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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschisten

VVN-BdA Baden-Württemberg
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Nummer 4 / Oktober 1997


Alfred Hausser wurde 85

Großer Bahnhof für einen Antifaschisten

von Elke Günther

Wenn im Stuttgarter DGB Haus "Der rote Wedding" und die "Internationale", gespielt von der Schwäbisch Haller Schalmeiengruppe, erklingt, dann muß - Revolution scheidet momentan aus - schon etwas ganz Besonderes passiert sein.

Und so war's auch. Zu Ehren von Alfred Hausser, der am 27. August seinen 85. Geburtstag feierte, gab die VVN-Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg am 19. September einen Empfang im Gewerkschaftshaus.

Großer Bahnhof für einen Antifaschisten: Weit über 300 Gäste, Freunde und Weggefährten, Parlamentarier von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, waren aus allen Teilen der Republik angereist um dem Ehrenpräsidenten der VVN-Bund der Antifaschisten zum 85.Geburtstag zu gratulieren.

VVN-BdA-Landessprecherin Anne Rieger, die souverän durch die Veranstaltung führte, würdigte Alfred Hausser als "Kommunist und Antifaschist, Demokrat und Bürgerrechtler", der die Kraft, sich ein Leben lang zu engagieren, aus seiner politischen Überzeugung und Weltanschauung gewonnen hat.

Hohe Wertschätzung des Ministerpräsidenten
Daß selbst Ministerpräsident Erwin Teufel dem Jubilar in einem Grußschreiben seine "hohe Wertschätzung" für seinen "lebenslangen Einsatz für Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde und Meinungsfreiheit" versicherte, sorgte für Überraschung im Saal. Anne Rieger, die das Grußschreiben verlas, forderte den Ministerpräsidenten unter großem Beifall auf, Alfred Hausser nun das gr”ßte Geburtstagsgeschenk zu machen, nämlich dafür zu sorgen, daß die VVN-BdA umgehend aus dem Verfassungsschutzbericht verschwindet.

Kalte Schulter desOberbürgermeisters
Der DGB-Landesbezirksvorsitzende Siegfried Pommerenke nannte in seiner Laudatio Alfred Hausser einen "Sohn dieser Stadt auf den Stuttgart stolz sein kann." Das hatte man in der CDU-dominierten Rathausspitze bisher nicht so gesehen. Oberbürgermeister Schuster hielt es nicht es nicht einmal für nötig, Glückwünsche zum 85. Geburtstag auszusprechen. Nachdem ein engagierter Artikel in der Cannstatter Zeitung, Überschrift: "Stell Dir vor Hausser wird 85 und kein Bürgermeister geht hin" im Rathaus für Unruhe gesorgt hatte, entschloß sich Bürgermeister Blessing (SPD) schließlich persönlich Glückwünsche - auch im Namen der Stadt - zu überbringen. Oberbürgermeister a.D. Manfred Rommel hatte in einem Schreiben "Achtung und Respekt" zum Ausdruck gebracht, "die ich über alle Unterschiede in der politischen Grundhaltung hinweg für Sie empfinde".

Widerstand ein Leben lang
Siegfried Pommerenke würdigte das bewegte und tapfere Leben des Jubilars, der nie hatte ein Held sein wollen: 1934 in Chemnitz verhaftet und 1936 vom Volksgerichtshof in Berlin wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, verhängte der NS-Staat gegen den "unbelehrbaren Feind des nationalsozialistischen Staates" Einzelhaft mit eineinhalbjährigem absoluten Sprechverbot. Zehn Jahre verbrachte Alfred Hausser hinter Zuchthausmauern, sieben davon als Zwangsarbeiter für die Firma Bosch. Nach der Befreiung widmete er seine Kraft der VVN, davon drei Jahrzehnte als Vorsitzender des Landesverbandes Baden-württemberg. Als Rechtsbeistand der VVN hat er unzähligen Opfern des NS-Regimes zu einer Wiedergutmachungszahlung verholfen. Eine Aufgabe, der sich der 85jährige auch heute noch widmet. Als unermüdlicher Mahner vor Neofaschismus und Rassismus hat Alfred Hausser vielen jungen Menschen das demokratische und historische Bewußtsein geschärft.

