VVN-Logo VVN-BdA Baden-Württemberg, Böblinger Strasse 195, D-70199 Stuttgart / Tel. 0711/603237 Fax 600718 10.11.2001
antifNACHRICHTEN an200110
Nummer 4 / Oktober 2001



Einweihung der KZ-Gedenkstätte Hessental:

56 Jahre danach - spätes Erinnern

von Reinhard Hildebrandt

Vor fünf Jahren wurde aufgrund einer Inititiative der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten Kreisvereinigung Schwäbisch-Hall der Förderverein Gedenkstätteninitiative KZ - Hessental gegründet. Am 5. April 2001 wurde das wahr, für das die engagierten Mitglieder dieser Gedenkstätteninitiative seit Jahren arbeiteten. Die beeindruckende Gedenkstätte wurde auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers eingeweiht und der Öffentlichkeit vorgestellt. Viele Jahre lang und in unzähligen Sitzungen wurde an dem Konzept gearbeitet, viele Widerstände im Schwäbisch Haller Gemeinderat und auch in der Stadtverwaltung mit überzeugenden Argumenten überwunden.

Siggi Hubele und Folker Förtsch vom Verein KZ - Gedenkstätte Hessental haben zusammen mit dem Stadtplanungsamt die Konzeption für die Gedenkstätte erarbeitet. "Wir wollen eine Gedenkstätte mit stark dokumentarischem Charakter schaffen", erklärt Historiker Förtsch. Von Oktober 1944 bis April 1945 gab es im Schwäbisch Haller Ortsteil Hessental direkt am Bahnhof ein KZ - Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im Elsass. Über 800 KZ - Häftlinge waren auf dem Lagergelände am Hessentaler Bahnhof zusammengepfercht.
Ziegelsplittfelder verdeutlichenin Hessental die einstige Lagergröße des 4000 Quadratmeter großen Areals. 81 Stelen aus Lärchenholz informieren über Namen, Herkunft und Alter von 505 Häftlingen, fast alle polnische Juden. Ich lese den Namen Chaim Gingold und werde nachdenklich... . Die meisten kamen aus dem Ghetto Radom und hatten im KZ Auschwitz die Selektion überlebt. Ungefähr 350 Menschen kamen im Lager Hessental und auf dem anschließenden Todesmarsch auf qualvolle Weise ums Leben. Acht Informationstafeln erzählen von der Geschichte des Lagers. Auf einem Teil des neu verlegten einstigen Gleises steht ein Güterwaggon der Reichsbahn, der denen gleicht, mit denen damals KZ-Häftlinge transportiert wurden. Im Waggon dokumentieren originale Zeugenaussagen und Fotos die Todesmärsche im deutschen Südwesten, besonders auch jenen der Hessentaler Häftlinge im April 1945 zum Dachauer KZ-Außenlager Allach.

Zukunftsprojekt und Lernort
Siggi Hubele konnte bei der Eröffnung der KZ Gedenkstätte Mendel Gutt begrüßen, jüngster Häftling im KZ Hessental und Überlebender des Todesmarsches, und Ernest Gillen, der als KZ-Häftling den Neckarelzer Todesmarsch, der auch durch die Region Hohenlohe führte, überlebte. In seiner Rede betonte er:
"Einig sind wir uns darin, dass diese Gedenkstätte nicht nur Ort der Toten, der Trauer und der Vergangenheit sein soll. Wir verstehen diese Gedenkstätte als Zukunftsprojekt im besten Sinne, als Erfahrungs- und Lernort für Menschen, die selbst nicht mehr unter dem Regime des Nationalsozialismus lebten. Wenig würde eine Gedenkstätte bewirken, wenn sie nicht in der Lage wäre eine Verbindung insbesondere zur Jugend herzustellen, wenn es nicht gelänge, das Wesentliche einer Erfahrung vom radikal Bösen und Verbrecherischen zu vermitteln, das der Nazismus historisch verkörpert hat. Es ist unsere Erfahrung, dass Überlebende der KZs - ich denke hier besonders an unser Ehrenmitglied Hermann Gurr, der Häftling im KZ Heuberg war - in den letzten Jahren verstärkt darauf hinweisen, dass in Deutschland Rassismus, Intoleranz und Nationalismus nicht mehr nur Randgruppen - Phänomene sind. Weit über 90 Todesopfer in Deutschland gehen auf das Konto von rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Gewalttätern in den vergangenen 10 Jahren. Für viele Täter ist der historische Nationalsozialismus mehr oder minder Bezugspunkt und Selbstrechtfertigung. Erschreckend lang ist auch die Liste der Politiker, die ausländerfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung zum Politikkonzept erheben."
Hubele nannte als Beispiele die Doppelpasskampagne, die Selektion zwischen "Ausländern, die uns nützen und denen, die uns ausnützen", das Gerede über Patriotismus und Nationalstolz undkritisierte die Leitkultur-Debatte, die konservative Politiker losgetreten haben. Zustimmend zitierte er Paul Spiegel vom Zentralrat der Juden:
"Ist es etwa deutsche Leitkultur - Fremde zu jagen, Synagogen anzuzünden, Obdachlose zu töten? Meine Damen und Herren Politiker: Überlegen Sie, was sie sagen - und hören sie auf verbal zu zündeln!"

