. 12). Was Black - und seine zahlreichen MitstreiterInnen in vielen Ländern - herausgefunden haben, ist mehr als ein Stück Wirtschaftsgeschichte des 3. Reiches. Bereits sehr früh erkannten die Nationalsozialisten, daß sie ihr Ziel, Europa zu unterwerfen und eine Gesellschaftsordnung in der Juden und andere ausgesondert und vernichtet werden sollen, nur in kurzer Zeit erreichen könnten, wenn sie auf neueste Technik zurückgriffen.

Ausgangspunkt Volkszählung
Damals gab es zwar noch keine Computer, aber Zählmaschinen, die tausende von Karten nach bestimmten zuvor festgelegten Kriterien sortieren können. "Die Registrierung von Menschen und Vermögenswerten war nur eine von vielen Verwendungszwecken der mit Hochgeschwindigkeit arbeitenden Datensortiermaschinen. Die Zuteilung von Nahrungsmitteln wurde mit Hilfe dieser Daten organisiert, Zwangsarbeiter wurden weitgehend mit Hilfe der Lochkarten identifiziert, aufgespürt und verwaltet. Die Lochkarten ermöglichten zudem die zuverlässige Koordinierung des weit verzweigten Schienennetzes und die Katalogisierung ihrer menschlichen Fracht." (S. 11). Der erste Schritt war die Volkszählung von 1933. Bereits hier waren die Lochkarten nach den Anforderungen der Nazis gestaltet worden. Jude war demnach nicht mehr, wer dem jüdischen Glauben anhing, sondern wessen Vorfahren jüdisch waren. Die Nationalsozialisten organisierten bald das gesamte Leben mit Lochkarten.

Faszinierende Einsatzmöglichkeiten
IBM war damals nicht unter ihrem Namen in Deutschland tätig. Sie firmierten unter der Bezeichnung Dehomag (Deutsche Hollerith Maschinen GmbH), die eine fast 100-Prozentige Tochter der amerikanischen Firma IBM war. Geschäftsführer Watson war berüchtigt für sein diktatorisches Geschäftsgebaren. Konkurrenten wurden sofort aufgekauft, oder wenn sie sich weigerten, so mit Lizenzprozessen überzogen, daß sie schnell klein beigeben mußten und schließlich doch von IBM aufgekauft wurden. Dies hatte zur Folge, daß IBM auf dem Markt der Lochkartenerfassung konkurrenzlos dastand. Watson, der immer wieder im nationalsozialistischen Deutschland zu Gast war, bewunderte das neue Deutschland. Politik war ihm eigentlich egal. Er wollte Geld machen - und mit den Nazis ließ sich viel Geld verdienen. Black schreibt: "Das Dritte Reich schuf faszinierende neue Einsatzmöglichkeiten für Hollerith-Maschinen. Möglichkeiten, die man sich bis dahin nicht einmal hatte vorstellen können. Alle mit Hilfe von IBM-Maschinen in Deutschland durchgeführten statistischen Erhebungen sollten der Rassepolitik nützen und die Identifikation und Verfolgung von Juden und anderen nicht zur nationalsozialistischen 'Volksgemeinschaft' gehörenden Gruppen ermöglichen." (S. 59).
Hauptkunden der Dehomag waren neben den statistischen Ämtern, die Wehrmacht und die SS. In allen Konzentrationslagern standen damals Zählmaschinen. Die Nazis versuchten ihren Vernichtungsapparat so effizient wie nur möglich zu gestalten. "Die wichtigsten Lager erhielten für ihre Verwaltungsarbeit Codenummern: Auschwitz hatte 001, Buchenwald 002, Dachau 003, Flossenbürg 004, Groß-Rosen 005, Herzogenbusch 006, Mauthausen 007, Natzweiler 008, Neuengamme 009, Ravensbrück 010, Sachsenhausen 011, Stutthof 012". (S. 471). Alle Daten wurden nicht nur in den einzelnen KZ gesammelt, sondern täglich an die Statistikabteilung des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der SS in Oranienburg geschickt. Das sogenannte Amt D II war zuständig für die Konzentrationslager. Anfragen von Firmen nach Zwangsarbeitern wurden ebenfalls hierher weitergeleitet, wo sie bearbeitet wurden und die entsprechenden Karten dann wieder an die KZ geschickt wurden. Egal welches Land die Wehrmacht eroberte, die Hollerith-Maschinen wurden mitgebracht und sofort eingesetzt.

Ständige Betreuung
Das Dritte Reich war nicht nur abhängig von den Zählmaschinen, sondern auch darauf angewiesen, genügend Karten zu bekommen, die in IBM-eigenen Druckereien hergestellt wurden. Die Strategie von IBM war einfach aber erfolgreich. Sie verkauften ihre Maschinen nicht, sondern vermieteten sie nur, inclusive Wartungspersonal.
Obwohl IBM nach langen Auseinandersetzungen mit Edwin Black sehr ausführlich schildert, daß sie nach dem Kriegseintritt der USA aus der Dehomag verdrängt worden seien, gab die New Yorker Zentrale ihre Kontrolle nie ganz auf. In Genf war bereits in den dreißiger Jahren ein Büro eingerichtet worden, das jetzt für die Koordination und die Kontakte zwischen Amerika und den vermeintlich selbständigen Firmen von IBM zuständig war. Nachdem am Ende des Zweiten Weltkrieges die Dehomag-Fabrik in Berlin durch Bomben zerstört worden war, zog sich die Zentrale nach Süddeutschland zurück. Das Hollerith-Werk in Sindelfingen war nicht bombardiert worden.

Schonung für die Zählmaschinen
Den amerikanischen Streitkräften war bewußt, daß die in Deutschland befindlichen Dehomag-Maschinen wichtig für die Kontrolle der Besatzungszonen sein würden. Fabrikhallen und Gebäude, in denen solche Maschinen vermutet wurden, sollten ausdrücklich nicht bombardiert werden. Sofort nach der Kapitulation nahm IBM wieder offiziell die Geschäfte in Deutschland auf. Es dauerte dann noch bis 1949 bis IBM alle Güter und eingefrorenen Konten, inclusive aller durch den Krieg und die Vernichtung durch den Holocaust erzielten Gewinne, zugesprochen wurden. Obwohl IBM zu den großen Kriegsgewinnlern gehörten, haben sie sich nie an einer Entschädigungszahlung beteiligt. Die Geschäftsleitung zog sich immer hinter das Argument, eine amerikanische Firma zu sein, zurück. Bis vor kurzem war vor einem amerikanischen Gericht ein Verfahren gegen IBM anhängig. Um die Entschädigung der noch wenigen lebenden Zwangsarbeiter nicht zu behindern, haben die Anwälte die Klage zurückgezogen. Es ist traurig, daß ein Unternehmen, das den Holocaust in seiner Form erst möglich gemacht hat, ungeschoren davon gekommen ist. Wenigstens können sich jetzt viele über die Machenschaften der 'unpolitischen' Firma IBM informieren.

Literatur: Edwin Black "IBM und der Holocaust", 794 Seiten, DM 58 Propyläen Verlag 2001

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