Aus der Geschichte zu lernen, so Pommerenke weiter, heißt, "uns der Verantwortung heute zu stellen. Zivilcourage, aufrechter Gang, Widerstand gegen eine Politik zunehmender Entsolidarisierung, gegen Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit, das ist es, was wir heute brauchen."

Demokratie lebt von Menschen, die moralisch handeln
Gewissermaßen stellvertretend für die sieben anwesenden IGM Bevollmächtigten überbrachte Bruno Nickel von der Verwaltungsstelle Stuttgart die Glückwünsche der IG Metall. "Der Frieden lebt von Menschen, die sich dem Krieg verweigern. Die Demokratie lebt von Menschen, die moralisch handeln. Die Erfahrung des antifaschistischen Widerstandes lehrt, es kommt immer auf den Einzelnen an." Vor diesem Hintergrund , so der Gewerkschafter sei es geradezu die Pflicht der Gewerkschaften und aller demokratischen Kräfte, einer Aushöhlung des Grundgesetzes und der damit verbundenen kulturellen Restauration zu widerstehen, damit das Grundgesetz nicht zu einer "Parodie auf sich selbst" denaturiere.

Unsere Verantwortung resultiert aus der Geschichte
Den Festvortrag hielt der Direktor des Stuttgarter Stadtarchivs, der Historiker Dr. Roland Müller. Entscheidend für seinen Entschluß, sich der Erforschung des Nationalsozialismus in Stuttgart zu widmen, sei die Begegnung mit Alfred Hausser und dem Archiv der VVN-BdA Baden-Württemberg gewesen, sagte Roland Müller, Autor des lokalgeschichtlichen Standardwerks "Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus". Der Historiker, stellte die Behandlung der NS-Zeit in der DDR und der Bundesrepublik in den Mittelpunkt seines Vortrages. Mit den Worten: "Wir haben eine aus der Geschichte resultierende Verantwortung. Es bedarf der Menschen, die uns zeigen, was historische Verantwortung ist, die glaubhaft sind. Dafür steht Alfred Hausser und dafür ehren wir ihn zurecht" schloß Roland Müller seine Rede.

Optimismus, Kraft und Mut
Als nächste Gratulantin trat Conny Kerth, Bundessprecherin der VVN-BdA ans Mikrofon. Der VVN-BdA Bundessprecherkreis war komplett nach Stuttgart gereist, um an der Feier teilzunehmen. Conny Kerth würdigte Alfred Hausser als "Vertreter jener AntifaschistInnen aus der Arbeiterbewegung, die schon in den 20er Jahren gegen den aufkommenden Faschismus auftraten. Du gehörtest zu den Weitsichtigen, Unbeugsamen, die die Illegalität vorbereiteten und für die es selbstverständlich war, nach dem 30. Januar 1933 den Widerstand zu organisieren." Optimismus habe ihm Kraft und Mut gegeben auch in schlimmsten Situationen nicht zu verzweifeln. Im Namen des Bundesausschusses überreichte die Sprecherin ein von Guido Zingerl geschaffenes Bild mit Motiven aus dem Leben des Antifaschisten Alfred Hausser (unser Titelbild).

...für eine Welt ohne Ausbeutung und Krieg
Die lange, manchen Gäste vielleicht allzu lange, Reihe der Gratulantinnen und Gratulanten zeigte die große Wertschätzung die Alfred Hausser bei vielen Organisationen erfährt. Hans Wunderlich vom Bezirksvorstand der DKP überbrachte die herzlichen Glückwünsche seiner Partei, die auch die Partei Alfred Haussers ist. "Lieber Alfred, wir danken Dir für alles, was Du für die VVN, für unsere Partei, für eine Welt ohne Ausbeutung und Krieg getan hast und noch tust."

