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01.07.1997
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

Baden-Württemberg



antifNACHRICHTEN an9707

Heft Nummer 3/1997


Sicherheitsextremismus oder:

Die Invasion der Wanzen

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist


Sie sind unersättlich und scheuen keine bürgerrechtlichen Kosten. Kaum haben sie abermals aufgerüstet, rüsten sie schon wieder nach - so treiben es die Extremisten der "Inneren Sicherheit" seit Jahrzehnten, jahraus, jahrein. Unablässig den "inneren Feinden" auf der Spur: Waren es früher Kommunisten, später "Linksextremisten" und "Terroristen", so sind es heute vor allem "organisierte Kriminelle" und "kriminelle Ausländer", die als publikumswirksame Legitimation für ihre Nachrüstungsmaßnahmen dienen. Gegenwärtig scheint der "Sicherheitsstaat" in dem Maße aufgerüstet zu werden, wie der Sozialstaat abgetakelt wird.

Der individuelle Hunger nach Sicherheit nimmt zu im vereinten Deutschland. Er scheint unstillbar geworden in einer Zeit der sozialen, ökonomischen, psychischen Unsicherheiten, der Massenarbeitslosigkeit und eines rigorosen Sozialabbaus, in einer Welt der technologischen und ökologischen Gefahren sowie der zahllosen kriegerischen Auseinandersetzungen nach dem Ende des Kalten Krieges. Soziale Unzufriedenheit und Enttäuschungen nach der Vereinigung Deutschlands, drohende Deklassierung, Wohstandschauvinismus, autoritäre Psychostrukturen, latent bis manifest vorhandene rechtsgerichtete Stimmung und Fremdenangst in der Bevölkerung - diese hochexplosive Gemengenlage bildet den Nährboden, auf dem eine Politik der "Stärke", der Diskriminierung und Dehumanisierung ihre rechten "Früchte" trägt.

Die neueste Nachrüstungskollektion im Bereich der sogenannten Inneren Sicherheit ist bereits beschlossene Kabinettssache und liegt teilweise im Entwurfstadium vor. Legalisierung des "Großen Lauschangriffs", Anti-Korruptionsgesetz mit Strafrechtsverschärfungen, Gesetz zur Verbesserung der Geldwäschebekämpfung mit herabgesetzter Verdachtsschwelle, abermalige Verschärfung des Ausländer-, Asylverfahrens- und auch des Demonstrationsrechts - so die Neuerungen in Kurzform.

Mit erleichterter Abschiebung gegen Ausländerfeindlichkeit

Künftig soll Gewalt gegen Sachen aus einer Menschenmenge - bislang "nur" als einfacher "Landfriedensbruch" mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft - als "besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs" (§ 125a StGB) mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, sofern die Handlung aus einer verbotenen Demonstration heraus geschieht. Dies soll aber nicht nur für unmittelbar handelnde Personen gelten, sondern auch schon für solche DemonstrationsteilnehmerInnen, die Gewalttäter lediglich "psychisch unterstützen" - da kann schon das bloße Verweilen zur "Unterstützung" geraten.

Als Anlaß für diese Gesetzesverschärfung gelten die gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Kurden, die in Deutschland längst zu Feinden gemacht worden sind. Für alle Ausländer wird künftig eine Verurteilung nach §125a die Ausweisung zur Folge haben, sofern die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Darüber hinaus können selbst Ausländer, die bisher einem besonderen Ausweisungsschutz unterlagen (Asylberechtigte, Ehepartner von Deutschen, im Bundesgebiet geborene Ausländer), abgeschoben werden, falls sie zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sind. Zur Begründung heißt es im Gesetzentwurf: "Die Begehung von Straftaten durch Ausländer ... wird von Deutschen und Ausländern vielfach verurteilt und kann zu einer unerwünschten pauschalen Negativbeurteilung der hier lebenden Ausländer führen". Deshalb sei es geboten, die Aufenthaltsbeendigung - Ausweisung und Abschiebung - von ausländischen Straftätern zu erleichtern. Ja, schaut her: Die Bundesregierung tut etwas gegen Ausländerfeindlichkeit...

Grundrechtsdemontage: Wanze mit Verfassungsrang

Die seit Jahren betriebene Politik mit der Angst vor "Asylantenflut", "Asylbetrügern" und "kriminellen Ausländern" hat längst gegriffen: Ihren ersten großen Erfolg konnte diese Politik der Verunsicherung mit der faktischen Abschaffung des Asylgrundrechts einfahren. Nun wird auf dieser Grundlage gegen die Fremden nachgekartet. Auch im "Kampf gegen die organisierte Kriminalität" (OK) - die große Legitimationsformel der Neuzeit - konnte die herrschende Sicherheitspolitik Nachrüstungserfolge verbuchen: Mit dem "Gesetz zur Bekämpfung der OK" (OrgKG 1992) und dem sogenannten Verbrechensbekämpfungsgesetz (1994) wurde der Grundstock für ein OK-Sonderrechtssystem geschaffen, dessen geheimpolizeiliche Komponente nun u.a. mit dem Großen Lauschangriff ausgebaut werden soll. nachdem sich CDU/CSU, FDP und SPD in einer Großen Koalition der "Inneren Sicherheit" zur abermaligen Demontage des Grundgesetzes verabredeten und sich geeinigt haben, das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung mit einer satten Zweidrittelmehrheit auszuhebeln, steht dem Einzug der elektronischen Wanze in das Arsenal der Polizeifauna zum Zwecke der Strafverfolgung nichts mehr im Wege.

