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01.07.1997
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

Baden-Württemberg



antifNACHRICHTEN an9707

Heft Nummer 3/1997


50 Jahre VVN in Oberschwaben und am Bodensee:

Antifaschismus notwendig wie eh und je!

von Josef Kaiser, Enzo Savarino, Alfred Hausser


Birnau/Ravensburg/Friedrichshafen/Singen: Ihr 50jähriges Bestehen feierte die VVN Ravensburg zusammen mit den Kreisvereinigungen Singen, Konstanz, Tuttlingen, dem DGB Konstanz und Bodenseekreis sowie der IG Metall Friedrichshafen am 10. und 11. Mai 1997. 11 Jubilare wurden in einer gut besuchten öffentlichen Feier für ihre langjährige Mitgliedschaft geehrt, darunter 4 Gründungsmitglieder. Die Festrede hielt Alfred Hausser, Ehrenvorsitzender der VVN-BdA in Baden-Württemberg. Tags darauf wurde auf dem KZ-Friedhof Birnau zusammen mit über 200 Gästen aus Italien (Rivoli/Cremona) der Opfer des neuen und alten Faschismus gedacht. Anne Rieger, Landessprecherin der VVN-BdA, und Angela Massaglia, Cremona, hielten die Gedenkreden. Delegationen der italienischen Gäste wurden am 12. Mai 1997 in den Rathäusern von Friedrichshafen, Ravensburg und Überlingen empfangen.

Hagnau: Festakt 50 Jahre VVN

Mit Joseph Haydn eröffnete und umrahmte ein Streichquartett der Musikschule Ravensburg den feierlichen Abend. Josef Kaiser, VVN-BdA Ravensburg / IG Metall Ulm, führte durch die Gedenkfeier. Er gab seiner Zufriedenheit darüber Ausruck, daá so viele Besucher/innen mit der VVN-BdA zusammen das 50jährige feiern, " ... in einer Zeit, in der politische Veranstaltungen nicht gerade groáe Publikumsmagnete sind; in einer Zeit, in der die groáe Politik sich nur noch als Erfüllungsgehilfe der bedingungslosen Unterordnung unter das Diktat der Weltwirtschaft versteht, in der fehlende Geschichtskenntnisse Ohnmacht und Orientierungslosigkeit bewirken, in der über historische und persönliche Erfahrungen von Widerstandskämpfern/innen der Deckmantel des Vergessens gelegt werden soll." In Grußbotschaften würdigten die Bundestagsmitglieder Oswald Metzger (Bündnis90/Grüne), Rudolf Bindig (SPD) und Winfried Wolf (PDS) die Verdienste der VVN. Nach kurzer Begrüßung durch Alois Thoma, Vorsitzender der VVN Ravensburg, wurde der Verstorbenen gedacht.

Kultureller Höhepunkt des Abends war eine Aufführung von Stücken aus dem Buch "La vita offesa" (das beleidigte Leben) durch Oberschüler der Höheren Handels- und Sprachenschule Orbassano (Turin). In dem Buch berichten über 200 Überlebende der KZs ihre Geschichte und ihre Erinnerungen an die Nazilager. Eine Kurzfassung wurde 1990 in Turin für Theater umgeschrieben und uraufgeführt. Doris Berger übersetzte auf Wunsch der Verbandes der italienischen Exdeportierten und des Komitees vom Colle del Lys (ANED), das bei Rivoli (Turin) alljährlich eine große Gedenkfeier veranstalten, die Stücke ins Deutsche. Unter der Regie von Marco Peirolo und Andrea Fazzari studierten italienische Schüler die Stücke ein und überbrachten die deutsche Uraufführung der VVN-BdA Ravensburg als Geschenk zum 50. Geburtstag. Die Schüler und ihre Lehrer/in erhielten anhaltenden Beifall und große Anerkennung für ihre Aufführung.

Großen Beifall erhielt auch Alfred Hausser, Ehrenvorsitzender der VVN-BdA Baden-Württemberg für seine Festrede. Er gab einen Rückblick über die Arbeit der VVN seit ihrer Gründung 1947 und berichtete über Erfolge und Niederlagen der Organisation. Für die VVN habe Antifaschismus nie nur bedeutet, den Blick nach rückwärts zu richten, sondern unsere Erfahrungen für ein demokratisches Deutschland einzubringen, betonte Alfred Hausser. Er schloß seine Rede mit den Worten: "Wenn wir den langen und oft schweren Weg dieser 50 Jahre überblicken, dann sage ich, wir können stolz darauf sein, daß wir immer und mutig für ein antifaschistisches, demokratisches und friedliches Deutschland gestritten haben, getreu dem Vermächtnis unserer Toten, die für diese Ziele ihr Leben geopfert haben. Die Losung von Buchenwald soll uns auch in Zukunft leiten: "Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg".

Die Mitgliederehrung nahmen Gottfried Heil, Enzo Savarino und Anne Rieger vor. Geehrt wurden für langjährige Mitgliedschaft
Als Gründungsmitglieder wurden von Alfred Hausser ausgezeichnet
In seiner Laudatio sagte Josef Kaiser: "Ihr habts nicht immer leicht gehabt in diesem Land - weder in der Nazizeit, noch in der späteren Bundesrepublik. Euer hartnäckiger Einsatz gegen Faschismus, Neonazismus, gegen Fremdenhaß und Antisemitismus war damals wie heute den Mächtigen in Deutschland suspekt. Euer Einsatz für Frieden und Völkerfreundschaft hat deutsche Großmachtphantasien immer wieder behindert und gebremst."

