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01.06.1997
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

Baden-Württemberg



antifNACHRICHTEN an9705

Heft Nummer 2/1997 (Sonderausgabe)


Wiedergutmachung: 50 Jahre und kein Ende

von Alfred Hausser


Man stelle sich die Situation der Widerstandskämpfer, der Hinterbliebenen nach dem Ende der Naziherrschaft 1945 vor: die aus den KZ-Lagern und Strafanstalten befreiten Häftlinge besassen meist nur das, was sie auf dem Leib hatten, dazu ausgehungert, entkräftet und psychisch angeschlagen. In ähnlichem Zustand befanden sich die aus der Emigration oder aus den Kriegsgefangenenlagern Zurückgekehrten. Sie brauchten Hilfe.

Noch ehe staatliche Organe handlungsfähig waren, bildeten sich Hilfskomitees aus den Reihen der Opfer mit Unterstützung der Kommunen. Es gab Bezugsscheine für erh”hte Lebensmittelrationen, bevorzugte Zuweisung von Kleidung und Wohnraum.

Hilfe in der ersten Not

Schon vor Gründung der VVN ist die in der Zeit des spanischen Bürgerkrieges in der Schweiz gegründete Süddeutsche Ärzte- und Sanitätshilfe in Aktion getreten. Hochwertige Lebensmittel, aus der Schweiz importierte Medikamente, Kleidung kamen an die Opfer zur Verteilung. Später wurden Kur- und Ferienplätze vermittelt. Für viele war das Harpprecht-Haus auf der Schwäbischen Alb der erste Urlaubsort. Mit der Gründung der VVN wurde die Forderung nach einer gesetzlich geregelten Wiedergutmachung, oder besser gesagt Entschädigung für begangenes Unrecht an den Staat erhoben. Bereits am 9.7.1947 ist für die damals zur US-Zone gehörenden Landesteile das Gesetz Nr. 169 über die Bildung eines Sonderfonds zum Zwecke der Wiedergutmachung in Kraft getreten. Die Behebung gesundheitlicher Schäden stand dabei im Vordergrund. Die Wiedergutmachungsämter in Karlsruhe und Stuttgart nahmen ihre Arbeit auf. Ähnlich verlief die Entwicklung auch in den französisch besetzten Landesteilen. So wirkte zum Beispiel im Kreis Lörrach eine hervorragende Betreuungstelle.

Je mehr die von den Nazis angerichteten Schäden offenkundig wurden, desto mehr entstand auch der Zwang zu einer umfassenden Regelung. Für die Länder der US-Zone verabschiedete der Süddeutsche Länderrat in Stuttgart am 24.4.1949 ein zoneneinheitliches Gesetz, das aber noch der Zustimmung des US-Gouverneurs bedurfte. Um dies zu erreichen, gingen die Verfolgten in München und Stuttgart auf die Strasse. Am 9. August 1949 erfolgte seine Unterschrift.

Zur Beratung der Verfolgten über die notwendigen Formalitäten wurden in allen Kreisen "Öffentliche Anwälte", so die offizielle Amtsbezeichnung, bestellt. Meistens waren es VVN-Kameraden, die über Jahre hinweg ein wichtiges Bindeglied zwischen den Verfolgten und der Wiedergutmachungsbehörde waren. Dankbar sei bei dieser Rückschau an verdiente Kameraden wie Bruno Lindner, Wilhelm Eppinger, Karl Mager, Otto Hafner, Wilhelm Deuschle, Eugen Nagel und andere erinnert.

Für die französisch besetzten Landesteile traten ähnliche Gesetze im Mai 1950 in Kraft. Weitere Gesetze kamen hinzu, z.B. Wiedergutmachung in der Sozialversicherung, im Öffentlichen Dienst zur Rückerstattung beschlagnahmter Vermögenswerte, Zusatzurlaub, erhöhter Kündigungsschutz usw. Auch in der britischen Zone wurde ein Entschädigungsgesetz erlassen. Dadurch ist in der Bundesrepublik eine sehr unterschiedliche Rechtslage entstanden. Ein bundeseinheitliches Gesetz war zwingend erforderlich. So ist am 1.10.1953 das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) in Kraft getreten.