Nach der Aushebelung des Asylgrundrechts setzt sich der rechtsstaatlich inszenierte Zerfall der Grundrechte weiter fort - auf dem Weg zur "Waffengleichheit" mit dem "organisierten Verbrechen". Im Zuge dieser Demontage kommt es schon längst zu Grenzüberschreitungen jenseits der Verfassung: Die Polizei bekommt geheimdienstliche Befugnisse zugestanden, den Geheimdiensten werden polizeiliche Aufgaben übertragen, das verfassungemäße Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten wird offen zur Disposition gestellt und eine verfassungswidrige Geheim-Polizei billigend in Kauf genommen. Regierungskoalition und "oppositionelle" SPD wissen sich im aktuellen Trend: In unsicher gewordenen Zeiten, in Zeiten der Krise und der Sozialstaatsdemontage, ist der starke "Sicherheitsstaat" gefragt, der ohne Grundrechtsdemontage und ohne Abbau rechtstaatlicher Standards nun mal nicht zu haben ist. Viele verunsicherte BürgerInnen in Deutschland - über 50 Prozent sollen es sein - halten den Großen Lauschangriff für hilfreich und gut im Kampf gegen die OK. Dabei fragt kein Mensch mehr nach der Effizienz jener klandestinen Maßnahme, die selbst von Polizeipraktikern als gering eingestuft wird. Da merkt kein Mensch, daß die als "elektronische Aufklärungsmittel" getarnten Abhörgeräte zur Prävention, zur Abwehr von (schwerwiegenden) Gefahren, in den allermeisten Bundesländern längst zugelassen und in Gebrauch sind. Da fragt kein Mensch mehr nach den rechtsstaatlichen Kosten einer möglichen Invasion der Wanzen und des Einsatzes von Richtmikrophonen und Laserstrahlen. Da schreckt die braven Bürger nicht einmal der exzessive Umgang mit der Telefonüberwachung in Deutschland, die trotz richterlicher "Kontrolle" jährlich über sechstausend Mal durchgeführt wird (1996). Millionen von Gesprächen auch vollkommen unverdächtiger Personen werden dabei abgehört - von Verwandten, Bekannten, Freunden und Zufallskontakten mutmaßlicher Straftäter. Kommunikationsüberwachung ist eine "breit streuende Waffen", weshalb auch die Wanze, hat sie erst Verfassungsrang, kaum zu bremsen sein wird.

"Enttabuisierung": Auf dem Weg in ein autoritäres Regime?

Die (zeitweise) wachsende Kriminalität, das hoch dramatisierte organisierte Verbrechen und die "kriminellen Ausländer" beherrschen seit Jahren die politische Debatte, die zuweilen geradezu hysterische Züge angenommen hat. Die fleißig geschürte, überschießende Kriminalitätsfurcht verstärkt den in der Bevölkerung ohnehin vorhandenen Hang zu einfachen "Lösungen", autoritären Maßnahmen, "hartem Durchgreifen". Bekanntlich besitzt die Begriffstrias "Sicherheit, Ruhe und Ordnung" für die Ohren des deutschen Volkes traditionell einen besonderen Wohlklang, für deren Durchsetzung die Mehrheit wohl auch ein autoritäres Regime in Kauf nähme - so jedenfalls ist nach einschlägigen "Lauschangriffen" auf diverse Stammtisch-Runden zu befürchten.

Auf diesem hochbrisanten Nährboden staatsautoritärer Fixierung und mangelnder bürgerlich-demokratischer Tradition feiert die konservative Sicherheitskonzeption eines hochgerüsteten "starken Staates", feiert die "frohe Botschaft der entfesselten Staatsgewalt" populistische Triumphe - während übriggebliebene liberale Zweifler, gleichermaßen als "Bedenkenträger"und "Verharmloser" desavouiert, massiv unter Druck gesetzt werden. Selbst bislang als (links-) liberal geltende Kräfte und ehedem staatskritische Geister scheinen angesichts dieses Drucks zunehmend bereit, bürgerrechtliche und liberal-rechtsstaatliche Positionen im Kampf gegen die "neuen Bedrohungen" nach und nach zu räumen. "Enttabuisierung" ist auch in diesem Bereich angesagt - wie sonst ließe sich einer "Gesellschaft der Gewalt" (Konrad Weiß), dem alltäglichen "Bürgerkrieg" in den großen Städten (Hans Magnus Enzensberger) noch begegnen?