Mit dem gemeinsam gesungenen Lied "Die Moorsoldaten" klang der Festabend aus.

Birnau: Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof

Rund 300 Menschen nahmen am Sonntag, den 11. Mai 1997, an der Gedenkfeier auf dem KZ-Friedhof in Birnau teil. Tags zuvor hatten die rund 200 Gäste aus Rivoli und Cremona, hauptsächlich Schüler und Studenten, an einer KZ-Stollenführung in Überlingen teilgenommen, bei der Oswald Burger die Geschichte des Stollens sowie die Ausbeutung und Vernichtung der Sklavenarbeiter/innen durch das Deutsche Reich und die Friedrichshafener Rüstungsindustrie beschrieb.

In seiner Begrüßung auf dem KZ-Friedhof verurteilte Enzo Savarino, IG Metall Friedrichshafen, den Trend, Geschehnisse im 3. Reich als historisch und vergangen abzulegen. Aus den damaligen Ereignissen Lehren ziehend, kündigte er gewerkschaftlichen Widerstand gegen die Entstehung eines autoritären Staates an, der z.B. Soziallasten auf den Rücken der Armen abwälze und gleichzeitig Unternehmern Steuergeschenke mache. Er forderte die der VVN-BdA nahestehenden Politiker/innen auf dafür zu sorgen, daß die VVN-BdA endlich aus dem Verfassungsschutzbericht gestrichen wird: "Die VVN hat über Jahrzehnte hinweg immer wieder bewiesen, daß sie deutlicher und konsequenter für demokratische Rechte sowie den Schutz einer demokratische Verfassung eintritt, als so mancher vermeintliche "Verfassungsschützer" in diesem Land."

Anne Rieger, Landessprecherin der VVN-BdA, verwies darauf, daß am Bodensee die Erinnerung an Männer wie Zeppelin, Maybach und Dornier, die für die Kriegsproduktion verantwortlich waren und an ihr hervorrangend verdient haben, von der öffentlichen Hand außerordentlich gut gepflegt wird. Hingegen werde die Erinnerung an die Opfer des Faschismus zwar schamhaft, aber doch mit Absicht aus dem öffentlichen Gedächtnis verdrängt. "Hier an den Gräbern der Menschen, die dadurch starben, daß sie gezwungen waren, im KZ für die Kriegsproduktion zu arbeiten, verweise ich auf den heutigen Reichtum von Friedrichshafen, der aus der Rüstungsproduktion - aus der Produktion für den Tod kommt." Die Bundeswehr werde derzeit für 192 Mrd. DM von einer "Verteidigungsarmee in eine Killer- und Eingreiftruppe" umfunktioniert, mit dem Einsatzziel "Sicherung des freien Zugangs zu Märkten und Rohstoffen weltweit." Es sei zwar gut, notwendig und richtig, der Toten in diesen Gräbern zu gedenken, reiche aber nicht aus, betonte Anne Rieger. Sie forderte: "Jedes Gedenken an die Opfer muß mit einer lauten öffentlichen Anklage gegen die Rüstungsschmiede Friedrichshafen verbunden sein. Solange bis dort die Produktion auf zivile, sozial nützliche und ökologisch sinnvolle Güter umgestellt ist."

Angela Massaglia, Repräsentantin der Provinz Turin, sagte in ihrer Rede, daß Turin ein Museum der Deportierten einrichten will. "Sowohl die alten Partisanen, wie auch die Menschen meiner Generation, die den Krieg nicht miterlebt hat, sind dazu aufgerufen, alles zu tun, damit das, was zu Rassismus, Intoleranz und Diktatur führt, nicht vergessen wird." Auf Probleme der Globalisierung eingehend sagte sie: "Es wäre eine Illusion zu glauben, daß die industrialisierten Länder ihre Privilegien gegen die berechtigten Ansprüche der anderen Völker auf ein besseres Leben ewig verteidigen könnten. Es ist unmöglich, umringt von Hunger, Gewalt und Unterentwicklung, die nächsten Jahrzehnte wie auf einer glücklichen Insel überstehen zu wollen. ... Daher ist es wichtig, den Prozess der europäischen Einigung nicht nur von Wirtschaftsinteressen bestimmen zu lassen. ... Auch heute angesichts zunehmend unkontrollierbarer Finanzmacht, ist unser Einsatz und unsere Beteiligung notwendig, um die Demokratie - wirkliche Demokratie - und eine zukunftsfähige Gesellschaft aufzubauen. Die Entbehrungen und der Kampf vieler Menschen von damals haben unsere Freiheit ermöglicht. Heute sind wir an der Reihe!"

Mit einer Kranzniederlegung gedachten die Besucher des KZ-Friedhofs der Opfer des Faschismus. Umrahmt wurde die Gedenkfeier mit Liedern der Gruppe "Trotz alledem" aus Konstanz.

Offizielle Empfänge und Schulbesuche

Am Montag, den 12.Mai 1997, wurden Delegationen der VVN-BdA und der italienischen Gäste in den Rathäusern von Ravensburg, Friedrichshafen und Überlingen empfangen. Zeitgleich nahmen die italienischen Schüler die Gelegenheit zu Unterrichtsbesuchen bei deutschen Schüler/innen in verschiedenen Gymnasien der Gegend wahr.


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