Ort der Erinnerung
Der Historiker Folker Förtsch sagte in seiner Rede: "Die Häftlinge des Lagers Hessental erlebten Dinge, die in ihrer Grausamkeit und Brutalität nur schwer zu beschreiben sind, die jedoch ganz wesensmäßig dem nationalsozialistischen Lagerprinzip der letzten Kriegsjahre entsprangen dem Prinzip "Vernichtung durch Arbeit". Viele der Menschen in diesem Lager verhungerten, erfroren, gingen an Krankheiten oder vor Erschöpfung zugrunde, wurden misshandelt, erschossen oder zu Tode gequält. Der Name Hessental ist für die Überlebenden mit der Erfahrung der völligen Rechtlosigkeit, des totalen Ausgeliefertseins an die Willkür der Bewacher, mit dem Gefühl der tiefsten Erniedrigung und Demütigung verbunden. Die Errichtung der Gedenkstätte Hessental, gibt soweit es möglich ist, den anonymen, nur durch Nummern kenntlichen Arbeitssklaven der SS ihren Namen und auch ein Stück ihrer Ehre zurück - und zwar am historischen Ort ihres Leidens." Bei der Eröffnungsfeier sprachen weiter Oberbürgermeister Herman-Josef Pelgrim und Meinhard M. Tenné als Repräsentant des Zentralrats der Juden in Deutschland. Hans Kumpf umrahmte die Feier mit Klezmer-Variationen und Robert Przybilski, Thomas Hartmann und Jochen Narziß führten ein Streichtrio von Gideon Klein auf, das 1944 in Theresienstadt entstanden ist. Die neue Gedenkstätte findet ein großes Interesse. Auf vielfachen Wunsch der Besucher wird zur Zeit eine Broschüre mit den Texten der Ausstellung erarbeitet. Weiter ist ein Videofilm mit dem Zeitzeugen Mendel Gutt in Vorbereitung.

Infos:
Das Gelände der Gedenkstätte ist frei zugänglich. Führungen und Öffnung des Güterwaggons nach vorheriger Vereinbarung. Kontaktadresse: Siegfried Hubele, Hauffstraße 6, 74523 Schwäbisch Hall, Tel. 0791/51377.
Broschüre: "Spurensuche. Jüdische Geschichte und Nationalsozialismus im Kreis Schwäbisch Hall" (enthält die Beschreibung von 6 Gedenkstätten, 4 Museen und 3 Archiven und ist bei allen in dieser Broschüre genannten genannten Gedenkstätten, Museen und Archiven erhältlich.)
Am Samstag, 13. Oktober 2001 um 20.00 Uhr referiert Prof. Robert Steegmann, Straßburg zum Thema: Das Konzentrationslager Natzweiler und seine Außenkommandos. Ort: Schwäbisch Hall, Volkshochschule Löchnerhaus, Foyer. Abendkasse: 7,00 DM.


VVN-Logo http://www.vvn.telebus.de © 2001 J. Kaiser