Doris Kunkel, Vorstandssprecherin der Naturfreunde, der der Jubilar bereits seit 47 Jahren angehört, dankte für die jahrzehntelange Treue zu ihrer Organisation.

Für den SPD-Landesverband gratulierte Brigitte Unger-Soyka. Die ehemalige Frauen- und Familienministerin war während ihrer Amtszeit wegen ihrer Mitgliedschaft in der VVN-BdA heftigen Angriffen durch die Fraktion der "Republikaner" ausgesetzt. Die Rechtsextremisten hatten ihren Rücktritt gefordert. "Ihr Engagement gegen Hass und Gewalt, gegen Rassismus und vor allem gegen Krieg, sind nach vor beispielhaft für uns, die Jüngeren. Und angesichts Ihrer Kraft und Ihrer Überzeugung, Herr Hausser, erscheinen unsere Bekenntnisse oft kleingläubig und halbherzig" sagte die SPD-Vertreterin.

Glückwünsche überbrachten auch die PDS-Landessprecherin Ulrike Hintsches und die Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Annemie Renz. Sie forderte, aufzustehen gegen die Rechtsradikalen, "zu mahnen und aufzuklären, ganz im Sinne von Alfred Hausser".

Mittler für die Nachkriegsgeneration
Der Präsident des Landesamts für Besoldung und Versorgung, Veit Stadelmaier, dankte in einem Grußschreiben für die langjährige fruchtbare Zusammenarbeit. Besonders würdigte er das Engagement "mit der Sie als Zeitzeuge und Mittler unschätzbare Aufklärungsarbeiten leisten, um der Nachkriegsgeneration die Augen dafür zu öffnen, was war und was nie wieder sein darf." Das Grußschreiben wurde von VVN-BdA-Mitglied Regierungsdirektor Pulm verlesen.

Auch Fred Dellheim vom IVVdN in Berlin überbrachte Glückwünsche. Dr. Sylvester Lechner vom Dokumentationszentrum KZ Gedenkstätte Oberer Kuhberg dankte für die Arbeit die Alfred Hausser für das Dokumentationszentrum geleistet hat und heute noch immer leistet.

Musikalisch umrahmt wurde die außerordentlich eindrucksvolle Feier mit Liedern aus dem Widerstand, vorgetragen von der Songgruppe die "Marbacher". Zum Schluß dankte ein sichtlich bewegter Alfred Hausser für die vielen guten Wünsche, Zuschriften und Würdigungen und rief den Gästen zu: "Also dann, auf ein Wiedersehen im Jahr 2002."
Elke Günther

Herzliches Dankeschön
Zu meinem 85. Geburtstag am 27. August und dem festlichen Empfang am 19. September 1997 im Stuttgarter DGB-Haus sind mir von zahlreichen Kameradinnen und Kameraden aus allen Teilen unseres Landes viele Glückwünsche und anerkennende Worte für mein politisches und soziales Wirken zugegangen.

Ich habe mich darüber sehr gefreut und danke allen, die an mich gedacht haben herzlich. Dank für die vielen Geschenke und Spenden für die antifaschistische Arbeit. Bis Redaktionsschluß ist die stolze Summe von DM 8723,-- eingegangen. Dank an alle, die bei dem Empfang so viel ehrende Worte für mich und die VVN-BdA gesprochen haben. Dank an unsere Landessprecherin Anne Rieger für ihre Laudatio und ihre hervorragende Moderation der Feier. Dank an die Büromannschaft der Landesgeschäftstelle. Dank an die Marbacher Songgruppe und die Schalmeienkapelle aus Schwäbisch Hall.

Auch für meinen weiteren Lebensweg gilt: Das Vermächtnis der Opfer aus Faschismus und Krieg bleibt mir Verpflichtung.

Ich grüße in solidarischer Verbundenheit

Alfred Hausser



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V.i.S.d.P.: Dieter Lachenmayer.

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