Freiwillige Polizeihelfer und Ermittlungsgehilfen

Im Zuge dieser Enttabuisierung werden auch bei ehedem geheimdienstkritischen Menschen der vielgeschmähte "Verfassungsschutz" akzeptabel, das höchst bedenkliche Anti-Terror-Sonderrechtssystem genehm sowie die Hilferufe nach mehr Polizei und schärferen Gesetzen schriller, wenn diese nur endlich wirkungsvoll gegen den Rechtsterror eingesetzt würden. Geheimpolizeiliche "verdeckte Ermittler" oder (noch) verfassungswidrige Lauschangriffe finden im Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität oder gegen Neonazis neue Freunde, die in ihrer Hilflosigkeit glauben, den Verheißungen der Sicherheitspolitiker folgen zu müssen, um der "neuen Unsicherheit" begegnen zu können. Statt die überfällige Auflösung der Geheimdienste einzufordern, statt die faktische "Allzuständigkeit" der Polizei abzubauen und damit auch die Verpolizeilichung der Gesellschaft zu stoppen, werden an Geheimdienste Polizei und Strafrecht immer neue Anforderungen gestellt - auch von Liberalen, (ehemaligen) Linken, Antifaschisten: Quasi "gesellschaftskritisch" gewendet und umgewichtet, wird da manch kritischer Geist zum "Verfassungs-schützer" und Polizeihelfer - etwa in Sachen Rechtsradikalismus und Umweltkriminalität, organisierte Drogenkriminalität und Waffenhandel, Wirtschaftskriminalität und Korruption, Steuerdelikte und Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Diese Art polizei- bzw. strafrechtsdominierter Versuche zur "Bewältigung" grundsätzlicher ökonomischer, sozialer, psychischer Defizite und Struktur-Probleme bedeutet letztlich - abgesehen vom bloßen Kuren an Symptomen - eine heillose šberforderung von Polizei und Strafjustiz. Eine solche entpolitisierende "Sicherheitspolitik" wird sich rasch als Einfallstor entpuppen für eine alte Strategie, die gerade in liberalen, "grünen" und linken politischen Kreisen eigentlich ungemein verpönt sein sollte: nämlich die polizeiliche "Lösung" sozialpolitischer verursachter Probleme und Konflikte. Und mit dieser Strategie werden dann jedoch weitere Strafrechtsverschärfungen, der weitere Abbau von Beschuldigtenrechten, die weitere Lockerung des Datenschutzes und die weitere Aufrüstung der Polizei und der Geheimdienste nicht lange auf sich warten lassen - klammheimlich akzeptiert auch von ungewohnter Seite, wenn es nur die "Richtigen" trifft, der "guten Sache" dient. Dieses instrumentelle Verhältnis zu Bürgerrechtne und rechtsstaatlichen Standards ist erschreckend weit verbreitet - zeigt sich übrigens auch in erschreckendem Maße bei der "Aufarbeitung" der DDR-SED-Stasi-Vergangenheit.

Ein solches (Miß-)Verständnis macht letztlich blind und wehrlos gegenüber jenen Gefahren, die von einem hochgerüsteten und weitgehend entfesselten staatlichen Gewaltapparat drohen können. Was dieses Land dringend benötigt, sind tiefgreifende strukturelle Veränderungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft - in Richtung von mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr demokratischer Teilhabe. Dazu gehört auch die deutliche Absage an die Dominanz polizeilicher bzw. strafrechtlicher Lösungsversuche. Sicher ist die Utopie einer polizeifreien Gesellschaft in einer auf struktureller Ungleichheit und Ungerechtigkeit basierenden Gesellschaft kaum vorstellbar. Doch ein allmähliches Zurückdrängen der Polizei aus ihrer allzuhäufig akzeptierten und geforderten "Allzuständigkeit" aus sozialen und politischen Problem- und Konfliktfeldern ist notwendig und auch verantwortbar, wenn dieses Zurückdrängen verbunden wird mit der parallelen Entwicklung sozialverträglicher Einrichtungen, Inititativen und sozialer Dienste. Angesichts einer Polizeidichte, die zur höchsten der Welt zählt, erfordert dies auch - entgegen dem permanenten Trend - eine Reduzierung der personellen Polizeistärken und der enorm gestiegenen Finanzmittel.


Dr. Rolf Gössner (Bremen) ist Rechtsanalt, Publizist und parlamentarischer Berater.
Seit über 25 Jahren unter Beobachtung des "Verfassungsschutzes". Autor zahlreicher Bücher zu Themen der "Inneren Sicherheit"


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