Wiedergutmachung im Kalten Krieg

Bald stellten sich in der Praxis erhebliche Mängel heraus. In Denkschriften an das Bundesfinanzministerium und Vorsprachen bei den Fraktionen in Bonn kämpften wir um Verbesserungen. Dies gelang teilweise in der Neufassung des BEG vom 29.6.1956, mit dem aber zugleich der Kalte Krieg gegen die Opfer des Nationalsozialismus inszeniert wurde. Der neu eingeführte § 6 Abs.2 BEG enthielt die Vorschrift, daß im Falle der "Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes" die Wiedergutmachung zu versagen sei. Dies traf nach dem KPD-Verbot vor allem viele kommunistische WiderstandskämperInnen. Zahlreichen Opfern wurde in der Folgezeit der Anspruch verweigert. Im September 1965 trat dann das BEG-Schlußgesetz in Kraft, das die verheerende Bestimmung enthielt, daß nach dem 31.12.1969 keine Ansprüche mehr angemeldet werden konnten. Unzählige Opfergruppen wurden damit von einem Rechtsanspruch auf Entschädigung ausgeschlossen. Es mußten Härtefonds eingerichtet weerden, aus denen im Falle der Bedürftigkeit der besonders schwerer Verfolgung Einmalzahlungen oder laufende Beihilfen zu erhalten waren. Die Wiedergutmachung wurde so zur Sozialhilfe degradiert.

Interessensvertretung der Verfolgten

Die VVN bemühte sich über Jahre hinweg, Wiedergutmachungsleistungen für die Verfolgten und ihre Hinterbliebenen zu erreichen. Zahlreiche Kameraden wurden zur Beratung unserer Mitglieder geschult. Vom Justizministerium wurde uns nach § 183 BEG die Erlaubnis zur Vertretung unserer Mitglieder gegenüber den Entschädigungsbehörden und Gerichten erteilt. šber viele Jahre hinweg hielt die VVN in vielen Städten des Landes Sprechstunden ab, in denen unsere Mitglieder beraten und Anträge bearbeitet wurden. Über den Umfang dieser Arbeit mögen einige Zahlen sprechen: Im Zeitraum zwischen 1971 bis 1996 wurden 2006 Entscheidungen erwirkt. Auf dem Klageweg konnte durchgesetzt werden, daß die meisten (1882) Haftentschädigung, Lohnausfall, Renten wegen Gesundheitsschadenund Heilverfahren, Versicherungszeiten in der Sozialversicherung usw. erhielten. Unsere Arbeit hat sich für unsere Mitglieder gelohnt. Wie oft konnten wir mit unseren eigenen Erfahrungen aus der Verfolgung medizinische Gutachten widerlegen und unseren Kameraden zu einer Rente verhelfen.

Was damals recht war ...

Aus der Vielzahl der bearbeiteten Anträge sei nur an den Fall "Mössingen" erinnert, wo am 31. Januar ein Streik gegen die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler verbunden mit einer Demonstration stattfand. Im Jahr 1933 wurden 74 Teilnehmer vom Landgericht Tübingen wegen Landfriedensbruch zu langen Freiheitsstrafen verurteilt. Ihr Entschädigungsantrag wurde 20 Jahre später immer noch als kriminelle Handlung eingestuft und abgewiesen. Nach dem Bundesentschädigungsgesetz wurde der Anspruch erneut und wiederum unter Bezugnahme auf das Urteil vom Juli 1933 zurückgewiesen. Erst auf dem Klageweg über zwei Instanzen konnten wir den Mössinger Kameraden ihre Entschädigung verschaffen. Es gelang uns, das Gericht zu überzeugen, daß der spontane Protest gegen Hitler das richtige Mittel zur Verhinderung der faschistischen Diktatur war, wenn es überall angewandt worden wäre. "... daß der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes und Staates war ..." (Vorspruch zum Bundesentschädigungsgesetz 1953)

Wettlauf mit der Zeit

Die Wiedergutmachung ist inzwischen ein Wettlauf mit dem Tod geworden. Unzählige Opfer im In- und Ausland warten noch auf eine Entschädigung. Ich nenne einige Gruppen: Die Opfer der Militärjustiz, der Zwangsarbeiter, die Homosexuellen. Die Wiedergutmachung ist kein Ruhmesblatt für die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik. Die VVN-BdA fordert, daß alle bis jetzt immer noch ausgegrenzten Opfer schnellstens entschädigt werden, wobei die Betriebe wegen Ausbeutung der Zwangsarbeiter in die Pflicht genommen werden müssen.


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